Das freie Territorium Skype

Ein Artikel, der am vergangen Donnerstag in der „Juventud Rebelde“ (Jugend in Aufruhr) erschienen ist, befasste sich kritisch mit der kubanischen Informationstechnologie, wie sie von der offiziellen Presse unterstützt wird. Diese Reportage wendet sich gegen den Telefonbetrug und sie hat bei vielen Lesern den Eindruck hinterlassen, dass mobile Telefone eine nicht versiegende Quelle von Problemen sind. Zu der SMS-Flut von Beschwerden über destabilisierende IT-Pläne, dem häufigen Kollaps von Netzen, hervorgerufen durch Benutzer, die von einem Mobiltelefon zu einem anderen wechseln, kommt nun noch die „persönliche Bereicherung“ derer hinzu, die Tricks anwenden, um für ein Gespräch oder eine Textübermittlung ins Ausland weniger zu bezahlen.

Jeder Betrug, jede Unterschlagung ist strafbar, so das Gesetz und die Moral. Trotzdem sollte man den Kontext in Betracht ziehen, in dem diese Verstöße geschehen. Bei der Telekommunikation leben wir mit einem Staatsmonopol – es ist absolut. Die ETCSA ist die einzige Telefongesellschaft des Landes; sie hat in der Branche keine Konkurrenten und verlangt deshalb Gebühren, die viel höher sind, als die sonst in der Welt üblichen. Ein Auslandsgespräch von einer Minute kann etwa zwei mittlere Tageslöhne kosten. Bei einer so zahlreich emigrierten Bevölkerung kann man sich leicht vorstellen, dass es auf Kuba einen Bedarf an Kommunikation mit dem Rest der Welt gibt.

Hinzu kommt, dass der Zugang ins Internet eingeschränkt und somit selten ist. Da man nicht mit neuen Diensten – wie z.B. Skype – rechnen kann, ziehen es viele vor auf betrügerische Praktiken zurückzugreifen, bevor sie auf Kommunikation mit anderen Teilen der Welt verzichten. Täter zu bestrafen, die mit einer so genannten „Bypass“-App* getrickst haben, wird das Problem nicht lösen. Ich will es mir nicht vorstellen, dass eine Seniorin riskiert wegen Telefonbetrugs bestraft zu werden, nur weil sie ihren emigrierten Sohn via Internet für ein paar Centavos anrufen kann. Eine Bevölkerung zu ungesetzlichen Handlungen zu drängen, sie dann zu verurteilen um sie vorzuführen, das ist purer Zynismus – wenigstens das!

*Anmerkung des Übersetzers:

„Bypass“ ist eine illegale Plattform; ein Operator im Ausland bietet in Zusammenarbeit mit kubanischen Komplizen einen Telefonservice an, den Computer in Privatwohnungen vermitteln, um so die staatliche Telefongesellschaft zu umgehen.

Übersetzung: Dieter Schubert

Miguels “Drone“

Niemand weiß, wie er sie überhaupt einführen konnte bei all den Zollbeschränkungen und der paranoiden Regierung, aber Miguel hat eine Drone. Sie ist winzig klein, sieht aus wie ein Kinderspielzeug und ist mit einer Kamera ausgestattet. In seiner Freizeit erkundet der 40-jährige Mann aus Havanna mit seinem neuen Spielzeug die nahegelegenen Innenhöfe und Dachterrassen in der Nachbarschaft. Da sie so winzig ist, fällt sie kaum auf, wenn sie über dem Viertel ihre Runden dreht und dabei Bilder und Videos an einen Bildschirm im Haus des stolzen Besitzers weiterleitet.

Jetzt ist alles noch Spaß, aber falls Miguels Freizeitbeschäftigung eines Tages entdeckt werden sollte, kommt er vielleicht sogar als mutmaßlicher „CIA-Agent“ ins nationale Fernsehen. Man weiß ja nie. In den 70er Jahren wurde sein Onkel auf der Straße festgenommen, weil er ein Tonbandgerät bei sich hatte. Dieses gehörte einer regierungsnahen Zeitung, bei der dieser arbeitete. Er musste einige Stunden auf dem Polizeirevier verbringen, bis der Herausgeber der Zeitung sich persönlich für ihn einsetzte. Die Zeit verging wie im Flug und jetzt gibt es andere von der Regierung gefürchtete Gegenstände, aber die Strafmaßnahmen sind immer noch die gleichen.

