Rauben, plündern, verwüsten: mit der Krise kommt das Schlimmste der Kubaner ans Tageslicht

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Eine Ungeschicklichkeit beim Transport führte dazu, dass bei einer Scheibe eine Ecke abbrach, aber die Plünderer störte das nicht; sie nahmen auch dieses Teil mit. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 17.Mai 2023

An die „Spezielle Periode“ erinnert man sich aufgrund der langen Stromausfälle und wegen des Mangels an Lebensmitteln, aber auch weil es eine Zeit in Kuba war, in der Vandalismus und Raub ein alarmierend hohes Niveau erreichten. Glühbirnen verschwanden aus Schulen und Krankenhäusern; Badezimmerarmaturen, die kaum ein paar Stunden an dem Platz blieben, wo man sie installiert hatte; Steckdosen, die in Arztpraxen mit einem Ruck von den Wänden gerissen wurden; und sogar Eisenbahnschwellen verwandelten sich in Schweineställe. Elektromasten demontierte man Stück für Stück und machte daraus Zäune für Häuser, während die Räder von Müllcontainern bei Schubkarren Verwendung fanden, um damit Wasser heranzukarren. Diese Plünderungen verbreiteten sich unter der gesamten kubanischen Gesellschaft, und die Plünderer waren fast „Helden“, denen es nachzueifern galt, weil sie mit ihrer Geschicklichkeit und den „Früchten ihres Raubs“ das Leben ihrer Familien sicherten.

Mit der neuen Krise, die wir jetzt erleben, sind die Stromsperren zurückgekehrt, auch die langen Warteschlangen um Nahrungsmittel zu kaufen, und − was auch nicht fehlt − der Raub von allem, was man wegtragen kann. An diesem Dienstag entfernte jemand zwei Glasscheiben aus einer Fensterfront im Korridor des vierzehnten Stockwerks, wo ich in Havanna wohne. Sie waren dort seit Mai 1985, als dieser hässlichen Betonklotzes bezogen wurde; sie überstanden sogar unbeschädigt die Plünderungswut der 90er Jahre. Trotzdem, jemand rechnete sich aus, dass jede der fast einen Quadratmeter großen Scheiben 5.000 Pesos bringen würde, und nahm sie mit. Die Aktion war alles andere als einfach: die Aluminiumrahmen entfernen, die Scheiben herausnehmen und dabei aufpassen, sich nicht an ihren scharfen Rändern zu schneiden. Gegenüber konnte jemand in jedem Augenblick die Wohnungstür öffnen und die Diebe überraschen; es müssen mehr als einer gewesen sein, weil der Diebstahl so kompliziert war.

Unruhe verbreitet sich unter allen Nachbarn, die einen solchen Raub erlebt haben. Keine Maßnahme scheint sicher genug zu sein, angesichts der Wut der Überfälle, die das ganze Land erschüttern.

Eine Ungeschicklichkeit beim Transport führte dazu, dass bei einer Scheibe eine Ecke abbrach, aber die Plünderer störte das nicht, sie nahmen auch dieses Teil mit. Sie transportierten ihre Beute am helllichten Tag und hinterließen in unserem Korridor eine breite, offene Zone, die nicht mehr vor Wind und Regen geschützt ist. In mehr als 50m Höhe und in einem Land mit einer ausgeprägten Hurrikan-Saison bedeutet der Verlust dieser Fenster ein höheres Risiko für alle Bewohner des Stockwerks. Zunächst und angesichts der hohen Preise für Glas bleibt als Lösung nur, beide Öffnungen mit Brettern zu verschließen und darauf zu vertrauen, dass die Diebe nicht auch noch die paar der alten Holzteile mitzunehmen wollen. Das Problem ist viel größer, als das einer Lücke in der Fensterfront; es besteht die Gefahr, dass ein Wirbelsturms kommt, ehe man die Öffnung verschließen kann.

Unruhe verbreitet sich unter allen Nachbarn, die einen solchen Raub erlebt haben. Keine Maßnahme scheint sicher genug zu sein, angesichts der Wut der Überfälle, die das ganze Land erschüttern. Hausflure bleiben dunkel, weil man die Lampen geschickt und schnell demontiert hat; in einigen Gebäuden hat man Stufen aus Granit herausgerissen und in Küchen wiederverwendet; und aus dem Holz von Parkbänken macht man Möbel oder verarbeitet es zu Holzkohle. Im öffentlichen Raum oder in gemeinschaftlich genutzten Räumen ist niemand mehr sicher, und auch in Wohnungen kommt man nicht mehr zur Ruhe. Kuba ist ein Land, in dem Bauern nicht ruhig schlafen können, weil sie ihnen ihre Tiere stehlen; wo Mütter die Wäscheständer im Blick behalten müssen, weil sie die zusammen mit den Windeln für das Baby mitnehmen; und in Klassenzimmern sollte man den Rucksack nicht außer Acht lassen, jeder Tag ist ein Risiko Bleistifte, Radiergummis oder das Pausenbrot zu verlieren.

Unser Leben ist unsicher geworden. Nichts und niemand ist mehr sicher. Was wäre geschehen, wenn ich gestern beim Verlassen des Hauses den Dieben der zwei Glasscheiben begegnet wäre? Wären sie geflohen oder hätten sie sich mir entgegengestellt? Was wäre einem alten Mann passiert, der auf seinen Wegen durch das Gebäude die Ganoven bei ihrer Arbeit entdeckt hätte? Das will ich mir nicht vorstellen. Wie bei der Krise vor 30 Jahren sind wir ständig in Gefahr überfallen zu werden, und wir leben mit der Angst, dass hinter jeder Straßenecke ein Aggressor steht, ein unersättlicher Räuber, ein Dieb.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Caimanera, einer der best-überwachten Orte in Kuba ging auf die Straße

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Der Mann auf dem Bild, der die Führungsrolle übernommen hat, sagt: „Von jetzt an gehöre ich zur Opposition.“ (Yosmany Mayeta Labrada-Facebook)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.Mai 2023

Ohne Hemd, mit erhobenem Arm und dem Zeichen für Sieg, so sehen wir einen der Demonstranten, die in Caimanera am vergangenen Samstag auf die Straße gingen, in der Provinz Guantánamo. Der Mann, der die Führungsrolle übernommen hatte, zählte Gründe auf, warum er und seine Mitstreiter protestieren würden und fügte hinzu: „Von jetzt an gehöre ich zur Opposition“. Einen solchen Satz laut zu sagen, erfordert in einer der best-überwachten Kommunen von Kuba ein hohes Maß an Mut.

Bei den Bewohnern von Caimanera, gewöhnt an ständige Beobachtung, erreichte die Unzufriedenheit ein Ausmaß, die sie die Angst überwinden ließ, mit der sie jahrzehntelang lebten. Die Gemeinde grenzt an die US Marinebasis Guantánamo; Elektrozäune, überall Uniformierte und eine breite Minenzone, die das Militärgebiet umgibt, gehören zum Alltag der Bewohner.

Darüber hinaus gibt es ständige Kontrollen unter der Bevölkerung, und wer nach Caimanera kommen will, muss vorher eine Genehmigung beim Innenministerium beantragen. Um die Erlaubnis zu erhalten, braucht man einen triftigen Grund; einem Fremden erlaubt man den Aufenthalt in Caimanera nur für eine beschränkte Zeit und er wird überwacht, wie auch sein Gastgeber. Die Militarisierung erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens, angefangen mit den Einschränkungen an der Küste zu fischen, bis zum Abwürgen des „informellen Devisenmarkts“, der für die Insel unerlässlich ist.

Die ständigen Drohungen und der lächerlich Slogan, dass Caimanera die „wichtigste anti-imperialistische Grenze Kubas“ wäre, verloren ihre Wirkung.

Aber keine dieser restriktiven Maßnahmen konnte verhindern, dass sich an diesem 6.Mai mehrere hundert Personen vor dem Sitz der Kommunistischen Partei versammelten, um − neben vielen anderen Losungen − die zu schreien, die alle ihre Forderungen zusammenfasste: „Freiheit!“. Alle Ängste, die man von Kindesbeinen an ins Bewusstsein dieser Guantanameros eingepflanzt hatte, verloren ihre Wirkung, ebenso wie die ständigen Drohungen und der lächerliche offizielle Slogan, dass Caimanera die „wichtigste anti-imperialistische Grenze Kubas“ wäre. Im Verlauf weniger Minuten zählte das nicht mehr und hörte auf die Leute zu lähmen.

Nach den Ansprachen, die den politischen Wechsel forderten, eine Verbesserung der Versorgung mit Lebensmitteln und mehr Medikamente für Krankenhäuser, sahen die Demonstranten ein Einsatzkommando der „Schwarzen Baskenmützen“ auf sich zukommen, sowie einen Wolkenbruch. Dieser war vielleicht der erste Platzregen im Mai, auf den viele hofften um eine wohltuende Dusche zu nehmen, die jedoch zu einer Szene mit Schlägen und Verhaftungen wurde. Man kennt immer noch nicht den Aufenthaltsort der Verhafteten, und die Identität des mutigen Mannes ohne Hemd konnte nicht ermittelt werden.

Die Bewohner von Caimanera, denen man die Rolle „Lanzenspitze gegen den Feind“ aufgezwungen hatte, hatten die vielen unsinnigen Losungen satt. Leere Teller waren stärker als Stacheldraht; unversorgte Apotheken überzeugender als Polizeihunde; Misere und fehlende Freiheiten überwanden die Angst vor Schlägen und Gefängnis. Der best-überwachte Ort im ganzen Land schüttelte den Terror von sich ab.

Während man in den Kasernen Pläne und Strategien entwarf, um zu vermeiden, dass sich Kubaner in Massen auf den Weg in Richtung US Marinebasis machen würden − in den Häusern von Caimanera dachte man nicht an solche Eskapaden, sondern an Widerstand. Weder Zäune, noch Checkpoints, noch Minen können den Zorn von Menschen im Zaum halten.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Fortschrittsfeindlichkeit kennzeichnet das neue Mandat von Díaz-Canel als Präsident von Kuba

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Das kubanische Parlament an diesem Mittwoch: Raúl Castro (erste Reihe, zweiter von links) sitzt nahe beim Regierenden Díaz-Canel (gleiche Reihe, dritter von rechts). (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 21.April 2023

An diesem Mittwoch erreichen die ersten Sonnenstrahlen die Avenida Carlos III in Havanna. Wo früher ein ständiges Kommen und Gehen von Fahrzeugen war, hat die Treibstoffkrise bewirkt, dass es auf der Fahrbahn kaum noch Autos gibt. In den langen Warteschlangen vor den Geschäften klagt man über die Inflation, erzählt von einem Angehörigen, dem es in den letzten Tagen gelungen, ist in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, oder jammert über die Stromausfälle. Niemand spricht von den Abgeordneten, die an diesem 19.April ihr Amt antreten, und keiner spekuliert, wer der designierte Präsident der Republik Kuba sein wird.

Stunden später bestätigen die offiziellen Medien, dass Miguel Díaz-Canel für eine zweite Amtszeit ins höchsten Staatsamt wiedergewählt worden ist, während die Aufteilung von Verantwortung in der Nationalversammlung nahezu gleich blieb und es auch im Kabinett keine größeren Änderung gab. Fortschrittsfeindlichkeit war die Richtschnur bei einem Wahlvorgang, der bei den Bürgern auf wenig Begeisterung stieß. Diese waren mehr daran interessiert Lebensmittel zu finden, oder von Punkt A nach Punkt B zu kommen, als im nationalen Fernsehen das langweilige Wahlspektakel in einem Parlament zu verfolgen, in dem es keine politische Vielfalt gibt.

Die Nominierung des Ingenieurs Díaz-Canel für ein zweites Mandat verbreitete die Botschaft von der Beständigkeit des aktuellen kubanischen Modells. Eine Nachricht, die nicht nur von der internationalen Staatengemeinschaft zur Kenntnis genommen werden sollte, sondern sich vor allem an jene auf der Insel richtete, die seit geraumer Zeit einen politischen Richtungswechsel und eine demokratische Öffnung fordern. Der Regierende, der bei den öffentlichen Protesten des 11.Juli 2021 vor die Kameras des nationales Fernsehens trat und erklärte, dass der „Befehl zum Kampf“ erteilt wäre, rechnet jetzt mit weiteren fünf Jahren, in denen er den Willen seines politischen Lagers durchsetzen kann.

In seiner Wiederwahl sehen viele Kubaner die Bestätigung dafür, dass es auf kurze Sicht keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geben wird, und dass die Koffer zu packen und zu emigrieren eine kluge Entscheidung ist und bleibt.

In seiner Wiederwahl sehen viele Kubaner die Bestätigung dafür, dass es auf kurze Sicht keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geben wird, und dass die Koffer zu packen und zu emigrieren eine kluge Entscheidung ist und bleibt. Andere werden daraus folgern, dass es zu weiteren Monaten mit verkrampfter diplomatischer Rhetorik kommt, und dass Kuba mit der Achse von autoritären Regimen verbunden bleibt, wie es die Regime von Nicaragua, Venezuela oder Russland sind.

Díaz-Canel verkörpert auch die Halbherzigkeit notwendige wirtschaftliche Änderungen in die Wege zu leiten; er befürwortet vielmehr umfangreiche Investitionen für den Bau von Hotels, während er Mittel für das Gesundheitswesen und auch für Erziehung und Bildung streicht. Sein Name ist unauslöschlich mit den mehr als 1000 politischen Gefangenen verbunden und dem erzwungenen Exil von vielen hundert Aktivisten.

Warum kam ein so unpopulärer Mann und einer Vita mit so vielen unseligen Entscheidungen für weitere fünf Jahre an das Ruder des Staatsschiffs? In dieses Amt hat ihn erneut die Nominierung durch Raúl Castro gebracht, der ihn unter seinen Günstlingen auswählte, damit er ihm den Rücken freihält und den Zusammenbruch des Systems aufhält. Damit verhindert der 90-jährige General, dass er und seine Angehörigen vor Gericht kommen oder ihre Koffer packen müssen, um sich unter den Schutz eines Genossen im Ausland zu stellen.

Díaz-Canel hat den Auftrag erledigt, den Castro ihm gab. Es ist ihm nicht gelungen, den Kubaner zu einem würdigeren Leben zu verhelfen, aber er hat einem ganzen Familienclan den Hals gerettet. Deswegen wurde er erneut als Präsident nominiert, um mit allen Mitteln die Ankunft der Freiheit auf Kuba zu hinauszuzögern.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch publiziert.

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Eine Niederlage als Sieg verkaufen

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Ein Übermaß an Dünkel ließ die Regierung versichern, dass das Ergebnis der letzten Wahl, die die Abgeordneten des Parlaments bestätigen sollte, ein Ritterschlag für das System gewesen wäre, obwohl es viele Enthaltungen gab. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 11.April 2023

Nur wenige Sätze veranschaulichen den kubanischen Voluntarismus so deutlich, wie der, der dazu aufruft „eine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln“. Hervorgegangen  aus einer Laune Fidel Castros kennzeichnet diese Maxime seit 1973 die Art und Weise Politik zu machen, für die es wichtiger ist, sich mit einem Triumpf zu brüsten, als Ergebnisse von Recherchen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass Menschen im Streit ihr Leben verlieren, dass das Land in einer Krise versinkt oder dass die Wirtschaft zu Bruch geht; jedes Versagen muss zu einem neuen, noch ambitionierteren Projekt werden, das es gilt in großem Stil zu feiern.

Es gab eine Zeit, in der der „ideologische Kompass“ auf wahnwitzige Kampagnen setzte, die den Durchzug eines Hurrikans als einen Kampf gegen die Natur darstellten und uns glauben ließen, dass wir die Gewinner im Kampf gegen die starken Winde gewesen wären, die eingestürzte Häuser und verwüstete Felder zurückließen. Nach einem Wirbelsturm musste man damit prahlen, dass man die vom Zyklon zerstörten Wohnungen wieder in Stand setzen würde, sogar geräumiger und schöner als vorher. Wir zeigten den Böen die Zunge und dem Platzregen die Fratze.

Auf widrige Umstände und Schicksalsschläge antwortete man mit revolutionärem Hochmut, dass jedes „Missgeschick“ nichts wäre im Vergleich mit der „Kraft eines Volkes“. Auf diese Weise häuften sich die Unglücksfälle, nach denen man uns nicht einmal erlaubte sie zu betrauern, weil man die Faust hochheben und von einem Ohr zum anderen lachen musste, als ob es eine nicht endende Gaudi gewesen wäre. Der Niedergang der Zuckerindustrie, der massive Exodus, der Wohnungsmangel und die Wirtschaftskrise, alles erhielt unterschiedslos eine hochmütige Antwort von der Regierung, gefolgt von der konsequenten Strategie, das Fiasko zu vertuschen.

Mit reichlich Wimperntusche und grell geschminkten Lippen, der Castrismus will nicht, dass wir in ihm ein triumphierendes System sehen; er zieht es vor, dass wir ihn fürchten.

Mit der Zeit hat die Besessenheit, um jeden Preis zu triumphieren, dazu geführt, dass man eine Katastrophe immer plumper und lächerlicher kaschierte. So versicherten uns kubanische Führer unmittelbar nach der Explosion im Hotel Saratoga, dass man das Gebäude wieder aufbauen würde, „besser als vorher“, obwohl die Untersuchungen von Sachverständigen Verantwortungen für den Tod von 47 Menschen feststellten − niemand sprach dann mehr davon. Ähnliches ereignete sich bei der Tragödie der Supertanker in Matanzas, bei der die Katastrophe mit übertrieben optimistischen Schlagzeilen zur Rekonstruktion der Tanks vertuscht wurde.

Einen Exzess an Dünkel gab es im Zusammenhang mit der Baseball-Weltmeisterschaft; man feierte die Spieler des Teams Asere als Sieger im Spiel gegen die Vereinigten Staaten, obwohl sie es mit nur 2 „Runs“ gegen 14 verloren hatten. Mit dem gleichen Gehabe versicherte man, dass die Ergebnisse bei dem Wahlvorgang, der die Abgeordneten des Parlaments bestätigen sollte, ein Ritterschlag für das System gewesen wären, ungeachtet der großen Zahl von Enthaltungen. Ständig wird der Unterschied größer, zwischen dem, was mit Applaus bedacht wird, und dem, was sich tatsächlich ereignet hat. Wir leben in einer Zeit, in der man eine Niederlage in einen Sieg verwandelt, einer Zeit des totalen Make-ups und einer plumpen Kosmetik, die man der Realität verpasst. Aber im Unterschied zu früher, glaubt nicht einmal mehr das Regime, dass wir ihm glauben.

Mit reichlich Wimperntusche und grell geschminkten Lippen, der Castrismus will nicht, dass wir in ihm ein triumphierendes System sehen; er zieht es vor, dass wir ihn fürchten. Schließlich ist das System eine repressive Maschinerie, die fähig ist das Leben von Menschen zu vernichten, und dabei simuliert es zu schützen. Ein Land versinkt, und zugleich behauptet man es gerettet zu haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Kubanische Frauen, denen man das Recht entzogen hat auf die Straße zu gehen, tragen am 8.März ein schwarzes Band am Handgelenk

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Frauenverbände haben damit begonnen, ein schwarzes Band am Handgelenk zu tragen, als Zeichen des Widerstands gegen sexistische Gewalt. (YoSíTeCreo)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.März 2023

Der 8.März ist der Internationale Tag der Frau.

Gladys lebt in Caibarién, einer kleinen Küstenstadt in der Mitte Kubas. Vor zwei Monaten verließ ihr Sohn zusammen mit anderen jungen Leuten das Land; auf einem rustikalen Floß wollten sie die Vereinigten Staaten erreichen.  Seit damals hat sie nichts mehr von ihm gehört. Sie ist Lehrerin und seit 10 Jahren im Ruhestand. Jetzt verbringt sie viele Stunden mit Nachforschungen in den sozialen Netzwerken, und sie ruft die Familien der anderen verschwundenen Bootsflüchtlinge an, um zu hören, ob es eine Nachricht von ihnen gibt. Der 8. März ist der Internationale Tag der Frau; er wird für sie länger sein als sonst: ohne Feiern und Lachen.

„Dort, dort war es, wo sie sie getötet haben“. Wenn jemand nach Leidy Bacallao Santana fragt, 17 Jahre alt, dann zeigt ein Bewohner von Camalote auf eine Polizeistation. Am Freitag dem 3.Februar suchte die junge Frau dort Schutz vor den Drohungen ihres Ex-Verlobten, aber der verfolgte sie und tötete sie schließlich mit einer Machete vor den Augen der Uniformierten. Seit Beginn des Jahres sind 16 kubanische Frauen bei sexistischen Angriffen gestorben, in einem Land, in dem die offizielle Propaganda sich weigert die Femizide anzuerkennen, die so viele Familien in Trauer zurücklassen. Von Seiten der Regierung hört man nur Geschichten von glücklichen Frauen, die sich selbst verwirklichen und dankbar für das System sind.

Am Morgen geht Danurys in ihrer weißen Berufskleidung zur Arbeit in eine Arztpraxis. Ihr Studium hat erst sie vor ein paar Monaten erfolgreich abgeschlossen, und sie träumt davon, sich später auf Kinderheilkunde zu spezialisieren. Diese Woche fiel das Frühstück aus, obwohl die Löhne im öffentlichen Gesundheitswesen zu den höchsten im Land zählen. Die Abwertung des kubanischen Pesos und der Preisanstieg für Produkte des täglichen Bedarfs, zusammen mit chronischer Unterversorgung und ineffektiver Produktivität, bewirken, dass ein Stück Brot, ein Glas Milch oder ein Schluck Kaffee unerschwinglich für den Geldbeutel von vielen wird.

In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erreichte die feministische Bewegung wichtige Reformen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Die junge „Frau Doktor“ will nicht die Koffer packen und das Land verlassen, so, wie es 350.000 Kubaner im vergangenen Jahr getan haben; aber sie weiß nicht, wie lange sie noch die materiellen Entbehrungen und die niedrige Bezahlung ertragen kann. Sie plant nicht einmal, in den nächsten Jahren Kinder zu bekommen: „Hier nicht zu gebären, das steht für mich fest“, erklärt sie kategorisch. .

Es ist hundert Jahre her, dass die Großmütter von Gladys, Leidy und Danurys auf die Straße gingen und das Wahlrecht für Frauen forderten. Sie feierten es, das erste Scheidungsgesetz auf der Insel erreicht zu haben, nach jahrzehntelangen Forderungen, und sie kämpften für die Integration der Frauen in die Arbeitswelt und für würdige Löhne. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erreichte die feministische Bewegung wichtige Reformen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und man formulierte Änderungen in Bezug auf Ehe, Mutterschaft, Studium und Arbeit. Es waren keine leicht erzielten Erfolge. Viele Frauen kamen bei Kundgebungen, Konferenzen und öffentlichen Protesten ans Ende ihrer Kräfte, manchmal weinten sie, aber sie kamen voran.

In diesem Jahr beschloss eine Gruppe von Feministinnen, einen Brief an das Parlament zu übergeben, in dem sie um die Genehmigung für eine friedliche Demonstration baten. Die Nationalversammlung lehnte dieses Anliegen ab, und einige der Frauen wurden anschließend festgenommen und angeklagt. Diese Repression veranlasste sie, eine andere Initiative zu starten und am Weltfrauentag ein schwarzes Band am Handgelenk zu tragen: als Zeichen der Trauer, gegen Femizide, und zugunsten eines umfassenden Gesetzes, das Frauen vor sexistischer Gewalt schützen soll. In den sozialen Netzwerken organisierten sie einen „virtuellen Marsch“, um damit ihre Teilnahme an einer Demonstration zu ersetzen, die von der Regierung verboten wurde. Gladys, Danurys und die Angehörigen von Leidy werden sich damit begnügen müssen, ihre Empörung nur online zeigen zu können. Im Augenblick  werden ihre Einsprüche nur im digitalen Raum geduldet, aber eines Tages werden sie die Straßen zurückerobern. Es fehlt dazu nicht mehr viel.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Verhaften, verurteilen und austauschen, die Taktik der Autokraten gegen Dissidenten

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Der Oppositionelle Félix Maradiaga bei einem Pressetermin in Washington D.C.
(La Prensa / Facebook / Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / 14ymedio / 9.Februar 2023

Als ich den nicaraguanischen Oppositionellen Félix Maradiaga kennenlernte, wusste ich sofort, dass Daniel Ortega ihn zutiefst hassen müsse. Der Aktivist ist der Gegenspieler des alten Caudillo: hyperaktiv, charismatisch und ein ausgezeichneter Kommunikator. An diesem Donnerstag habe ich erfahren, dass der vormalige Präsidentschaftskandidat unter den 222 politischen Gefangenen ist, die das Regime in Managua ins Exil geschickt hat, in Richtung Vereinigte Staaten. Ich atme erleichtert auf.

Die Taktik, Dissidenten zu verhaften, sie zu langen Gefängnisstrafen zu verurteilen, und sie dann als Verhandlungsmasse mit Washington, dem Vatikan oder der EU zu benutzen, ist übliche Praxis bei autoritären Regimen, die damit das Bild von Lateinamerika trüben. Das kubanische Regime hat in dieser Strategie einen Bachelor und mehrere Doktortitel erworben, was ihm nicht nur ermöglicht demokratische Regierungen zu erpressen − um sich Vorteile zu verschaffen − sondern auch den sozialen Druck innerhalb der Insel zu verringern.

Ortega ist ein gelehriger Schüler von Fidel Castro, der während des „Schwarzen Frühlings“ im Jahr 2003 angeklagte Oppositionelle als geldwerte „Chips“ beim Handel mit der Katholischen Kirche und den spanischen Behörden benutzte. Den Dissidenten, die vor etwa 20 Jahren im Gefängnis waren, ließ er die Wahl zwischen Gittern und Exil. Nur einige wenige hielten dem Druck stand und blieben auf der Insel. Zwei von ihnen, Félix Navarro und Daniel Ferrer, sind seit Juli 2021 wieder im Gefängnis.

Heute, außerdem, auf der Liste der politischen Gefangenen stehen mehr als tausend Namen, weshalb Díaz-Canel fühlen muss, dass er genügend Trümpfe in der Hand hat, um mit ihnen satte Gewinne zu erzielen. Die Anzeichen dafür, dass man insgeheim einen Austausch aufeinander abstimmt, könnten nicht offensichtlicher sein. Mehrere Funktionäre der Vereinigten Staaten haben kürzlich darauf hingewiesen, dass Gefangene aus Gewissensgründen ein Hindernis für die Normalisierung der Beziehung zwischen den beiden Ländern wären, und Kardinal Beniamino Stella hat Havanna jetzt gedrängt, die Demonstranten des 11.Juli freizulassen.

Das kubanische Regime hat in dieser Strategie einen Bachelor und mehrere Doktortitel erworben, was ihm nicht nur ermöglicht demokratische Regierungen zu erpressen − um sich Vorteile zu verschaffen − sondern auch den sozialen Druck innerhalb der Insel zu verringern.

Das Manöver, das Ortega am vergangenen Donnerstag begonnen hat, nimmt vielleicht nur vorweg, was seine kubanischen Genossen planen. Mit einer abgestimmten Aktion würden beide Regime ihre Kritiker loswerden, und sie könnten einige Bürgeraktionen desaktivieren, die eine Amnestie fordern; nebenbei könnten sie bei dem Austausch Vergünstigungen erhalten, wirtschaftliche Vorteile und diplomatisches Schweigen inklusive. Im Fall Havanna würde hinzukommen, dass man die Insel von der Liste der Terror-Unterstützer streicht, und Geldüberweisungen sowie die Einreise von Touristen der Vereinigten Staaten flexibilisiert.

Bis hierher sieht es sieht so aus, als ob die alte Taktik „verhaften, verurteilen und austauschen“ rundum gewinnbringend für die Autokraten wäre, die letztendlich immer damit durchkommen, weil auf der anderen Seite des Tisches demokratische Regierungen sitzen, die bereit sind nachzugeben, damit eine Gruppe von Personen wieder die Familie umarmen kann und nicht in einer Gefängniszelle dahinsiecht. Diktaturen arbeiten mit allen diplomatischen und emotionalen Mitteln. Sie fühlen sich auf diesem Gebiet überlegen, weil sie Menschenleben anbieten können, die in einem totalitären System wenig zählen. Aber sie irren sich.

