Und Google kam nach Havanna!

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Haben Sie schon einmal versucht jemandem Google zu erklären, der es nicht kennt? Mir ist das vor ein paar Tagen passiert, als mich ein noch nicht einmal 10-jähriges Nachbarmädchen fragte: „Und was ist eine Suchmaschine?“. Ich wollte nicht technologisch antworten und ich erzählte ihr deshalb nichts von dem Algorithmus, den diese Dienstleister anwenden, um Informationen zu organisieren; ich sagte ihr nichts von den „Spinnen“, die ihre Fäden durch das gesamte Netz weben, um die Sites zu überprüfen, und erst recht nichts von dem Wettlauf, um sich in ihren Listen zu positionieren, worauf viele besessen sind. Stattdessen antwortete ich ihr mit einer Erklärung, die sie würde verstehen können: „Google ist wie ein Zauberspiegel aus den Märchen. Du kannst ihn fragen was du möchtest, und er wird dir tausend mögliche Antworten geben.“

Gestern Abend klopfte Google an unsere Tür. Das ist keine Metapher; die Suchmaschine kam und suchte uns auf. Mehrere Repräsentanten der bekanntesten aller Suchmaschinen waren da und näherten sich unserem Leben und unserer Arbeit. Vor ihnen mussten wir keine Tags, Keywords und auch den nicht den strengen PageRank-Algorithmus anwenden. Dies waren Menschen, die uns herzlich umarmten, lachten, das Haus erkundeten, und dabei vor allem unsere technologischen Erfindungen und unseren Hund ohne Fell neugierig betrachteten. Jared CohenBrett Perlmutter und Dan Keyserling ließen sich zum Aufstieg ins 14. Stockwerk des Gebäudes bewegen, wo wir gemeinsam eine Zeitungsredaktion besuchten, der zwar das Internet fehlt, nicht aber die starke Verpflichtung zur Realität des heutigen Kubas.

Ich wollte wissen, ob sie sich schon an irgendeinem öffentlichen Ort mit dem Internet verbinden konnten. „Langsam, sehr langsam…“, meinten sie. Danach sprachen wir über die Zukunft und ihr Engagement hinsichtlich der kubanischen Internetnutzer, und wir waren erleichtert zu wissen, dass sie die schwierige Informationslage kennen, die wir auf der Insel haben. Vorher hatte ich mich mit  Eric Schmidt  unterhalten und stellte fest, dass etwas von dem Scharfsinn in seinen Augen und der Treffsicherheit seiner Worte an die einfache Allwissenheit der Google-Seite erinnert.

Es war eine Nacht der Technologien ohne Technologie. Niemand holte sein Mobiltelefon hervor um ins Netz zu gehen – das ist in Kuba nicht möglich – , und niemand kam auf die Idee, uns den neuesten doodle zu zeigen, oder uns die Tragweite der Firma, in der er arbeitet, mit Zahlen zu belegen. Wir hatten das unglaubliche Glück vor dem Zauberspiegel zu stehen, aber wir stellten weder Fragen noch wollten wir Antworten – wir beschrieben nur wer wir sind und wohin wir gehen.

Übersetzung: Nina Beyerlein

„Casting“ für einen Arbeitsplatz

Mit dreißig Jahren verlor Eugenia ihren Arbeitsplatz in einem Büro des Transportministeriums. Sie bliebe „einsetzbar“, erklärten ihr ihre Chefs, ehe sie ihr einen Job als Maurer anboten. Da sie keine Lust darauf hatte, einen Ziegelstein auf den anderen zu setzen und Mörtel anzurühren, versuchte sie auf dem privaten Arbeitsmarkt etwas zu finden. Ihre Chancen sind gering. Sie spricht keine Fremdsprachen, hatte noch nie einen Computer unter den Fingern, und das „sie sieht gut aus “ der Jugend hat sie auch nicht.

Eine Freundin schrieb sie für ihre Arbeitssuche auf einer Webseite ein. „Leute mit Zahnersatz akzeptieren wie hier nicht!“, sagte man ihr bei einem Vorstellungsgespräch, als sie sich um eine Stelle als „Raumpflegerin“ in einem Haus bewarb, das an Ausländer vermietet. Die Besitzerin wollte „eine ehrliche Frau, die nur wenig spricht, nicht raucht und kräftig aussieht“. Sie stellte eine andere ein, und Eugenia beschloss in ihr Aussehen zu investieren.

Dazu färbte sie sich die Haare, kaufte sich ein Paar neuer Schuhe und machte einen Streifzug durch mehrere Cafés und Restaurants im Zentrum von Havanna. Mit mehr als fünfzig Jahren sagten sie ihr an allen Orten das Gleiche: „Wir haben schon Küchenpersonal und für den Service haben wir für dich keine Verwendung“. Und Eugenia bemerkte, dass es hinter den Tresen angesagter Lokale (die auf eigene Rechnung arbeiten) und als Bedienung an Tischen fast immer nur junge, schlanke Frauen gibt, mit einer bemerkenswerten Oberweite.