Von der vermeintlichen Bestrafung mal abgesehen, hat Miguel bereits einige wertvolle Informationen ans Licht gebracht. Er hat das Schwimmbecken, das sich hinter dem hohen Zaun seines Nachbarn – einem Oberst – versteckt, gesehen, die Satellitenschüssel, die ein ehemaliger Minister auf seiner Dachterrasse stehen hat und das Fleisch, das aus dem Fressnapf des Rottweilers quillt, der dem Maler, der in dem Haus an der Ecke wohnt, gehört. Außerdem hat er mit der Nachtsichtkamera seines Spielzeugs den Mann beobachtet, der immer in den frühen Morgenstunden in der Mülltonne wühlt und dann mit seinen „Schätzen“ unter dem Arm wieder von dannen zieht. Er sah auch, wie ein Wächter die Container des Lagers öffnete, um zu stehlen, ohne Spuren am Sicherheitssiegel zu hinterlassen. Eines Nachts ertappte er sogar den Vorsitzenden des Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR)* dabei, wie er mit dem Alkohol aus einem nahegelegenen Krankenhaus handelt.

Miguel beobachtet Kuba aus der Luft, durch die Augen seiner Drone und was er sieht, ist ein Land, das in Stücke zerteilt ist, die einfach nicht zusammenpassen wollen.

 

Anmerkung der Übersetzerin:

CDR bezeichnet die Komitees zur Verteidigung der Revolution (spanisch: Comités de Defensa de la Revolución). Diese sind in Kuba auf lokaler Ebene flächendeckend existierende und agierende Nachbarschaftsorganisationen, die der Staatsregierung unterstehen. Sie sind Auge und Ohr der Partei und dienen als engmaschiges Informations- und Sicherheitsnetz und gleichzeitig dazu, soziale Aufgaben des Staates wie die Nahrungsmittelverteilung in den Wohngebieten zu gewährleisten. Die CDR wurden seit dem 28. September 1960 im Rahmen der gegen die Regierung gerichteten Sabotage- und Terrorakte zur Verteidigung der Revolution aufgebaut.

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

Alfredo Guevara in eigenen Worten

Ein kürzlich in der Zeitschrift Letras Libres veröffentlichtes Interview gibt Einblick in Alfredo Guevaras Gemütsverfassung einige Monate vor seinem Tod. Diese von Regisseur Arturo Sotto in die Wege geleitete Begegnung zeigt uns einen Mann, dem bewusst war, dass er am Ende seines Weges angelangt war. Seine Worte sind der Versuch seiner Existenz einen Sinn zu geben, einige Gräueltaten zu rechtfertigen und gewisse Errungenschaften hervorzutun.

Mit scharfer Zunge, aber dennoch achtsam, wagt Guevara sich an Themen aus der Vergangenheit, wie die Uneinigkeiten in der Bewegung des 26.Juli* und die Auseinandersetzungen mit den Streitkräften der Sozialistischen Volkspartei. Anekdote um Anekdote enthüllt er – vielleicht auch unbeabsichtigt – Details einer Macht, die sich inmitten von Betrug und Rivalität gefestigt hat. Die Geschichte von Celia Sánchez, die mit Fidel Castro in einem Haus im Viertel Vedado lebte und Guevara, bat die Kommunisten mit Tritten aus dem Kubanischen Institut für Filmkunst und Filmindustrie (ICAIC) zu befördern, rutscht ihm einfach so mit heraus.