Die Zeit, die sie mit solchen Manövern erkaufen, wird immer kürzer; und mit der Abschiebung ihrer Gegner stirbt nicht deren Politik. Selbst das Castro-Regime musste feststellen, dass ein repressiver Prankenhieb gegen 75 Oppositionelle − im „Schwarzen Frühling“ vor zwei Jahrzehnten − nicht die allgemeine Unzufriedenheit verringerte, die schließlich Kubaner auf die Straße trieb, und zwar in einer Zahl und mit anarchistischen Forderungen, wie man es bis dato noch nicht gesehen hatte. Auf die aus dem Land geworfenen Führern folgten andere, und das Exil selbst gewann an Bedeutung bei der Formulierung von politischen Prinzipien innerhalb der Insel.

Daniel Ortega − obwohl es so aussieht, als hätte er Nicaragua fest im Klammergriff, veranstaltet jetzt ein verzweifeltes Manöver. Díaz-Canel könnte gerade ein ähnliches vorbereiten, das dringend notwendig für ein Regime ist, das eine wachsende − und zunehmend öffentlichere − Ablehnung im Volk spürt. Keiner der beiden Autokraten kann Millionen Bürger, die sich ihnen entgegenstellen, ins Exil schicken; und ebenso wenig können sie die internationale Kritik mit solchen plumpen Strategien zum Schweigen bringen. Beide wissen, dass ihre Diktaturen enden werden; aber statt neuen Akteuren den Weg zu ebnen und Türen zu öffnen, spielen sie weiter mit den alten Karten. Nur die kennen sie, und mit denen werden sie früher oder später verlieren.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Sponsor oder Tod, wir werden Kuba verlassen!

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Auf dieser Insel gibt es Millionen verlorene Seelen, die lieber heute als morgen weggehen möchten, aber nicht mit einem Sponsor rechnen können. (Guardia Costera)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.Januar 2023

Es war am frühen Morgen des 23.Februars, als ein Floß mit 28 Personen an Bord vor der Nordküste der Provinz Matanzas kenterte. Wenigstens fünf „balseros“ starben und weitere zwölf sind verschollen geblieben. Diese Tragödie, die wieder einmal kubanische Familien in Schmerz und Trauer zurücklässt, ereignete sich kaum zwei Wochen nach dem Start des neuen Migrationsprogramms, das die Vereinigten Staaten konzipiert haben, um die Lawine von Kubanern aufzuhalten, die an ihre Südküste gekommen ist.

„Ich brauche einen Sponsor, koste es was es wolle“, sagt ein Nachbar und schaut mich dabei an, ohne zu blinzeln; er hat reichlich graue Haare und kaum finanzielle Mittel. In der Enge des Fahrstuhls in diesem Wohnblock aus Beton fühlt er sich ausreichend sicher, um mir sein Anliegen vorzutragen. „Jemand soll mich von hier wegbringen, und ich bezahle ihn dann mit Arbeit, egal mit welcher“. In seiner Wohnung in diesem Gebäude, das in den 80er Jahren mit sowjetischer Subvention gebaut wurde, warten seine Frau, seine zwei Töchter und die drei  Enkel darauf, dass seine Bemühungen Früchte tragen, sobald wie möglich.

Mein Nachbar, der bis vor kurzem noch ein aktives Mitglied in der Kommunistischen Partei war, sucht jetzt nach einem Weg, „um die Seinen so schnell wie möglich herauszuholen“. Eine Möglichkeit bietet das „humanitäre Programm zur Familienzusammenführung“, das die Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahres ankündigten, und das Migranten aus Venezuela, Nicaragua, Kuba und Haiti begünstigt. Mit dieser Maßnahme beabsichtigt Washington monatlich 30.000 Staatsbürger dieser Länder aufnehmen, und die zurückzuschicken, die versuchen illegal einzureisen.

Die Spannung wurde schließlich zu groß. Die, die gerade ein Floß aufrüsten und sich aufs offene Meer wagen, sind die, die keine andere Wahl haben.

Aber der Weg dahin ist nicht einfach. Um die humanitäre Bewilligung zu beantragen, braucht der Begünstigte einen Sponsor in den Vereinigten Staaten, der in finanzieller Hinsicht Verantwortung übernimmt, und der auch Einkünfte haben muss, die es ihm erlauben, den Prozess in die Wege zu leiten. Obwohl in den letzten Jahren die kubanische Emigration bunt-gemischt war und verschiedene soziale Schichten und Rassen betraf, so ist es doch offensichtlich, dass jetzt der in den Vereinigten Staaten lebende Migrant − weiß und mit Fachkenntnissen − bei einer Familienzusammenführung mit seinen kubanischen Angehörigen die besseren Chancen hat.

Die Überquerung der Floridastraße auf einem Floß, oder die Durchquerung von Mittelamerika ist brutal und potentiell tödlich; jedoch basiert die neue Erlaubnis auf wirtschaftlichen Ressourcen, die aussondern, und so die Gruppe der Ärmsten, der nicht-städtischen Bevölkerung und der Afro-Nachkommen außen vor lässt. Es ist der Weg für die, die jemand „dort drüben“ haben, der sein Gesicht zeigt und die Brieftasche öffnet. Aber auf dieser Insel gibt es Millionen verlorene Seelen, die sich danach sehnen zu fliehen, aber nicht mit einem Sponsor rechnen können.

Die Spannung wurde schließlich zu groß. Die, die gerade ein Floß ausrüsten und sich aufs offene Meer wagen, sind die, die keine andere Wahl haben. Von denen unterscheidet sich mein Nachbar − ein Kameramann des staatlichen Fernsehens im Ruhestand − der jetzt sein Anliegen an jeden richtet, der ihm begegnet, und der vermutlich einen Angehörigen in Florida hat, der seine Flucht mitfinanziert. Die Bootsflüchtlinge in dieser Minute gehören weder der einen noch der anderen Kategorie an. Sie wollen nicht bleiben, aber es gibt kein legales Programm, das − passend zu ihrem Geldbeutel − ihnen erlauben würde wegzugehen.

Es ist der 23.Januar, früh am Morgen: 28 Kubaner, ohne Sponsor und ohne Hoffnung auf ein besseres Leben in Kuba, wagen sich aufs offene Meer. Viele von ihnen haben Träume; die Wellen haben sie verschlungen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika veröffentlicht.

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Die künstliche Intelligenz macht seriöse Vorschläge, um die kubanische Wirtschaft zu entwickeln

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Der ChatGPT hat gute Laune; er ist pragmatisch und gibt der Realität den Vorzug vor der Ideologie, und er hat das Wissen, das den Führern der Kommunistischen Partei so sehr fehlt. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 2.Januar 2023

Ein Vergnügen, das das ich mir zum neuen Jahr geschenkt habe, ist, mit dem ChatGBT zu interagieren, den das Unternehmen OPENAI im Jahr 2022 entwickelt hat und als „dialogbasiert“ anpreist. Am Neujahrstag 2023 begrüßte ich den Bot, der mir liebenswürdig und bescheiden und in einem fast perfekten Spanisch antwortete. Sofort fragte ich ihn zu dringenden Themen auf dieser Insel, und seine Vorschläge zur kubanischen Wirtschaft erschienen mir klüger als alles, was der zuständige Minister Alenjandro Gil je gesagt hat, seit er im Amt ist.

In einem abwägenden Tonfall, der darauf hinwies, dass er nicht seine Meinung abgebe und vermeide, künftige Situationen vorherzusagen, erwähnte der Algorithmus des Chatbot einige detaillierte Maßnahmen, die unserem Land helfen könnten, aus der wirtschaftlichen Klemme herauszukommen. Im Endeffekt unterschieden sich diese Bemerkungen nicht von dem, was man in den Warteschlangen vor Geschäften hört, oder was Freunde untereinander bereden, wenn sie von der aktuellen Krise und möglichen Lösungen sprechen; aber in jedem Fall war das Gesagte grundverschieden vom offiziellen Diskurs.

Es handelt sich um notwendige ausländische Investitionen, um die Förderung der Landwirtschaft, und um die Verpflichtung die Währung zu stabilisieren. In diesen Punkten stimmen die Antworten der künstlichen Intelligenz mit dem überein, was auf kubanischen Straßen diskutiert wird, und was kubanische Führungskräfte ständig wiederholen. Der ChatGPT unterscheidet sich aber deutlich von Letzteren, weil er nicht bei Vorschlägen stehen bleibt, die nie umgesetzt werden, und auch kein rhetorisches Feuerwerk veranstaltet. Weit entfernt von Triumpf-Gehabe und Polarisierung, weist er auf die Notwendigkeit hin, das Bildungsniveau der Kubaner zu erhöhen, sowie auf eine notwendige Änderung der Politik, „notwendig, um weitreichende wirtschaftlich Reformen in die Wege zu leiten“.

Im Unterschied zur Regierung und dem Minister Alejandro Gil, besitzt der Roboter gesunden Menschenverstand und Empathie.

Ohne Losungen, ohne Aufrufe zu Opferbereitschaft, ohne parteipolitische Parolen − die Sätze des sympathischen Bot kommen einher mit dem Hinweis, dass jedwede Reform zusätzlich ein „langfristiges Engagement“ benötigen würde. Was die politische Öffnung des Landes betrifft, so war der Algorithmus deutlicher: Es braucht mehr Transparenz und die Rechenschaftspflicht seitens der Behörden, mehr Teilhabe der Bürger, den Respekt vor Meinungsfreiheit und der Presse; und die Verletzung der Menschenrechte in Kuba muss endgültig aufhören.

Um das anregende Gesprächs zu beenden, verabschiedete sich die künstliche Intelligenz mit den Worten: „Ich wünsche dir einen guten Tag, und wenn du mich wieder für etwas brauchst, dann werde ich da sein“. Diese Höflichkeit ist weit entfernt von den Beleidigungen, die aus dem Mund eines kubanischen Funktionärs strömen, wenn ein Bürger es wagt ihm solche Fragen zu stellen.

Der ChatGPT hat gute Laune; er ist pragmatisch, und er gibt der Realität den Vorzug vor der Ideologie, und er hat das Wissen, das den Führern der Kommunistischen Partei Kubas so sehr fehlt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Lateinamerika und das ewige politische Pendel der Caudillos

Hervorgehoben

Der Regierungschef Miguel Díaz-Canel und der mexikanische Präsident Andrés López Manuel Obrador bei einer Militärparade auf dem Zócalo, dem Hauptplatz von Mexiko Stadt, im September 2021. (José Méndez / EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 1.Januar 2023

Manche nennen es das politische Pendel, andere sehen darin ein notwendiges ideologisches Hin und Her, das die Geschichte erzwingt, und es fehlen auch nicht jene, die von einer Wippe sprechen, die heute einige Parteiführer in Lateinamerika absinken lässt und morgen andere hochhebt. Akademische Definitionen oder die Etiketten, die die Schlagzeilen der Presse vergeben, bedeuten heute nicht mehr viel: die ideologischen Schwankungen der Regierungen unterscheiden sich de facto immer weniger.

Als in Chile Gabriel Boric an die Macht kam, rieb sich der Platz der Revolution in Havanna die Hände. Das autoritäre Regime glaubte, in dem südamerikanischen Staatschef einen treuen Gefolgsmann zu haben, der seine Politik akzeptieren und zu seinen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde. So war es aber nicht, denn im Verlauf einiger Monate machte Boric eine Kehrtwende hin zum Pragmatismus und vertrat eher moderate Positionen. Obwohl man aus der Moneda, dem Sitz der chilenischen Regierung, keine deutlichen Worte hörte, die die Repression in Kuba verurteilt hätten, so gab es auch keinen komplizenhaften Applaus, und man sah auch nicht den erhobenen, anklagenden Zeigefinger, der die Übergriffe des Autokraten Daniel Ortega in Nicaragua ächten würde.

Die vernichtende Niederlage des Pedro Castillo, des ehemaligen Präsidenten von Peru, stellt die „Theorie der ideologischen Pendelschwingungen“ in Frage. Bei einer Wahlkampagne, in der sich Castillo als ein bescheidener Lehrer präsentierte, der die sozial ärmsten Klassen vor dem Vergessen retten würde, umgab sich der Mann aus Puña mit einem Kabinett, das nur noch wenig mit seinen ursprünglich links-orientierten Reden oder seinen proletarischen Forderungen zu tun hatte. In die Enge getrieben von seiner Unfähigkeit und den komplexen Aufgaben, eine so heterogene Nation zu regieren, trat er die Flucht nach vorne an, und machte sich mit einem selbst-inszenierten und gescheiterten Staatsstreich lächerlich.

Das autoritäre Regime glaubte, in dem südamerikanischen Staatschef einen treuen Gefolgsmann zu haben, der seine Politik akzeptieren und zu seinen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde.

Andrés Manuel López Obrador, der mexikanische Präsident, hat viel mit ihm gemein. Er ist ein erklärter Kritiker der Presse, ein Förderer von Verschwörungstheorien und Unwahrheiten, die er in seinen öden mañanas, den morgendlichen Pressekonferenzen, zu rechtfertigen sucht. In seinen Reden wechselt er die Themen nach Belieben und streift dabei populistische Klischees und Opportunismus. Obwohl er in internationalen Foren den Schulterschluss mit Pedro Castillo, mit der kürzlich verurteilten Cristina Fernández de Kirchner oder dem nicht-vorzeigbaren Miguel Díaz-Canel suchte, an sein eigenes Land gerichtet bedient er sich einer konfusen Rhetorik, die jeden Tag etwas sagt und auch das Gegenteil davon. Er ist wie ein Pendel, das hin-und her schwingt, so, wie es ihm gerade passt.

Nayib Bukele ist der Präsident von El Salvador und das größte Chamäleon von allen; er befindet sich aber noch nicht auf der sicheren Seite. Er hält sich für den „Chef-Twitter-Nutzer“ und dringt gewaltsam mit Militär in den Kongress ein. Er kann hypnotisch in seinen Reden sein, modern im Umgang mit den sozialen Netzwerken, und sogar innovativ mit seinen Vorschlägen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität; aber schlussendlich ist er nichts weiter als der groteske und wohlbekannte lateinamerikanische Caudillo, der glaubt, dass man uns Bürger wie unmündige Kinder behandeln und bestrafen sollte, als ob wir noch in Windeln wären.

Angesichts von so viel politischer Dekadenz, bleibt als extremes Beispiel nur noch der beschämende Nicolás Maduro übrig. Dumm, unfähig und lächerlich − der venezolanische Caudillo hilft uns zu verstehen, dass es sich nicht um ideologische Farben handelt, und auch nicht um das Dilemma von Liberalismus und Sozialismus. Die Krankheit unserer Region sind Autokraten und Lehrlinge von Diktatoren. Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von El otoño del patriarca (Der Herbst des Patriarchen) von Gabriel García Márquez, sowie El recurso del método (Die Methode der Macht) von Alejo Carpentier, und Yo, el Supremo (Ich, der Allmächtige) von Augusto Roa Bastos, ist Lateinamerika immer noch eine Region mit karikaturistischen Machthabern, mit Führern, die eher Angst oder Gelächter hervorrufen als Bewunderung.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Kann 2023 ein besseres Jahr für Kuba werden?

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Warteschlangen, sogar solche, um Dollars in staatlichen Wechselstuben zu kaufen, sind nicht neu; erregten aber in diesem Jahr Aufsehen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 29.Dezember 2022

Um das Jahr zu beenden, und zusammen mit einigen Journalisten-Kollegen, haben wir eine Liste von Personen und Projekten erarbeitet, die in Kuba im Jahr 2022 Marken setzten. Das Verzeichnis mit Namen und Ereignissen erweist sich als eine Reihenfolge der wichtigsten Momente in diesen zwölf Monaten, und ist ein schmerzlicher Rückblick auf die Krise und die Tragödien, die Kuba heimgesucht haben. Überraschend ist, dass es unter den Personen mehr Tote als Lebende und unter den Ereignissen mehr Katastrophen als Erfolge gibt.

Warum fiel die Jahresbilanz für ein Land so düster aus, das nicht im Krieg ist und auch keine Katastrophen von größerem Ausmaß erlebt hat? Die Antwort auf diese Frage liegt in der Fortdauer eines Irrtums, in der starrsinnigen Aufrechterhaltung eines politischen Modells, das sechzig Jahre Zeit hatte um zu beweisen, dass es gegebenenfalls unfähig ist die Realität in den Griff zu bekommen. Es war das Jahr, in dem es überall immer längere Warteschlangen gab, um Lebensmittel zu kaufen; in dem sich Familien von fast einer viertel Million Emigranten verabschieden mussten; und in dem der Funke Hoffnung erlosch, den es nach den Protesten des 11.Juli 2021 gab.

Im Jahr 2022 erlebten wir Kubaner eine Explosion im Hotel Saratoga, die 47 Menschen das Leben kostete; wir sahen tagelang die Basis für Supertanker in Matanzas brennen, mit 17 Toten als Folge; und außerdem nahmen wir an stillen Trauerfeiern teil, für dutzende oder hundert Bootsflüchtlinge, die in der Floridastraße Schiffbruch erlitten hatten, oder für kubanische Emigranten, die in Panama im Darién-Urwald ums Leben kamen. Ein todbringendes Jahr endet gerade, in dem aber noch nicht einmal die Ergebnisse der offiziellen Sachverständigen zu den größten Unfällen veröffentlicht wurden.

Aber ein demokratischer Wechsel braucht wesentlich mehr als angehäufte Enttäuschungen und wiederholte Misserfolge. Man benötigt rebellische junge Leute, die die Öffnung eines Landes vorantreiben.

Nach dem Anstoß die Dinge zu ändern, der von den größten Demonstrationen in der Geschichte Kubas ausging, folgte eine Zeit der Angst und der Stille. Es vergeht kaum eine Woche, dass wir nicht „adios!“ zu einem unabhängigen Journalisten-Kollegen sagen müssen, der von Drohungen und Gefahren in die Enge getrieben wurde, weil er seinen Beruf außerhalb der engen offiziellen Grenzen ausübte. Monatelang haben wir auch die Unnachgiebigkeit einer Staatsmacht verfolgt, die mehrere Teilnehmer an den Protesten des 11.Juli zu mehr als 20 Jahren Gefängnis verurteilte.

Aber das Regime hat auch eine erhebliche Verschlechterung seines internationalen Ansehens erlitten; es hat die Fähigkeit verloren Angst zu verbreiten, und auch die Macht Bürger zum Schweigen zu bringen. Überall nimmt die Kritik zu, keimt die Unzufriedenheit auf, und es gibt Schmähschriften, die es nicht mehr dabei belassen Bürokraten und lokale Administratoren zu beschimpfen, sondern ihre präzisen Pfeile gegen die höchsten Instanzen des Regierungsapparats richten. Dieses 2022 war das Jahr, in dem die Bürgerschaft aufwachte und die Kommunistische Partei Kubas einen galoppierenden Verlust an Glaubwürdigkeit erlitten hat.

Aber ein demokratischer Wechsel braucht viel mehr als angehäufte Enttäuschungen und wiederholte Misserfolge. Man benötigt rebellische junge Leute, die die Öffnung eines Landes vorantreiben. In den nun folgenden Monaten wird ein Teil der hier so dringend benötigten Bürger nach Mittelamerika emigrieren; dieser soziale Aderlass wird den notwendigen Übergang hinausschieben. Als Hoffnung bleibt uns der politische Verschleiß und die internen Streitigkeiten „da oben“, der mögliche Tod von einigen mächtigen Neunzigjährigen, und die Fähigkeit jeder Generation zu regenerieren. Für das nächste Jahr bleibt uns die Hoffnung… können wir mit etwas mehr rechnen?

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert

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Ich werde weiter hier in Kuba leben, trotz der Diktatur

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Tagesanbruch in Kuba; ein Land, das in einer Wirtschaftskrise versinkt und einen Exodus ohnegleichen erlebt. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 18.Dezember 2022

Es nähern sich diese Dezembertage, in denen wir alle Bilanz ziehen; wir setzen uns neue Ziele und wollen wissen, was im nächsten Jahr auf uns zukommt. Das Jahr 2023 kommt auf eine Insel, die in einer tiefen Krise versinkt, mit ungewissem Ausgang. Wegen fehlender Gewissheit riskiere ich es, persönliche und nationale Dinge aufzulisten, von denen ich glaube, dass sie sich im nächsten Jahr so ereignen werden − obwohl die Auswahl personenbezogen und subjektiv ist und entscheidend von meiner Lage bestimmt wird.

Ich werde weiter hier in Kuba leben, in dem Land, in dem ich geboren wurde. Ich bin dickköpfig (sehr dickköpfig), und eines Tages werden sie meine Asche auf dieser Erde verstreuen, unter einem Guavenbaum.

Jeden Morgen, von Montag bis Freitag, werde ich versuchen, meinen Podcast „Cafecito informativo“ aufzuzeichnen und zu senden, einen bescheidenen Beitrag zum kubanischen informativen Ökosystem.

Meine besten Stunden werde ich der Zeitung 14ymedio widmen, einem informativen Freiraum, der im nächsten Mai neun Jahre alt wird und sich den Ruf erworben hat, seriös und zuverlässig zu sein und kundige Leute auf dem Gebiet der Information zu haben. Es gibt noch viel zu tun, aber mit Arbeit werden wir es schaffen  − mit viel, viel Arbeit.

Ich werde nicht zulassen, dass die politische Polizei mich daran hindert die Sonnenaufgänge zu genießen, den Duft der Romerillo-Blüten, oder die Meeresbrandung in der kleinen Bucht von San Lázaro. Auch das  gehört zu mir.

Ich will versuchen mehr zu lesen, obwohl der Zugang zu Büchern und anderen Druckerzeugnissen schwierig bleiben wird; aber ich bin eine jene „seltenen“ Philologinnen, die Hörbücher mag und Bücher gern auch digital liest. Weil Papier fehlt, kommen mir die Kilobytes zugute.

Ich werde weniger Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen, vor allem nicht auf Facebook, denn ich habe mehrere berufliche Projekt, die viel Zeit erfordern. Dennoch werde ich alles im Blick behalten was auf dieser Insel publiziert wird, seien es Strafanzeigen, Nachrichten oder Berichte.

Das Wichtigste aber ist, dass ich ein glücklicher Mensch bleibe. Meine Zufriedenheit hängt nicht von dem politischen oder wirtschaftlichen Modell ab, in dem ich lebe. Ich bin glücklich, weil ich atme.

Ich werde wieder Pflanzen aussähen. Die Gartenarbeit und der Gemüsegarten in der Stadt sind spezielle Formen, die ich gewählt habe, weil dieses System nicht den sensiblen Teil von mir zerstören darf. Ich werde sehen wie meine Tomaten wachsen, werde meine Kürbisse gießen und den Salat und den Mangold essen, der auf meinem Balkon wächst, und dabei werde ich auf das nutzlose Ministerium für Landwirtschaft schauen, genau gegenüber meiner Terrasse, das es kaum schafft etwas zu ernten.

Ich werde dabei bleiben und kein Wort mit der Staatssicherheit reden. Wenn sie mich vorladen, dann wissen sie es schon; ich werde das wiederholen, was ich ihnen schon so oft gesagt habe: „Ich spreche nicht mit der politischen Polizei.“ Es ist mir egal, ob sie Ernesto heißen (wie Che Guevara, der Guerillero), oder Camilo (wie Cienfuegos, der verschwundene Revolutionär), oder Ramses, wie der Pharao. Ich habe ihnen nichts zu sagen. Schweigen als eine Form von Streik ist, was in diesen Fällen zählt, und sie wissen es.

Ich werde meinen Hunden und Katzen mehr in die Augen schauen. In diesen unergründlichen Pupillen liegt viel Weisheit.

Meine Strafanzeigen werden weitergehen: gegen Willkür, gegen neue Formen von totalitärem Machtmissbrauch und gegen Generäle, die zu Managern mutieren.

Das Wichtigste aber ist, dass ich ein glücklicher Mensch bleibe. Meine Zufriedenheit hängt nicht vom politischen oder wirtschaftlichen Modell ab, in dem ich lebe. Ich bin glücklich, weil ich atme, weil ich lebe, weil ich weiß, dass jeder Atemzug ein Wunder ist und ich dieses allen jenen verdanke, die mir vorausgegangen sind. Ich bin glücklich, trotz der Diktatur und dem Leben in einem gescheiterten Staat. Ich bin glücklich, weil auch das eine Form von Rebellion ist.

Es ist alles gesagt. Ich wünsche euch allen ein glückliches Jahr 2023; vielleicht wird es nicht das Jahr auf das wir alle hoffen, aber es ist das Jahr, das wir erreicht haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Ich wünsche meinen Lesern und Leserinnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr 2023. (D.S.)

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Danke, lieber Pablo, für das musikalische Vermächtnis und deine Ehrlichkeit

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Pablo Milanés und seine Tochter Haydée singen im Duett. (Archivbild)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 22.November 2022

Wenn man vor 30 Jahren einen Sender auf einem Radiogerät suchte, dann war es wenig wahrscheinlich, dass man nicht bei mehreren Stationen auf die warme Stimme von Pablo Milanés traf. Es war die Zeit, als das Phänomen Nueva Trova*) seinen Höhepunkt auf dieser Insel erreichte und der Liedmacher Milanés in Konzerten auftrat, Interviews gab, Fernsehauftritte hatte, und mit seiner Musik sogar einen politischen Prozess unterstützte, dem er nicht nur seine besten Akkorde gab, sondern auch sein Prestige als Künstler. Aber wenig später ging diese Beziehung für immer zu Bruch, und als der Künstler am 22. November mit 79 Jahren in Madrid starb, war er längst zu einem offenen Kritiker des Regimes in Havanna geworden.

Mit dem Tod von Milanés endet auf dieser Insel eine kulturelle Etappe, obwohl Troubadoure seiner Generation weitermachen im Stil von Silvio Rodríguez. Milanés setzte einen Schlusspunkt, weil − im Unterschied zum letztgenannten − der Autor von Hymnen wie Yolanda oder Yo no te pido (Ich bitte dich nicht) sein Publikum nicht nur musikalisch begeisterte, sondern es ihm auch gelang, sich einen Platz in den Herzen seiner Zuhörer zu sichern. Sein Ruf als guter Mensch, frei von Hass und solidarisch mit jungen Talenten, gewann ihm die Wertschätzung von vielen, innerhalb und außerhalb der Insel. Dazu kam seine Ehrlichkeit, ein Charakterzug, der ihn dazu führte, sich öffentlich von dem ideologischen Modell zu distanzieren, das er einmal unterstützt und in seinen Liedern gelobt hatte.

„Es ist unverantwortlich und absurd“, beklagte er sich auf Facebook, „dass ein Volk sich geopfert und jahrzehntelang alles getan hat, um ein Regime zu unterstützen, das letztlich nur eines im Sinn hat, es einzusperren“.

Im Juli 2021, als tausende Kubaner auf die Straße gingen und einen Systemwechsel und die demokratisch Öffnung des Landes forderten, war Milanés resolut in der Unterstützung der Bürgerschaft und der Ablehnung des Regimes. „Es ist unverantwortlich und absurd“, beklagte er sich auf Facebook, „dass ein Volk sich geopfert und jahrzehntelang alles getan hat, um ein Regime zu unterstützen, das letztlich nur eines im Sinn hat, es einzusperren“. Der Künstler nutzte die Gelegenheit um daran zu erinnern, dass er seit langer Zeit „die Ungerechtigkeiten und Irrtümer in Politik und Regierung“ verurteilt. An diese Worte erinnerte man sich und wiederholte sie in den Stunden als man von seinem Tod erfuhr; sie wären würdig, auf dem Grabstein des Komponisten von El breve espacio en que no estás (Die kurze Zeit, in der du nicht da bist) zu stehen.

Die kubanische Regierung war bis jetzt zurückhaltend mit ihrer Anteilnahme. Auf den Seiten von kulturellen Institutionen und einigen Parteiführern gab es ein paar kurze Mitteilungen zum Tod von Milanés, aber man bemerkte den knappen und distanzierten Tenor dieser Todesanzeigen. Für das Regime, daran gewöhnt nur jene zu loben, die ihm enthusiastisch applaudieren, ist Milanés auch noch im Tod unbequem. Der Troubadour wurde für sie zu einem schwierigen Wesen, was in diesem Juni bei seinem letzten Konzert in Havanna besonders deutlich wurde. Bei dieser Gelegenheit wollten die Behörden den Künstler in einem kleinen Saal isolierenden, den sie mit „strenggläubigen“ Parteigängern füllen würden; aber wegen der Empörung der Fans mussten sie das Drehbuch für die Veranstaltung umschreiben und sie in die viel größere Ciudad Deportiva verlegen. Natürlich war auch dieser Ort voll von politischer Polizei, um zu vermeiden, dass das Publikum bei „Freiheit!“ oder anderen Protestsongs mitsingen würde.