„Es stimmt doch, dass Sie aus Havanna sind?“, fragte man sie dort, wo man Personal zum Waschen und Bügeln einstellte. Eugenia wurde in Holguín geboren und verbrachte fast ihr ganzes Leben in der kubanischen Hauptstadt, aber dem Besitzer der Wäscherei reichte das nicht. „Wir wollen Leute aus Havanna, damit wir später keine Probleme mit Verwandten bekommen, die sich hier im Haus breit machen wollen.“

Eine Nachbarin wies sie auf die Möglichkeit hin, einen alten Menschen zu betreuen. Es handelte sich um einen Veteranen des Militärs, der kaum noch vom Rollstuhl aufstehen konnte. „Bei ihm darf man nichts Schlechtes über die Revolution sagen“, warnten sie die Söhne des Alten, den man füttern, die Kleidung wechseln und die Granma vorlesen musste. Schlussendlich bekam Eugenia auch diesen Job nicht.

Für ein paar Tage gelang es ihr sich um ein Kind zu kümmern, aber es war nur für eine Woche, denn „wenn du nicht singen kannst und keine Kinderspiele kennst, dann langweilt sich mein Sohn“, sagte ihr die Mutter des Kleinen. Bei ihrem früheren Arbeitgeber wusste Eugenia nur, wie man Formblätter ausfüllt, amtliche Stempel darunter setzt; und bei den langen Betriebsversammlungen den Kopf zustimmend bewegt. Dem aktuellen Arbeitsmarkt ist sie nicht mehr gewachsen.

Gestern teilten sie ihr mit, dass es einen Spülplatz in einem privaten Restaurant, in einem sogenannten „Paladar“, gäbe. „Während der Arbeitszeit darfst du die Küche nicht verlassen“, erklärte ihr der Koch. „Es ist besser, wenn dich unsere Gäste nicht zu Gesicht bekommen“, fügte er noch hinzu, ehe er sagte, es wäre „auf Probe“.

Übersetzung: Dieter Schubert

Oh Mary Jane*!

Livio ging auf Reisen und gab seinen wertvollsten Besitz in die Obhut seiner Freunde. Es war kein Kind, kein Haustier und auch nicht eines von den Elektrogeräten, die die Menschen in Kuba so abgöttisch lieben. Sein „Augenstern“ war eine Hanfpflanze, die er liebevoll aufgezogen hatte und die nun groß genug war, um die ersten Joints daraus zu drehen. Obwohl sie keine Ahnung hatten, was eine solche Pflanze braucht, entschieden sich die erstaunten „Gras-Hüter“ sie an ein Fenster zu stellen, wo sie den neugierigen Augen der Nachbarn und möglicher Verräter verborgen blieb. Sie überlebte, aber als ihr Besitzer aus dem Ausland zurückkehrte, schwor er, dass er seine wertvolle Pflanze nie wieder in die Hände von solchen Stümpern geben würde.

Dies ist kein Einzelfall. Marihuana ist etwas ganz Alltägliches im Leben eines jeden Kubaners. Und dies obwohl die Medien kein Wort über Mary Jane verlieren; es braucht aber auch keine Werbung, um bekannt zu sein. Man riecht es auf den Festen, es ist in der Luft bei einigen öffentlichen Konzerten und man entdeckt es in den halb offenen Augen nicht weniger Menschen, die in demselben staatlichen Fernsehen auftreten, für das Marihuana ein Tabuthema ist. Es ist eine Tatsache, es ist hier in Kuba, und das nicht nur wegen der Drogenpakete, die mit der Strömung an die Küsten kommen – denn laut der offiziellen Presse kommt das Schlechte schließlich immer aus dem Ausland -, sondern weil es eine eigene Produktion „Made in Kuba“ gibt, mit dem Geschmack nach roter tropischer Erde. Diese wächst in Palmenwäldern oder auf Marabú*-Feldern.

Die Musikszene von Havanna kennt ihre „alte Freundin“ Mary Jane sehr gut. Einige Künstler können sich das Komponieren ihrer Lieder ohne ihre immer präsente Helferin, die ihnen „die Worte ins Ohr flüstert“, nicht vorstellen. Die Eltern dieser „Kiffer“ reden sich ein, dass es ja wenigstens kein Kokain ist. „Sanfter, therapeutischer, glücklicher“, sagen sie sich, um sich zu beruhigen. Aber hinter dieser anscheinend sozialen Akzeptanz der Pflanze verbirgt sich eine Debatte, die die kubanische Gesellschaft schon viel zu lange aufgeschoben hat. Legalisieren oder bestrafen? Das ist das Dilemma. Aber stellt man diese Frage in der Öffentlichkeit, wird man sofort zum „Feind“.

Die in die Jahre gekommenen Herren, die unser Land regieren, haben uns daran gehindert, über die wichtigen Themen der heutigen Zeit zu diskutieren. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die den Konsum zu therapeutischen Zwecken oder das strikte Verbot von Mary Jane infrage stellt. Ich träume davon, in einem Land zu leben, wo mein 19-jähriger Sohn an der sozialen Debatte teilhaben kann; an der Frage nämlich, ob der Besitz und Konsum dieser Pflanze, die Livio fast schon liebevoll züchtet, zu liberalisieren oder zu bestrafen ist.