Beim Lesen dieses Interview erinnerte ich mich sofort an einen Sonntagmorgen im Jahr 2013, als ich einen Anruf erhielt und man mich über eine Durchsuchung im Hause des kürzlich verstorbenen Alfredo Guevara informierte. Am frühen Morgen waren einige Polizeifahrzeuge und ein Kleinbus der politischen Polizei (DTI) dort aufgrund einer angeblichen Anzeige wegen Kunsthandels eingetroffen. Im Haus befanden sich nur seine Frau, die gerade mit dem Haushalt beschäftigt war und ein älterer entfernter Verwandter Guevaras.

Einige Minuten nach Erhalt der Nachricht machten wir uns auf, um nachzusehen was dort vor sich ging. Als sich die Tore der Villa einen Spalt öffneten, konnten wir einen Blick auf einige stämmige Männer, manche davon in Uniform, und eine Frau, die vor Angst kaum ein Wort hervorbrachte, erhaschen. Mit dem altbewährten Trick so zu tun als wir wären auf der Suche nach einem „Maurer“, klingelten wir und konnten uns davon überzeugen, dass dort drinnen etwas Schlimmes vor sich ging. Die Nachricht sprach sich schnell rum und der Fall wurde in den Medien als Unterschlagung nationalen Kunsterbes dargestellt. Nichtsdestotrotz nahmen nur wenige diese Geschichte für bare Münze.

Von Zeugen der polizeilichen Durchsuchung erfuhren wir, dass die Beamten ganz erpicht darauf waren, Dokumente zu finden. Mit groβer Sorgfalt erkundeten sie Deckenzwischenräume, wühlten unter Matratzen und durchsuchten Schubläden und Ordner voller Dokumente. Waren sie auf der Suche nach einem Dokument oder Schriftstück, das Alfredo Guevara aufbewahrte? Diese Frage stellte ich mir seit jenem Tage tausendfach und das Interview in der mexikanischen Zeitschrift Letras Libres bestärkte einige meiner Zweifel.

Es handelt sich um einen Mann, der sich nach Anerkennung sehnte und im Besitz wichtiger Informationen ist. Ein in die Jahre gekommener Herr, der in der Lage ist zu erkennen, dass der Verlauf der Geschichte umgeschrieben wurde, um sie in einem heldenhafteren Licht erscheinen zu lassen. Zur Biographie Fidel Castros Guerrillero del tiempo sagt er: “Ich denke, Fidel Castro hat seine eigene Version und ich meine, ohne das dies einen Widerspruch darstellen muss. Ich will vorsichtig sein, ich habe Angst…”. Solch ein Mann verfügt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit über Informationen zum wahren Verlauf der Geschichte, die er zum Teil in dem hervorragenden Interview für Letras Libres preisgibt.

Der bedeutendste Beweis, den Alfredo Guevara uns hinterlässt, ist jedoch kein Foto, es ist auch kein handschriftlich unterschriebenes Blatt Papier oder ein offizielles Dokument, das man in irgendeinem düsteren Archiv entdeckt hat. Der eigentliche Beweis ist die Enttäuschung, die in seinen Worten mitschwingt, die Verbitterung, die sich aus seiner letzten Bilanz heraushören lässt und die letztendliche Einsicht, dass er wohl niemals mit Sicherheit wissen wird, ob er als schuldig oder unschuldig in die Geschichte eingehen wird.

*Anmerkung der Übersetzerin:

Movimiento 26 de Julio (M-26-7) ist der Name der von Fidel Castro geführten Bewegung während der kubanischen Revolution.

Übersetzung: Katrin Vallet

Man erntet was man sät

Heute, während ich diesen Text veröffentliche, sitzen tausende Studenten in Havanna vor ihrer Mathematikklausur. In den Zeitplan für die Aufnahmeprüfungen der Universität musste, nach einem Betrugsskandal, ein neuer Prüfungstermin für dieses Fach aufgenommen werden. Der Verkauf der durchgesickerten Fragen führte zur Absage des vorherigen Termins, außerdem wurden drei Professoren verhaftet und gegen mehrere Schüler wurde eine Untersuchung eingeleitet.