Während der Darbietung spürten viele, dass es vermutlich das letzte Mal war, dass sie Milanés in seinem Heimatland singen hörten. Mit der ihm eigenen Würde wollte er nicht sentimental werden oder auf einen möglichen „Abschied“ hinweisen, aber die vielen tausend Anwesenden bemerkten sein Alter und seine fragile Gesundheit.

Die sozialen Netzwerke haben sich mit Bekundungen von Respekt und Zuneigung gefüllt, für all das, was er zeit seines Lebens den Menschen gab. Zu dem musikalischen Erbe, seinem wichtigsten Vermächtnis kommt hinzu, dass er konsequent war; eine Stimmigkeit, die die offizielle Propaganda erschreckte, sein Publikum aber an ihm schätzte. Dank für deine Lieder und deine Aufrichtigkeit, lieber Pablo.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers: Nueva Trova ist eine Musikrichtung, die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Kuba entstand. Dabei ist Trova eine Sammelbezeichnung für Volkssänger in der Tradition der Troubadoure des Mittelalters. Nueva Trova fusst auf traditionellen Elementen der kubanischen Volksmusik und ist bestimmt durch ihre poetischen und politischen Texte.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Der unabhängige kubanische Journalismus angesichts der unsicheren Zukunft von Twitter

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Man weiß noch nicht, was aus Twitter wird; es ist aber leicht vorherzusagen, was mit den vielen tausend kubanischen Nutzern geschieht, wenn man seine Flügel stutzt: wir werden mehr geknebelt. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 20. November 2022

Ein unsicherer Wind weht über Twitter: massive Entlassungen; ein Versuch, mit der Verifizierung von Konten Geld zu verdienen und die Brandreden des neuen Besitzers Elon Musk haben Zweifel an der Zukunft des sozialen Netzwerks genährt. Auch in Kuba gibt es vermehrt Fragen zu einem Tool, das für den politischen Aktivismus und den unabhängigen Journalismus überlebenswichtig ist.

Die Krise, in der das blaue Vögelchen steckt, kommt für die Insel zu einem unpassenden Zeitpunkt. Wenige Tage bleiben noch, ehe das neue Strafgesetzbuch in Kraft tritt, das die freie Meinungsäußerung und den Handlungsspielraum der Presse weiter einschränken wird. Sobald das neue Gesetz verbindlich ist, wird die Notwendigkeit zunehmen repressive Exzesse anzuzeigen, und die 280 Zeichen von Twitter sind der wichtigste Kanal, damit diese Beschwerden möglichst viele internationale Organisationen, informierende Medien und Verbände erreichen, die über die Einhaltung der Menschenrechte wachen.

In dem Maße, wie das soziale Netzwerk den Eindruck vermittelt, dass es zu einer überholten Angelegenheit werden könnte, verringert sich die Tragweite solcher Anzeigen, und auch die Akteure der kubanischen Zivilgesellschaf werden weniger sichtbar. Außerdem, die aktuell unsichere Lage der Gesellschaft in San Franzisco ermutigt das kubanische Regime, das in den letzten Monaten mit der Sperrung von Konten mehrere Niederlagen hinnehmen musste, weil diese Konten ideologische Propaganda verbreiteten und Dissidenten attackierten.

Von Beginn an war Twitter ein Ärgernis und eine Bedrohung für den Castrismus. Eine Technologie, die den Bürgern die Möglichkeit bot unmittelbar zu publizieren − sogar ohne ins Internet zu gehen − wurde auf der Insel in vollem Umfang für reine Textnachrichten via Smartphone genutzt. Nach einer Zeit der Ablehnung des sozialen Netzwerks, begann die Bürokratie schließlich ihre eigenen institutionellen Konten zu eröffnen, sowie die von Parteiführern, konnte aber niemals ihr Missbehagen gegenüber Twitter verbergen. Das unruhige blaue Vögelchen ging der Regierung immer auf die Nerven.

Jetzt beeilen sich die Pressesprecher des Regimes den verletzten Vogel zu rupfen und damit zu prahlen, dass sie seinen „Fall in Ungnade“ schon immer vorhergesehen hätten. Die aktuelle Instabilität des Mikroblogging-Dienstes ist Musik in ihren autoritären Ohren, und sie fantasieren schon von einer Schließung des Unternehmens und vom Ende eines Lautsprechers, zu dem der Dienst für die Opposition und die unabhängigen kubanischen Medien wurde. Unfähig, dem Netz ihr eigenes Narrativ aufzuzwingen, warten sie sehnsuchtsvoll darauf, dass die Stimme der kubanischen Bürger nicht mehr zu hören sein wird.

Twitter trägt eine große Verantwortung für die Bewohner dieser Insel. Wenn wir weiter von unserer Realität „zwitschern“ können, dann ist dies keine Frage von Trends, Unterhaltung, kindlichen Gesprächen, oder dem Wunsch der Langeweile zu entkommen. Ein Tweet kann den Unterschied markieren, entweder auf der einen Seite zu sein oder auf der anderen hinter Gittern; er kann eine repressiven Aktion stoppen oder Zwangsmaßnahmen der politischen Polizei aufdecken. In unserem Fall ist Twitter kein Dienst, um unsere morgendliche Tasse Kaffee zu zeigen, oder unsere Füße, die nah an einem Pool ein Sonnenbad nehmen; Twitter ist vielmehr der wichtigste Schutzschild, den wir so sehr benötigen.

Man weiß noch nicht was aus Twitter wird, es ist aber leicht vorherzusagen, was mit den vielen tausend kubanischen Nutzern geschieht, wenn man seine Flügel stutzt: wir werden mehr geknebelt und sind noch mehr in Gefahr.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Victor, der Puppenspieler, der die Kubaner inmitten der Armut lächeln lässt

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Karikaturisten, Stelzenläufer, Wahrsager und Bettler versuchen in einem Alt Havanna ohne Touristen zu überleben.

In der Galerie Morionet zieht der Puppenspieler an den Fäden; die Marionette schüttelt den Pinsel, tunkt ihn in Aquarellfarbe und geht dann an die Staffelei. (14ymedio)

JUAN IZQUIERDO / JUAN DIEGO RODRÍGUEZ / 14ymedio / 6.November 2022

Straßenkünstler, Wahrsager, Bettler, Spezialisten für Tarot und Handlesen, Verkäufer von Heiligenbildern, Taschendiebe, Menschen, die ein Gelübde einlösen … in Alt Havanna ist immer etwas los; und die, die dort leben, müssen etwas für ihren Lebensunterhalt tun. Talent, Schläue und kreolischer Charme sind inmitten der weit verbreiteten Armut die einzig verfügbaren Mittel, um mit etwas Geld in der Tasche nach Hause zu kommen.

In der Straße Obispo drängeln sich die Leute; sie betreten und verlassen Geschäfte, Apotheken, Kneipen und Lokale, und versuchen dabei, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Eine Touristengruppe erregt Aufsehen, denn sie bleibt unvermittelt unter einem Dachvorsprung stehen. Dort ist Victor, ein junger Mann, verborgen hinter den Kulissen in Miniatur, in seiner Galerie Marionet.

Victor zieht in seinem kleinen Puppentheater die Fäden; Marionet setzt sich zusammen aus dem Namen des Malers Jean Monet und dem spanischen Wort für Marionette. Er macht, dass seine Puppe − kubanisch und agil wie er selbst − das Bild eines Mannes auf ein Stück Karton malt.

Es ist eine raffinierte Kunst, die man nicht in ein paar Wochen erlernt. Der Puppenspieler zieht an den Fäden, die Puppe schüttelt den Pinsel, tunkt ihn in Aquarellfarbe und geht dann an die Staffelei. Manchmal kommt ein Hund vorbei, die Puppe betrachtet ihn argwöhnisch ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, und streichelt ihm dann die Schnauze.

Die Marionette malt in einem kleinen Raum voller Müll, der so auch der eines Bewohners von Havanna sein könnte, bekleckert mit Farbe und zwei mickrigen Balkonen darüber.

Fasziniert beobachten die Leute das Geschehen: Die Marionette malt in einem kleinen Raum voller Müll, der so auch der eines Bewohners von Havanna sein könnte, bekleckert mit Farbe und zwei mickrigen Balkonen darüber. In der Wohnung hört man einen Blues von Louis Armstrong, und als die Musik endet, lassen die Zuschauer einige Münzen in eine Schale fallen.

Wenn es keine Touristen sind, die Passanten können nicht viel geben, denn, nachdem die Vorstellung sie für kurze Zeit ihre Sorgen vergessen ließ, müssen sie in einer Stadt vorwärts kommen, die zunehmend ungastlicher wird.

Auf den Bürgersteigen stürzen sich die Kellner der privaten Restaurants auf die Passanten, bringen sie zum Halten und blättern die jeweiligen Menükarten vor ihnen auf, ohne dass man ihnen entkommen könnte. Sie müssen rege und charmant sein, denn der Besitzer, in dessen Auftrag sie arbeiten, muss auf sein Geschäft achten, damit er ihre Löhne bezahlen kann. Kein Bewohner von Alt Havanna könnte sich den Luxus leisten dort zu essen.

Auf dem Randstein des Bürgersteigs sitzt ein tadellos in Weiß gekleideter Mulatte, der seine Dienste in Kartenlesen anbietet. Neben ihm eine Flasche Wasser und ein Tuch, auf dem er seine Karten ausbreitet, bereit für einen neuen Blick in die Zukunft. Aber niemand bleibt stehen, er steht gelangweilt auf, ordnet seine Kleidung und setzt sich wieder hin.

An einer anderen Straßenecke zeichnet ein Karikaturist Bilder von Prominenten wie Chucho Valdés oder Alicia Alonso. Die Kinder bitten ihre Eltern, dass der Künstler sie zeichnet, also beginnt der Mann mit seinem Werk: Mit gebeugter Schulter hält er in der einen Hand ein kleines Zeichenbrett, während er mit der anderen Hand den Stift bewegt.

Aufdringlich und bunt gekleidet, jetzt gelingt es diesen Künstlern nur wenige Geldscheine mit ihren Hüten aus Stofffetzen einzusammeln, an denen Glöckchen hängen.

Auch Stelzenläufer gehören jetzt zum Stadtbild; in Gruppen durqueren sie die Straßen mit den meisten Touristen. Aufdringlich und bunt gekleidet, jetzt gelingt es diesen Künstlern nur wenige Geldscheine mit ihren Hüten aus Stofffetzen einzusammeln, an denen Glöckchen hängen. Wegen der aktuell wenigen Touristen in der Stadt, fehlt es ihnen an Kundschaft.

In der Umgebung der Plaza de Armas oder dem Castillo de la Fuerza  stehen sie auf ihren hölzernen Stelzen und warten auf einen Transitur-Bus, aus dem dann eine kleine Gruppe aussteigt. Die Darbietung ist nur kurz, sie soll verhindern, dass die Touristen wieder in den Bus steigen, ohne vorher etwas Geld hinterlassen zu haben. Unter Lachen und Singen lässt man sie wissen, dass es für sie als Straßenkünstler besser gewesen wäre, wenn man ihnen „Euros oder Dollars“ gegeben hätte.

Außerhalb der touristischen Zone wird die Situation sehr bedrückend. Es ist nicht ungewöhnlich einer alten Frau in schmutziger Hauskleidung zu begegnen, die um Geld bittet, damit sie ein paar Pfund Süßkartoffeln kaufen kann. Manchmal ist es auch ein Mann, der einen Stein hinter sich herzieht, der an seinen Knöchel gekettet ist; er erfüllt ein Gelübde. Während er langsam vorwärtskommt, wie eine arme verlorene Seele, hält er eine Schüssel in der ausgestreckten Hand, damit jemand ihm etwas zu essen hineinwirft. Die Leute, die ihn betrachten, sind beeindruckt von den Narben an seinem Bein, haben aber selbst nur wenig, um es ihm zu geben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Das verlorene Lächeln der Kubaner

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Das leise Lächeln auf den Lippen oder auch schallendes Gelächter, aus welchem Grund auch immer, sind von den kubanischen Straßen verschwunden. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 21.Oktober 2022

Wir sind etwa ein Dutzend Leute in einer Warteschlage. Die Frau vor mir presst die Lippen zusammen, als ob sie vermeiden möchte etwas zu sagen. Ein junger Mann in Flip-Flops und Jeans dreht ständig den Kopf von einer Seite zur anderen, während eine Jugendliche neben ihm unbeirrt auf ihr Smartphone starrt und die Stirn runzelt. Weil nichts vorangeht wird der Mann am Ende der Schlange beleidigend, und sogar der Wächter vor dem Geschäft hört nicht auf sich zu beklagen.

Meine ausländischen Studenten kommen auf die Insel, um hier Spanisch zu lernen. Jahrelang musste ich ihnen erklären, dass sie das Lachen der Kubaner nicht als ein Zeichen von Glück interpretieren sollten. „Sogar bei Beerdigungen, und trotz der Trauer über den Verlust eines nahestehenden  Menschen, erzählen sich die Leute Witze, und es wird sogar laut gelacht“, sagte ich. Aber dass die Menschen in diesem Land zufrieden und glücklich aussehen, weil sie unter dem herrschenden politischen System leben, dieses Klischee ist so wenig auszurotten, wie die Läuse in den Klassenzimmern der Grundschulen.

„Alle Gesichter die ich sehe sind traurig, nicht einmal die Kinder lächeln.“

Dann bemühte ich weitere Fakten: Ich sprach zu ihnen über die Repression; von häuslichen Konflikten, die von der Wohnungsnot befeuert werden; von der hohen Scheidungsrate; von den Dramen bei Selbstmorden, deren Zahl die Bürokratie bewusst verschweigt, und schließlich vom Traum der Kubaner zu emigrieren, irgendwohin, um so diese Insel zu verlassen. Meine Argumente, dass sich hinter dem Lächeln, das Touristen sehen, tausend und ein Drama verbergen können, zeigten keine Wirkung. Das Klischee der nationalen Zufriedenheit war stärker als jedes Argument, als jede Statistik.

Aber selbst die weit verbreiteten und hartnäckigsten Vorurteile können eines Tages auf die Realität treffen, die sie widerlegt. Jenes leise Lächeln auf den Lippen oder auch schallendes Gelächter, aus welchem Grund auch immer, sind von den kubanischen Straßen verschwunden. Überall sieht man kummervolle und verdrossene Gesichter, und anstelle der fröhlichen und lustigen Sprüche von früher hört man jetzt Klagen, Beschimpfungen und Beleidigungen. Man hat immer das Gefühl kurz vor einer Schlägerei zu stehen, oder dass dir jemand wegen einer nichtigen Meinungsverschiedenheit an den Hals gehen könnte.

Ein französischer Freund, der in Kuba viele Jahre in einer ausländischen Firma gearbeitet hat, ist vor ein paar Tagen nach Kuba zurückgekehrt, nach mehr als fünf Jahren Aufenthalt in Europa. „Was ist denn hier los mit den Leuten?“, fragte er mich, und als er merkte, dass ich ihn nicht verstand, fügte er hinzu: „Niemand lacht mehr.“ Er beendete das Gespräch mit einem Satz, bei dem mir klar wurde, dass wir Kubaner Tag für Tag mit langen und ernsten Gesichtern herumlaufen. Mein Freund sagte :“Alle Gesichter die ich sehe sind traurig; nicht einmal die Kinder lächeln.“

Wir wollen uns nicht mehr die Maske des Lächelns überstreifen, die wir so oft verwendet haben, um Unzufriedenheit oder Schmerz zu vertreiben. Wir wollen nicht einmal mehr zeigen, dass wir fröhlich sind.

Nach diesem Gespräch ging ich weiter auf der Avenida de los Presidentes im El Vedado, bog dann in die Straße 23 ein und folgte ihr bis zur L, näherte mich der Infanta und lief dann schneller in Richtung Belascoaín. Nicht ein einziges Lachen auf dem ganzen Weg.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Ja und Nein zum Familiengesetz, ein Referendum mit Sieg und Bestrafung

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Die Werbung auf Reklametafeln, mit Spots im Fernsehen und auf den Titelseiten von Zeitungen galt ausschließlich dem Ja. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 27.September 2022

María Julia, eine 26-jährige Frau aus Camagüeyana, hat bestimmt nicht den vollständigen Text des neuen Familiengesetzes gelesen, zu dem am vergangenen Sonntag ein Referendum abgehalten wurde. Sie stimmte mit Ja, weil die Kommunistische Partei, bei der sie aktiv mitarbeitet, dazu aufrief die Revolution zu unterstützen, und „bei Tagesanbruch in den Wahllokalen zu erscheinen“. Yania, 42 Jahre alt, kreuzte in Havanna das Kästchen mit Nein an, obwohl sie seit Jahren davon träumt Yesenia heiraten zu können, und das neue Gesetz ihr die Tür für eine gleichgeschlechtliche Ehe öffnet. Sie tat es, weil sie glaubt, dass „es in einer Diktatur keine gültigen Wahlen geben kann“.

Die Befürworter und die Gegner dieses Familiengesetzes, das Experten für verfrüht und Juristen für notwendig halten, bilden weder homogene Blöcke, noch ist zwischen ihnen eine klare Trennungslinie zu erkennen. Dieses dritte Referendum in Kuba, in mehr als 60 Jahren, ist eher eine Abstimmung über die Leihmutterschaft, über die Aufteilung der jeweiligen Güter im Fall einer Ehe, oder darüber, ob man das Sorgerecht durch die Verantwortung der Eltern ersetzen sollte. Aber für viele Wähler war der Gang an die Urnen die einzige Möglichkeit, dem Regime von Dìaz-Canel ihre Unzufriedenheit mitzuteilen.

Der Sieg des Ja, mit mehr als 66% der gültigen Stimmen, ist nicht der Triumpf, von dem die Regierung geträumt hatte. Im Vorfeld setzte sie alle propagandistischen Mittel für die Annahme des Gesetzes ein, ohne dass in den nationalen Medien auch jene zu Wort gekommen wären, die das Gesetz hinterfragten oder ablehnten. Mit den mehr als 26% Enthaltungen und der geringsten Wahlbeteiligung in seiner Geschichte, ist der Castrismus auf die Nase gefallen. In einer Demokratie könnte diese Zahl ein Zeichen der Zeit sein, aber in einer Diktatur, wo man mit einer Verweigerung auf sich aufmerksam macht und mit ernsthaften Repressalien rechnen muss, handelt es sich um eine herausfordernde Geste und um eine Konfrontation.

Auch die Wähler verhielten sich nicht so, wie es das offizielle Drehbuch vorgesehen hatte; weil man sich eine überwältigende Akzeptanz des neuen Gesetzes gewünscht hätte.

Auch die Wähler verhielten sich nicht so, wie es das offizielle Drehbuch vorgesehen hatte; weil man sich eine überwältigende Akzeptanz des neuen Gesetzes gewünscht hätte. Mehr als 27% der Teilnehmer an der Wahl sagten Nein, annullierten den Stimmzettel, oder gaben einen weißen Stimmzettel ab. Letztlich sagten weniger als 47% der Wahlberechtigten Ja zum neuen Familiengesetz. Diese Zahl zeigt in Bezug auf das Thema eine gespaltene Gesellschaft, zeigt aber auch eine Bevölkerung, die Stimmenthaltung und Ablehnung als Mittel benutzt hat, um dem Platz der Revolution klar und deutlich ihre Meinung zu sagen.

Wenn es sich an Stelle eines Gesetzes über Familienangelegenheiten um ein Referendum über das drakonische Strafgesetzbuch gehandelt hätte, das zutiefst repressiv ist und uns ohne Mitwirkung aufgezwungen wurde, dann wäre die Ablehnung eine wesentlich stärkere Botschaft an die Exekutive gewesen. Trotzdem, das totalitäre kubanische System entschied sich dazu einige Bürgerrecht zur Abstimmung vorzulegen, denen man de facto auch ohne ein Referendum hätte zustimmen sollen. Vielleicht glaubte die Regierung, dass der Ausgang des Referendums ein überwältigender Erfolg für sie sein würde, und sie so ihr internationales Ansehen verbessern könnte; aber letztendlich war das Ergebnis mager.

Am Freitag vor dem Wahlsonntag rief Díaz-Canel dazu auf, das Ja und „unseren Sozialismus“ zu unterstützen. Am Sonntag zeigte sich dann, dass sich seine Fähigkeiten Wähler zu beschwören signifikant verringert haben, dass die Mechanismen der Mobilisation nicht mehr so gut funktionieren wie vor Jahren, und dass mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten− auf die eine oder andere Weise − das System abgestraft hat, das er repräsentiert.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Generation aus Sand

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Er teilt sich die Bewachung von Autos mit einem Freund, der für ihn aufpasst, damit er hin und wieder eine Fahrt machen kann, um einen Kunden nach Hause zu bringen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 24.September 2022

Während ich den Helm aufsetze, sagt er mir, dass er 29 Jahre alt wäre und ein Geschwür habe. Ich steige von hinten auf sein Motorrad, wir fädeln uns in den Verkehr auf der Straße Reina ein und suchen die Straße Carlos III. Die rote Ampelvor der Avenida Belascoaín zwingt uns zu einem Halt. Er erzählt mir dabei, dass er mitten in der Speziellen Periode (Período Especial) geboren wurde, und dass er der sogenannten „Generation aus Sand“ angehöre“. „Wir waren Kinder, die ohne Milch und ohne Spielzeug aufwuchsen“, fügt er hinzu, und jetzt, kurz danach, macht die grüne Ampel den Weg für uns frei, hin zu der breiten Avenida.

Er hat fast alles versucht um zu überleben: „Ich arbeitete als Kellner in einer staatlichen Cafeteria; ich verteilte das wöchentliche Paket von Haus zu Haus; ich bekam Arbeit bei einer Tankstelle, blieb dort aber nicht lange; manchmal träumte ich davon, in der Sonderwirtschaftszone von Mariel zu arbeiten, aber diese Vorstellung löste sich sehr schnell in Luft auf; ich war Kutscher in Alt-Havanna; und schließlich endete ich beim Markt El Trigal„. Wir sind schon in der Straße Zapata und sprechen so vertraut miteinander, als ob wir uns schon zeit unseres Lebens kennen würden.

Ich kann das Land nicht verlassen, weil ich hier meine Mutter und meine Großmutter habe und weiß, wenn ich weggehe ‚um die Vulkane zu sehen‘, werde ich beide nie wiedersehen“.

„Zu Beginn war die Idee mit El Trigal gut“, vertraut er mir an. „Ich kaufte dort Kochbananen für 80 Centavos, direkt vom Erzeuger, und oft verkaufte sie für 1.50 CUP (kubanischer Peso) an Kunden mit Restaurants oder Cafeterien“. El Trigal wollte Handelshemmnisse für landwirtschaftliche Produkte abbauen, und als Prototyp hätte er sich über die ganze Insel ausbreitem können. „Eines Tages kamen wir dort an und man erlaubte uns nicht mehr direkt einzukaufen; wir mussten uns an die staatliche Acopio wenden, die den Preis für Kochbananen auf 2.50 CUP festsetzte, das Geschäft lohnte sich nicht mehr für uns“.

Der Turm am Platz der Revolution bleibt links von uns, während wir durch La Timba fahren. „Ich musste El Trigal aufgeben, hatte dann ein Elektro-Dreirad und bot meine Dienste selbständigen Unternehmern an; die kamen, um im Mercabal in der Straße 26 einzukaufen, aber das wurde immer weniger rentabel; heute ist der Markt geschlossen und es gibt kein Angebot mehr“. „Auch wegen gesundheitlicher Probleme musste ich diese Arbeit aufgeben, weil ich viel Gewicht heben und verladen musste; ich habe einen Leistenbruch und Probleme mit einer Hüfte“.

„Ich hatte dann ein Elektro-Dreirad und bot meine Dienste selbständigen Unternehmern an, die zum Mercabal kamen, um einzukaufen“. (14ymedio)

Jetzt verdient er seinen Lebensunterhalt als Parkwächter in der Nähe eines Ladengeschäfts in Havanna. Er teilt sich die Bewachung von Autos mit einem Freund, der für ihn aufpasst, damit er hin und wieder eine Fahrt machen kann, um einen Kunden nach Hause bringen. „Das wirft nicht viel ab“, sagt er, „aber wenigsten habe ich Arbeit; die Mehrzahl meiner Freunde sind zu Hause und sind müde und lustlos, weil sie keine Arbeit finden“.

Vor uns sehen wir schon die Straße Tulipan, ohne Verkehr, jetzt am späten Nachmittag. Der junge Mann erzählt weiter: „Es ist so, wie ich dir schon sagte, dass wir die Sand-Generation sind, wir zerfallen gerade“. „Aber ich kann das Land nicht verlassen, weil ich hier meine Mutter und meine Großmutter habe und ich weiß, wenn ich weggehe ‚um die Vulkane zu sehen‘, werde ich beide nie wiedersehen“. Am Bahnhof, mit den Gleisen und den leeren Bahnsteigen, sagt er den schlimmsten Satz von allen: „Ich will in diesem Land keine Kinder haben, aber emigrieren kann ich auch nicht; offensichtlich wird meine Familie mit mir enden“.

Vor meinem Wohnblock aus Beton verabschiedet er sich. Ich steige vom Motorrad ab und gebe ihm den Helm zurück. Er fährt weiter und ich verliere ihn aus den Augen, so, als ob die Meeresbrise in meiner Straße aufgehört hätte die Sandkörner zu verstreuen, die er noch in seinem Hemd hatte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Von spontaner Führung und öffentlichen Protesten in Kuba

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„Lasst uns doch so leben, wie wir leben wollen“, fordert der Mann mit bloßem Oberkörper in der Bildmitte; er steht in El Cepem, Artemisa, vor Funktionären und Polizisten mit strengen Gesichtern. (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 31. August 2022

Ein Mann mit bloßem Oberkörper will Funktionäre und Polizisten daran hindern die Flöße zu beschlagnahmen, auf denen Bewohner von El Cepem das kubanische „sozialistische Paradies“ verlassen wollen. Eine Frau in Santiago de Cuba sitzt vor ihrem Mobiltelefon und übt scharfe Kritik an den Devisenläden. Ein alter Mann läuft schreiend durch die Straßen von San Antonio de los Baños und schimpft auf Miguel Díaz-Canel. Einige Stunden vorher hätte niemand geglaubt, dass aus solchen Aktionen Führer hervorgehen würden; niemand auf dieser Insel hätte sie als Anführer der allgemeinen Empörung bezeichnet.

Schon seit Jahrzehnten warten die Kubaner auf führende Personen, die sich berufen fühlen der Staatsmacht entgegen zu treten, und die − wie Jeanne d’Arc − bereit sind sich zu opfern, wenn es die Sache verlangen würde. In der Erwartung solcher Personen mit einem messianischen Sendungsbewusstsein haben viele Kubaner ihr eigenes Handeln als Bürger hintan gestellt. Der Ruf von innerhalb und außerhalb der Insel nach solchen entschlossenen und autoritären Führern, vom System gefürchtet, vom Volk geliebt, und zudem gute und faszinierende Redner,… solche Erwartungen haben den Wandel in diesem Land verzögert.

Das Leben hat gezeigt, dass Personen mit Führungsqualitäten dort auftreten, wo es die äußeren Umstände erzwingen, und dass Führung von einer Person zu einer anderen wechselt, wenn es die Realität erfordert.

Trotzdem, das Leben hat gezeigt, dass Personen mit Führungsqualitäten dort auftreten, wo es die äußeren Umstände erzwingen, und dass Führung von einer Person zu einer anderen wechselt, wenn es die Realität erfordert. Gerade jetzt bereitet der aktuelle Protagonist dem kubanischen Regime arge Kopfschmerzen, denn, sobald die Regierung die „Flammen der Rebellion“ in einer Region gelöscht hat, steht sie vor einem neuen „Feuer“, das raffinierter gelegt und gefährlicher ist. In El Cepem, einer armen Gemeinde in der Nähe von El Salado, tauchte an diesem Montag ein neues Problem für den Castrismus auf, weil dem Regime charismatische Figuren und Lösungen für nationale Probleme fehlen.

