Das Bedürfnis zu schreien

gato

Das Leben wird nie mehr zur Normalität zurückkehren. Es kehrt nicht zu dem Augenblick vor der Tragödie zurück, an den wir uns jetzt mit einer gewissen Illusion als eine Zeit der Ruhe erinnern. Ich öffne meine Agenda, ich versuche mein Leben wieder aufzunehmen, den Blog, die Twitterbotschaften … aber es fällt mir nichts ein. Diese vergangenen Tage waren zu heftig. Ich bin nur dazu fähig, mir immer wieder das Gesicht von Reina Tamayo im Halbschatten vor dem Leichenschauhaus vor Augen zu führen, wo sie ihren Sohn für seine letzte Reise vorbereitete und ankleidete. Danach überlagern sich bei mir die Bilder vom Mittwoch: Festnahmen, Schläge, Gewalt, ein nach Urin stinkender Kerker, der an einen anderen angrenzte, wo Eugenio Leal und Ricardo Santiago ihre Rechte forderten. Die restliche Zeit bestand aus Herumlaufen wie eine Ankleidepuppe, schauen ohne zu sehen, tippen mit Wut im Bauch.

Und so gibt es keinen, der eine zusammenhängende und gemäßigte Zeile schreibt. Ich habe ein solches Bedürfnis zu schreien, aber ich bin seit dem 24. Februar heiser.

Euro-Lateinamerikanischer Gipfel

Damit man direkt der Vorstellung des nächsten Euro-Lateinamerikanischen Gipfels durch den Staatssekretär für Iberoamerika der spanischen Regierung Pablo de Laiglesia via Internetübertragung folgen kann, habe ich mehrere Links des Ereignisses aufgeführt.
Das ist eine Aktion der Sociedad de las Indias Occidentales für die lateinamerikanische Blogosphäre.
Hier seht Ihr das Video und weiter unten den Link zur Kommentierung des Geschehens, außerdem eine Text-Transskription des ganzen Vorgangs.
Der Link, damit die Leser das kommentieren können:
http://www.lasindias.coop/presentacion-de-la-cumbre-eurolatinoamericana-a-la-blogsfera-latinoamericana/#respond
Die Text-Transskription von allem, was vor sich geht, könnt Ihr hier sehen:
http://www.lasindias.coop/presentacion-de-la-cumbre-eurolatinoamericana-a-la-blogsfera-latinoamericana/

Zeugenaussage der Mutter von Orlando Zapata Tamayo*

Heute Abend, Stunden nach dem Tod von Orlando Zapata Tamayo konnten wir, Reinaldo und ich, in die Nähe der Umgebung der Abteilung der Rechtsmedizin in der Boyeros Straße gelangen. Ein Kordon von Männern der Staatssicherheit bewachte den Ort, aber es gelang uns, an Reina, Mutter des Verstorbenen, heranzutreten und ihr diese Fragen zu stellen.
Schmerz, Empörung bei uns … Trauer und Standhaftigkeit bei ihr.
Hier ist die Aufnahme, amateurhaft und fast ohne Licht, aber ein erschütterndes Zeugnis der Angst einer Mutter.

Anm. d. Ü.
* Orlando Zapata Tamayo wurde während des Schwarzen Frühlings 2003 als Regimegegner festgenommen und als politischer Gefangener zu 25 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Er wurde gefoltert und war wegen der Mangelernährung in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Nach einem langen Hungerstreik starb er gestern Nacht.

Der Zufall

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Du hättest ebenso eine Prostituierte, die ihre Gunst verkauft, werden können, wie eine Untersuchungsbeamtin der Staatssicherheit. Die Bedürftigkeiten waren so groß, dass die Hingabe deines Körpers im Tausch gegen ein Fläschchen Shampoon oder einige Seifenstücke eine Möglichkeit war, die sich immer in Reichweite befand. Nur dass deine Figur für dieses Tauschgeschäft zu kränklich war und deine Haut zu weiß für die Ausländer, die auf der Suche nach dem zimtfarbenen Teint der Touristenanzeigen herkamen. Dir fehlte das „gewisse Etwas“, um das eng anliegende Kleid für den Austausch von Sex gegen Geld überzuziehen und sich auf die Umgebung eines Hotels zu stürzen, in der Absicht deine Familie aus der Klemme zu ziehen.