Obwohl solche Betrugsfälle in den kubanischen Schulen alltäglich sind, hat dieser Fall die Gesellschaft und sogar die Presse dazu angeregt, sich mit diesem Thema näher zu befassen. Wir haben auf unseren kleinen Bildschirmen zehntausende Interviews mit Leuten gesehen, die das Abschreiben von Anderen und das Stehlen von Wissen, welches man selbst nicht hat, verteufelten. Alle Personen, die befragt wurden, gaben an, einen solchen Betrug abzulehnen. Aber nur wenige beziehungsweise niemand ging auf das scheinheilige und falsche Umfeld ein, in dem diese Jugendlichen, die heute 16 und 17 Jahre alt sind, aufgewachsen sind.

Genau diese Generation von Schülern wurde unter der Anwendung verschiedener. Erziehungsexperimente, wie zum Beispiel den sogenannten „maestros emergentes“, Studenten ohne entsprechende Ausbildung, die als Lehrer eingesetzt wurden, ausgebildet. Gibt es einen größeren Betrug als in der Aula jemanden vor die Nase gesetzt zu bekommen, der zwar sagt er sei Lehrer, aber weder über die ethischen Werte, noch über das Wissen verfügt, um diesen ehrenwerten Beruf auszuüben. Wie kann man von ihnen Ehrlichkeit erwarten, wenn die Bildschirme über die sie ihre virtuelle Unterrichtsstunde erhielten, ihnen niemals die notwendigen moralischen Werte vermitteln konnten. Es sind genau diese jungen Leute, die jetzt gerade eine Mathematikklausur schreiben, die Kinder meiner Generation, die von künstlichen schulischen Resultaten und aufgebauschten Bewertungen geradezu umzingelt sind.

An dieser Stelle sollten wir uns daran erinnern, dass sowohl die Lehrer als auch die Schüler jahrzehntelang dafür „bestraft“ wurden wenn die Klasse nicht mehr als 90 oder sogar fast 100 Punkte erreichte. Diese Strafen reichten von Ausschluss aus dem Bewertungssystem bis zu Materialkürzungen und administrativen Maßnahmen.Es waren Zeiten in denen alle bestehen mussten – egal wie. Diese Zeiten, in denen Fidel Castro die schulischen Ergebnisse der Studienanwärter lobpreisend von einem Podest aus vorlas, tief im Inneren wissend, dass sie nur eine, für ihn erschaffene, große Lüge waren.

Es wurde zur Gewohnheit, dass die Lehrer die Prüfungsfragen im Voraus bekannt gaben, an den Tischen derer, die sich schwertaten stehen blieben, um ihnen die Antwort zuzuflüstern oder schlichtweg das Klassenzimmer verließen, damit die Schüler voneinander abschreiben konnten. Für diejenigen unter uns, die mit Eifer lernten, war es sehr frustrierend, dass die Bildung und der Betrug immer Hand in Hand gingen. Wir sind die Eltern der Generation, die heute in den Aulas von Havanna benotet werden. Wie könnte sie auch anders sein? Wie können wir sie bitten etwas nicht zu tun, das ihnen schon so oft vorgelebt wurde?

Übersetzung: Anja Seelmann

Wie heißt dein Netzwerk?

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Die Umarmung der Technologie.

Sie treffen sich an einer Ecke, haben gerötete Augen vom fehlenden Schlaf und die Hosen rutschen ihnen beinahe über die Knie. Noch keine 20 Jahre alt, verbringen sie die ganze Nacht in der Handlung eines Videospiels. Sie begrüßen sich nicht mehr mit dem einfachen und gängigen „Was geht?“, noch murmeln sie sich unverständliche „Hey“-Laute zu, sondern sie sprechen in der Sprache, die sie am besten verstehen: „Wie heißt dein Netzwerk?“, fragt der größte den anderen. „Bad Team“, hallt es als Antwort durch die Luft.