Ein Mann hält eine Rede, die sprachlich ein beachtliches Niveau hat. In seiner Ansprache vermeidet er jede Anzüglichkeit und trifft damit das kubanische Regierungssystem ins Mark:

„Wenn ihr uns nicht wollt, weil wir eine illegale Gemeinschaft sind; wenn wir nicht in dieses Land passen, weil unsere Löhne nicht reichen, um in Devisenläden einzukaufen; wenn es nicht genügend Treibstoff gibt, um die thermoelektrischen Kraftwerke am Laufen zu halten“, dann „lasst uns doch so leben, wie wir leben wollen“ − fordert der Vater eines acht Monate alten Baby, der vor strengen Gesichtern von Funktionären und Polizisten steht.*)

Er hat ein Mikrofon in der Hand, während ein anderer Bewohner von El Cepem ein Sprachrohr auf der Schulter trägt, sodass man die volle und feste Stimme gut hört. Der Mann setzt alle Künste eines wahren Führers ein: er überzeugt, vereint und beschützt, und er bietet jenen die Stirn, die seiner Gruppe und seinem Stadtviertel Schaden zufügen wollen. Wie heißt er? Wie kam er zu den Wahrheiten, die er wie argumentative Pfeile auf seine Widersacher wirft − sicher und unwiderlegbar? Man muss es nicht wissen. Schon bald wird die politische Polizei eine Vergangenheit für ihn erfinden und eine Verleumdungskampagne starten, um sein Ansehen zu vernichten, so, wie sie es seit mehr als 60 Jahren tut. Aber für ein paar Minuten war er der Führer der nationalen Verzweiflung, unbestreitbar.

„Hören wir nun seine Stimme“. Jeder von uns kann zu gegebener Zeit Stammesführer, Direktor, Rektor, General oder Präsident sein.

Ein Hinweis: Yoani Sánchez integriert ein Video in ihre Kolumne, das die im Abschnitt *) beschriebene Situation optisch und akustisch dokumentiert. Das obige Foto ist ein Standbild aus diesem Video.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der Brand in Matanzas ist gelöscht, aber das Drama in Kuba geht weiter

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Im Anschluss an jede Tragödie häufen sich die Fragen, aber nur selten werden detaillierte Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen auch veröffentlicht. (Prensa Latina)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 12.August 2022

Der Himmel über Havanna ist wieder blau, und am Terminal in Matanzas lodern die Flammen nicht mehr zum Himmel. Trotzdem geht die Tragödie weiter, und die Fragen, die wir alle uns stellen, bleiben ohne Antwort. Warum hat das Blitzableiter-System nicht funktioniert? Wer ordnete an, unerfahrene junge Männer, die ihren Wehrdienst leisten, zur Brandbekämpfung einzusetzen? Welche Reichweite hat die Umweltkatastrophe als Folge dieses Unfalls?

Im Anschluss an jede Tragödie häufen sich die Fragen, aber nur selten werden detaillierte Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen auch veröffentlicht. Beim Absturz eines Flugzeugs im Mai 2018 wich man bei der Ursache auf Allgemeinplätze aus; wir mussten uns mit der vagen offiziellen Erklärung zufrieden geben, die die Verantwortung für den Unfall auf die Crew schob. Noch immer warten wir auf den Bericht der Sachverständigen zu der Explosion im Hotel Saratoga, die sich vor mehr als drei Monaten ereignete. Und bis heute erreichte uns keine sachliche Analyse, wie viele Menschen in Kuba auf dem Höhepunkt der Pandemie ihr Leben verloren, weil sie es ablehnten, sich gegen Covid-19 mit Covax Vakzinen impfen zu lasen.

Leider werden sich in Zukunft Katastrophen dieser Art häufen, weil das uneffektive und zentralistische Regierungsmodell, das in Kuba vor 60 Jahren an die Macht kam, den administrativen Herausforderungen von heute nicht gewachsen ist.

Der Mangel an Transparenz von Seiten des Regimes ist nur mit seiner Unfähigkeit zu vergleichen. Das politische System ist eine Mischung aus Geheimnistuerei und Ineffizienz, die für uns Kubaner tödlich ist: Die Verletzung von minimalen Sicherheitsvorschriften; der selbstherrliche Dünkel, der uns glauben lässt, „dass man es kann“, obwohl es nicht die geringsten Voraussetzungen dafür gibt; die Sturheit Projekte durchzuziehen, um welchen Preis auch immer ….Tag für Tag fordert das in diesem Land  Menschenleben. Leben, für die sich niemand verantwortlich fühlt, weil die Straflosigkeit der dafür Verantwortlichen absolut ist.

Leider werden sich in Zukunft Katastrophen dieser Art häufen, weil das uneffektive und zentralistische Regierungsmodell, das in Kuba vor 60 Jahren an die Macht kam, den administrativen Herausforderungen von heute nicht gewachsen ist. Sie schönen Zahlen, sie ändern Schlagzeilen der Presse, sie blähen Berichte über Produktivität auf, sie setzen sich über Sicherheitsbestimmungen hinweg, um ein Bauwerk früher einzuweihen, sie beschuldigen Dritte für den eigenen Pfusch, und sie verschanzen sich hinter ihrer Macht, um nicht für die vielen Katastrophen bezahlen zu müssen, die ihr miserables Handeln verursacht hat.

Es handelt sich nicht nur darum die Infrastruktur zu stärken, den Blitzschutz zu verbessern, die Fracht im Laderaum eines Flugzeugs sicher zu verstauen und die Gasleitung für ein Hotel zu prüfen. Um unser Leben zu schützen ist es wichtig, das politische System so schnell wie möglich abzuschaffen und so zu erreichen, dass die vielen unfähigen und unberührbaren Führer möglichst bald von ihren Sesseln Abschied nehmen.

Es war kein Blitzschlag, der den Unfall in Matanzas verursachte, sondern das tödliche Wesen dieses  kaputten und grausamen Systems.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Ein Montag, an dem Havanna Angst hatte

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Man kann nicht einmal sagen, dass es in Havanna Tag geworden wäre, weil es heute Morgen am Horizont nicht hell wurde. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.August 2022

Ich wachte mit Halsschmerzen auf, ging ins Bad um zu gurgeln und schaute aus dem Fenster. Am Osthimmel sah ich einen beunruhigenden Schein. In Matanzas, dem Terminal für Supertanker, brennt seit vergangenem Freitag ein Treibstofflager, ein Ereignis, das wir nicht nur im Fernsehen oder in den sozialen Netzen verfolgen. Es ist auch hier, in Havanna, wo eine dunkle Wolke mit Verbrennungsrückständen über der Stadt steht und die Menschen nach Antworten suchen, die sie nicht finden.

Meine Hündin Chiqui hebt die Schnauze, legt die Pfoten auf den Schwanz und verschwindet schließlich unter dem Sofa. Meine Mutter ruft mich an, weil sie das Haus verlassen muss und nicht weiß, welche Vorsichtsmaßnahmen sie treffen soll. Ich rate ihr eine Maske zu tragen und sich vor Nässe zu schützen, wenn es einen Wolkenbruch gibt. Im Hintergrund läuft das offizielle Fernsehprogramm; es zeigt Parteiführer bei einer Sitzung in einem klimatisierten Raum, sowie Nachrichtensprecher, die um jeden Preis zutreffende Wörter vermeiden. Man sagt nicht „Explosion“ oder „Alarm“, und man spricht nicht von „Gefahr“ oder „Bedrohung“.

Niemals glaubte ich, dass das politische Systems bei Bewältigung einer Katastrophe derart unfähig wäre, dass schlechtes Management, die Verletzung von Sicherheitsvorschriften, Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung uns an Grenzen bringen würden.

Es gibt eine Realität und eine andere parallel dazu. Während man vor den Mikrophonen von „überwinden“ und „durchstehen“ spricht, schauen die Menschen in meinem Viertel zum Himmel und haben Angst. Man kann nicht einmal sagen, dass es in Havanna Tag geworden wäre, weil es heute Morgen am Horizont nicht hell wurde. Meine Augen brennen; wenn es einem Sonnenstrahl gelingt durch die dunkle Wolkendecke zu dringen, dann fällt auf den Terrassenboden ein eigenartiges gelbliches Licht, fast gespenstisch. Mein Kopf dröhnt; ich versuche möglichst viel Wasser zu trinken, von Trinkwasser-Reserven vor Ausbruch des Brands, weil die Regenfälle von Samstag bis heute die Reservoirs kontaminiert haben könnten.

Angesichts der Situation gehe ich meine Liste mit fragilen Personen durch. Die alte Frau um die Ecke, die seit dem frühen Morgen in der Warteschlange steht um Brot zu kaufen; der Freund, der eine Parzelle mit Gemüse hat und fürchtet, dass die vielen Rückstände in der Luft letztlich in Lebensmittel gelangen werden, und er sein Gemüse nicht mehr verkaufen kann. Dann fehlt ihm das Geld, um seine Familie und die Mutter des Sohns zu unterstützen, der seinen Wehrdienst leistet. Sie befürchtet, dass sie ihren Jungen in die Unfallzone schicken, obwohl er weder die Erfahrung noch das nötige Alter für die Bekämpfung dieses Brandmonsters hat.

Niemals glaubte ich, dass das politische Systems bei Bewältigung einer Katastrophe derart unfähig wäre, dass schlechtes Management, die Verletzung von Sicherheitsvorschriften, Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung uns an Grenzen bringen würden. Optimistisch, wie ich von Natur aus bin, dachte ich, dass es sogar für offiziellen Pfusch eine Grenze geben müsse, oder wenigstens einen eingeschränkten Wirkungsspielraum, und dass sie nicht so vielen Menschen in so kurzer Zeit so viel Schaden zufügen könnten. Ich habe mich geirrt. Das System ist tödlich. Seine Unfähigkeit tötet, und es sind viele. Heute schreit der Himmel über meiner Stadt, dass das stimmt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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„Hör mal zu, hier kannst du nicht durchgehen!“, schrie mich ein Wächter vor dem ‚Haus des Volkes‘ an

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Der Ort, den fast jeder Bewohner von Havanna mit einer Erinnerung verbindet, ist jetzt nur noch für Funktionäre und Wächter zugänglich. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.Juli 2022

Ich beeile mich. Das Sammeltaxi fuhr im Schneckentempo, ich steige aus; wenn ich nicht größere Schritte mache, werde ich zu spät zu meiner Verabredung kommen. Ich laufe durch den ‚Parque de La Fraternidad‘, überquere die Straße auf einem gesperrten Pfad, der zu den Ruinen des Hotels Saratoga führt, und komme schließlich in die Gärten des Kapitols von Havanna. „Hör mal zu, hier kannst du nicht durchgehen!“, schreit mich ein Wächter mit ernstem Gesicht an und fügt hinzu: „Zum Weitergehen musst du auf den Bürgersteig; in diesem Bereich ist der Durchgang verboten!“.

Es sind dieselben Gärten, in denen ich als Kind auf meinen ersten Rollschuhen trainierte; es ist die begrünte Esplanade, wo meine Freunde und ich uns niederließen und über unsere Zukunft sprachen, die die meisten von uns in einem anderen Teil der Welt suchten und fanden; es ist der Ort, an dem Reinaldo mit beispielloser Ausdauer fünf Stunden auf mich wartete und so unsere begonnene Beziehung besiegelte − 30 Jahre sind seitdem vergangen. Anders gesagt, es ist der Ort, den fast jeder Bewohner von Havanna mit einer Erinnerung verbindet; jetzt gehört er ausschließlich den Funktionären und Wächtern.

Es sind die Gärten, in denen ich als Kind auf meinen ersten Rollschuhen trainierte. (14ymedio)

Obwohl ich sehr in Eile bin, frage ich den Mann nach dem Grund dieses Verbots. „Ist das hier nicht das Parlament? Ist ein Parlament nicht ein Haus des Volkes? Warum ist dann der Zugang zu den Gärten für uns verboten?“. Ich frage vergebens, weil er weiter mit dem Finger auf den Bürgersteig zeigt. Nur auf dem kann ich weitergehen, wenige Meter entfernt von der leuchtenden Fassade eines Gebäudes, das jahrzehntelang verachtet wurde, inklusive Vernachlässigung, Fahrlässigkeit und Beschimpfungen von offizieller Seite. Nach seiner Instandsetzung und einer Blattgoldbeschichtung der Kuppel, ist die Regierung dazu übergegangen, das Gebäude exklusiv für sich in Anspruch zu nehmen.

Ich werde zu spät zu meiner Verabredung kommen; ich entferne mich vom Kapitol, seinem finsteren Bewacher und den exklusiven Gärten. Ich denke dabei an das Gefühl, das ich hatte, als ich zum ersten Mal Kuba verließ. Es war eine innere Unruhe, die mich fürchten ließ, dass auf irgendeinem Platz oder vor einer öffentlichen Sehenswürdigkeit ein Polizist auftauchen würde um mir zu sagen, dass ein Foto von diesem Standbild, eine Annäherung an diese Gedenktafel, oder das Berühren dieses antiken Steins ein Delikt wäre. Tage später, ohne dass ein Uniformierter gekommen wäre um mich zu beschimpfen, fiel die Last von mir ab, und ich wartete nicht mehr auf einen Pfiff, einen Schrei oder eine Geldstrafe wegen meines Verhaltens.

Gestern, am Freitagmorgen, sehnte ich mich nach dieser Leichtigkeit, als ich nicht mehr durch die gepflegten aber verbotenen Gärten des Kapitols gehen konnte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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„Kaufe Nahrungsmittel!“, der verzweifelte Ruf, der ohne Antwort blieb

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Am vergangenen Dienstagmorgen ertönte in der Umgebung unseres Gebäudes die sonore Stimme eines Ausrufers. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 20.Juli 2022

Vorher aufgenommene und dann über Lautsprecher verbreitete Ausrufe gehören zur Geräuschkulisse im Kuba von heute. In unserem Viertel hört man jeden Tag eine bunte Vielfalt  davon: es beginnt mit dem Klassiker „Eis am Stiel!“, weiter mit „Repariere Matratzen!“, und überrascht mit „Kaufe leere Shampoo-Tuben!“. Dazu kommt, dass die aktuelle wirtschaftliche Krise ständig neue Varianten hervorbringt.

Am vergangenen Dienstagmorgen ertönte in der Umgebung unseres Gebäudes eine sonore Stimme: „Kaufe Lebensmittel!“ wiederholte ein Mann minutenlang, während er um den Häuserblock lief. Früher hätten wir die Rufe in den oberen Stockwerken unseres hässlichen Betonbaus nicht gehört, wegen des Lärms der nahen Avenue Boyeros; aber weil es an Treibstoff mangelt, hat sich der Verkehr dort verringert und damit das ständige Getöse. Also hörten wir klar und deutlich: „Kaufe Lebensmittel!“; der Ruf schmuggelte sich über Terrassen und Jalousien bei uns ein.

Kein Nachbar ging auf den Balkon um ihm zu sagen: „warten Sie doch, ich komme herunter und verkaufe ihnen etwas Brot, ein Säckchen Kartoffeln, oder einen Becher Joghurt“.

Im Verlauf einer halben Stunde bewegte sich der Rufer von der nahen Bahnlinie bis zum ständig wachsenden Müllberg an der Straßenecke Estancia und Santa Ana. Er machte Halt vor einem nahen Gebäude mit zwölf Stockwerken, wiederholte seine Rufe ein paar Meter entfernt vom weitläufigen Park des Ministeriums für Landwirtschaft, näherte sich der Warteschlage vor einem Geschäft mit rationierten Produkten, bis die verzweifelten Rufe schließlich verklangen, als der Mann in Richtung Tulipán-Straße weiterging.

Während der ganzen Zeit antwortet niemand auf sein Anliegen. Kein Nachbar ging auf den Balkon um ihm zu sagen: „warten Sie doch, ich komme herunter und verkaufe ihnen etwas Brot, ein Säckchen Kartoffeln oder einen Becher Joghurt“. Hätten andere ambulante Händler ihre Waren oder Dienstleistungen ausgerufen, wäre dies so geschehen.

Sie forderten ihn auch nicht auf Ruhe zu geben, weil bei ihnen im Haus ein Baby einschlafen sollte; nicht einmal eine Großmutter zeigte sich auf dem Balkon und schüttelte verneinend den Kopf. Es kamen auch nicht die „kampferprobten“ Aktivisten der Kommunistischen Partei, um diesen Ruf zu „bekämpfen“, der mehr Protest in sich trug, als in irgendeine Losung der Opposition.

„Kaufe Nahrungsmittel!“, wiederholte der Mann; und die Stille im Viertel sprach wortlos. Das Schweigen, in dem die Bewohner der Häuser verharrten, antwortet ihm: „Wir haben keine!“

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Erinnere dich an Sri Lanka

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Demonstrierende besetzen den Präsidentenpalast in Colombo, Sri Lanka. (EFE/EPA/Chamila Karunarathene)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 15.Juli 2022

Was hier fehlt ist ein Sri Lanka“, „erinnere dich an Sri Lanka“, „wir treffen uns am Pool…wie in Sri Lanka“ sind Sätze, mit denen in diesen Tagen Kubaner ihre Freunde begrüßen. Das asiatische Land zu erwähnen ist kein Zufall. Nach wochenlangen Protesten drangen mehrere tausend Personen in die luxuriöse Residenz des Präsidenten Gotabaya Rajapaksa ein, und zwangen ihn das Land zu verlassen.

Monatelang beschuldigten die Demonstranten die Exekutive, dass sie die wirtschaftliche Krise schlecht managen würde und verantwortlich sei, für die langen Stromausfälle und die Inflation im Land; es sind die drei Übel, die auch auf dieser Insel für Entrüstung sorgen. Es genügt, die Pressemitteilungen der ausländischen Agenturen zu lesen, die in Colombo akkreditiert sind, um die Parallelen zu sehen: den Frust der Bewohner der Hauptstadt von Sri Lanka, und den Verdruss, den man an jeder kubanischen Straßenecke hört.

Was uns betrifft, so ist der Hinweis auf Sri Lanka auch eine Form von Selbstkritik, weil wir zugeben müssen, dass es angesichts von Ineffizienz und Krisen Völker gibt, wo Menschen sich entscheiden zu schweigen und die Koffer zu packen, während andere bis ins Haus der Verantwortlichen vordringen und sie zwingen abzudanken. Es ist nicht das erste Mal, dass wir Kubaner ähnliches Geschehen in anderen Weltgegenden aufgreifen, um unsere Situation öffentlich zu machen, und nebenbei die Zensur zu umgehen.

Angesichts von Ineffizienz und Krisen gibt es Völker, wo Menschen sich entscheiden zu schweigen und die Koffer zu packen, während andere bis ins Haus der Verantwortlichen vordringen, und sie zwingen abzudanken.

Vor ein paar Jahren stand der Kabarettist Nelson Gudín mit einem Solo-Programm auf der Bühne; es hatte den Titel „Die Probleme auf Zypern“ und wurde zu einer witzigen Metapher für Kuba. Indem der Künstler auf Leitartikel in der offiziellen Presse verwies, die von politischen und wirtschaftlichen Probleme in anderen Breitengraden berichteten und die nationalen verschwiegen, machte er die Insel im östlichen Mittelmeer zu einem Synonym für Kuba.

Nach einer exzellenten Performance des Künstlers, wie man sie vom ihm erwartete wo immer er auftrat, genügte es „wie schlimm steht es doch um Zypern“ zu sagen, damit alle verstanden, dass von unserer eigenen Realität die Rede war. Bis heute haben sich in der Umgangssprache mehrere Sätze gehalten, die auf die „Situation in Zypern“ anspielen und ausländische Studenten verblüffen, die hier in Kuba ihre Spanisch-Kenntnisse perfektionieren und den Zusammenhang mit Nicosia nicht verstehen.

Jetzt ist Sri Lanka zu einem Symbol geworden, das Kuba hoffen lässt. Es ist die Macht eines Volkes, wenn seine Menschen zusammenfinden, und zugleich die Warnung an die Regierenden in olivgrün, dass kein Palast voller Annehmlichkeiten mehr sicher ist, wenn der Volkszorn ausufert. Das Wasser im präsidialen Pool wird nicht ausreichen, um die Unzufriedenheit zu besänftigen, die sich im Laufe von Jahrzehnten angesammelt hat, noch werden herrschaftliche Betten, die mit den weichen Kissen, einen massiven Protest verstummen lassen.

“ Wir sehen uns in Sri Lanka“, hat mir gestern ein Nachbar von gegenüber zugerufen. “ Wir alle sind Sri Lanka“, habe ich ihm geantwortet, während mehrere kleine Jungen auf Fahrrädern vorbeigefahren sind und den Namen des Landes wiederholt haben, den bis vor ein paar Wochen kaum jemand in Kuba kannte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der 11.Juli 2021 war der Tag, an dem wir die Angst hinunterschluckten

Hervorgehoben

Eine Gruppe von Demonstranten marschiert am 11.Juli durch Havanna. (Marcos Evora)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 11.Juli 2022

Niemand sah es voraus, kein Analyst nahm es in seine Prognose auf, und sogar die größten Optimisten hatten die Möglichkeit eines öffentlichen Protests auf Jahre hinaus verschoben. „Die Leute haben sich daran gewöhnt“, „die jungen Leute stürzen sich lieber ins Meer, als auf einer plaza zu demonstrieren“, „der Bürgersinn wurde amputiert“, „sie sind sanft und folgsam geworden“, das waren Sätze, die man zu uns von allen Seiten sagte. Aber der 11.Juli 2021 genügte, um alle diese Diagnosen als falsch zu entlarven, die uns als ein Volk hinstellten, unfähig seine Stimme zu erheben.

An jenem Sonntagmorgen zündete der Funke nicht in den zwei größten Städten des Landes, sondern in den Straßen von San Antonio de los Baños, in der Provinz Artemisa, in einer Gemeinde, die für ihren Humor bekannt ist, für ihre internationale Filmschule und für ihre langen Stromausfälle. Die frühesten Bilder der öffentlichen Empörung erreichten uns auf Facebook und Twitter, aber angesichts unserer Skepsis hielt sich unser Enthusiasmus in Grenzen; viele von uns dachten, dass es nur ein kleines, singuläres Ereignis wäre.

Dann erreichten die Proteste Palma Soriano in der Provinz Santiago de Cuba, Cárdenas in Matanza, und sie breiteten sich schließlich in Havanna und in vielen anderen Regionen aus. Was niemand prophezeit hatte, ereignete sich gerade. Für viele war dies einer der wichtigsten Tage in ihrem Leben, denn jeder von uns erinnert sich daran was er tat, als die Demonstrationen begannen. Wie an den Tag, an dem uns ein Sohn geboren wird, unser Vater stirbt oder sich eine Naturkatastrophe ereignet; dieser 11.Juli hat unserem Leben seinen Stempel aufgedrückt.

Aber es reicht an jenen Sonntag im Sommer zu erinnern, um zu erkennen, dass wir Kubaner nicht mehr dieselben sind.

Und dann kam die Repression, angestoßen und vorangetrieben von Miguel Díaz-Canel, der vor den Kameras des nationalen Fernsehens den „Befehl zum Kampf“ gab. Wegen dieses Aufrufs könnte er eines Tages vor einem Gericht stehen und verurteilt werden, weil er zu Gewalt aufhetzte und das Militär gegen unbewaffnete Leute vorgehen ließ. Wir haben nicht nur Uniformierte gesehen, die wütend auf Jugendliche und Teenager einschlugen, sondern auch die offizielle Presse verfolgt − die zunächst kopflos war und nicht wusste, wie sie auf die Menschen in den Straßen reagieren sollte − dann aber begann, eine andere Darstellung der Ereignisse zu verbreiten, parallel zur Realität.

In diesem Narrativ, diktiert vom Platz der Revolution, gab es nur vereinzelt gewalttätige Proteste, angeführt von Kriminellen, Vandalen und Außenseitern. Um uns diese Fiktion aufzuzwingen, benutzte die Regierung ihr Monopol bei Fernsehen, Radio und den gedruckten Zeitungen, aber die Wahrheit des 11.Juli war schon ins Bewusstsein der Menschen vorgedrungen, dank der sozialen Netzwerke und der unabhängigen Presse. Die Bilder von vielen tausend Mobiltelefonen zeigten eine Bürgerschaft, die nach jahrelanger Knebelung ihre bürgerliche Stimme erprobte. Es war der Tag, an dem wir unsere Angst hinunterschluckten, an der wir lange gekaut haben und dann bemerkten, dass es in Kuba wesentlich mehr Nonkonformisten gibt als Unterdrücker.

Nach diesen hellen Stunden, in denen die Proteste ihren anarchistischen und massiven Charakter zeigten, begann die lange Nacht der Repression, die bis heute anhält. Aber es reicht an jenen Sonntag im Sommer zu erinnern, um zu erkennen, dass wir Kubaner nicht mehr dieselben sind. Wir haben auf den Straßen geschrien, haben im Chor „Freiheit“ gerufen und der Welt gezeigt, dass wir weder feige noch fügsam sind, sondern dass nur eine kalkulierende Diktatur uns lange Zeit verwehrt hat, unsere plazas in Besitz zu nehmen. Den nächsten Aufstand kann man weder vorhersehen noch vorhersagen; aber vielleicht ist es dann das letzte Mal, dass das Regime das allgemeine Unbehagen niederschlagen kann und mit Schlägen, Schüssen und Verurteilungen antwortet. Am 11.Juli haben wir begriffen, dass die Angst die Seite gewechselt hat.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf Spanisch publiziert.

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Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme fehlen, karikiert die Bürokratie das republikanische Kuba

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Kuba vor 1959: Die Elektrifizierung des Landes erreichte einen des besten Werte in Lateinamerika. (CC)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 29.Juni 2022

In dem Maße wie die allgemeine Empörung zunimmt, wegen der ständigen Stromsperren in weiten Teilen Kubas, verbreiten die Behörden alle Arten von Rechtfertigung, um die Verantwortung für die Stromausfälle weit entfernt von ihrem Management zu halten. Auch fehlen nicht oft wiederholte Sätze, die dem nordamerikanischen Embargo die Schuld geben, oder den ausbleibenden sowjetischen Subventionen nach dem Fall des Kommunismus in Europa, und – wie zu erwarten – fehlen auch nicht Anspielungen auf die republikanische Epoche Kubas als eine finstere und erbärmliche Zeit.

‚Adelante‘, die lokale Zeitung von Camagüey, hat diese Woche versucht die Gemüter zu besänftigen, indem sie ihre Leser an die Zeit vor 1959 erinnerte, als “Kuba nur 397 Megawatt generierte, verteilt auf isolierte, unverbundene Systeme, und somit typisch für ein unterentwickeltes Land. Einen Stromanschluss hatten kaum 56% der Bevölkerung“. Folgt man Daten, die man in diesem Zusammenhang erwähnen muss, war die weltweite Elektrifizierung ein Prozess, der ein paar Jahrzehnte benötigte.

Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht.

Der Artikel der erwähnten Tageszeitung verschweigt nicht nur dieses Detail, sondern er vermeidet es auch zu erwähnen, dass in jenen Jahren der obige Indikator einer der besten in Lateinamerika war. Angesicht der aktuellen Probleme versucht der Text bei seinen Lesern ein Gefühl der Erleichterung zu erzeugen, indem er deren aktuelle Situation mit der ihrer Großeltern vergleicht. Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht. Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme und Perspektiven für die Zukunft fehlen, bleibt dem Regime nur übrig, das Kuba zu karikieren wie es war, ehe Fidel Castro an die Macht kam.

Mit dieser törichten Strategie gelang es ihnen jahrzehntelang demokratische Forderungen zum Verstummen zu bringen, indem sie versicherten, dass mit einer Öffnung der Insel die Exzesse der früheren Diktatur zurückkehren würden.

Als die Klagen sich gegen die ineffiziente Produktion von Grundnahrungsmitteln richten, beginnen die Regierungssprecher daran zu erinnern, dass Gerichte aus Maismehl, ohne irgendwelche Beilagen, während der Regierungsjahre von Machado*) auf jedem Teller waren. Es gibt Funktionäre, die es gewagt haben zu sagen, dass eine Dissidentin oder eine unabhängige Journalistin als Prostituierte gearbeitet hätte, würde sie denn in dem Kuba der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gelebt haben.