Du warst schon kurz davor, dir eine Uniform überzustreifen, als du nach dem Schulabschluss erwogst, auf die Militärschule Camilo Cienfuegos zu gehen, um einem Zuhause zu entfliehen, wo Verbote und Elend überhand nahmen. Du glaubtest, du seiest bereit, dich in einen Soldaten mit zusammengekniffenen Lippen zu verwandeln, um Zugang zu diesen kleinen Privilegien zu bekommen, die, wie du sahst, Mitglieder der Armee und des Sicherheitsministeriums genossen. Der rechtzeitige Rat eines Freundes ließ dich von dem „Aaaachtung!“ – Geschrei und dem dauernden Knattern eines Maschinengewehres Abstand nehmen. Aber wenn du an jenem Nachmittag von 1990 nicht die Frage gehört hättest: „Was willst du denn zwischen Befehlen und Schützengräben?“, würdest du jetzt vielleicht gerade jemandem in einem abgeschlossenem Raum von Villa Marista* Angst einjagen.

Du hättest Bootsflüchtling werden können, Selbstmörderin, Geliebte eines Ministers, Zensorin oder politische Gefangene, Gendarm oder Opfer. Es war nicht möglich, ohne Blessuren durch jene Krise der Neunzigerjahre hindurch zu kommen, die du erleben musstest, den Zusammenbruch der Vermögenswerte und die unbedeutende Umgebung, in der du aufgewachsen bist. Etwas von dir steckt noch in dem roten Lykrabein, das an einer Ecke steht, und in der Achselklappe eines Rekruten, in all den möglichen Personen, die du hättest werden können und vor denen der Zufall, die Umstände und dein eigener Ekel dich bewahrten.

Anm. d. Ü.
* Zentrale der kubanischen Staatssicherheit, wo politische Gefangene verhört werden.

GPS

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Zu den Ausreiseverhandlungen, die heute in Havanna zwischen USA und Kuba stattfinden:

Carlito ist endlich in Atlanta angekommen, nachdem er fünf Mal versucht hatte, die Straße von Florida zu überqueren. In zwei Fällen wurde er von der nordamerikanischen Küstenwache aufgegriffen und zurück auf die Insel gebracht. Monatelang hob er das gelbe Formular auf, das er bekommen hatte, damit er legal ein Visum in der Interessensvertretung der Vereinigten Staaten beantragen könne. Trotzdem bevorzugte er einen schnelleren Weg, um das Zimmer, das er mit seiner Großmutter teilte, und die Verfolgung durch die Polizei seines Viertels hinter sich zu lassen. Er wurde auch von der kubanischen Seite aufgegriffen, am 13. August vor drei Jahren, als am Boot die Schraube brach und die Reise in einem Gefängnis in dem Ort Cojimar endete. Dort wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, und seit diesem Tag begann ein Agent in Zivil ihn zu besuchen, mit der Aufforderung sich eine Beschäftigung zu suchen.

Nachdem er seine geringen Fähigkeiten als Seemann unter Beweis gestellt hatte, schaffte es dieser 32 Jahre alte junge Mann, nach Ecuador auszureisen, einem der wenigen Länder, die von Kubanern noch kein Visum verlangen. Das südamerikanische Land wurde für ihn zum Sprungbrett in die Vereinigten Staaten, wo er jetzt versucht, ein neues Leben zu beginnen. Das GPS-Gerät, das ihm auf seinen Überquerungen Hilfe geleistet hatte, und das Formular, das er nie zur Beantragung eines humanitären Visums ausgefüllt hat, gab er in die Hände einiger Freunde. Er ging nicht in eine vorherbestimmte Zukunft, sondern er fuhr weg, weil er fürchtete, zu einem frustrierten Vierzigjährigen zu werden. Nicht einmal an Tagen größten Optimismus konnte er erwarten, ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben oder ein Gehalt zu bekommen, mit dem er nicht mehr staatliche Ressourcen abzweigen müsste, um zu überleben.