Mit diesem simplen Austausch haben sich die zwei Jugendlichen vorgestellt und treten sich mit der Identität gegenüber, die ihnen gerade am wichtigsten ist. Das Wesentliche wurde gesagt: Der Name, mit dem man sich im Wirrwarr der schnurlosen Verbindungen wiederfindet, das sich über die Stadt webt. Trotz der Polizeirazzien und der hohen Preise eines Routers oder einer APN auf dem Schwarzmarkt breiten sich die Computernetzwerke aus. Sie ersetzen das fehlende Internet. Über sie laufen Spiele, Dokumentationen, Updates für Betriebssysteme, Raubkopien von Software, Zeitschriften in PDF, Musik, Videoclips und die neu aufkommende Werbung des Privatsektors.

“Das lässt sich nicht mehr stoppen“, meint ein Jugendlicher, dessen Finger vielleicht vom regen Umgang mit der Maus und der Tastatur so länglich und agil sind. Er ist einer von den Entwicklern eines ausgeweiteten Netzwerks, dessen digitalen Tentakel sich, vom Stadtteil Habana del Este ausgehend, durch die unwegsamen Straßen von Havannas Zentrum hindurch bis ins Herz von San Miguel del Padrón erstrecken. Wenn hier eine Polizeioffensive durchgeführt wird, um Antennen und Zubehör zu beschlagnahmen, bemerken sie das sofort. „Registrieren wir den plötzlichen Verlust mehrerer User, die ihre Verbindungen trennen, so ist das für uns ein Zeichen, dass etwas nicht stimmt.“ Eine virtuelle Komplizenschaft vereint sie.

Die Regierung hat allen Grund besorgt zu sein; denn diese Jugendlichen leben bereits in der Zukunft.

 

Übersetzung: Nina Beyerlein

 

Um größere Träume verfolgen zu können

Ich erinnere mich weder an den Titel dieses Films, noch an den Regisseur, ja noch nicht einmal daran, ob ich ihn auf einer Kinoleinwand oder einem Fernsehbildschirm gesehen habe. Nur eine Szene ist mir im Gedächtnis geblieben, nur ein kurzer Moment, in dem der Protagonist sich seinen Mantel abstreift, um ihn einem Freund zu schenken. Dieser hatte ihm kurz vorher gestanden, dass er von so einem Mantel, modern und aus Leder, schon immer geträumt habe. „Ach was! damit du ab jetzt deine Träume etwas höher steckst.“, sagte er während er ihm das lang ersehnte Kleidungsstück überreichte.

Sobald man ein Projekt umsetzt, von dem man schon lange geträumt hatte, kommt das Gefühl auf, sich neue Ziele setzen zu müssen. Ich war mehr als 4 Jahre lang geradezu von 14ymedio.com besessen. Zunächst fühlte ich einfach nur die Notwendigkeit eines solchen Projekts, um Information bereitzustellen, die den Kubanern dabei helfen würde reifere Entscheidungen zu treffen und somit ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Danach stellte sich die Frage nach der Umsetzung und diese führte dann zu einem Zeitplan, dessen Verwirklichung ebenso schwierig wie auch wichtig war.

Eine ganze Zeit lang lachten meine Freunde hinter hervor gehaltenen Händen wenn ich auf das Thema zu sprechen kam. Mehr als nur einer nannte mich „die Verrückte mit ihrer Zeitung.“ Der schwerste Teil war und ist es zweifellos dieser Fantasie Leben einzuhauchen, denn auf diesem Weg musste ich unzählige Hindernisse überwinden. Diese reichten von jenen Stolpersteinen des Staats, der die freie Verbreitung von Information als Verrat empfindet bis hin zur Skepsis der eigenen Freunde. Aber wenn man sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt man nun mal nicht so leicht auf.

Heute ist einer meiner Träume Wirklichkeit geworden. Im Gegensatz zu der Figur im Film ist es kein Kleidungsstück, sondern eine Internetzeitung, bei der ich auf die Unterstützung von zahlreichen Kollegen und Freunden zählen kann. Diese Zeitung entstand aus dem Wunsch heraus viele Leser sowohl außerhalb, als auch innerhalb Kubas zu erreichen und ein breites Spektrum an Nachrichten, Kolumnen und Fakten über die Realität auf unserer Insel anbieten zu können. Dieses Projekt bringt ohne Zweifel sehr viel Arbeit mit sich. Doch wir werden Schritt für Schritt wachsen ohne unsere Aufgabe qualitativ hochwertige Texte zu veröffentlichen aus den Augen zu verlieren.