Alle diese verbalen Kunststücke, die früher einmal Angst und soziale Lähmung hervorrufen konnten, ernten heute nur noch Spott und gießen Öl ins Feuer des sozialen Unbehagens. Die Menschen haben längst aufgehört den Kopf zu senken und den Mund zu halten, wenn man sie mit solchen veralteten Statistiken konfrontiert. Nur ein System ohne ein Morgen kann glauben, dass es die Bevölkerung eines Landes gefügig machen kann, wenn es die Gespenster von gestern aus der Mottenkiste holt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers:

Gerardo Machado war von 1925 bis 1933 fünfter Präsident der Republik Kubas. Er entmachtete politische Institutionen und etablierte eine diktatorisch und aggressiv geführte Alleinregierung. Seine Politik rief immer heftigeren Widerstand hervor, der schließlich in der erfolgreichen Demokratischen Revolution von 1933 gipfelte.

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Die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna

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Im Unterschied zu Berlin, für die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna sind nicht die Bomben eines Kriegs verantwortlich. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 18.Juni 2022

Ein Mitglied einer Berliner Akademie war sehr glücklich, als seine kubanischen Freunde zu Besuch kamen und er mit ihnen eine lange und informative Rundfahrt durch Berlin machen konnte. Bei solchen Fahrten fehlte nie die Geschichte vom allmählichen Verschwinden der Balkone, der besonders den Sektor der Stadt betraf, der nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischer Verwaltung stand. Die Bombardierungen der Stadt während des Kriegs, die Tendenz Teile von betroffenen Gebäuden zuzumauern, anstatt sie zu renovieren als Frieden war, und eine sozialistische Architektur, die sich mehr an einer praktischen als an einer schönen Bauweise orientierte, führten zu einer ‚Entbalkonisierung‘ der Hauptstadt der DDR.

Nachdem der Professor davon in allen Einzelheiten berichtet hatte, sprach er von einem eigenartigen Konzept der Stadt. Er atmete tief durch und erläuterte dann ausführlich, wie nach dem Fall der Berliner Mauer der umgekehrte Prozess einsetzte, die ‚Rückbalkonisierung‘ der Stadt. Jetzt hielt er kurz inne und versicherte, dass er nur im Zusammenhang mit diesem architektonischen Detail diesen Neologismus verwenden könne. Bei keiner anderen Gelegenheit wäre dies möglich. Daher möchte er sich bei seinen geduldigen Zuhörern ausdrücklich bedanken, dass sie ihm die Gelegenheit dazu gegeben hätten.

Im Unterschied zu Berlin ist die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna nicht eine Folgeerscheinung von Bomben in einem Krieg. Nachlässigkeit, der fehlende Wille zu erhalten, und die materielle Not der Besitzer vieler Gebäude haben bewirkt, dass diese architektonischen Elemente zunehmend verloren gingen und gehen, aufgrund von Mauerrissen, Verbau oder Einsturz. Mehr und mehr sieht man Fassaden, an denen Stahlstreben herausragen, die früher eine schöne Terrasse trugen, die nach außen strebte.

Die kubanische Hauptstadt wurde ‚entbalkonisiert; sie hat aber auch ihre Gebäudesimse und die mit Blumen und Blüten geschmückten Kapitelle vieler Säulen verloren. (14ymedio)

Aber es fehlen nicht nur die hundert (vielleicht auch tausend) Balkone, die auf Straßen gefallen sind, oder auf die Köpfe der Vorbeigehenden, oder auf das darunter liegende Stockwerk. Viele andere sind nicht mehr zugänglich, oder werden von den Bewohnern nicht mehr genutzt, aus Angst abzustürzen wenn man sie betritt. Was früher einmal für die Angehörigen eines Hausstands ein Bauelement für Unterhaltung und Vergnügen war, oder auch nur eine Augenfreude für die Fußgänger, ist jetzt zu einem Panikobjekt verkommen. Die Leute fürchten diese rissigen, durchfeuchteten und von Schimmel befallenen Erker.

Die kubanische Hauptstadt wurde ‚entbalkonisiert‘; sie hat aber auch ihre Gebäudesimse und die mit Blumen und Blüten geschmückten Kapitelle vieler Säulen verloren. Früher konnte man durch die Straßen gehen, ohne sich nennenswert von den überdachten Portalen zu entfernen. Heute stößt man dabei auf heruntergefallene Dachteile, die dazu zwingen auf den Gehsteig auszuweichen und im Zickzack weiterzugehen. Dem ist hinzuzufügen, dass man bei den meisten Gebäuden, die in der Zeit der sowjetischen Subventionen gebaut wurden, auf Balkone verzichtete, obwohl die in einem tropischen Land ein wichtiges Bauelement sind. Graue Mauern, kleine Fenster, und nicht einmal eine Freifläche um Wäsche aufzuhängen, das ist harte Realität, wenn man in einem dieser Betonblöcke wohnt.

Ich träume von dem Tag, an dem mein akademischer Freund Havanna wieder besucht und dieser Albtraum des Verfalls dann nur noch eine Erinnerung an die schlimme Vergangenheit ist. Ganz sicher werde ich ihm dann sagen, dass die Demokratie nicht nur ermöglicht hat, alles sagen zu können was man denkt, ohne dafür bestraft zu werden, sondern dass sie auch der Impuls für den Bau von anderen Wohnungen war, weil sie viele emigrierte Architekten ins Land zurückkehren ließ. Diese talentierten Architekten planten kühlere Häuser, die die Meeresbrise nutzten und bei den Bewohnern nicht das Gefühl auslösten, in einer Streichholzschachtel eingesperrt zu sein.

Dann werde ich es genießen ihm noch zu sagen, dass die ‚Rückbalkonisierung‘ von Havanna, der Stadt meiner Geburt, schon begonnen hat. Vermutlich wird es eine der wenigen Gelegenheiten sein, bei denen ich dieses neue Wort verwenden werde.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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In Havanna stehen nicht zwei Männer vor Gericht, sondern ein Symbol

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Otero Alcántara und Maykel Castillo in Havanna, als sie noch in Freiheit waren. (Anamely Ramos)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 31.Mai 2022

Der letzte Montag im Mai beginnt in Havanna mit Nebel und Nässe. Dennoch, das Tagesgespräch dreht sich nicht um den möglichen Platzregen oder um die Schwierigkeiten, in einer Stadt mit einer Treibstoffkrise vorwärts zu kommen. Im Gericht in Mariano, einem Viertel im Osten von Havanna, findet an diesem Tag eine Verhandlung statt, die viele Tausend mit Augen und Ohren verfolgen. Der Künstler Luis Manuel Otero Alcántara und der Rapper Maykel Castillo Osorbo sind die Angeklagten.

In den letzten Monaten kam es zu vermehrten Anhörungen jener, die an den öffentlichen Demonstrationen im vergangenen Juli teilnahmen, oder es ergingen Urteile gegen Bürger, die in den sozialen Netzen ihre Unzufriedenheit kundgemacht hatten. Trotzdem, der Prozess in dieser Woche markiert einen Höhepunkt der Unterdrückung in diesem Land. Otero Alcántara steht vor Gericht, weil er, von anderen „Vergehen“ abgesehen, sich tagelang in die kubanische Fahne hüllte. Dies war eine künstlerische Aktion, die der Bürokratie missfiel, weil sie nationale Embleme für ihren ideologischen und parteiischen Kreuzzug exklusiv beansprucht.

Was Osorbo betrifft, so wirft man ihm vor, dass er die Person des Staatspräsidenten Miguel Díaz-Canel beleidigt hat, und dass er den Ministerpräsidenten Manuel Marreo für ausbleibende Lieferungen an die Krankenhäuser verantwortlich macht. Beide Beschuldigungen, für die die Staatsanwaltschaft sieben bzw. zehn Jahre fordert, würden in demokratischen Ländern kaum eine kleine Geldstrafe nach sich ziehen, oder in einem Rechtsstaat schlechthin kein Delikt darstellen. Beide Angeklagten erwarten monatelange Gefängnisstrafen, weil sie jetzt vor einem Gericht stehen, dessen Urteile sich eher nach den Launen von mächtigen Leuten richten, als nach der Strenge des Rechts.

Wie bei einer heißen Kartoffel: hält man sie zu lange in der Hand, verbrennt man sich die Finger; lässt man sie fallen, fängt man an zu lachen. So ist es mit dem Castrismus, in dessen Hand jetzt das Leben der beiden jungen Menschen liegt.

Um Zeichen der Solidarität mit den Angeklagten zu verhindern, stand am Morgen die Umgebung des Gerichts unter starken Sicherheitsmaßnahmen von Polizeikräften. Die Telefonleitungen von vielen Aktivisten und unabhängigen Journalisten waren blockiert, und außerdem begann in den sozialen Netzwerken eine intensive Verteufelungs-Kampagne, die versuchte, jede Art von Unterstützung von Otero Alcántara und Osorbo schon im Vorfeld zu verhindern. Aber diese Offensive bewirkte offensichtlich das Gegenteil von dem, was das Regime beabsichtigte: Bürger, die nichts von dem Gerichtsverfahren wussten, gingen der Sache nach, weil so viele Uniformierte im Stadtteil waren; und die Hartnäckigkeit, mit der man in den sozialen Netzwerken beide Angeklagten als „Kriminelle“ darstellte, hat bei den Bürgern eher Sympathie als Ablehnung ausgelöst.

Wie bei einer heißen Kartoffel: hält man sie zu lange in der Hand, verbrennt man sich die Finger, lässt man sie fallen, fängt man an zu lachen. So ist es mit dem Castrismus, in dessen Hand jetzt das Leben der beiden jungen Menschen liegt, die das Scheitern des Systems repräsentieren. Sie kommen aus bescheidenen Verhältnissen, und man dachte, dass sie das politische Modell blind begrüßen würden, das sich vor mehr als 60 Jahren in Kuba etablierte. Beide gehören Schichten der Gesellschaft an, die, so die offizielle Propaganda, am meisten von der Revolution profitierten. Stattdessen haben sie die Lügen und die Willkür der Hierarchie in olivgrün öffentlich verurteilt, wie auch die Armut in San Isidro, ihrem Viertel, und die Straflosigkeit der Polizei.

Dass man sie verhaftet hat und vor Gericht stellt beweist, dass das System von den Bürgern absoluten Gehorsam erwartet, nicht aber Kritik oder Widerspruch. So wurden Otero und Osorbo zu einem Menetekel für die Schwäche einer Bürgerschaft, der man alle Wege hin zu einer friedlichen Änderung des Status quo versperrt hat.

In den nächsten Tagen werden wir das Urteil kennen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie verurteilt werden, weil man ein Exempel statuieren will. Aber das kubanische Regime hat diese Schlacht schon verloren. Es kann zwei Männer für Jahre wegsperren; es wird ihm aber nicht gelingen das Symbol hinter Gitter zu bringen, zu dem sie geworden sind.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch veröffentlicht.

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Die Zeitung ’14ymedio‘ hat Geburtstag

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Zwei plumeria rubra, Franchipani genannt, wachsen auf der Dachterrasse der Redaktion.

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 21.Mai 2022

Ich habe in meinem Leben einige wichtige Entscheidungen getroffen, auf die ich stolz bin. Die Liste wäre sehr lang; hier stehen einige der wichtigsten, um an sie an diesem Tag zu erinnern.

  • Mit 16 Jahren: sich für ein Studium der Humanwissenschaften entscheiden, trotz eines starken Hangs zu Physik.
  • Mit 17 Jahren: einen „verrückten und langhaarigen“ Journalisten kennenlernen, mit Namen Reinaldo Escobar, und mit ihm zusammenleben.
  • Mit 19 Jahren: Teo auf die Welt bringen, obwohl die meisten meiner Freunde und Bekannten sagen, dass es noch zu früh wäre Mutter zu sein.
  • Mit 26 Jahren: emigrieren und die köstliche Freiheit genießen.
  • Mit 28 Jahren: in mein Land zurückkehren, und entgegen aller Prognosen meine kritische Stimme innerhalb der Inselgrenzen erheben.
  • Mit 31 Jahren: den ersten Artikel für meinen Blog ‚Generación Y’schreiben.
  • Mit 38 Jahren: die Tageszeitung ’14ymedio‘ gründen.
  • Mit 43 Jahren: den Podcasts ‚Cafecito informativo‘ starten.

Heute, am 21.Mai 2022, feiern unsere “Vierlinge“ ihren den achten Geburtstag. So nennen wir in der Redaktion ’14ymedio‘, denn seit unsere Zeitung am 21.Mai 2014 das Licht der Welt erblickte, gab es – wie bei 4 kleinen Kindern im trauten Heim – keine ruhige Morgenstunde mehr. Wenn die Nachrichten “schreien“, ist es mit der Ruhe vorbei. In den vergangenen Jahren war unser Leben den “informativen Notfällen“ ausgeliefert, dem Auf und Ab der Realität und dem Schwindelgefühl in den Räumen der Redaktion.

Kein Grund zu jammern; ich kann mir kein besseres Leben vorstellen.

Im Monat Mai habe ich schon acht Mal die Geburtstags-Kerzen für ’14ymedio’ausgeblasen; ich bin dankbar, dass ich von so vielen fähigen Reportern umgeben bin, von unentbehrlichen Journalisten und klugen Herausgebern.

Ihr seid meine Familie, bei euch sein zu können gehört zu den besten Entscheidungen in meinem Leben; ohne jeden Zweifel.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Ein Strafgesetzbuch, um uns Fesseln anzulegen

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Die schlimmsten Teile des neues Strafgesetzbuchs betreffen den Journalismus, der nicht von der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) kontrolliert wird. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 17.Mai 2022

Das neue Strafgesetzbuch, das die kubanische Nationalversammlung verabschiedet hat und das in den kommenden Tagen in Kraft treten wird, ist ein detailliertes Kompendium der wesentlichsten Ängste der Partei. Wie jedes autoritäre Modell, sieht sich das Regime der Insel dazu gezwungen, jedes Verbot aufzulisten und alle Strafen aufzuzählen. So versucht man neuen Formen von Konfrontation und Ablehnung durch die Bürgerschaft schon im Vorfeld zu begegnen.

Wenn man zwischen den Zeilen der neuen gesetzlichen Regelungen liest und das abtrennt, was vom vorigen Gesetzbuch bezüglich Bestrafung von häufigen Delikten übernommen wurde, dann erkennt man die Panik, die den Führenden den Schlaf raubt. Die unabhängige Presse, der Aktivismus, die öffentlichen Proteste gegen das Regime, wie die vom vergangenen 11.Juli, und die Möglichkeit, dass Personen in Initiativen zusammenfinden, um ihren Widerspruch zum politischen und wirtschaftlichen System zu artikulieren…dies steht im Zentrum der Ängste, die den Platz der Revolution erbeben lassen.

Die schlimmsten Teile im neuen Gesetzbuch betreffen den nicht von der PCC kontrollierten Journalismus, weil für diese Presse damit der Zugang zu Geldern, Ressourcen und Fonds internationaler Organisationen noch mehr verteufelt wird. In einem Land, in dem eine Gruppe von Männern öffentliche Mittel nach Gutdünken einsetzt, um ihre ideologischen Propaganda-Medien zu unterstützen, versuchen dieselben Personen den unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften die finanzielle Luft abzuschneiden, die diese zum Überleben brauchen. Nur der PCC soll die Verbreitung von informativen Inhalten erlaubt sein, mit Überwachung und der Schere der Zensur, die bereit ist alles herauszuschneiden, was der Partei nicht nützt.

Das neue Gesetz kann man eher als eine Aktualisierung betrachten, mit Blick auf eine andere Realität, als den Beginn einer beispiellosen Razzia gegen den freien Fluss von Nachrichten.

Trotzdem, die aktuelle Drehung an der Schraube hatte im ‚Knebelgesetz‘ einen Vorläufer: im sogenannten ‚Schwarzen Frühling‘ 2003 gingen deswegen 75 Dissidenten ins Gefängnis; das Gesetz wurde nie außer Kraft gesetzt. So gesehen kann man das neue Gesetz eher als eine Aktualisierung betrachten, mit Blick auf eine andere Realität, als den Beginn einer beispiellosen Razzia gegen den freien Fluss von Nachrichten. Die wachsende Popularität von informativen Portalen, um die sich unabhängige Journalisten kümmern, hält eine Diktatur in Schach, die seit Jahrzehnten mithilfe Geheimniskrämerei und der absoluten Kontrolle über die Berichterstattung regiert.

Etwas Ähnliches bewirkt im neuen Gesetzbuch der Artikels 12o.1, der jeden bestraft, „der eigenmächtig ein in der Verfassung verankertes Recht oder eine dort gewährte Freiheit für sich in Anspruch nimmt und die konstitutionelle Ordnung in Gefahr bringt“. Da die PCC in der Verfassung als die höchste Macht im Staat und als gesellschaftsführend betrachtet wird, gilt der Versuch, dies zu ändern oder eine Alternative zu etablieren, als ein schweres Vergehen, ein sehr schweres. Ungeachtet dessen, eine ähnliche Zwangsjacke gab es schon mit der volkstümlich so genannten „konstitutionellen Mumifizierung“. Ohne auf die Forderungen nach einem Referendum einzugehen, in dem die Wähler sich für oder gegen den Vorschlag hätten entscheiden können, setzte man das Gesetz 2002 in Kraft.

Schlussendlich, wenn ein Gutteil dessen, was mit dieser Gesetzgebung bestraft wird, schon verboten ist, auf die eine oder andere Weise, mit Dekreten, Vorschriften und Beschlüssen, dann fragt man sich nach den Gründen, warum das neue Gesetz das Veto verstärkt und das Strafmaß erhöht. Alles weist darauf hin, dass es sich um einen Sieg der Ewiggestrigen handelt; wir stehen vor einem Bild mit jenen Brücken, die die Fortschrittsfeindlichsten sprengen, um zu verhindern, dass sich der demokratische Wandel von innen nach außen vollzieht, also bei den gewöhnlichen Leuten seinen Anfang nimmt. Das ist der eigentliche Terror des Castrismus und seiner verzweifelten Versuche, das zu bremsen, was auf jeden Fall kommen wird.

Das neue Strafgesetzbuch ist gedacht dazu uns zu fesseln; das beweist, dass es von einem System konzipiert wurde, das im Misstrauen der Gesellschaft untergegangen ist und Angst vor der Zukunft hat.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle im spanischen Original publiziert.

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Presse und Verantwortung angesichts der Tragödie

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Die Rauchwolke der Explosion beim Hotel ‚Saratoga‘ konnte man vom Platz der Revolution aus sehen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 7.Mai 2022

Es klang wie ein Donnerschlag, aber als ich auf dem Balkon Ausschau hielt, war der Himmel wolkenlos. Ich schaute über die Stadt und sah einen Berg aus Rauch, der sich über den Bereich Alt-Havanna erhob. Instinktiv schaute ich auf die Uhr, es war am Morgen, 10:53 Uhr, Freitag der 6.Mai. Wir wussten nicht was geschehen war, aber es war ernst. In der Redaktion von 14ymedio verfassten wir in aller Eile eine Pressenotiz, die der Welt mitteilte, dass Havanna von einer Explosion erschüttert wurde; zunächst glaubten wir, dass der Bereich der Bucht davon betroffen wäre.

Wenig später erreichten uns die ersten Bilder, unsere Reporter näherten sich dem Ort und das Ereignis nahm Form an: Das Hotel ‚Saratoga‘ war eingehüllt von einer Staubwolke und die nähere Umgebung bedeckt mit Schutt. Die Leute machten Fotos mit ihren Mobiltelefonen; sie waren in der Nähe des Bauwerks und berichteten, dass von dem, was bis vor kurzem noch ein architektonisches Schmuckstück der Stadt war, nur eine große Ruine aus Eisenteilen und Steinen übrig geblieben war. Fast eine Stunde lang hat die offizielle Presse nicht reagiert.

Die Journalisten der Stadt und die unabhängigen Medien gingen sehr verantwortungsvoll mit diesen langen Minuten um. Trotz der Gerüchte, die in den Straßen zirkulierten und eine Bombe oder Sabotage mutmaßten, bewahrten meine professionellen Kollegen die Ruhe und versuchten, jeden publizierten Hinweis zu überprüfen. Das war schwierig, denn als die offiziellen Zeitungen begannen von dem Vorfall zu berichten, vermischten sie oft Tatsachen mit Spekulation und Wahrheiten mit Lüge. Die schlimmsten Falschmeldungen gingen zu Lasten der Titelseiten, die von der Kommunistischen Partei kontrolliert worden waren.

Die Journalisten der Stadt und die unabhängigen Medien gingen sehr verantwortungsvoll mit diesen langen Minuten um.

Die Berichterstattung im Fernsehen war katastrophal. Die schlecht vorbereiteten Sprecher improvisierten, verwechselten das Hotel ‚Saratoga‘ mit dem Kapitol und erklärten jemand für tot, weil sie nur auf ihre Bildschirme starrten und sahen, wie ein Körper auf einer Bahre herausgetragen wurde, als ob sie Ärzte wären und entscheiden könnten, wer lebt und wer nicht. Die überall waltende Ideologie versuchte, die menschliche Solidarität für sich in Anspruch zu nehmen, indem sie die Hilfe, die Anwesende für die am meisten Betroffenen leisteten, als parteiisch motiviert bezeichnete.

Dazu kam noch, dass Miguel Díaz-Canel nicht auf die Gelegenheit verzichtete, sich vor den Mikrofonen mit den unabhängigen Medien anzulegen, die er beschuldigte, Gerüchte in die Welt zu setzen und Lügen über das Geschehen zu verbreiten. Anstatt angesichts der Tragödie an Eintracht und Solidarität zu appellieren, zog er es vor, diesen schmerzlichen Moment für seinen alten Kampf gegen ‚Abtrünnige‘ zu nutzen. Der mittelmäßige Mann, der er ist, zeigte wieder einmal, dass ihm jedwede Größe eines Staatsmanns fehlt.

Ohne unsere Arbeit und die von vielen Bürgern, die vor Ort informierten, hätte es viel länger gedauert, bis die Nachricht bekannt geworden wäre, und die solidarische Hilfe hätte sich um eine Zeitspanne verzögert, die entscheidend für die Opfer war. Die Presse zu beschuldigen, ist mitten in einer Tragödie ein hässlicher Akt von Parteipolitik, und der Versuch, Emotionen zu benutzen, um Journalisten herabzuwürdigen.

Der mittelmäßige Mann, der er ist, zeigte wieder einmal, dass ihm jedwede Größe eines Staatsmanns fehlt.

An diesem Freitagvormittag erreichte uns eine Nachricht, die uns erschütterte und uns zwang 24 Stunden ununterbrochen zu arbeiten. Keine Frage, auch wir hätten es vorgezogen, wenn die Nachricht froh und verheißungsvoll gewesen wäre. Aber angesichts einer Katastrophe bestimmen Transparenz, Professionalität und Respekt im Umgang mit Leidenden unsere Informationspolitik, ohne dass wir uns einbilden, ein Vorrecht darauf zu haben.

Machen Sie keinen Fehler, Díaz-Canel, in den ersten Stunden dieses bedauernswerten Ereignisses, war die unabhängige Presse unverzichtbar. Ohne es zuzugeben lest ihr uns, kopiert uns, und übernehmt sogar ganze Sätze aus unseren Artikeln. Während ihr uns von oben bis unten beleidigt, in euren klimatisierten Büros ergänzt ihr Berichte über das Drama mit vielen Details, die wir zusammengetragen haben.

Unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl soll denen gehören, die einen geliebten Menschen verloren haben, auch denen, die einen Angehörigen haben, der jetzt in einem Hospital um sein Leben kämpft, oder dem, der noch unter den Trümmern eingeschlossen ist. Ihr sollt wissen, dass wir unseren informativen Auftrag nicht eher für beendet erklären werden, bis wir alle Details zu diesem Geschehen publiziert haben; wir bestehen auf einer transparenten Untersuchung ohne politische Manipulationen. Wir werden immer auf Seiten der Opfer sein.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Für das blaue Vögelchen beginnt eine neue Epoche; Flug oder Fall?

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Das Logo von Twitter; Archivbild. (EFE/EPA/JUSTIN LANE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.April 2022

Wird es höher fliegen oder abstürzen? Diese Frage über die Zukunft von Twitter beschäftigt uns seit einiger Zeit, aber nach der Mitteilung von Elon Musk, dass er das soziale Netzwerk für etwa 44 Milliarden Dollar gekauft hat, hat die Frage an Bedeutung gewonnen. Es handelt sich nicht nur um einen virtuellen Raum für Prominente und Politiker; das Netzwerk ist auch ein Sprachrohr und ein Schutzschild für viele Tausend Aktivisten und Journalisten, weltweit.

Seit 14 Jahren habe ich ein Konto bei dem blauen Vögelchen; ich eröffnete es im Sommer 2008, als der mittlerweile legendäre Tweet von Jack Dorsey, in dem er schrieb „Just setting up my twttr“, als der erste Zweig für ein Nest gewürdigt wurde, das uns alle aufnehmen konnte. Seit damals, zunächst mit 140 Zeichen und heute mit den aktuellen 280, hat mich sein Zwitschern vor manchem Schrecken bewahrt, und hat mir geholfen, von meinem Land zu berichten.

Als die offizielle kubanische Presse zum ersten Mal Twitter erwähnte, erklärte sie den Kurznachrichtendienst als eine von der CIA, dem Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, kreierte Technologie. Wie bei jedem neuen Phänomen eröffneten die Propagandisten des Castrismus das Feuer auf etwas, was sie zwar nicht verstanden, aber für kurzlebig hielten. Ihre Ablehnung von Twitter einerseits, und, auf der anderen Seite, die Notwendigkeit eines Tools für Aktivisten und unabhängige Journalisten, um unmittelbar publizieren können,…beides war kennzeichnend für den Flug des Vögelchens über diese Insel.

Twitter hat ein rebellisches und aufsässiges Naturell, von dem Tag an, als die Kubaner begannen die Plattform zu nutzen. Als der Platz der Revolution ihre wahre Bedeutung erkannte, hatten oppositionelle Gruppen, alternative Medien und eher kritische Bürger schon Monate oder Jahre Tweets verbreitet. Dann landete auch die Kommunistische Partei Kubas in dem Netz, das sie bis vor kurzem abgelehnt hatte.

Wie bei jedem neuen Phänomen eröffneten die Propagandisten des Castrismus das Feuer auf etwas, was sie zwar nicht verstanden, aber für kurzlebig hielten.

Die Ankunft von regierungstreuen Anhängern im Netz war markiert von förmlich wiederholten Losungen mit null Spontanität, der Schaffung von „bots“, die sich der Drangsalierung von Dissidenten widmeten, und der Bereitstellung einer ganzen Armee von Cyber-Polizisten, die den überwachten, der mit Kritik an der Regierung übertrieb. Solche Praktiken blieben bei dem „Riesen in San Francisco“ nicht unbemerkt; der häufig mit der Sperrung von Accounts zweifelhaften Ursprungs antwortete, sowie mit Verwarnungen aufgrund von offiziellen Bedrohungen wehrloser Bürger.

Die Geschichte, die ich gerade erzähle, wiederholt sich in fast allen Ländern mit autoritären Regimen, mit extremen Beispielen wie das von China, wo Twitter kaum „piep“ sagen kann, wegen der dort herrschenden eisernen Zensur. Andererseits sind manche Diktaturen von ihrer anfänglichen Ablehnung dazu übergegangen, den Dienst zum Zweck der Propaganda und Einschüchterung zu nutzen. Im Zusammenhang mit dem Besitzerwechsel im Unternehmen, bleibt die große Frage, ob es für tyrannische Staatsmodelle einfacher wird, ihr Ziel zu erreichen, oder ob sie, im anderen Fall, mit ihren schmutzigen digitalen Tricks nicht mehr weitermachen können.

Der reichste Mann der Welt steht vor einer Herausforderung. Er hat versprochen aus Twitter einen Raum für die Meinungsfreiheit zu machen, „besser als je“, aber er hat auch eine virtuelle Welt erworben, in der es mehr als 300 Millionen Identitäten gibt, viele davon real, ein Gutteil mit unsicherer Herkunft oder ersichtlich fiktiv. Jenseits von Prominenten, Multimillionären und Präsidenten − der Zweifel, der bei uns Nutzern als die verletzlichste Gruppe aufkeimt, ist, ob das blaue Vögelchen unsere Stimme weiterhin in „Höhen“ tragen wird, wo ein kurzer Tweet einen Staatsstreich aufhalten, die Riegel einer Gefängniszelle öffnen, oder einen Gnadenschuss verhindern kann.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Diese Kolumne wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika“ publiziert.