Wie so viele andere Kubaner konnte Carlito nicht mehr darauf warten, dass sich die Versprechungen, die man uns als Kindern gegeben hatte, endlich erfüllen würden. Er wollte nicht alt werden und, auf dem Gehweg vor seinem Haus sitzend, seine Erfolglosigkeit mit Alkohol und der einen oder anderen Pille betäuben. Er plante jede Art von Flucht, aber schließlich zahlte ihm ein Onkel das Ticket nach Quito, in der Hoffnung, dass er später den Rest der Familie nachholen könne. Er träumt immer noch von Booten, die sich mitten in der Nacht nähern und ihn, nach Salpeter und Petroleum riechend, in Handschellen nach Kuba bringen. Er wacht auf und blickt um sich zur Bestätigung, dass er noch immer in dem kleinen Apartment ist, das er mit einer Freundin gemietet hat. „Einmal Flößer, immer Flößer“, murmelt er, während er sein Kopfkissen zurecht schiebt und versucht, von festem Boden zu träumen.

Universitäre Unabhängigkeit

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Hundert Mal hab ich schon gehört, dass der Universitätsbereich, wie ein umfriedeter Kirchhof, nicht von den Dämonen der Unterdrückung heimgesucht werden könne. Ich stellte mir vor, wie diese vor der Eingangstreppe herumflattern, ohne in diesen Bereich der Geisteswissenschaften und mathematischen Formeln eindringen zu können, wo die Studenten geschützt sind. Aber diese vermeintliche Immunität gab es nur in meiner Fantasie, denn die kubanische Geschichte zeigt die Abfolge von Übergriffen, die die Universitäten meines Landes erlitten haben. Unter den Augen der Pallas Athene sind die ideologischen Zuchtmeister unzählige Male in den Bereich eingedrungen, welcher dem Wissen und der Gelehrsamkeit gewidmet ist.

In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gingen mehrere Studentenproteste sogar so weit, die Abdankung des Präsidenten zu fordern, was die große soziale Macht zeigte, die von den Pulten ausging. An den Mauern rund um La Colina kann man noch die Wandmalereien der jugendlichen Unangepasstheit sehen, die durch die späteren revolutionären Säuberungen zur Apathie reduziert wurde. Die universitäre Studentenvereinigung (FEU) sprudelt nicht mehr vor Ideen und Aktionen, die mehr als einmal die Stadt aufrüttelten, sondern ist zu einer Repräsentation der Macht gegenüber den Studierenden geworden. Die Organisation hat so ihren Rebellencharakter gänzlich verloren, und ihre Führer werden nicht mehr wegen ihres Charismas oder ihrer Beliebtheit gewählt, sondern wegen ihrer politischen Verlässlichkeit. Der Slogan „Die Universität für die Revolutionäre“ hat dazu beigetragen, dass das Aufziehen einer Maske der sicherste Weg zur Erlangung eines Diploms wurde.

In diesen zwei Jahren, seit Raúl Castro an die Macht kam, gab es immer wieder, und zwar mit zunehmender Tendenz, Hochschulverweise aus ideologischen Gründen an den Zentren der höheren Bildung. Als Sahily Navarro, Tochter eines Gefangenen des Schwarzen Frühlings, nicht mehr in ihren Hörsaal gelassen wurde, da wusste ich, dass die gebeutelte studentische Liga vom Todeskampf zur Nekrose übergegangen war. Wenige Tage später wurde auf die Überreste der FEU der Grabstein des Sektierertums gesetzt, als Marta Bravo von ihrer Professur entfernt wurde, weil sie Reformen im Land forderte. Die Akkorde des Requiems wurden von denen komponiert, welche Darío Alejandro Paulino aus dem Lehramt ausschlossen, nachdem er in Facebook ein Forum zur Diskussion von Fragen des Studiengangs „Soziale Kommunikation“ eröffnet hatte. Mit diesen traurigen Vorfällen wurde die Studentenvereinigung, die ehemals Julio Antonio Mella anführte, endgültig zu Grabe getragen, schuld sind die Drachen des Dogmatismus und der Intoleranz, die sich heute frei auf ihrem Universitätscampus bewegen können.

* In Facebook hat sich eine Gruppe namens „Stoppt die Entlassungen an den kubanischen Universitäten“ formiert, um wenigstens virtuell gegen diese Willkürlichkeiten zu protestieren.