Nun kann ich größeren Träumen nachjagen und in einem Jahr sind wir dann vielleicht schon am Kiosk an der Ecke erhältlich. Wer weiß das schon?

 Übersetzung: Anja Seelmann

Ah… du bist nicht mit drin, im Paket!

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Mittags in ein Sammeltaxi zu steigen, dessen Karosserie von der Sonne komplett aufgeheizt ist und das bei jedem Schlagloch quietscht, ist eine erschütternde Erfahrung. Man zieht den Kopf ein, macht sich klein, um auf den improvisierten Sitzen Platz nehmen zu können. So mancher Faden einer Hose oder eines Unterrocks verfängt sich an einer schlecht angebrachten Schraube, oder an der Metallspitze, für deren Abrundung man keine Zeit verschenkt hatte. Dann kommt die härteste Probe: den Musikgeschmack des Fahrers zu akzeptieren, den er uns mit voller Lautstärke aufzwingt. Jedoch ist es auch eine einzigartige soziologische Erfahrung, die – mit journalistischem Blick betrachtet – zum Nachdenken über diese eigenartige Realität führt, in der wir leben.

Vor einigen Tagen bestieg ich einen dieser alten „Bathyskaphen“*, die durch Havanna rollen. Nur noch Schrott, aber mit den leistungsstarken Lautsprechern einer Diskothek. Der Reggaeton betäubte. Der Großteil der Texte war sexistisch und voraussagbar. Bis dann ein Lied ertönte, das mich zum Nachdenken brachte. Der Sänger machte sich über jemand lustig und machte ihn herunter: „Ah… du bist nicht mit drin, im Paket!“ Es dauerte nur Sekunden: „Ah… du bist nicht mit drin, im Paket!“ – aber es reichte! Wahrscheinlich bezog er sich auf einen anderen Musiker oder Künstler, der nicht mit auf einer zusammengestellten Auswahl von audiovisuellen Aufnahmen – sogenannten „Combos“ – erschienen war, und die alternativ vertrieben und von der Regierung verabscheut werden.

Es fällt auf, dass nicht mit ins „Paket“ aufgenommen zu werden, jemand im volkstümlichen Repertoire auf die letzte Stufe der Beliebtheit herabsetzt. Wenn also ein gewisser Video-Clip, eine Dokumentation oder ein Film in diese Kompilationen nicht aufgenommen wird, dann ist das ein Zeichen für wenig Berühmtheit. Was am meisten ins Auge sticht ist die Tatsache, dass, wenn die Leute die Möglichkeit haben, ihre eigenen „Fernsehprogramme“ mit jenen Gigabytes aus Telenovelas, Dokumentationen und Musik zusammen zu stellen, sie dann niemals die öffentlichen Sendungen mit einschließen. Das heißt, dem Fernsehprogramm Mesa Redonda könnte man den ätzenden Refrain „Ah…du bist nicht mit drin, im Paket!“ singen, ebenso dem Star-Berichterstatter, den Staatsakten, und so vielen Reden und Erklärungen der Regierung, die von den nationalen Kanälen übertragen werden.

Die Stimme der Kommunistischen Partei Kubas wurde nicht mit ins „Paket“ aufgenommen, denn sie ist langweilig, nichtssagend, repetitiv…und wenig glaubwürdig.

 

Anmerkung der Übersetzerin:

*Der Tiefseeforscher Auguste Piccard nannte sein Tauchboot „Bathyskaph“

Übersetzung: Nina Beyerlein

14ymedio

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Gestern diskutierte ich mit einem Freund über die Bedeutung des Journalismus in der aktuellen kubanischen Situation. Er wollte mich überzeugen in seine oppositionelle Partei einzutreten, und ich erinnerte ihn daran, dass ein Berichterstatter kein aktives Mitglied in irgendeinem politischen Lager sein sollte. Es war ein herzliches Gespräch, gewürzt mit Scherzen, das aber die unterschiedlichen Positionen klarstellte, die sich Berichterstatter und Politiker zu Eigen machen müssen.