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Das Team von 14ymedio setzt sich für einen seriösen Journalismus ein, der die Realität Kubas in all seinen Facetten widerspiegelt. Danke, dass du uns auf diesem langen Weg begleitest. Wir laden dich hier ein, uns weiterhin zu unterstützen, werde Mitglied unserer Zeitung. Gemeinsam können wir erreichen, den Journalismus auf Kuba zu verändern.

Die Staatssicherheit glaubt, dass sie die Presse mit plumpen Fußtritten mundtot machen kann

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Wir handeln hier nicht mit Bargeld, sondern mit Geschichten, Nachrichten und alltäglichen Dramen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 26. April 2022

Die „ruhelosen Burschen“ der politischen Polizei wissen nicht mehr, was sie erfinden sollen, um unsere journalistische Arbeit zu boykottieren. Heute kamen sie auf die Idee (und nicht zum ersten Mal), meine Mobiltelefonnummer und die meines Mannes in Kleinanzeigen auf mehreren Webseiten bekannt zu machen, zusammen mit dem falschen Hinweis, dass man unter diesen Nummern Dollars, Euros und andere Devisen kaufen kann.

Seitdem klingelt mein Telefon ununterbrochen, jeder eingehende Anruf kappt die Verbindung ins Internet und unterbricht meine Arbeit im Verlag; sogar Interviews  und Zeugenaussagen, die ich für meine Serie Die Mütter des 11.Juli sammle (#madresdel11j), bleiben bei dem Dauerklingeln von verzweifelten Anrufern auf der Strecke, die jeden Cent in Fremdwährung suchen, um dieser Insel entkommen zu können (#islaenfuga).

Das hier ist nur ein „Kinderspiel“ im Vergleich zu dem, was wir seit fast zwei Jahrzehnten bei unserer informativen Arbeit erleben mussten.

Wenn die Agenten der Staatssicherheit glauben, dass sie mit diesen groben Aktionen die Presse knebeln…dann verstehen sie nichts. Das hier ist nur ein „Kinderspiel“ im Vergleich zu dem, was wir seit fast zwei Jahrzehnten bei unserer informativen Arbeit erleben mussten. Ja, ich bedauere all jene, die mich unter der achtstelligen Nummer meines Mobiltelefons anrufen und damit hoffen, Banknoten zu bekommen, um in den infamen Geschäften einkaufen zu können, die nur konvertible Währungen akzeptieren, oder um ein Ticket zu kaufen, das sie an einen anderen Punkt der Weltgeographie bringt.

Sie alle tun mir leid, aber nein. Dieses Telefon ist nicht das einer öffentlichen Wechselstube, sondern das einer Zeitungsredaktion. Wir handeln hier nicht mit Bargeld, sondern mit Geschichten, Nachrichten und alltäglichen Dramen. Was von Wert ist wird hier nicht auf ein Stück Papier reduziert; es ist vielmehr unsere Fähigkeit, die wir als Team haben, über das wahre Kuba zu berichten.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die „café con leche“-Kubanologen

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In der vergangenen Woche haben die Spanierin Ana Hurtado und der Mexikaner Jerómino Zarco Kuba besucht, auf Einladung des Regimes.(Twitter/@Ana_Hurtado86)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.März 2022

Man entdeckt sie, wenn sie reden. Kaum, dass sie aus dem Flugzeug gestiegen sind, fangen sie an Sätze von sich zu geben, wie: „Sie wissen nicht, was Sie hier haben“, „das Leben dort draußen ist viel härter“ oder „mit dieser Sonne, was wollen Sie mehr“. Während sie solche Sachen sagen, machen sie an touristisch stark abgenutzten Orten einige Fotos, trinken einen Mojito auf das Wohl eines Guerillero und stellen ein paar Fotos ins Netz, mit dem blauen Meer als Hintergrund.

Die „café con leche“-Kubanologen kommen, um uns unser Land zu erklären und uns zu überzeugen, dass wir hier das akzeptieren sollten, was sie nicht ertragen würden, geschähe es denn in ihrem Land. Mit ausländischem Akzent und akademischen Titeln, die niemand nachprüfen kann, erklimmen sie den Gipfel ihres Ego und sprechen mit uns, als ob wir kleine Ameisen wären, die nicht einsehen wollen, wie nötig es ist Opfer für ein höheres Ganzes zu bringen. Sie sagen uns ins Gesicht, dass uns diese Opfer möglicherweise schwerfallen würden, wobei sie auf eine Landkarte zeigen und sagen, dass diese Insel die Heimat von „Utopia“ geworden wäre.

Wenn aber eine abgemagerte Frau sie um etwas zu essen bittet, auf der Terrasse eines Luxus-Restaurants in Alt-Havanna, dann versichern sie ihr, dass Gluten sehr schlecht für die Gesundheit sei, und es besser wäre kein rotes Fleisch zu essen, während vor ihnen das T-Bone Steak über den Tellerrand reicht, mit Baguette frisch aus dem Backofen. Es sind dieselben, die die Demonstranten des 11.Juli beschuldigen Vandalen und Kriminelle zu sein, obwohl sie in ihren Städten dazu aufhetzen Polizeiautos in Brand zu setzen, und sie in ihrem Leben mehr Pflastersteine geworfen als Blumen überreicht haben.

Die besagten Kubanologen fragen uns, warum wir uns über Stromsperren beklagen, wo doch Stromausfälle dazu beitragen, das Leben unseres Planeten zu verlängern.

Die besagten Kubanologen fragen uns, warum wir uns über Stromsperren beklagen, wo doch Stromausfälle dazu beitragen, das Leben unseres Planeten zu verlängern. Sie regen sich darüber auf, dass wir auf einer Versorgung mit Trinkwasser bestehen, wo wir doch mit der hohlen Hand Wasser aus einem Fluss schöpfen und es trinken könnten. Sie wissen nicht, dass die meisten Flüsse in diesem Land kontaminiert oder ausgetrocknet sind. Sie werfen uns an den Kopf, dass wir Nörgler wären, weil wir Schuhe für unsere Kinder fordern, wo doch der Kontakt der Füße mit dem Boden so empfehlenswert ist, um Energie zu tanken und die Gesundheit zu erhalten, …und andere „Überzeugungen“ mehr.

Sie lieben die Nähe zur Macht. Sie sind besonders fasziniert, wenn man sie zu einem offiziellen Empfang einlädt, ihnen erlaubt im Audimax der Universität von Havanna zu sprechen, und man ihnen dann eine Auszeichnung ans Revers heftet. Diese sogenannten Experten behandeln uns wie fahrige und aus der Spur geratene Kinder, die nicht das wertschätzen was sie haben, und die eine harte Hand benötigen, eine sehr harte Hand. Es gefällt ihnen, dass die Diktatoren ihnen helfen, das bunte Bild von Kuba als Paradies aufrecht zu erhalten; ein Bild, das sie bei Facebook oder Tik Tok verbreiten.

Nichts ärgert einen solchen Kubanologen mehr, als dass sein Studienobjekt selbst dieses Bild widerlegt. So geschehen an jenem Tag, als die Menschen auf die Straße gingen und „Freiheit“ schrien; oder die wachsende Zahl derer, die bei einer Überquerung der Floridastraße ihr Leben riskieren, um dem System zu entkommen; oder wenn Patienten mit Bildern und Aussagen von Zeugen den um sich greifenden Verfall des staatlichen Gesundheitssystem attestieren. Das löst bei ihnen ein tiefes Unbehagen aus, denn sie haben ihre Dissertation nicht so konzipiert, dass sie mögliche Variable einbezieht; ihre Doktorarbeit ließ nur genau eine unbestreitbare Schlussfolgerung zu.

Die Zahl dieser Kubanologen hat sich verringert, aber sie werden immer pathetischer. Früher einmal waren es Nobelpreisträger, anerkannte Künstler und illustre Professoren. Aber im Laufe der Zeit wurde die Beschäftigung mit Kuba mühsam und unhaltbar; sie „desertierten“ zuhauf, hüllten sich in Schweigen oder lenkten ihr „Talent“ in Richtung anderer Geographien. Aber einige sind geblieben, genauso bedauernswert wie schädlich.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die kubanischen Träger von Roben verstehen nichts von Gerechtigkeit

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Obwohl die Justitia eine Binde vor den Augen hat, muss das Handeln ihrer Fachleute transparent sein.

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 23.März 2022

Die staatlichen kubanischen Juristen sind verärgert, sehr verärgert. Als Folge der Gefängnisstrafen bis zu 30 Jahren für hunderte von Demonstranten  bei den Protesten des 11.Juli, haben sich die Namen der Staatsanwälte und Richter in den sozialen Netzwerken verbreitet. Neben ihren Gesichtern findet man eine Strafanzeige, in der sie beschuldigt werden, dass sie Gerichte missbraucht hätten, um eine Terror-Botschaft auszusenden. Auf diese Anklage hin antworteten die Rechtskundigen mit verschiedenen Drohungen.

Eine Erklärung des Nationalen Juristenverbands mit Sitz in Havanna versichert, dass seine Mitglieder Opfer einer „Verleumdungskampagne“ geworden seien. Der Text warnt jeden, der sich dieser Kritik anschließt oder „auch nur Informationen darüber weitergibt“, dass ihn die volle Härte des Gesetzes treffen werde. Hinzugefügt ist, dass die betroffenen Juristen bereit sind, die Robe und das Podium gegen ein Gewehr und einen Schützengraben auszutauschen. Der Ton des Dokuments erinnert mehr an Kriegsrhetorik, als an die Sprache von Juristen.

Woher kommt diese jähzornige Reaktion? Wenn sie glaubten nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben, wie erklärt sich dann ihr Grimm, dass man ihre Identität bekannt macht? Vielleicht hofften sie, dass die Angehörigen der Verurteilten die Urteile geheim halten und sich damit begnügen würden, ihre im Gefängnis schmachtenden Söhne und Töchter zu sehen? Halten sie sich für so abgehoben vom Volk, dass man ihr Tun nicht einmal mehr infrage stellen darf? Das Kommuniqué der Staatsanwälte und Richter kann man nur verstehen, wenn sie fürchten, dass die Tage des aktuellen politischen Systems gezählt sind. Es ist nur nachvollziehbar, wenn sie ahnen, dass die Möglichkeit, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden, schon hinter der nächsten Straßenecke lauert.

Obwohl man die Justitia als Frau darstellt, deren Augen eine Binde bedeckt, muss das Tun ihrer Fachleute, die das Recht pflegen, transparent sein, denn mit ihrer Unterschrift bestätigen sie ihre Teilnahme an einem rechtmäßigen Verfahren.

Obwohl man die Justitia als Frau darstellt, deren Augen eine Binde bedeckt, muss das Tun ihrer Fachleute, die das Recht pflegen, transparent sein, denn mit ihrer Unterschrift bestätigen sie ihre Teilnahme an einem rechtmäßigen Verfahren. Es handelt sich nicht eine Bande von Gesetzlosen mit Masken, die bei Nacht in einem dunklen Wald mutmaßliche Schuldige exekutieren. Es sind Personen mit einem Hochschulabschluss in einem Fachgebiet, was beinhaltet, dass sie Verantwortung für ihre Entscheidungen und Fehler übernehmen.

Mit der einschüchternden Erklärung des Juristenverbands gerät die nicht unabhängige Justiz weiter in Verruf, weil sie sich dazu hergegeben hat, die Bürger in Angst zu versetzen und ihnen ihr Recht auf Protest zu nehmen.

Die Staatsanwälte und Richter haben mit ihrem Handeln, und jetzt auch mit ihren Worten, klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht auf der Seite von Verfahrensgarantien stehen, sondern auf der Seite der politischen Macht. Sie haben die Gerichte benutzt, um eine Ideologie zu stützen. Sie haben ihre Roben beschmutzt.

Obwohl ihr offizieller Text mit aggressiven Sätzen durchsetzt ist, zwischen den Zeilen liest man ihre Angst. Statt einer Rechtfertigung für ihren Umgang mit dem Recht, ist der Text genau genommen ein Kommuniqué von Leuten, die Furcht vor der Zukunft haben. Jedes Wort, das dort steht, zeigt die wachsende Angst in ihrem Inneren, jedes Mal, wenn sie sich vorstellen, eines Tages selbst vor Gericht zu stehen, vor Geschworenen, die nicht einer Partei sondern dem Gesetz verpflichtet sind.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch veröffentlicht.

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Manche halten ein Plakat, andere verlassen Kuba

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Der Moment, als Marina Ovsyannikova die Nachrichtensendung unterbricht und gegen den Krieg in der Ukraine protestiert. (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 16.März 2022

Sie heißt Marina Ovsyannikova, und bis vor wenigen Tagen war sie Redakteurin bei Kanal 1 des russischen Staatsfernsehens. Aber nachdem sie den Mut hatte, bei einer Live-Nachrichtensendung mit einem Plakat gegen den Krieg in der Ukraine aufzutreten, wurde ihr Name zu einem Synonym für professionelle Standhaftigkeit und Kühnheit, und außerdem zu einem Symbol, das vielen in autoritär regierten Ländern eine Lehre sein sollte.

An dem Tag, an dem Ovsyannikova ihr Plakat zeigte, waren die sozialen Netzwerke in Kuba mit der x-ten Debatte über einen offiziellen Journalisten beschäftigt, der sich aus dem Staub gemacht hatte und in dem Land um Asyl nachsuchte, das bis vor kurzem noch im Mittelpunkt seiner Attacken stand. Wie bei jeder Polemik dieser Art, manche beschuldigen den Reporter ein Opportunist zu sein, andere appellieren an Mitgefühl, seine Flucht zu akzeptieren, und die meisten betrachten sein Verlassen des Landes als eine neue „Wasserscheide“, die Kubaner voneinander trennt.

Eine Frau, allein auf sich gestellt, mit einem von Hand beschriebenen Plakat, erschütterte die Polemik, die uns strapazierte.

Eine Frau, allein auf sich gestellt, mit einem von Hand beschriebenen Plakat, erschütterte die Polemik, die uns strapazierte. Ovsyannikova erreichte, dass die Argumente der beiden Seiten belanglos wurden. „Stoppt den Krieg, glaubt nicht der Propaganda“, stand auf dem Plakat, das sie hinter der Nachrichtensprecherin in die Kamera hielt. Ihre Geste verdient nicht nur großen Respekt; sie riskierte mit ihrer Verwegenheit vor Gericht zu enden, mit der Verurteilung zu einer langjährigen Gefängnisstrafe, wenngleich es bis jetzt bei einem Arrest und einer Geldstrafe blieb.

Ohne Absicht und ohne diese Insel im Hinterkopf zu haben, hat die junge Frau auch zu uns Kubaner gesprochen. Sie sagte zu jenen, die alle Personen ablehnen, die bei staatlichen Medien arbeiteten: eines Tages wird irgendein Angestellter in dieser Propaganda-Maschinerie eine Aufgabe übernehmen, und er wird viel mehr Zuhörer erreichen als ein Aktivist, der an einer Straßenecke schreit.

Die anderen, die zu Nachsicht im Umgang mit offiziellen Journalisten aufrufen, die bis gestern Oppositionelle diffamierten und heute froh sind, dass sie auf „freien Boden“ gekommen sind …diese anderen hat die junge Russin daran erinnert, dass man immer etwas tun kann. Jede Gelegenheit vor einem Mikrophon, jede Möglichkeit live zu sprechen und dabei die Diktatur nicht zu denunzieren, ist eine verpasste Gelegenheit. Es ist Zeit, die man dem autoritären System schenkt, das in dieser Hemisphäre am längsten an der Macht ist.

Ovsyannikova hat uns den Spiegel vorgehalten. Nicht alle, die für das staatliche Fernsehen arbeiten, sind mittelmäßige „Lautsprecher“ von Losungen; oft reicht der Spruch, dass „man nichts machen kann, weil alles kontrolliert wird“, um die bürgerliche Verantwortung hintan zu stellen. Wir müssen darüber wachen, dass diese Frau nicht im Gefängnis endet, nicht mit einer geheimnisvollen Substanz vergiftet oder ins Exil getrieben wird. Wir müssen aber auch dazu aufrufen, dass jeder Kubaner jede sich bietende Gelegenheit nutzt, um diesen Horror von uns abzuschütteln.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Wir brauchen keine guten Ratschläge, sondern Freiheit, um Nahrungsmittel zu erzeugen

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Warum gibt mir der Weißkohl, den ich in einer alten Blechdose auf meinem Balkon ausgesät habe, mehr Hoffnung, als die kurzlebigen Pläne der Acopio? (Yoani Sánchez)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 11.März 2022

Zu uns nach Kuba kommen „Experten“, wie der brasilianische Dominikaner Frei Betto, und sie sagen uns was wir tun sollten, um die Souveränität auf dem Lebensmittelsektor zu garantieren…aber wir wissen das schon. Wir wissen es seit Jahrhunderten, seit die frühen Bewohner dieser Insel „casabe“ herstellten, Brot aus dem Mehl der Maniokwurzel; und seit meine Großeltern übriggebliebene große Maiskörner für ihre „tayuyos“ verwendeten, das sind Taschen aus Hüllblättern von Maiskolben, gefüllt mit allerlei Zutaten; und seit wir unseren kleinen Kindern „chícharo“ zu essen geben, einen pürierten Erbsenbrei, damit sie wegen ihrer dünnen Beine und der geringen Körpergröße wachsen sollen…das alles wissen wir schon.

Man nennt es „Freiheit“ und ist die wichtigste „Zutat“ für jedes Gericht, jede landwirtschaftlichen Produktion, jede Ernte.

Es ist nur Weißkohl, und wir sind nur Menschen, die einen Krautkopf ernten, der weiß, dass die Erde uns viel mehr geben könnte.

Warum gibt mir der Weißkohl, den ich in einer alten Blechbüchse auf meinem Balkon ausgesät habe, wenige Meter entfernt vom Landwirtschaftsministerium, mehr Hoffnung, als die kurzlebigen Pläne des staatlichen Unternehmens Acopio? Weil dieser Kohlkopf in Freiheit wächst; weil er nicht antwortet, wenn man ihn fragt; und weil er den offiziellen Statistiken nicht gefallen muss, die irgendein Führer von einer Tribüne herab verkündet und sich damit brüstet.

Es ist nur Weißkohl, und wir sind nur Menschen, die einen Krautkopf ernten, der weiß, dass die Erde uns viel mehr geben könnte, der aber nicht auf Ideologien und Verstaatlichung reagiert und nichts von Parteien versteht. Hungernde Münder brauchen mehr Kohl, so wie er eben ist.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Invasion in die Ukraine diskreditiert die offizielle kubanische Presse

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Wer jetzt bei diesen grotesken Versionen bleibt, tut dies, weil er den informativen Brei mag und nicht nachforschen will. (Collage)

Die Überschriften im Bild: „Der Westen stellt sich in eine Reihe gegen Russland, das bei der Entmilitarisierung der Ukraine vorankommt“ / „Kiew verzögert Verhandlungen, während es Waffen aufstellt, warnt Russland“

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 26.Februar 2022

In diesen Tagen stellen die offiziellen kubanischen Medien ihren Charakter zur Schau, den von politischen Propagandisten, ohne die geringsten Mindestanforderungen für journalistische Information zu respektieren. Nebenbei zeigen sie dem Kreml ihre Unterwürfigkeit, wenn sie als „Entmilitarisierung“ das bezeichnen, was in Wirklichkeit eine grausame Invasion in ein anderes Landes ist, und außerdem ist die Regierung von Wolodymyr Selenskyj schuld am Einmarsch der russischen Truppen.

Zum Glück haben wir unabhängige Medien und den Zugang ins Internet, trotz der exorbitanten Preise und der vielen blockierten Seiten, an denen letzteres krankt. Hinzufügen muss man noch unser langes Training, alles zu suchen, was zensiert oder verboten ist, oder was in solchen Fällen geeignet ist, die Nachrichten zu vervollständigen, die die zwei offiziellen Zeitungen, die pathetische Granma und die toxische Cubadebate, nach Gutdünken manipulieren.

Glücklicherweise, aber vor allem weil wir die Mauer der Informationskontrolle überwunden haben, sind wir nicht mehr das Volk, das die vielen Lügen glaubt.

Glücklicherweise, aber vor allem weil wir die Mauer der Informationskontrolle überwunden haben, sind wir nicht mehr das Volk, das die vielen Lügen glaubt, die von den Medien der Kommunistischen Partei verbreitet werden. Weit liegt die Zeit hinter uns, in der Millionen Kubaner es hinnahmen, dass die Entsendung von Soldaten nach Afrika geschah, um eine „alte historische Schuld“ mit diesem Kontinent zu begleichen; oder dass die letzten Kubaner auf Grenada sich „eingehüllt in die Fahne“ geopfert hätten, …es gab noch mehr Angriffe auf das kubanische Selbstbewusstsein, die der Castrismus im Nachhinein benutzte, um den Schmerz eines Volkes zu manipulieren und die Freiheiten der Bürger noch weiter einzuschränken.

Glücklicherweise sind wir nicht mehr die, denen man die Lektüre einer unabhängigen Zeitung wie Novedades de Moscú (Nachrichten aus Moskau) verbieten kann; nicht mehr die, die man glauben lässt, dass der Nachbar im nächsten Häuserblock ein Agent der Nato war, und man ihn deswegen für lange Jahre ins Gefängnis werfen musste; oder nicht mehr die, denen man versichert, dass Wladimir Putin ein gutmütiger Führer ist, der nur die Sicherheit der Russen schützen will.

Wer jetzt bei diesen grotesken Versionen bleibt, tut dies, weil er den informativen Brei mag, und nicht nachforscht, hinterfragt oder weitergehend sucht. Wer jetzt noch nicht die Bilder von ausgebombten Gebäuden in Kiew gesehen hat, nicht die Bilder von russischen Panzern, die auf ihren Weg alles dem Erdboden gleich machen, und nicht die einer wehrlosen Bevölkerung, mit Kindern und ihren Maskottchen, die in den Schächten der Metro zittern, während oben Raketen heulen, dann tut er dies, weil er solche Bilder nicht sehen will, weil er sich weigert davon Kenntnis zu nehmen, und weil er angesichts der Wahrheit die Augen verschließt und sich die Ohren zuhält.

Wir sind nicht mehr dieselben, sie können uns nicht länger belügen, aber die offizielle Presse hat das noch nicht bemerkt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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„Liebe Genossen“, war es in Nowotscherkassk oder in La Güinera?

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Der Film „Liebe Genossen“ erzählt die Geschichte von Ludmila, einer rigorosen lokalen KP-Funktionärin und Bewunderin von Stalin. (Fotogramm)

YOANI SÁNCHEZ / 14ymedio.com / 13.Februar 2022

Sie ist eine der Aktivistinnen die „zubeißen“, aber eines Tages beteiligt sich ihre Tochter an einer Demonstration und von da an erkennt sie die hässlichen Seiten des Systems: die Unterdrückung, die Verhaftungen und die Verheimlichung der Wahrheit. Seit dem 11.Juli 2021 könnte ihre Geschichte auch die einer kubanischen Mutter sein, aber ihr Name ist Ludmila Siomina, sie lebt in Nowotscherkassk, und die Demonstration, die ihr Leben veränderte, fand im Jahr 1962 statt.

In hartem schwarz-weiß erzählt der Film „Liebe Genossen“ die Geschichte einer strengen lokalen KP-Funktionärin, die Stalin bewundert und nostalgisch nach der harten Hand des Diktators ruft, der nach seinem Tod offiziell in Ungnade fiel. Sie ist streng und extremistisch; aber in dem Maß, wie die zwei Stunden des Films ablaufen, wird die Protagonistin wenigstens teilweise ihren Fanatismus und ihre Standhaftigkeit verlieren.

Bei Ludmila ist der Auslöser für diesen Wandel ein Massaker, das Agenten des KGB in Nowotscherkassk verüben, wo sie im Juni 1962 mit gezielten Schüssen eine Demonstration von Arbeitern auflösen, die in der Fabrik für Elektromotoren arbeiten. Drei Jahrzehnte lang blieb der Vorfall verborgen, unter der Decke von Drohungen, Geheimniskrämerei und Angst.

Ludmila Sionima lebt in Nowotscherkassk, und die Demonstration, die ihr Leben veränderte, fand im Jahr 1962 statt.

Der russische Regisseur Andrej Kontschalowski hat diesen Abschnitt sowjetischer Geschichte ausgewählt, und wir folgen einem Drama, das einer griechischen Tragödie gleicht: eine Mutter sucht ihre Tochter, sogar auf Friedhöfen, und im Verlauf der Nachforschungen zerbricht in ihr der blinde Glaube an ein gesellschaftliches Projekt. Der lange Weg vom Leichenschauhaus ins Hospital und auf den Friedhof erschüttert die radikale Funktionärin und zeigt ihr, wie verfault das Systems ist.

Ludmila, die zunächst die Klagen über steigende Preise für Lebensmittel und fallende Löhne nicht hören will, wird schließlich von der Welle der allgemeinen Unzufriedenheit mitgerissen. An der Umsetzung des wirtschaftlichen Modells wirkt sie mit. Die Produktionspläne werden in den Schlagzeilen der Presse und im Fernsehen übererfüllt, verurteilen aber Familien zu mageren Essensrationen und zwingen sie auf dem Schwarzmarkt einzukaufen.

Der Film von Kontschalowski porträtiert mit Bravour die Funktionäre der mittleren Führungsebene, die zu ihrem Amt gekommen sind, indem sie Befehle von oben befolgten und als Opportunisten die Karriereleiter hoch stiegen. Mit Ausbruch der Krise sind diese Marionetten, die nur wissen wie man Berichte abfasst und Versammlungen abhält, unfähig, auf die Forderungen der Streikenden zu reagieren, oder selbst die Initiative zu ergreifen. Sie wissen nur wie man flieht, und sie fürchten um ihren Hals.

Als Bevollmächtigte aus Moskau eintreffen, beginnt vor den „geliebten Genossen“ der Kampf um Punkte. Nikita Chruschtschow schickte seine Leute, um die Ordnung in der Stadt nahe Rostow wieder herzustellen. Die örtlichen Aktivisten bemühen sich, die Neuankömmlinge zufrieden zu stellen und schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Ludmila nutzt die Gelegenheit und fordert, gegen die Demonstranten mit harter Hand vorzugehen; sie weiß nicht, dass ihre Tochter unter ihnen ist.

Im Verlauf der Treffen setzen die Emissäre des Kremls eine gewaltsame Lösung durch, um die Bevölkerung zum Schweigen zu bringen; dabei zieht der KGB die Fäden. Man entwickelt auch ein Prozedere die Geschichte umzuschreiben, um den Akt der Rebellion gegen die Sowjetmacht auszuradieren. Es fehlt auch nicht das altbekannte Argument, dass alles von der CIA ausgeheckt wurde, oder eine Folge von Aufrufen in ausländischen Radiosendern war.

Gezwungen zu schweigen, unter Androhung von Haft und sogar Tod, beobachten die entsetzten Einwohner von Nowotscherkassk: dass Verhaftungen von Haus zu Haus erfolgen, dass der KGB Hospitäler übernimmt, um Heilung-Suchende zu verhaften, wenn sie denn Schusswunden haben, dass die Stadt abgeriegelt bleibt, bis alle Spuren des Massakers beseitigt sind. Die Maskerade hält bis 1992, bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion, als einige Opfer beginnen von dem Ereignis zu berichten.

Will man sich der Geschichte von Ludmila aus kubanischen Sicht nähern, dann muss man nach dem 11.Juli Parallelen finden, abgesehen von Unterschieden.

In einer schockierenden Filmszene wird der Platz, auf den Dutzende von Menschen zu Tode kamen, neu asphaltiert, weil das Blut sich wegen der Wärme mit dem Untergrund verband. Auf die neue Fläche stellt man ein Podium mit Musikern und tanzenden Paaren, die man aus anderen Dörfern holt, um Normalität und Lebensfreude zu zeigen. Der Terror wird mit einem Spektakel, Licht und falschem Lachen geschminkt.