Sie sind zurückgekehrt

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Die Steppe, Schnee, Äpfel und das Geräusch einer Axt, die Holz in ungleiche Teile spaltet. Von diesen Bildern und fremden Klängen speiste sich unsere Kindheit, da die Sowjet-Union im Kuba der 70er und 80er Jahre sehr präsent war. Wir zitterten vor Kälte, wenn wir tschechische und bulgarische Cartoons ansahen, während draußen die Tropensonne uns daran erinnerte, dass wir immer noch in der Karibik waren. Einige von uns konnten „koniec“ eher sagen, als das einsilbige Wort „fin“ (Ende), bis die Bären eines Tages auswanderten und uns ohne die Filme zurückließen, die von siegreichen Soldaten und lächelnden mujiks handelten.

Nach 1991 konnte man die Massenauflagen des russischen Verlages MIR nur noch in den Secondhandbuchläden unter einer Staubschicht, die von Vernachlässigung zeugte, finden. Diesen Februar aber hat die Internationale Buchmesse ihr 19. Jahr dem Land gewidmet, das jahrzehntelang der Mentor und ökonomische Unterstützer des kubanischen Entwicklungsprozesses war. Die Kameraden von früher, die unseren Zucker zu astronomischen Preisen kauften, während sie uns ihr Öl für eine Bagatelle verkauften, sind zurückgekehrt, bekleidet mit Anzug und Krawatte. Sie landeten auf der Insel, die sie einmal unterstützt haben, aber dieses Mal, um ihre in strahlenden Farben gedruckten Werke mit Themen fern vom Marxismus unter die Leute zu bringen.

Auf dem großen Platz der Cabaña-Festung überkreuzen sich die langen Schlangen, um die neuen Titel zu kaufen, die aus dem Osten kommen. Hier und dort blättern Kinder Seiten durch, wo goldene Weizenähren zu sehen sind und Leute, die Mützen mit riesigen Ohrenklappen tragen. Aber jetzt ist es nicht mehr dasselbe. Die selbstverständliche Präsenz, die einmal diese Bilderwelt in unserem Leben hatte, ist für die Kleinen von heute nur noch Neugier nach dem Exotischen. In ihrer kindlichen Vorstellungswelt werden Tannen nicht die Palmen ersetzen noch Füchse die Eidechsen; Russland wird für sie nur eine weit entfernte andersartige Gegend sein.

Instantlehrer und Schnellausbildung

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Das Treffen war nüchtern und es nahmen mehrere Repräsentanten der städtischen Vertretung des Erziehungsministeriums daran teil. Ein Murmeln verbreitete sich unter den Eltern, die auf denselben Plastikstühlen saßen, die vormittags immer ihre Kinder benutzen. Da das Datum nicht mehr weit entfernt war, an dem angekündigt wird, wer das Studium auf der mittleren Oberstufe fortsetzen darf, hatte es den Anschein, man würde uns bei jenem Treffen die Zahl der studienvorbereitenden Kollegs oder technische Schulen nennen, die unserer Schule zugewiesen sind. Die Nachricht von der Abschaffung der „ Allroundlehrer für alles“ kam dann für uns überraschend, da wir inzwischen zu der Meinung gelangt waren, dass ihre Existenz sich bis zur Pubertät unserer Urenkel hinziehen würde.

Junge Leute in Schnellkursen dafür auszubilden, später einen Unterricht zu geben, der von der Grammatik bis zur Mathematik reicht, hat sich als kategorischer Fehlschlag erwiesen. Nicht wegen ihrer Jugend, die in jedem Beruf immer willkommen ist, sondern wegen der Schnelligkeit der Lehramtsausbildung und des geringen Interesses, das viele von ihnen für so eine noble Tätigkeit zeigten. Angesichts der Abwanderung der Profis aus dem Erziehungswesen in andere Bereiche mit attraktiveren Verdienstmöglichkeiten entstand das Programm der Instantlehrer und damit lag die bereits eingeschränkte Qualität der kubanischen Bildung endgültig am Boden. Die Kinder kamen nach Hause und sagten, dass Kuba 1895 „einen Bürgerkrieg“ erlebt habe und dass die geometrischen Figuren etwas hätten, was „voldes“ genannt werde, was wir Eltern mit „bordes“ (Kanten) übersetzten. Ich erinnere mich besonders an einen dieser Instanterzieher, der seinen Schülern am ersten Tag des Unterrichts gestand „lernt fleißig, damit es euch nicht so ergeht wie mir, der ich Lehrer wurde, weil ich keine guten Noten hatte.“

