
Die Hausordnung in der alten Villa in Miramar, Havanna (14ymedio)
Hausordnung (gekürzt):
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- Jugendlichen unter 18 Jahren ist der Zutritt verboten
- Es wird um angemessene Kleidung gebeten
- Mitgebrachte Speisen und Getränke werden beschlagnahmt
- Keine Haustiere
- Fotografieren und Filmen bedürfen der Zustimmung des Hauses
- Wer gegen ethische Prinzipien verstößt erhält Hausverbot
YOANI SÁNCHEZ | La Habana | 8. November 2018
Es trennen sie hundert Meter und ein Abgrund: das Restaurant im Herrenhaus 3.Avenida, Straße 8 im Viertel Miramar, Havanna, und – ganz in der Nähe – ein Lokal, das von Selbstständigen geleitet wird, ein Paladar. Beide servieren Gerichte und sind in wunderschönen Gebäuden mit Bögen und Säulen untergebracht, aber sie unterscheiden sich so tiefgreifend, dass sie wie zwei verschiedene Welten wirken. Das erste Restaurant wird staatlich geführt, das zweite „privat“ – ein Wort, das die Behörden vermeiden.
In dem Kuba, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, war alles in staatlicher Hand: Cafés, Pizzerien, Zeitungskioske und Bestattungsunternehmen. Die meisten dieser Einrichtungen werden weiterhin von der Regierungsebene aus geführt; es sind sozialistische Unternehmen unter wenig effizienter Leitung. Im Bereich der Gastronomie hingegen hat sich in den letzten Jahren ein bedeutender und positiver Wandel vollzogen. Dort, wo einst der Minister für Binnenhandel den Ton angab, leiten jetzt Selbstständige den Sektor.
Auf dieser Insel leben sie derzeit zusammen: die ansässigen „Fossilien“ der sowjetischen Ära und die Geschäfte, die auch in New York, Berlin oder Madrid wettbewerbsfähig wären. Die staatlichen Dienste, die sich nicht an die neuen Anforderungen anpassen können, befinden sich Tür an Tür mit privat geführten Betrieben. Diese versuchen sich auch ohne Großhandel über Wasser zu halten, trotz höherer Steuern und trotz der Abneigung seitens der Bürokraten der kommunistischen Partei.
Der Untergang der staatlichen Unternehmen ist mit all seiner Brutalität im Restaurant in der alten Villa spürbar, wo eine Frau vor den Toiletten mit ein paar Münzen klimpert: eine Geste, um Trinkgeld von den Gästen zu verlangen, die den Mut haben den übel riechenden kleinen Raum zu betreten, ohne Toilettenpapier, ohne Wasser. Mehr als die Hälfte aller Gerichte auf der Speisekarte können nicht bestellt werden, ein Mangel, den die Bedienung mit der Begründung rechtfertigt, dass noch keine neuen Lieferungen von Geflügel und Pizza angekommen seien. Es gibt keine Servietten auf den Tischen und in der Küche stehen fünf überflüssige Angestellte, die mit gelangweiltem Gesicht dahinvegetieren und sich lauthals unterhalten.
Der Übergang von dem Kuba von gestern in das Kuba von morgen gleicht einem Weg von einem gescheiterten Modell hin zu einem anderen möglichen und ersehnten.
Im Innenhof des Herrenhauses mit seinen Palmen und Baumfarnen steht ein Metallcontainer, der einen Lagerraum ersetzt. Die Pflanzen in den Beeten wirken vernachlässigt. Auf dem Zettel an einer Tür steht, dass in einem Raum im Obergeschoss Videos gezeigt werden, aber keine Filme. Auf den Tischdecken im Restaurant sieht man hier und da Flecken von Essensresten und im Fernsehen über den Tischen läuft ein Horrorfilm mit ausgeweideten Menschen, während die Stammgäste ihre Zähne in einem Hamburger versenken.
Wenn die Gäste glauben es könne nicht schlimmer werden, veranstalten die Verantwortlichen ein „Blitzmeeting“ mit den Köchen und Angestellten, die dann die Arbeit einstellen, was einen Stau an der Theke bewirkt. Einige der Gäste beschließen – aufgrund der langen Wartezeit und der kleinen und faden Gerichte – die Straße zu überqueren und in den Paladar zu gehen, der spanische Tapas anbietet. Der Übergang von dem Kuba von gestern in das Kuba von morgen gleicht einem Weg von einem gescheiterten Modell hin zu einem anderen möglichen und ersehnten.
“Wir haben alles was auf der Karte steht vorrätig“, sagt der Kellner stolz zu den ungläubigen Gästen, die aus dem staatlichen Restaurant geflohen sind. Keiner kann wirklich erklären, wie sie die regelmäßigen Lieferungen von Schweinefleisch, Rind und Fisch sicherstellen können, in einem Land, in dem sich im vergangenen Jahr die Unterversorgung weiter verschärft hat. Allerdings wissen alle, dass in den Koffern unzähliger Reisender ein Teil der Zutaten transportiert wird und weitere auf dem Schwarzmarkt beschafft werden. „Möchten sie die Paella mit Meeresfrüchten, Kaninchen oder Gemüse?”, fragt der Angestellte. Zwei Touristen fotografieren sich gegenseitig vor einem Plakat mit Kampfstieren; ein anderer wagt es ein veganes Gericht zu bestellen, das innerhalb von wenigen Minuten an seinen Tisch gebracht wird: abwechslungsreich und ohne eine Spur von tierischem Eiweiß.
Ich befürchte, dass das Restaurant in der alten Villa noch viele Jahre vor sich hat, mit seiner schlechten Küche, dem schrecklichen Service und den geschmacklosen Gerichten. Ich weiß aber nicht, ob das Paladar in der Nähe überleben wird, da es die gigantische Nutzlosigkeit des ganzen Systems deutlich gemacht hat. Das kommt teuer zu stehen.
Übersetzung: Lena Hartwig
Dieser Text wurde ursprünglich auf der Seite für Lateinamerika der Deutschen Welle publiziert.
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