***

Will man sich der Geschichte von Ludmila aus kubanischen Sicht nähern, dann muss man nach dem 11.Juli Parallelen finden, abgesehen von Unterschieden. Die rigorose russische Parteigenossin könnte auch in La Güinera leben und Mutter einer der jungen Frauen sein, die verhaftet und vor Gericht gestellt wurden, weil sie auf die Straße gingen und den demokratischen Wandel auf dieser Insel forderten. Wie Ludmila musste auch sie in Polizeistationen, Hospitälern und sogar in Leichenschauhäusern vorstellig werden, auf der Suche nach ihrer Tochter.

Nennen wir sie Yamila; der rote Ausweis, den sie früher voller Stolz bei sich hatte, drückt sie jetzt in dem kleinen Täschchen. Im inneren Kreis der PCC, der Kommunistischen Partei Kubas, schaut man sie jetzt von der Seite an, weil sie keine echte Revolutionärin großgezogen hat, und sie erhält Besuche von Agenten der Staatspolizei, die ihr sagen, dass sie den Mund halten sollte, weil „jede Mitteilung in sozialen Netzen“ schlecht für ihre Tochter wäre.

Yamila hat noch nie einen Gerichtssaal betreten, aber bis vor kurzem schwor sie Stein und Bein, dass die Anwälte verteidigen, die Richter Gerechtigkeit walten lassen und die Verurteilten Garantien haben. Nach einigen Tagen mit Anhörungen gelingt es ihr nicht mehr, diese Überzeugung gegenüber wem auch immer zu vertreten; nach den Berichten, die ihr ihre Tochter aus dem Gefängnis übermittelt, ist sie aus ihren Träumen von Umerziehung, Würde und Schutz in kubanischen Gefängnissen aufgewacht.

Einige Tage später, nachdem sich der Boden in La Güinera rot gefärbt hatte, mit dem Blut eines getöteten Demonstranten und dem aus den Wunden von so vielen anderen, kamen Männer einer Brigade und übermalten einige Fassaden, mit Kalk reinigten sie die Abflussrinne des Gehsteigs und stellten ein paar Lautsprecher auf, aus denen patriotische Lieder ertönten. Yamila betrachtete das vom Fenster ihres Hauses aus, mit denselben Augen, wie es Ludmilla vor 60 Jahren tat.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Das Gefängnis für politische Häftlinge, von Pepe bis Luisma

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Zwischen José Martí und Luis Manuel Otero Alcántara liegt mehr als ein Jahrhundert, aber ihre Geschichten ähneln sich sehr. (Collage)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 28.Januar 2022

#DiarioParaLuisma día 70

„Luisma“ ist der kubanische Performancekünstler Luis Manuel Otero Alcántara; „Pepe“ der kubanische Nationalheld José Martí. Es ist der 28.Januar und die jeweiligen Umstände sind so verworren, dass ich sie mir beide vereint und überzeugt vorstellen will. In meinem Kopf tauchen Bilder auf und verschwinden wieder; ich versuche, sie in schriftlicher Form für diese Zeitung festzuhalten, während ich Nachrichten von Freunden höre, die das Land verlassen, und von Räumen, die sich für uns in Kuba verschließen.

Er ist 17 oder auch 34 Jahre alt. Die Fußfesseln haben auf seinen Knöcheln Spuren hinterlassen, die ein Leben lang bleiben werden. Seine Telefonanrufe aus dem Gefängnis werden immer häufiger getrennt. Er wurde in San Isidro geboren, einem Stadtviertel von Havanna, hat eine breite Stirn und einen Schnauzbart. Es ist die Damas-Straße, könnte aber auch die Paula-Straße sein.

„Der Schmerz im Gefängnis zu sein ist brutal und zerstört dich“, schreibt er. Als er diese Worte kritzelt, ist er voller Hoffnung. Wie kann ein junger Mann diese Illusion aufrecht erhalten, wenn man ihn dazu zwingt, in den Steinbrüchen von Havanna Steine zu brechen? Vielleicht glaubt er, dass es in einem Kuba der Zukunft, für das er sich opfert, keine jungen Leute mehr geben wird, die im Gefängnis sind, weil sie Freiheit verlangten. Er irrt sich.

Sie nennen ihn Pepe. Wenn er jemanden kennengelernt hätte mit Namen Luis Manuel Otero Alcántara, vielleicht hätte er kurz innegehalten um zu erfahren, wer die sind, die solche Namen tragen, die wie Hammerschläge gegen eine Tür klingen. Aktion ist nicht seine Sache; aber in seinem kurzen Leben von nur 42 Jahren hat er Spuren hinterlassen, die sich tiefer eingegraben haben, als die von manchen „Kriegern“ mit gerunzelter Stirn. Seine Sache ist das Wort.

Seit Pepe ist mehr als ein Jahrhundert vergangen, seit Luisma einige Jahrzehnte. Es ist Freitag, der 28.Januar, ihre beiden Geschichten verflechten sich noch einmal.

Man hört Schläge auf einen alten Gaszylinder, es ist die Alarmglocke; die Gefangenen sollen aufwachen. In den frühen Morgenstunden träumte er, er würde eine leidenschaftliche Rede in Tampa halten und später in Havanna einen Knüppel gegen das Schaufenster eines sehr teuren Ladens werfen. Er kam zu der Überzeugung einen Hungerstreik zu beginnen, und hörte wenig später das Gelächter jener, die ihn hinter seinem Rücken den „Spinnen-Kapitän“ nannten.

Er versteht nicht, warum diese Bilder in seinem Kopf auftauchen; in einem seiner Tagträume sieht er sich, wie er für ein Foto posiert und dabei den zerschlissenen Ellenbogen seiner Jacke verbirgt. Er ist mager und stark; er ist Weißer, Mulatte, Kreole und alles andere. Schimpfwörter mag er nicht, wenn er aber solche verwendet, werden daraus Lieder. Was er jetzt am liebsten tun möchte, ist, wieder durch seine Stadt laufen, ohne Überwachung, durch die Stadt, in der er geboren wurde.

Er wacht auf, die Traumbilder verblassen im aufgeregten Schreien der Gefängniswärter. Man hört das Jammern von Lino Figueredo, fast leblos, infolge von Härten der Gefängnisordnung, und auch das Klagen von Yunieski, einem jungen Mann aus Romerillo, der nicht weiß, warum er hinter Gitter gekommen ist. Er hilft beiden beim Aufstehen; jetzt beginnt der schlimmste Teil des Tages im Gefängnis: wach zu sein.

Seit Pepe ist mehr als ein Jahrhundert vergangen, seit Luisma einige Jahrzehnte. Es ist Freitag, der 28.Januar; ihre beiden Geschichten verflechten sich noch einmal. „Ich werde euch weder hassen noch verfluchen“, erklären sie, und obwohl sie darauf setzen weiterzuleben, sollte es „ein Leben in Würde sein“. „Wenn ich jemanden hassen würde, würde ich mich selbst dafür hassen“, ergänzen sie. „Entweder seid ihr Barbaren, oder ihr wisst nicht, was ihr tut“, fügen sie noch hinzu.

Ganz sicher, es sind Barbaren. Die höchst mittelmäßige Staatsmacht in Kuba, die sie eingesperrt hat, besteht leider aus Barbaren.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der Kalender trifft uns wieder mit dem 28.Januar

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Ein Einsatzkommando vor den Türen des Gerichts in Santa Clara, wo die Verhandlungen gegen die Demonstranten des 11.Juli stattfinden. (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 24.Januar 2022

In den letzten Jahren sind dem 28.Januar, dem Geburtsdatum des Nationalhelden José Martí, tragische Ereignisse vorausgegangen. Am 27.Januar 2020 starben beim Einsturz eines Hauses drei Mädchen, und genau ein Jahr vorher fegte ein Tornado über Havanna hinweg. Am 28.Januar wurde Martí vor 169 Jahren geboren; in diesem Jahr geht an seinem Gedenktag eine Woche mit Urteilen gegen Demonstranten des 11.Juli zu Ende.

Die Verfahren, in denen man die aburteilt, die an jenem Tag protestierten, waren gekennzeichnet von Ungerechtigkeit und dem Versuch des Regimes, eine exemplarische Botschaft auszusenden. Die hohen Gefängnisstrafen, die die Staatsanwaltschaft für viele der Angeklagten fordert, zusammen mit den zu erwartenden Urteilen, lassen Schlimmes ahnen. Diese Zeiten hinter Gittern bedeutet für viele Angeklagte mehr Jahre im Gefängnis zu verbringen, als sie bisher schon gelebt haben.

Außerdem werden Familien zerstört, wenn sie einen Sohn oder eine Tochter im Gefängnis haben, und die Furcht vieler Kubaner, in eine ähnliche Situation zu geraten, spornt sie an, das Land so schnell wie möglich zu verlassen.

So viel Maßlosigkeit, um einen Akt von Bürgerprotest zu bestrafen, hinterlässt eine traurige Bilanz. Außerdem werden Familien zerstört, wenn sie einen Sohn oder eine Tochter im Gefängnis haben; und die Furcht vieler Kubaner, in eine ähnliche Situation zu geraten, spornt sie an, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Unter denen die weggehen sind nicht nur die, die an den besagten Demonstrationen teilnahmen, sondern vor allem die, die potentiell den nächsten sozialen Aufstand in die Wege leiten könnten.

Der Abschreckungseffekt geht einher mit Druck auf Angehörige, die die regelwidrigen Gerichtsverfahren anprangern, auch mit Drohungen gerichtet an jene, die in ihren sozialen Netzen die Maßlosigkeit der Staatsanwälte und Richter verbreiten und so eine Kampagne der sozialen Verteufelung von Verhafteten bekannt machen. Unfähig, wie die kubanische Bürokratie ist, hat sie nicht vorausgesehen, dass sich an jenem Sonntag die Straßen mit den Rufen „Freiheit“ füllen würden; jetzt will man diese eindrucksvollen Bilder verblassen lassen, mit den Mitteln Gefängnis und Angst.

Am 28.Januar, an dem José Martí zum ersten Mal weinte, werden fast 40 Urteile gegen Dutzende von Kubanern ergehen, die gleich ihm glaubten, dass Kuba ein freieres Land werden könnte, „zum Guten für alle“. Wegen dieser Haltung legte man dem 16-jährigen Martí eine Fußfessel an und später wurde er zu mehrjähriger Verbannung verurteilt. Eine beunruhigende Parallele zu dem, was sich diese Woche in Kuba ereignet.

Der Kalender setzt uns wieder vor den Spiegel unserer Geschichte. Die jungen Leute bleiben Verurteilte und werden auf dieser Insel ins Exil getrieben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der Kult um Fidel Castro wächst, um die Echos der Proteste in Kuba zu ersticken

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Eingeweiht in la Parra, Cienfuegos, das Monument für Fidel Castro. (Granma)

YOANI SÁNCHEZ / Panamá / 10.Januar 2022

Eine Skulptur in Form einer Hand, die aus dem Boden ragt, ein Ganzkörper-Relief, eine Pilgerfahrt mit seinem Foto und die Neuauflage eines Buchs mit Interviews, all dies gehört zur der neuen Welle des Personenkults um Fidel Castro. In dem Maß, wie sich das Regime mehr und mehr in die Seile gedrängt fühlt, verehrt es das Phantom eines Mannes, den die Kubaner in den letzten fünf Jahren ständig hinterfragt und zunehmend vergessen haben.

„Wer ist das, Mama?, fragte die 5-jährige Tochter eine Freundin, die das nationale Fernsehprogramm kaum einschaltet, die aber aus Versehen die Nachrichten weiter verfolgte, als auf dem Bildschirm das bärtige und gealterte Gesicht von Castro erschien, als er eine Rede zu Beginn des Jahrhunderts hielt. Bei der jungen Generation wächst die Ablehnung und die Gleichgültigkeit gegenüber Castro, und sie vergessen den Mann, der seine Person mit der Staatsidee verschmelzen wollte.

Diese Entfremdung verfolgen die aktuellen Führer mit Sorge. Weil es ihnen selbst an vorzeigbaren Ergebnissen fehlt, bleibt ihnen nur Castro auf eine mystische Ebene zu heben. Der Mann, der die Zerstörung der Altäre voran trieb, der das Tragen von religiösen Gewändern stigmatisierte und die Taufe ablehnte, jetzt wird er von seinen Schmeichlern wie eine Heiligenfigur behandelt, die man vom Altar herunternimmt und bei politischen Prozessionen mitführt.

Dem kubanischen System ist die Ideologie abhanden gekommen, und die Relikte von sozialer Gerechtigkeit haben sich längst in Luft aufgelöst. Die aktuellen Gesichter der Macht besitzen kein Charisma, einige von ihnen haben genau das Gegenteil davon: der mittelmäßige Miguel Dìaz-Canel, der schweigsame Luis Alberto Rodriguez López-Calleja oder der langweilige Bruno Rodríguez. Mit dieser Mannschaft aus grauen Leuten wird man in den Herzen der Menschen kein Feuer entzünden können.

Seine politischen Erben sind jetzt dabei ein Netz von Monumenten schaffen, die nicht nur im Widerspruch zu seinem letzten Willen stehen, sondern auch im Fadenkreuz des öffentlichen Zorns.

Deswegen haben die offiziellen Propagandisten einen Kreuzzug begonnen: er soll die öffentliche Unzufriedenheit zurückdrängen und die Echos der Proteste des 11.Juli ersticken. Dazu weihen sie Monumente ein, die an Fidel Castro erinnern, nennen Orte, die Schuhe von ihm zeigen und wiederholen seinen Namen bei allen öffentlichen Reden. Sie haben ihm sogar die Initiative zugeschrieben, die zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 führte.

Und sie greifen auf das Drehbuch zurück, das ihnen schon einmal taugte.

Trotzdem, es sind andere Zeiten. Castro kann keinen Schrecken mehr verbreiten, ein Umstand, den viele für die wichtigste „Gabe“ seiner Führerschaft hielten. Es waren nicht seine langen Stunden vor dem Mikrophon, in denen er sprach und sich schließlich widersprach; auch nicht seine Körpergröße, viel größer als die mittlere der Kubaner, und auf gar keinen Fall seine vermutete Klugheit − der Mythos entstand, weil er mutig über alles sprach und dabei auf Berater setzte, die ihm umfangreiche Resümees lieferten. Nein, der Einfluss Castros auf Millionen von Menschen beruhte auf Angst.

Die Leute fürchteten, er würde eines Morgens aufwachen und Maßnahmen treffen, um einem bestimmten Markt-Typ den Garaus zu machen; fürchteten, er würde große Landgebiete beschlagnahmen, oder eine Offensive starten, um die letzten Reste des unabhängigen Unternehmertums zu beseitigen. In den Häusern zitterte man, weil ein Satz am falschen Ort den Sohn oder die Mutter ins Gefängnis bringen konnte, wo die „revolutionäre Justiz“ − von Castro mitleidlos durchgesetzt − ihr Leben zerstören würde. Der Schrecken war so groß, dass man zahllose Spitznamen erfand um nicht „Castro“ sagen zu müssen, und in Gesprächen war sogar das Pronomen „Er“ für ihn reserviert, was die Panik reduzierte seine elf Buchstaben aussprechen zu müssen.

Nein, diese Angst kommt mit den Plakaten und Skulpturen nicht zurück, die an ihn erinnern. Die Angst ist Teil der Vergangenheit; der aktuelle „Anfall“ der Regierung hat den Personenkult um Fidel Castro wiederbelebt, löst aber nur Spott und Überdruss aus. Seine politischen Erben sind jetzt dabei ein Netz von Monumenten zu schaffen, die nicht nur im Widerspruch zu seinem letzten Willen stehen, sondern auch schon im Fadenkreuz des öffentlichen Zorns.

Die Menschen freut es, jene von den Altären herunter zu nehmen, die sie für würdig halten, auf Altären zu stehen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Zurück an die Schule und die Rückkehr zur Maske

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Vergangenen November, Schulbeginn an einer Grundschule in Granma. (Facebook)

YOANI SÁNCHEZ / Panamá / 31.Dezember 2021

Der Lehrer von Ana Laura hat ihre Mutter zu einem Gespräch aufgefordert, um sich über das Verhalten der Tochter zu beklagen. Die 14-jährige Jungendliche ist zurückgekommen in ihr Klassenzimmer in Havanna, nachdem sie ein Jahr lang keinen Unterricht hatte, und jetzt spürt sie, dass sie nicht mehr hierher gehört. Sie folgt nicht mehr den Lerninhalten und will im Unterricht auch nicht mehr mitschreiben. „Das betrifft mehr als die Hälfte ihres Jahrgangs“, beklagt sich der Lehrer. Eine Rückkehr an die Schule ist weltweit eine Herausforderung, aber die Situation verschlimmert sich in Kuba, wo Exzesse von ideologischer Indoktrinierung dazu beitragen, dass Schüler die Schule ablehnen.

Zu Beginn des Lockdowns glaubte die Schulbehörde, dass es genügen würde Distanzunterricht zu erteilen: man setze einen Lehrer vor eine Kamera und verteile Hausaufgaben über einen Messenger-Dienst. Aber die Monate ohne Morgenfeiern mit flammenden politischen Losungen haben ihren Tribut gefordert, dies betrifft die Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche von Seiten des kubanischen Regimes. Für lange Zeit mussten Schüler nicht in Klassenräume gehen, wo sich Kreide auf der Wandtafel und Bilder von Parteiführern abwechseln; sie mussten auch nicht an Aktionen der „revolutionären Bestätigung“ teilnehmen, in die man Schüler und Studenten häufig einbezieht.

Nicht überraschend ist, dass die historischen Proteste des 11.Juli stattfanden, als die Schulen für fast mehr als ein Jahr geschlossen hatten. Als ob der Bann seine Wirkung verloren hätte, weil man nicht jeden Tag die entsprechenden Worte wiederholen konnte, die in einen Zustand unterwürfiger Zustimmung versetzen;…jetzt sind die jungen Leute als Bürger aufgewacht. Unter den mehr als tausend Festgenommenen an jenem 11.Juli ist ein Gutteil jünger als 20 Jahre, viele sind kaum älter als 16, das Alter der Volljährigkeit in Kuba.

Diese Kinder und Jugendlichen erneut in eine Form von Indoktrination zu pressen, ist so unmöglich, wie den Schwestern von Aschenputtel den zu kleinen Schuh anzuziehen.

Für jene, die nicht hinter Gittern endeten obwohl sie öffentlich demonstrierten, hat die Rückkehr an die Schule einen bitteren Beigeschmack. In den Klassenzimmern fehlen Mitschüler von ihnen, und sie hören überall Geschichten von Schnellverfahren und Gerichten, wo man Strafen von mehr als zehn Jahren verlangt, wenn jemand das Recht zu protestieren für sich in Anspruch nimmt. Aber auch die, die in die Schule zurückkommen, sind nicht mehr die, deren Unterricht im Frühling 2020 endete, als die Inzidenzrate von Covid-19 anzusteigen begann. Sie haben sich deutlich verändert.

Diese Kinder und Jugendlichen erneut in eine Form von Indoktrination zu pressen, ist so unmöglich, wie den Schwestern von Aschenputtel den zu kleinen Schuh anzuziehen. Sie passen nicht mehr in das ideologische Gefängnis der Schule, obwohl sie im Lockdown mit „Bleibe im Haus“ Prüfungen versäumten, vor Schulbüchern seufzten und sogar Unterrichtsstunden voller mathematischer Formeln und vorfabrizierter Sätze idealisierten. Sie haben genug vom Personalkult, von Losungen mit Brand-Rhetorik und von der Doppelmoral, die all das provoziert.

Während der Lehrer von Ana Laura klagt, dass die Schülerin kein Interesse mehr am Unterricht zeigt, glaubt die Mutter, dass es sich bei der Tochter um eine altersgemäße Rebellion handelt oder um mangelnde Unterrichtspraxis des Lehrers. Und sie geht darüber hinaus: in diesem letzten Jahr habe ihre Tochter gelernt, wie man ohne „eiserne Maske“*) lebt und jetzt wolle sie die nicht mehr tragen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Eine Vermutung des Übersetzers:

Mit der „eisernen Maske“ könnte Y.Sánchez auf das Gerücht anspielen, dass ein Zwillingsbruder von Ludwig XIV. eine eiserne Maske tragen musste, ohne die er zu einer Gefahr für den König geworden wäre.

Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Das Wort des Jahres und die schwierige Aufgabe einen Moment zu benennen

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Auf dem Bild ein Begräbnis in der Provinz Pinar del Río. (Ronald Suárez/Facebook)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 23.Dezember 2021

Die Fundéu, die gemeinnützige Stiftung zur Förderung der spanischen Sprache, hat schon die 12 Kandidaten bekannt gegeben, die sich 2021 um den Titel „Wort des Jahres“ streiten. Die Konkurrenz ist groß, weil das Jahr tiefe Gefühle bei den Millionen Menschen hinterlassen hat, die dieses schöne Idiom sprechen, und weil sich im Verlauf der 12 Monate eine gesellschaftliche Debatte an Wörtern wie wissenschaftliche Erfolge, politische Konflikte und wirtschaftliche Nöte entzündet hat. Die Wahl könnte im spanischen Sprachraum eine Spur von Unzufriedenheit hinterlassen, einen vielstimmigen Chor in den 20 Ländern, in denen Spanisch die offizielle Sprache ist, und auch darüber hinaus.

Impfung, Kryptowährung, Unterversorgung, Variante, Metaversum und Taliban finden sich unten den Begriffen, die sich um die Krone streiten, die die Fundéu seit 2013 vergibt. Trotzdem, obwohl diese Begriffe bei zahllosen Gelegenheiten geschrieben, gesendet und gesprochen wurden, denke ich, dass es der Akt Abschied zu nehmen ist, mental oder physisch, dem wir am Ende dieses schwierigen Jahres den Vorzug geben sollten. Das Wort „adiós“ hat unsere Tage markiert, unseren Lebensweg neu definiert und uns gezwungen, die Prioritäten unserer Existenz neu zu konzipieren.

Wir mussten dieses spitze Wort noch einmal verwenden, als uns klar wurde, dass die Pandemie nicht etwas Vorübergehendes ist, sondern einen neuen Status quo darstellt, mit dem wir noch lange Zeit leben müssen. In diesem Jahr haben wir unaufhörlich „adiós“ gesagt.

Wir sagten „adiós“ zu den vielen tausend Verstorbenen, die uns in der zweiten und dritten Welle verlassen haben, als wir glaubten, dass wir das Schlimmste schon überstanden hätten. Wir haben dieses Wort verwendet, als wir begriffen hatten, dass die Art, wie wir soziale Kontakte, Begegnungen mit anderen Menschen und das Berufsleben erlebt haben, so nicht wiederkommen würde; wir mussten dafür neue Formen schaffen. Dann mussten wir dieses spitze Wort noch einmal verwenden, als uns klar wurde, dass die Pandemie nicht etwas Vorübergehendes ist, sondern einen neuen Status quo darstellt, mit dem wir noch lange Zeit leben müssen. In diesem Jahr haben wir unaufhörlich „adiós“ gesagt.

Aber jedes Mal, wenn wir eine Hand oder unseren Kopf schüttelten, um ein Kapitel abzuschließen oder einem Verstorbenen „auf Wiedersehen“ zu sagen, sagten wir auch „Hallo“ oder „Willkommen“, weil das Jahr 2021 uns jeden Morgen zwang aufzustehen und dankbar zu sein, dass die Lunge noch funktionierte; wir sprangen umher wie kleine Kinder, wenn das Test-Ergebnis negativ war; wir umarmten einander nur mit der Ecke des Ellenbogens, und auch so spürten wir, wie es mit dem ganzen Körper gewesen wäre; wir ließen die Badesachen in der Kommode, weil die Strände gesperrt waren; wir hängten keine Girlanden auf, weil Weihnachten nicht so war um zu feiern. Das brachte uns dazu Überflüssiges zu entsorgen und Wesentliches zu behalten.

Nachdem wir all das überlebt haben, ringen wir uns ein kleines Lächeln ab und erinnern uns daran, dass die Fundéu im Jahr 2014 das Wort „Selfie“ wählte, selbstverliebt und unbekümmert, oder dass 2019 die Entscheidung zugunsten der sympathischen „Emojis“ ausfiel. Die Sprache war damals beladen mit einer heute überholten und überhasteten Sorglosigkeit; wir ahnten damals natürlich nicht, dass eine Pandemie über uns kommen würde.

Am 29.Dezember wird die Stiftung Fundéu, die von der Nachrichtenagentur EFE und der Königlich Spanischen Akademie gefördert wird, das Wort des Jahres bekannt geben; aber viele von uns kennen es schon. Es sind die zwei kurzen Silben, die wir die ganze Zeit wiederholt haben: „adiós“.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Das Team von 14ymedio setzt sich für einen seriösen Journalismus ein, der die Realität Kubas in all seinen Facetten widerspiegelt. Danke, dass du uns auf diesem langen Weg begleitest. Wir laden dich hier ein, uns weiterhin zu unterstützen, werde Mitglied unserer Zeitung. Gemeinsam können wir erreichen, den Journalismus auf Kuba zu verändern.

Der kubanische Kalender hat sich mit Tagen der Menschenrechte gefüllt

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Nach Jahren, in denen dieses Datum alarmierend für den Castrismus war, haben sich die widrigen Tage vermehrt.

Mehrere Polizisten verhaften einen Mann, als er am 11.Juli in Havanna demonstriert. (EFE/Ernesto Mastrascusa)

YOANI SÁNCHEZ / Panamá / 10.Dezember 2021

Am 10.Dezember 1989 fand in einem Park in Lawton eine Schmähaktion gegen Aktivisten statt. Was wurde aus jener Schülerin, die diese Aktion vehement rechtfertigte? Eine Woche lang waren ihre kampferprobten Mitschülerinnen und sie das junge Gesicht der revolutionären Unnachgiebigkeit; sie prahlten sogar damit, eine Kamera der ausländischen Presse zertrümmert zu haben.

Fast ein Vierteljahrhundert später sind vermutlich viele von denen, die damals dabei waren, heute schon emigriert; sie wurden vom System enttäuscht oder überleben dank korrupter Praktiken. Das Regime aber, das sie als Stoßtrupp missbrauchte, bleibt entschlossen sich den Tag der Menschenrechte einzuverleiben. Es erlaubt keine öffentlichen Forderungen von Seiten der Bürgerschaft und vernichtet denjenigen, der es wagt, die Freilassung der politischen Gefangenen offen zu fordern.

Autoritäre Regime wissen, dass sie immer Menschen finden werden, die bereit sind andere zu attackieren, und sie sind geschickt darin niedere menschliche Instinkte für sich zu nutzen. Sicher ist aber auch, dass man bei offiziellen Aufrufen die Abneigung der Kubaner bemerkt, dem „Feind die Stirn zu bieten“. Obwohl es jene gibt, die mit einem Schlagstock in der Hand Fotos machen, und auch jene, die so tun, als ob sie auf einen Kontrahenten schießen würden, obwohl sie nicht einmal wissen, wie man mit einem Gewehr umgeht.  Aber die überwiegende Mehrheit vermeidet es, sich in diese repressive Maschinerie hineinziehen zu lassen.

Wenn vor einigen Jahrzehnten jene Schülerin in obligater Schuluniform im Fernsehen damit prahlte, einen oppositionellen Marsch mit Schreien und Schlägen aufgelöst zu haben, dann könnten heute ihre Kinder zu denen gehören, die betont lässig laufen, wenn man sie von der Schule zu einem „falschen Volksfest“ bringt, in einen Park, in dem kurz vorher dazu aufgerufen wurde, gegen den Mangel an Freiheit zu protestieren. Ihren Enthusiasmus hat die Realität abgekühlt, deren Apathie ist eine Form von Rebellion.

Trotz der geringen Begeisterung der Gefolgsleute, hat die regierungshörige Bürokratie wieder ihre alte Propaganda – und Polizeimaschinerie in Bewegung gesetzt, und zwar am Tag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Trotz der geringen Begeisterung der Gefolgsleute, hat die regierungshörige Bürokratie wieder ihre alte Propaganda – und Polizeimaschinerie in Bewegung gesetzt, und zwar am Tag der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im schon weit zurückliegenden Jahr 1948. Das „Maßnahmen-Paket“ der Regierung versucht ein Konzept umzusetzen: die Presse mit den angeblichen sozialen Erfolgen des Systems zu überschwemmen, die Kontrolle über kritische Hashtags (#) in sozialen Netzwerken zu gewinnen, dreiste Praktiken bei Verhaftungen anzuwenden, Hass-Meetings zu veranstalten und die Telefonleitungen von Oppositionellen zu sperren.