Jetzt bin ich hier; ich erinnere mich an das Gespräch vor ein paar Stunden, denn bin dabei, Gesicht und Namen eines gemeinsamen Traums in meinen Internet-Blog zu stellen. Ein Medium, von dem wir hoffen, dass es die in unserem Land notwendige Transition unterstützen und begleiten wird, weil die Transition kommen wird. Ein Freiraum für die Berichterstattung über eine Wirklichkeit, wo es Leute wie meinen Freund gibt, aber auch andere, die dem aktuellen System Beifall zollen – aus Überzeugung, Opportunismus oder Angst. Ein Freiraum also, um aus Kuba von innen heraus zu berichten.

Das wird ein schwieriger Weg werden. In den letzten Wochen haben wir in zunehmendem Maß erlebt, wie die offizielle Propaganda versuchte uns zu verteufeln, weil wir dieses Medium installieren. Und tatsächlich, schon haben etliche Mitarbeiter unserer Gruppe die ersten warnenden Anrufe von der Staatssicherheit erhalten. Und trotzdem, es gibt nichts, was uns in Verlegenheit bringen könnte. 14ymedio entsteht und hat nichts zu verbergen. Informationen zu den Leitlinien des Verlags, ethische Verpflichtungen, Geldmittel…all das wird man auf der Webseite lesen können, die ab dem 21. Mai erreichbar sein wird. Wir hätten uns gewünscht, sie würde schon heute funktionieren, aber ich muss zugeben, dass sich die Technologie manchmal kapriziös gebärdet.

Und an alle die, die uns fragen: „Warum dieser so andere und so sonderbare Name?“ Es stimmt, dass das Medium im 14. Stockwerk und im Jahr 14 das Licht der Welt erblickt hat. Außerdem kommt darin das Y vor, das mich all die Jahre begleitet hat, sowie das Wort „medio“, mit all seinen Querverbindungen zum Journalismus. Wir wollten das Wort „Kuba“ in unserem Namenskennzeichen vermeiden; an seiner Stelle haben wir die universellste Art zu verschlüsseln gewählt: einen Zahlenkode.

Jetzt fehlt nur noch, dass es Euch gefällt, Debatten auslöst und Informationen bietet.

Vielen Dank im Voraus!

Übersetzung: Dieter Schubert

Unterdrückung in Episoden

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Foto entnommen aus: http://www.ojocientifico.com/

Was spürt das Insekt, das im Netz der Spinne gefangen ist und sieht, wie der Räuber sich nähert? Wie vergehen diese Sekunden, in denen das Insekt die Attacke und den Tod ahnt? Sie werden wohl den Tagen gleichen, in denen sich die repressive Falle um eine Person, eine Gruppe, oder eine Gesellschaft schließt. Vergleichbar mit jenem Skript, in dem sie sich Rechtfertigungen für den Schlag zurechtlegen, die öffentliche Meinung manipulieren und das Archiv füllen, das man später der Presse zugänglich machen wird, oder den Gerichten.

Die aktuelle Strategie gegen die kubanische Opposition gleicht dem langsamen Vorankriechen der Spinnenbeine in Richtung Opfer.

Erleben wir gerade die Episoden einer Telenovela, mit der Absicht neue Technologien und Abtrünnigkeit zu verteufeln, um damit jene dunklen Ereignisse während des „Schwarzen Frühlings“* im März 2003 zu wiederholen? Wer weiß das schon. Man sieht den Schlag kommen; man beobachtet die Hartnäckigkeit, mit der die Presse bestimmte Phrasen wiederholt, wobei sie sich wie besessen auf Themen wie „Zunzuneo“ ** stürzt und versucht, dies mit den Gewalttätigkeiten von vier mutmaßlichen Terroristen in Verbindung zu bringen, die kürzlich auf Kuba enttarnt wurden. Wie in schlechten Seifenopern erkennt man die Machenschaften, mit der sie mobile Telefone, Twitter, Krieg und Tod miteinander vermischen. Zum Glück verfangen sich diese Gemeinheiten fast nicht in der kubanischen Bevölkerung, die sich zu sehr auf die täglichen Bedürfnissen konzentriert, die unter dem Mangel an Material leidet, der Ideologie überdrüssig ist und somit eher aus der Wirklichkeit flieht, als ein bürgerliches Bewusstsein entwickelt.