Dazu kam noch der Teleunterricht, der einen sehr hohen Prozentsatz des Schulstundenplans mit der Gleichgültigkeit eines Bildschirmes einnahm, mit dem man nicht interagieren kann. Die Idee dahinter war, mit diesen durch das Fernsehen übertragenen Unterrichtsstunden die mangelhafte Vorbereitung derer zu unterstützen, die vor den Schülern standen. Der Telelehrer ersetzte in vielen Schulen den aus Fleisch und Blut, während der Verdienst des Lehrpersonals symbolisch angehoben wurde, wobei er nie höher war als 30 Dollar im Monat. Das Unterrichten ist weniger zu einem Priesteramt als zu einem Opfergang geworden. Deshalb tauchten vor der Tafel Leute auf, die weder die Rechtschreibung noch die Geschichte ihres eigenen Landes beherrschten. Es waren junge Menschen, die einen Vertrag unterschrieben hatten, um Lehrer zu werden, was sie bereits nach der ersten Arbeitswoche bereuten. Diese Vorfälle und Verwerfungen im Erziehungswesen, die diese Vorgehensweise mit sich brachte, stehen im verborgenen Buch der gescheiterten revolutionären Pläne und der lächerlichen Produktionsankündigungen, die sich nie erfüllten. Nur dass wir in diesem Fall weder von Tonnen Zucker noch von Zentnern Bohnen reden, sondern von der Ausbildung unserer Kinder.

Ich atme erleichtert auf, weil das lange Experiment der Erziehung durch Instantlehrer beendet ist. Ich möchte den Tag wohl nicht erleben, an dem all diese Leute mit einer Lehrerausbildung das Steuer ihres Taxis verlassen, die Theke einer Bar oder ihre langweilige Hausarbeit, um in die Klassenräume zurückzukehren. Wenigstens würde ich mich ruhiger fühlen, wenn Teo anstelle von einem Fernsehbildschirm all seinen Unterricht von einem richtigen Lehrer bekommen könnte, der auch noch seinen Stoff beherrscht. Ich glaube dafür müssen wir auf die Urenkel warten.

Das Eigene beschützen, das Fremde stehlen

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Foto: Sich schützen heißt die Parole, sei es mit Gittern, Hunden oder selbst gebauten Waffen

Des Nachts bewacht er die Reihen der Malangapflanzen und seine Schafherde mit einer selbstgebauten kurzen Flinte. Sie ist das Werk eines behelfsmäßigen Schmieds, der ein Stück schmales Rohr an eine einfache Kammer geschweißt hat, aus der ein unregelmäßiger Schlagbolzen heraus ragt. Schon der Laut beim Laden des erfinderischen Gerätes im frühen Morgengrauen reicht aus, um alle flüchten zu lassen, die die Ernte stehlen wollen. Wenn das Schwein Junge wirft, dann ruft er seinen im Dorf lebenden Bruder und in Begleitung dieses aus der Not geborenen Artefaktes halten sie Wache, bis die Sonne aufgeht.

Viele Bauern benutzen illegale Waffen, die sie irregulär gekauft oder hergestellt haben. Ohne diese könnte die Frucht monatelanger Arbeit in den Händen von „Saaträubern“ enden, aalglatten Gestalten, die sich in der Dunkelheit bewegen. Die Armut hat den Diebstahl auf den kubanischen Feldern verstärkt und die Dorfbewohner gezwungen, ihre Ressourcen selbst zu schützen. Daher verbreiten sich auch aggressive Hunde und selbst gefertigte Flinten immer mehr, besonders auf den Fincas, auf denen es Rinder gibt. Das Pfund Rindfleisch wird für zwei konvertible Pesos auf dem Schwarzmarkt verkauft, der auf Diebstahl und illegalem Schlachten basiert, trotz der langen Haftstrafen, die diese Delikte mit sich bringen.