Aber der Kalender wurde zu einem Problem für den Castrismus. Wenn das Regime früher vermehrt seine Anstrengungen bezüglich Überwachung und Kontrolle auf den Tag der Menschenrechte konzentrieren musste, dann sind heute überall im Land solche Tage hinzugekommen. Die öffentlichen Proteste am vergangenen 11.Juli haben gezeigt, dass die Kubaner ihr bürgerliches Bewusstsein wiedererlangt haben und zwar in dem Maße, wie das soziale Unbehagen überhandnahm. Die Militarisierung des Landes, um den Bürgermarsch am 15.November zu verhindern, markiert einen weiteren Tag im Kalender.

Das Regime muss jeden Tag mit dem Schrecken leben, den dieser Dezembertag vor ein paar Jahren bei ihm auslöste. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang folgte das Regime der verschleißenden Strategie, aufkeimenden Non-Konformismus zu ersticken, Tumulte niederzuhalten, potentielle Demonstranten einzuschüchtern, die eigenen Anhänger davon zu überzeugen, dass die Kommunistische Partei bis ans Ende aller Tage das Staatsruder in der Hand behalten wird, Haushaltsmittel freizugeben, um die politische Polizei zu verstärken und zu beten…, ja, auch beten, dass das Volk nicht erneut auf die Straße gehen möge.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die neue Fluchtroute der Kubaner heißt „Nicaragua“

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Viele Kubaner warten vor dem Büro von Copa Airlines in Havanna und hoffen auf ein Ticket nach Managua. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 27.November 2021

Eine meiner frühesten Erinnerungen geht zurück auf das Jahr 1980, als ich noch keine 5 Jahre alt war. Im Mietshaus in Havanna, wo ich wohnte, hörte ich Schreie von mehreren Nachbarn und ich ging auf den Flur. Eine größere Gruppe von Mietern überhäufte einen jungen Mann mit Beleidigungen, weil er sich entschlossen hatte, das Land über den Hafen von Mariel zu verlassen. In meinem Gedächtnis hat sich diese Explosion von Schimpfwörtern und verzerrten Gesichtern unauslöschlich eingegraben.

Gerade erleben wir wieder eine Massenflucht, aber im Unterschied zu jenen Jahren, als der russische Bär zahlreiche Ressourcen nach Kuba schickte, werfen die offiziellen Trupps jetzt keine Eier an die Tür von Ausreisewilligen und beschmieren nicht die Hauswände mit Parolen. Stattdessen scheinen die Behörden Gefallen daran zu finden, den Druck aus dem sozialen Kessel zu nehmen, indem sie die neuen Emigranten in die Liste jener aufnehmen, die Geldbeträge nach Kuba überweisen.

Statt sich dazu durchzuringen, eine Schiffsanlegestelle für jene zu öffnen, die kommen möchten um nach ihrer Familie zu sehen, oder die Sperrung der Grenzen aufzuheben, damit Tausende auf miserablen Flößen die Meerenge von Florida überqueren können −  wie es 1994 der Fall war − ,ist den Behörden ein Vorgehen eingefallen, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Dank der Unterstützung ihres Alliierten Daniel Ortega, haben sie diese Woche angekündigt, dass Kubaner für Nicaragua kein Visum mehr benötigen.

Das mittelamerikanische Land wird so zur Hoffnung all jener, die die materiellen Einschränkungen und den Mangel an Freiheit nicht mehr ertragen.

Das mittelamerikanische Land wird so zur Hoffnung all jener, die die materiellen Einschränkungen und den Mangel an Freiheit nicht mehr ertragen. Aber Managua ist nicht ihr Endziel, sondern nur der erste Schritt, um sich auf den Weg zur Südgrenze der Vereinigten Staaten zu machen. Der Platz der Revolution kennt diese Absichten und kalkuliert, dass in ein paar Monaten viele tausend kubanische Staatsbürger sich an den Grenzübergängen zusammendrängen werden und die Einreise fordern.

Mit diesen üblen Maßnahmen, die man gerade praktiziert, vergewissert sich das kubanische Regime, dass Joe Biden sehr bald Kopfschmerzen bekommen wird und eine große interne Diskussion beginnt, angesichts der stark zunehmenden Zahl von Migranten, die von der Insel kommen. Nebenbei bemerkt, auf dem nationalen Territorium befreit sich das Regime auf diese Weise von Nonkonformisten und Rebellen, die die nächste soziale Explosion anführen könnten, wie am vergangenen 11.Juli geschehen.

Aber diese Massenflucht ist ein zweischneidiges Schwert. Die US-Administration könnte die Angelegenheit ganz anders behandeln, als es sich Havanna vorstellt. Auch könnte die Flucht vieler Kubanern Effekte in einer alternden Gesellschaft verursachen. Wenn Kuba in den nächsten Monaten einen Teil seiner jungen Leute verliert, seine Fachleute und solche mit genügend Selbstwertgefühl, die glauben, dass sie auch in einem Umfeld mit Wettbewerb erfolgreich sein könnten, dann verzögert sich nicht nur der demokratische Wandel, sondern auch die wirtschaftliche Erholung und die Entwicklung des Landes.

Mit der Migrations-Alchemie spielen, könnte auch für den Castrismus bittere Überraschungen bringen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Der Tag, an dem das kubanische Regime allein lief…und nicht gewann

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Am vergangenen 14.November platzierten die kubanischen Behörden einen Omnibus so, dass er die Straße von Yunior García blockierte; anderntags wollte García in weißer Kleidung und mit einer Rose auf die Straße gehen. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 19.November 2021

Sie sagen, dass das Pferd allein auf der Rennbahn lief und die Ziellinie als Erster erreichte. Eingesperrt in ihren Ställen und angebunden an Ketten waren bei diesem Rennen die möglichen Konkurrenten. Der Sieger konnte seine Arroganz nicht unterdrücken und lobte die Beine, als ob die ihn zum Sieg getragen hätten und nicht seine Tricks. Sie sagen, dass es ein 15.November war, ein Tag, an dem man dem Publikum verboten hatte beim Rennen dabei zu sein.

In einem Interview mit dem russischen Sender RT hat der Kanzler Bruno Rodríguez den Aufruf zum Bürgermarsch als gescheitert eingestuft. „Die Realität, die tatsächlich in Kuba existierende, zeigt, dass sich in diesem Land nichts ereignet hat“, brüstete sich der Minister, und um dies zu bekräftigen sagte er zu dem ihm wohlgesonnenen Journalisten: „Sie haben sich frei bewegen können, sie wissen genau was geschah, sie haben es zusammen mit den Kubanern erlebt, und sie wissen auch was sich nicht ereignet hat“.

Um Szenen auf den Straßen mit weiß gekleideten Menschen und einer Rose zu vermeiden, hat die Bürokratie Meter für Meter die größte Kontroll-Aktion in die Wege geleitet, wie es sie in der Erinnerung vieler Kubaner so noch nie gab. Die bitteren Überraschungen, die die Spontanität der Proteste am 11.Juli der Regierung bescherten, veranlasste sie sich vorzubereiten, damit es nicht wieder einen Strom von Menschen gäbe, der „Freiheit “ ruft und den Rücktritt von Miguel Díaz-Canel verlangt. Um dies zu gewährleisten, hat Díaz-Canel dieses Mal die ganze Insel lahmgelegt.

Polizeieinsätze, ein Aufgebot von Agenten der Staatssicherheit in Zivil, Schmähaktionen, Bedrohungen und selektive Sperren von Telefonverbindungen.

Polizeieinsätze, ein Aufgebot von Agenten der Staatssicherheit in Zivil, Schmähaktionen, Bedrohungen und selektive Sperren von Telefonverbindungen…, er verwendete eine feige Taktik aus dem Handbuch für Autoritäre und missbrauchte seine Macht. Was er selbst vom Castrismus geerbt hat, fügte er noch hinzu: Experte im Lügen und die Verwendung von Dekor. Genau so hat er jahrelang versucht, die Leistungsfähigkeit Kubas auf dem medizinischen Sektor glaubhaft zu vermitteln, ehe sie aufgrund der Pandemie zu Bruch ging. Für 15N wählte er die Inszenierung „Frieden und Ruhe“.

Das Ergebnis glich mehr dem Drehbuch für eine Bestattung: leere Straßen; gemurmelte Gespräche in den Warteschlangen, wo bis vor zwei Tagen noch pure Lebensfreude herrschte; zitternde Hände, die versuchten unter dem einschüchternden Blick der Polizei ein Smartphone aus der Tasche zu ziehen; weinende Mütter, die ihre Kinder anflehten, dass sie an diesem Montag das Haus nicht verlassen sollten. Ein weißes Betttuch über einem Wäscheständer konnte den Nachbarn im nächsten Haus aus Furcht lähmen; sogar die Blumenverkäufer versteckten sich oder boten nur gelbe Sonnenblumen und sehr rote Rosen an. An diesem Tag spielte der Terror die Hauptrolle.

Und dann fühlte sich das Regime stark, schüttelte die Mähne, stellte seine Kruppe zur Schau und zeigte die Zähne. Jetzt wollen sie der öffentlichen Meinung, national und international, glaubhaft machen, dass man ihnen eine Medaille für ihre Fähigkeiten umhängen sollte, auch für die Unterstützung aus ihrem Volk. Die Regierung weiß aber, dass alles eine Lüge ist. Wenn sie nicht die größte und kostspieligste Unterdrückungs-Aktion der letzten 25 Jahre durchgeführt hätte, dann hätten die Kubaner den Regierenden erneut ihren Überdruss am aktuellen System gezeigt.

Das Regime wird auch nicht verhindern können, dass man das Wiehern der eingesperrten Pferde hören wird, denn Regeln im politischen Spiel werden nicht respektiert. Wenn man Konkurrenten eliminiert, oder Dissidenten daran hindert ihre Fähigkeiten zu zeigen, dann entwertet man damit das Rennen, die Schiedsrichter und die zu vergebenden Medaillen. Man zwingt ein Volk dazu, andere Wege zu finden um aufs Podium zu kommen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Überwachung und Schmähaktionen knebeln 15N in Kuba

Hervorgehoben

Yunior García Aguilera hält eine Hand mit einer weißen Rose aus dem Fenster. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 16.November 2021

Die Straßen fast leer, in der Luft liegt Spannung. So erlebte man Havanna am letzten Montag, am Tag, an dem unabhängige Gruppen zu einem Bürgermarsch aufgerufen hatten, für die Freilassung der politischen Gefangenen und für einen demokratischen Wechsel auf der Insel. Auf den Boulevards und in den Geschäften, die vor zwei Tagen noch voll von Leuten waren, gab es an diesem 15. November nur Polizei, uniformiert oder in Zivil.

Einen Tag vorher wurde der Dramaturg Yunior García Aguilera − einer der wichtigsten Organisatoren des friedlichen Protests − in sein Haus eingesperrt, mit einem offiziellen und schreienden Mob vor seiner Tür. Obwohl die Unterdrücker ihn daran hinderten sein Haus zu verlassen, konnten sie nicht verhindern, dass er der kubanischen Geschichte ein wirkmächtiges Bild von Bürgersinn schenkte: Ein Mann, eingesperrt in sein eigenes Haus, hält eine Hand mit einer weißen Rose aus dem Fenster.

Der exzessive und repressive Polizeiaufmarsch, den das kubanische Regime losgetreten hat, hat nicht nur die betroffen, die an diesem Montag Opfer von Schmähaktionen wurden, sondern auch die, die unter der Sperre der Internetdienste litten und verhaftet wurden, wenn sie versuchten auf die Straße zu gehen. Die Hauptschuld geht zu Lasten des eigenen Behördenapparats, der einer Bürgerschaft sein hässliches Gesicht zeigte. Die Bürger sind der exzessiven Kontrollen müde geworden, die nach den Protesten des 11.Juli signifikant zugenommen haben.

Diesen Terror-Zustand für lange Zeit aufrecht zu erhalten, ist für den Platz der Revolution fast unmöglich.

Weil es ein Missverhältnis der Kräfte gibt, nehmen auf den Straßen Unwille und Empörung zu. Wehrlose Bürger stehen offiziellen Einsatzkräften gegenüber, die bereit sind, „jeder Aktion die Stirn zu bieten“, so, wie der Regierende Miguel Díaz-Canel es am vergangenen Freitag angekündigt hat. Die Wut wächst, und obwohl die Angst noch viele Kehlen abschnürt, verliert der Castrismus jeden Tag Anhänger, innerhalb der Familien, unter Nachbarn und bei Freunden von denen, die unterdrückt werden.

Diesen Terror-Zustand für lange Zeit aufrecht zu erhalten, ist für den Platz der Revolution fast unmöglich. Obwohl die Führer der Kommunistischen Partei den Wunsch hegen, die Überwachung jeder Straßenecke über Monate hinaus auszudehnen, mit Posten der politischen Polizei, die vor den Häusern von Dissidenten lauern und lautstarken Hass-Kundgebungen in der Nähe von Wohnungen der Aktivisten…, für all das fehlen die Mittel. Dieses System hat sich daran gewöhnt Loyalität zu kaufen, auch wenn es mit Brotkrumen wäre, von denen keine mehr übrig geblieben sind.

Das Land ist bankrott und den Leuten reicht es. Weder die ökonomische Krise noch das allgemeine Unbehagen können auf kurze oder mittlere Sicht rückgängig gemacht werden. Obwohl es ihnen am 15.November gelungen ist den Bürgermarsch zu ersticken, indem sie Zuflucht zu den alten Methoden der Einschüchterung nahmen; in den klimatisierten Büros der Staatsmacht wissen sie, dass sie so nicht mehr lange regieren können. Sie wissen auch, dass sie den Zugang zu den Herzen des Volkes verloren haben; sie wissen, dass auf dieser Insel die Angst die Seiten gewechselt hat und dass es jetzt sie sind, die uns fürchten.

Übersetzung: Dieter Schubert

Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Facebook, autoritäre Regime und der Daumen nach unten

Hervorgehoben

Als in Kuba am vergangenen 11.Juli die Proteste begannen, waren Konten bei Facebook und die Möglichkeit Demonstrationen live zu übertragen, die wesentlichen Elemente dafür, dass eine geknebelte Bevölkerung zu ihrer Stimme fand. (Marcos Evora)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 31.10.2021

Der Riese ist verwundet und es gibt viele Gründe, sich an seinem Ungeschick zu ergötzen. Facebook ist wieder einmal in einen Skandal verwickelt, der das soziale Netzwerk hinterfragt: seine Arbeitsmethoden, die Verwendung von persönlichen Daten seiner Nutzer und sogar seine enorme Macht, die es über Regierungen, lokale Gesetzgebungen und ethische Normen erlangt hat. Nichts Neues in den mehr als 15 Jahren seiner Existenz.

Trotzdem, unter seinen Kritikern finden sich nicht nur Leute, die besorgt um die Anhängigkeit sind, die die Werkzeuge oder Fallstricke seines Algorithmus generieren. Zu den Kritikern zählen auch mehrere autoritäre Regime, die das Bürgerforum nicht mehr ertragen, zu dem das Geschöpf von Mark Zuckerberg geworden ist. Sie reiben sich die Hände, wenn sie sehen wie die Beleidigungen auf den US-Konzern herunter regnen, der seit kurzem beschuldigt wird, seinem Gewinn mehr Priorität einzuräumen als der Netzsicherheit.

Zweifelsohne bleibt die allgemeine Beurteilung positiv, gemessen an der Gefräßigkeit dieses technologischen Mastodonten, der Wahlausgänge beeinflussen, Ansehen vernichten und wichtige Sachverhalte beerdigen kann, mit Gewinn aus Banalitäten. Es sind nicht diese Gründe, derentwegen Diktaturen Facebook verabscheuen. Es sind auch nicht die Probleme mit Sicherheitslücken oder Abhängigkeiten eines Netzwerks mit „gefällt mir“, die hinter den Angriffen der Unterdrücker auf das Unternehmen stehen.

Wenn sich die Regierung in Havanna über die medialen Prügel freut, die Facebook bezieht, dann denkt sie nicht daran uns zu schützen, sondern uns mundtot zu machen.

Als in Kuba die Proteste des 11.Juli begannen, waren Konten bei Facebook und die Möglichkeit, die Demonstrationen live zu übertragen, die fundamentalen Elemente dafür, dass eine seit mehr als einem halben Jahrhundert geknebelte Bevölkerung ihre Stimme fand. Der Zusammenschluss vollzog sich im Internet. In einem Land, in dem das Versammlungsrecht stark eingeschränkt ist, brach ein Bollwerk aus Misstrauen und Angst, das die Bürger bis dahin gelähmt hatte.

Trotz der Internetsperren, die auch in den darauffolgenden Tag anhielten, blieben die sozialen Netzwerke und die Messenger-Dienste die wichtigsten Szenarien der Rebellion. Die Plattform der Gruppe Archipiélago hat zu einem Bürgermarsch am kommenden 15.November aufgerufen und die digitale Gruppe hat ihr Potential genutzt, um mehr als 30.000 Mitglieder zu vereinen. Für diese ist Facebook die einzige Möglichkeit sich zu begegnen und zu diskutieren.

In eben diesem Land, in dem die Lehrbücher der Schulen eine Unmenge an Indoktrinierung enthalten und der Bildschirm − wie bei Orwell − eine naive Karikatur der politischen Polizei ist, freuen sich die offiziellen kubanischen Medien über die Fragen, die in demokratischen Ländern bei Tagungen und in der Presse an Zuckerberg gestellt werden. Sie begrüßen es, dass man den Werkzeugen des sozialen Netzwerks Grenzen setzen will, nicht aber, um die Privatsphäre der Nutzer zu wahren, noch um sie vor Exzessen der Werbung zu schützen. Sie tun es, denn es könnte ihnen gefallen wenn Facebook fällt, um die Lücke zu schließen, die sich bei ihren strengen internen Kontrollen geöffnet hat.

Wenn sich die Regierung in Havanna über die medialen Prügel freut, die Facebook bezieht, dann denkt sie nicht daran uns zu schützen, sondern uns mundtot zu machen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Dieser Artikel wurde ursprünglich von DW-Español publiziert.

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Kuba, die Spannung steigt, je näher der 15.November kommt

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Diese Woche, Militärfahrzeuge in den Straßen von Havanna. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 14.Oktober 2021

Sie tragen zivil und simulieren, sie würden auf den Bus warten oder an einer Straßenecke miteinander reden, aber jeder weiß, dass es Segurosos sind, das übliche Wort für die gefürchtete politische Polizei. Ihre Präsenz hat auf den kubanischen Straßen seit den Protesten am 11.Juli zugenommen und man erwartet, dass sie noch weiter zunehmen wird, in dem Maße wie der 15. November naht. Diesen Tag wählten Aktivisten der Plattform „Archipel“, um einen friedlichen Marsch zu veranstalten.

Sie beziehen sich dabei auf geltendes Recht mit für sie günstiger Gesetzeslage. Mehrere junge Leute haben bei lokalen Behörden Anträge gestellt, in wenigstens sechs Provinzen, um am kommenden 20.November zu demonstrieren. Die Verfasser des Textes beriefen sich auf Garantien, die die Verfassung gewährt, nämlich das Recht sich zu versammeln, zu demonstrieren und sich zu vereinigen. Außerdem ersuchten sie die Behörden zu verfügen, dass die Ordnungskräfte des Landes die Protestierenden „angemessen schützen“ sollen. Dieses Schreiben glich einem Stich in ein Wespennest.

Sogleich begannen offizielle Stimmen die Organisatoren des Marsches als „Söldner des Imperiums“ zu bezeichnen; einige von ihnen wurden von der Staatssicherheit bedroht, ihre Mobilfunkdienste unterbrochen und die Umgebung ihrer Häuser überwacht. Diese jungen Leute trafen alle denkbaren Geschosse zur Vernichtung ihrer Reputation und auf nahe Familienangehörige wurde dahingehend Druck ausgeübt, ihnen zu raten, ihr Unterfangen nicht weiter zu verfolgen.

Der Platz der Revolution hat sich entschlossen nicht mal einen Millimeter Meinungsverschiedenheit zuzulassen; das Regime will seine Zeit über diese 62 Jahre hinaus verlängern, ohne legale Märsche von unzufriedenen Bürgern.

Ein paar Tage nach der Übergabe des Schreibens schüttelte die Bürokratie die Ankündigung aus dem Ärmel, dass an dem vorgeschlagenen Tag eine nationale Militärübung stattfinden würde, offensichtlich die Antwort auf das Gesuch der Aktivisten. Aber diese ließen sich nicht einschüchtern, verlegten den Aufruf vor auf den 15.November und übergaben noch einmal die Dokumente an die lokalen Gouverneure. Am Dienstag war dann die Antwort der Regierung kategorisch: man betrachte die Initiative als „illegal“ und sehe in ihr eine „Provokation für einen Regimewechsel“.

So gesehen handelte die Bürokratie wie erwartet, nahm aber eine gefährliche Position ein. Der Platz der Revolution hat sich entschlossenm nicht mal einen Millimeter Meinungsverschiedenheit zuzulassen; das Regime will seine Zeit über diese 62 Jahre hinaus verlängern, ohne legale Märsche von unzufriedenen Bürgern, ohne Arbeiter auf der Straße, die einen höheren Lohn fordern und auch ohne oppositionelle Politiker, die auf einem Platz ihre Kritik an der Exekutive verbreiten. Der Castrismus hat entschieden sich auch weiterhin unerschütterlich zu zeigen.

Trotzdem, ein japanisches Sprichwort sagt, dass „der Bambus, der sich biegt, stärker ist als die Eiche, die standhält“. Nicht nachgeben, den Marsch nicht erlauben und sich in Unnachgiebigkeit einigeln kann einer der größten Fehler sein, den die Führer eines Systems begehen können, das in den letzten Zügen liegt. Nach der Demonstration der weitverbreiteten Erschöpfung, die die Kubaner im Sommer auf offener Bühne zeigten, jetzt mit harter Hand und Repression zu reagieren, ist wie ein Schuss ins eigene Knie. Das könnte ihren Sturz beschleunigen und im schlimmsten Fall das Land in einen Bürgerkrieg führen. Schließlich wissen sie nicht, was sie tun.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Die Insel flieht in einem Koffer

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Tag für Tag entscheiden sich viele Kubaner das Land zu verlassen; sie besteigen ein Flugzeug und blicken nicht zurück. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / 14ymedio / 3.Oktober 2021

In einer Schublade habe ich eine Schachtel mit Fotos, die ich nicht anschauen will. Sie zeigen Gesichter von Menschen, die fortgegangen sind; viele hundert  Freunde, Kollegen und Familienmitglieder, die nicht mehr auf der Insel leben. Die Flucht von Sportlern, Künstlern, „Balseros“ (Bootsflüchtlingen) oder Funktionären beschleunigt sich in dem Maße, wie das Land untergeht. Gerade jetzt erleben wir Zeiten eines lauten Zusammenbruchs und des ständigen Abschiednehmens.

Die Flucht von 11 kubanischen Spielern während der U23-Baseball-Weltmeisterschaft im mexikanischen Bundesstaat Sonora war das jüngste Kapitel im Zusammenhang mit diesem Aderlass; jeden Tag entscheiden sich auch viele andere Kubaner wegzugehen, sie besteigen ein Flugzeug ohne zurückzublicken, schlagen sich durch den Urwald oder überqueren das Meer. Mit ihren Füßen drücken sie aus, was sie sich nicht laut zu sagen trauen: das politische System ist ein Fiasko und das Land wird unbewohnbar.

Das endgültige Ziel der Reise kann irgendein Ort sein. Gestern kündigte eine Freundin an, dass sie nach Island gehen wolle, auch eine Insel, „von der sie nur weiß, dass sie weit entfernt von Kuba ist und sie dort keinen Sozialismus aufbauen“. Der Nachbar um die Ecke hat seinen Mitgliedsausweis der Kommunistischen Partei zerrissen und arbeitet jetzt in einer Putzkolonne in Miami; eine Freundin aus der Kindheit organisiert gerade eine Scheinehe, um nach Italien zu emigrieren.

Die Flucht von 11 kubanischen Spielern während der U23-Baseball-Weltmeisterschaft im mexikanischen Bundesstaat Sonora, war das jüngste Kapitel bei diesem Aderlass; jeden Tag entscheiden sich auch viele andere Kubaner dafür wegzugehen, sie besteigen ein Flugzeug ohne zurückzublicken.

Einige beklagen sich, so lange gewartet zu haben. „Meine Schwester warnte mich und ich dachte, dass es sich bessern würde, aber es geht wieder zurück, im Krebsgang“, sagte mir die Angestellte in einem nahen Bauernmarkt. „Ich möchte lieber an irgendeinem Ort bei null anfangen, als hier den Rest meines Lebens zu verbringen“, sagte sie noch. Zwei Kunden, die ein Glas Fruchtsaft schlürfen und ihr zuhören, nicken zustimmend mit dem Kopf.

Alle, die zu der Überzeugung kommen, dass „man das Land verlassen sollte und zwar jetzt“, haben jenen Blick der unumkehrbaren Entscheidung, den Blick von Menschen in Wendepunkten ihres Lebens. Ich habe diese Härte bei Witwen bemerkt, bei Familien, die nach einem Brand alles verloren haben, und sogar bei Gefangenen, die zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Es ist so, als ob sie nach dem Verlust von Allem verstehen würden, dass ihnen nur noch eine letzte Befugnis bleibt: die Macht über ihren Körper.

Und diese Fähigkeit zu entscheiden und auf Distanz zu gehen, physisch oder mental, zwischen dem was ärgert und dem was schmerzt, nutzen Tausende von Kubanern, die jedes Jahr emigrieren. Weder die triumphierenden Schlagzeilen der offiziellen Presse, noch die Morgenrufe an den Schulen mit flammenden Losungen, noch die Versprechungen eines „erfolgreichen und nachhaltigen“ Modells, das schon hinter der nächsten Straßenecke wartet, können sie umstimmen. Es reicht ihnen einfach.

Anfangs verurteilte die kubanische Bürokratie die Flucht und bezeichnete Bürger, die ins Exil gingen, als „Bourgeois“, nachdem ihr Vermögen und ihre Betriebe und Geschäfte  konfisziert wurden. Später nannte man sie „Schlacke“, weil sie Abfallprodukte beim „Guss des Neuen Menschen“ wären. Auch heute noch hält man sie für schwache Personen, die dem „Sirenengesang des Kapitalismus“ erliegen.

Anfangs verurteilte die kubanische Bürokratie die Flucht und bezeichnete Bürger, die ins Exil gingen, als „Bourgeois“, nachdem ihr Vermögen und ihre Betriebe und Geschäfte  konfisziert wurden.

Nicht ungeschickt hat der Castrismus die Emigration auch als Ventil genutzt, um den sozialen Druck zu mindern. Es ist kein Zufall, dass den großen Migrationswellen schwere wirtschaftliche Krisen und eine zunehmende soziale Unzufriedenheit vorausgingen. So geschehen 1980 bei der Massenflucht  im Hafen von Mariel*), und im Sommer 1980 bei der von den „Balseros“ ausgelösten Krise. Auch als Folge der populären Proteste des 11.Juli wird eine Flucht einsetzen, die wir heute schon erleben.

Die Schande, dass bei einer Weltmeisterschaft fast die Hälfte der kubanischen Delegation in Mexiko bleibt, wird nicht durch die umfangreichen Dollar-Überweisungen kompensiert werden, die die Emigrierten später senden. Dieses Phänomen kommt nur in Gefängnis-Ländern vor, wie in den ehemaligen kommunistischen Ostblockstaaten, in Nordkorea mit der dynastischen Kim-Diktatur, in Belarus….und in Kuba. Wir stehen auf der Liste von Nationen mit Bürgern hinter Gittern, von Systemen, die als Käfige erlebt werden.

Uns erwarten Monate, in denen wir jeden Tag „Adiós!“ sagen werden, weil sie nicht hinter jeden Kubaner, der in einer offiziellen Delegation reist, einen Polizisten stellen können. Diese Fluchtbewegung wird vielleicht auch auf hohe Instanzen der Staatsmacht übergehen, weil die Ratten ein sinkendes Schiff verlassen; nicht weil sie „Ratten“ sind, sondern weil sie intelligent sind. Sie spüren, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Wogen des Wandels die leere Hülle dieses Systems unter sich begraben werden.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers:

Während de Mariel-Bootskrise flüchteten 1980 circa 125.000 Kubaner nach Florida. (Wikipedia)

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