Die Falle ist fast fertig. Wird man sie benutzen? Wer weiß das? Es gibt nicht viel was man tun kann, um dies zu verhindern, es sei denn die Falle öffentlich zu denunzieren. Am Ende der Geschichte wird die Spinne immer größer, stärker und mächtiger sein, als das Insekt.

Anmerkungen des Übersetzers:

* Der „Schwarze Frühling“ in Kuba: Im März 2003 erlebte die Insel eine Welle von Verhaftungen. Oppositionelle, Dissidenten, Kritiker der Regierung, aber auch Ärzte und Journalisten wurden subversiver Tätigkeiten beschuldigt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

** Der Zunzuneo ist ein Kolibri. Als Icon öffnet er die App „Cuban Twitter“, die von den Vereinigten Staaten heimlich eingerichtet wurde.

 Übersetzung: Dieter Schubert

Raúl Castro, nur in der Menschenmenge ein Mann

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Raúl Castro bei einer öffentlichen Feier

Die Zurufe, die Transparente und die Parolen, die aus den Mündern von Tausenden erklingen, wecken in ihm längst vergangene Gefühle. Er blickt auf das Menschenmeer, das an der Tribüne vorbeitreibt, hinab und das Herz schlägt ihm unregelmäßig in der Brust. Ein gerötetes Gesicht, erweiterte Pupillen, Gänsehaut und zusammengebissene Zähne, das sind die ersten Symptome der Aufregung, die Menschenmengen in einem Anführer hervorrufen. Ein Ritual, das sie in regelmäßigen Abständen vollführen müssen, um der Einsamkeit der Macht zu entfliehen.

Die Autokraten stellen Märsche, riesige Prozessionen und prachtvolle Umzüge auf die Beine – „die größten der Welt“- in denen sie sich an ihrer eigenen Autorität ergötzen. Im Wissen, dass sie und nur sie, Millionen Menschen – mitten in der Nacht – aus ihren Betten scheuchen, in einen Bus verfrachten und ihre Namen in Listen eintragen können, um sie dann um einen großen Platz laufen zu lassen. Damit auch jeder weiß, wer das Sagen hat, lassen sie die Nachricht mithilfe einer Menschenmenge, die voller Ehrgefühl und Dankbarkeit ihren Namen ruft, verbreiten. Eine Menge, in die sie es nie wagen würden hinabzusteigen, mit der sie nicht verkehren, die sie fürchten -und innerlich- sogar verachten.

Heute wird ein älterer Herr mit Sonnenbrille die 1. Mai-Feierlichkeiten auf der Plaza de la Revolución anführen. Tage zuvor hat er jede Dachterrasse in der Umgebung genauestens inspizieren lassen, hat Sicherheitsmänner an den höchsten Punkten der Stadt stationiert und berechnet, ab welchem Punkt die Tribüne sich außer Schussweite befindet. Sein Neffe wird zu seinem Schutz in der Nähe sein und eine ganze Fahrzeugflotte steht im Ernstfall für seine Flucht bereit. Er traut der Menschenmenge, die er selbst zusammengetrommelt hat, keinen Millimeter über den Weg.

Der Autokrat hat vor seinen eigenen Leuten Angst. Angst und Argwohn. Und dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit. Er weiß, dass diese Köpfe, die er von dort oben zu Hunderttausenden sieht nur dort sind, weil sie ihn fürchten und nicht weil sie ihn lieben. 

Übersetzung: Katrin Vallet