Für die Beschützer des eigenen Besitzes war die offizielle Ankündigung eine Überraschung, dass „unter Ausnahmecharakter und nur ein einziges Mal (…) hier geborene und legal auf der Insel wohnende Personen, die im Besitz von Feuerwaffen ohne die entsprechende Lizenz sind, eine ordnungsgemäße Registrierung bekommen können“. Es existiert aber auch die stillschweigende Überzeugung, dass derjenige, der öffentlich einen solchen Besitz angibt, die Beschlagnahmung als Antwort erhalten wird. Mit dieser Angst werden nur wenige zugeben, dass sie das kalte Metall irgendwo in ihrem Haus aufbewahren, und sie werden das Risiko, keine Papiere zu besitzen, der Unsicherheit vorziehen, schutzlos zu sein. Zu unserem Entsetzen verwenden diese einfachen Instrumente auch Leute, die weder Finca noch Tiere zu beschützen haben, sondern auf der anderen Seite des Zaunes lauern und sogar gewillt sind zu schießen, nur um sich das zu nehmen, was anderen gehört.

Ziellos

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Wir haben uns an die aufgeblähten Zahlen gewöhnt, an die Geheimniskrämerei, wenn etwas schief gelaufen ist, und an ein Bruttosozialprodukt, das niemals den Inhalt unserer Geldbeutel widerspiegelte. Jahrzehntelang hatten die Wirtschaftsgutachten die Möglichkeit, hinter Seiten voller Zahlen und Analysen die Schwere der Probleme zu verbergen. Unter den Hochschulabsolventen der wenig exakten Finanzwissenschaft gab es einige, wie Oscar Espinosa Chepe, die es wagten, die Unrichtigkeit bestimmter Zahlen aufzudecken, und die dann nach dem „Pyjamaplan“* mit Arbeitslosigkeit und Stigmatisierung bestraft wurden.

In dieser Woche hat die Lektüre der seriösen und fundierten Analyse des Priesters Boris Moreno in der Zeitschrift Palabra Nueva** meine Unruhe bezüglich eines uns bevorstehenden Kollapses verstärkt. Mit dem bezeichnenden Titel „Wohin fährt das kubanische Boot? Ein Blick auf das wirtschaftliche Umfeld“ warnt uns der Autor vor einem Absturz, einem Sturzflug, des materiellen und finanziellen Zustands der Insel. Worte, die uns erschrecken müssten, wenn nicht unsere Ohren gegenüber schlechten Nachrichten schon ziemlich taub geworden wären, weil wir uns schon so oft in die Gewässer der Unproduktivität und des Mangels gestürzt haben.

Ich stimme mit diesem Wirtschaftswissenschaftler darin überein, dass der erste und wichtigste Schritt, der getan werden muss, „die formale Verpflichtung der Regierung zur Freigabe der Meinungsäußerung aller Bürger ist und zwar ohne Repressalien jeglicher Art. Wir sollten in unserem Umfeld die Bestimmungen löschen, die den Austausch von Ideen und Meinungen beschränken“. Nachdem ich das gelesen hatte, stellte ich mir meine Nachbarin vor, eine Buchhalterin im Ruhestand, wie sie mit lauter Stimme ihre Ansichten äußert über die Notwendigkeit, Privatwirtschaft zuzulassen, ohne dass dies eine Protestversammlung vor ihrer Tür auslöst. Ich weiß, dass es Arbeit bedeutet, so ein Projekt durchzuführen, aber ich mag die Idee, dass eines Tages Tausende ihre Vorschläge einbringen und Lösungen vorbringen werden, ohne die Befürchtung, als „Söldner einer ausländischen Macht“ beschuldigt zu werden. Welch enormes Kapital würde dann Kuba wieder gewinnen!

Auch wenn sich die Staatskassen nicht nur durch Vorschläge und Gedankengut wieder füllen werden, so zeigt uns unsere Erfahrung doch, dass das Prinzip der Freiwilligkeit und des Ausschlusses nur dazu beigetragen hat, sie zu leeren.

Anm. d. Ü.
*Pyjama-Plan: ironischer Begriff im kubanischen Volksmund für die vorzeitige Zwangspensionierung von Regierungsmitgliedern
** Nueva Palabra (Neues Wort): Zeitschrift der Diözese der katholischen Kirche in Havanna