Nur aufzuhören über Marihuana zu sprechen, lässt es noch lange nicht aus unserem Land verschwinden. Den Blick abzuwenden verhindert nicht, dass jedes Jahr tausende Joints, hergestellt aus diesen Blättern, zwischen den Lippen deiner Kinder, meiner Kinder, den Kindern von so vielen anderen enden. Warum hören wir nicht mit dieser Heuchelei auf und fangen an darüber zu diskutieren, wie es weitergehen soll? Diese Pflanze mit ihren auffälligen, gezackten, länglichen Blättern wächst jetzt gerade auf unzähligen Terrassen, in Gärten und in zu Beeten umgewandelten Zisternen überall auf der Insel.

Es bleibt abzuwarten, ob wir weiterhin die „Zigarette der Gleichgültigkeit“ rauchen, oder stattdessen anfangen zu reden…über ein Thema, das endlich auf den Tisch gebracht werden muss.

 

Anmerkungen der Übersetzerin:

*“Mary Jane“, im Originaltext „María“, ist ein populäres Synonym für Marihuana.

*Marabú (Dichrostachys cinerea) ist ein im 19.Jahrhundert von Afrika in die Karibikregion importierter Strauch.

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

Bullying auf Kuba?

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Von Gewalt an Schulen sind tausende kubansiche Schüler betroffen. (14ymedio)

Damaris ist fast 40 Jahre alt und hat einige Narben im Gesicht. Eine Klassenkameradin hatte ihr in der fünften Klasse mit einer Haarnadel das Gesicht zerkratzt. Im Unterricht gab es Streit um einen Bleistift und das Mädchen drohte: „Wir sehen uns um halb vier!“  Diese Drohung, ist wohl das schlimmste, was man einem Schüler an einer kubanischen Grundschule passieren kann. Denn mit nur einem Satz wird klar, dass man sich bei Schulschluss mit Fäusten und Füßen als der Stärkere beweisen wird müssen.

Für Yosniel kam es noch schlimmer. Während seines Abschlussjahres stürzte er sich von einem Wassertank des Volksrepublik-Rumänien-Gymnasiums, nachdem er monatelang den Spott seiner Mitbewohner im Wohnheim wegen der Größe seines Kopfes ertragen hatte. Er schlug auf der Betonabdeckung der Zisterne auf, für ihn kam jede Art der Wiederbelebung zu spät. Auf der Beerdigung im Armenviertel Romerillo vor einigen Tagen bekundeten jene Mitschüler, die ihn bis vor Kurzem verspottet hatten, der Familie ihr Beileid.

Doch dieses Problem betrifft nicht nur ärmere, sondern auch wohlhabende Familien. Die kalte Klinge eines Messers durchdrang Adrians Herz, ebenfalls Schüler an einem Stipendium geförderten Gymnasium, weil einem stärkeren Mitschüler seine Converse-Schuhe gefielen und dieser beschloss sie ihm wegzunehmen. Die Eltern des Verstorbenen gehören dem Militär an, und nichtsdestotrotz waren sie nicht in der Lage zu verstehen, dass an den Schulen, in denen der „neue Mensch“ erschaffen werden sollte, eine Gewaltbereitschaft herrscht, wie man sie in einem Gefängnis erwarten würde.

Cecilia wiederum gehörte schon immer zu denen, die austeilen…und nicht einstecken. Sie bestimmt welchen Rock sie tragen wird, und wühlt in den Spinden der kleineren und schwächeren Schülerinnen. Eines Tages fand sie in einem dünnen Mädchen mit Zahnlücke das perfekte Opfer und schlitzte ihr mit einer von einer Laubsäge stammenden Klinge das Gesicht von einem Ohr zum andern auf.

Gewalt in den Schulen, auch  Bullying oder Mobbing genannt, ist ein Thema, das in den kubanischen Medien kaum zur Sprache kommt, das jedoch hunderte und tausende Schüler landesweit betrifft. Alarmierend ist vor allem die Mittäterschaft oder Gleichgültigkeit der Lehrer. Oft benutzen Lehrer diese „starken Jungen und Mädchen“ um den Rest der Klasse unter Kontrolle zu halten. Das Ergebnis: die institutionalisierte Anerkennung eines Systems, das auf Protzerei und Missbrauch aufbaut.

Doch wie kann man das Ganze anprangern? Niemand kennt die Antwort. Es gibt keine Notfallzentrale, an die ein Mobbingopfer sich wenden könnte,  keinen Rundbrief des Kultusministeriums, der in solchen Fällen die Opfer schützen könnte. Wenn die Kinder ihren Eltern von den Missbräuchen erzählen, regieren diese meist mit einem „du musst härter zurückschlagen“ oder „zeig ihnen was in dir steckt“. Die Lehrer wollen nicht dazwischen gehen und die meisten Schulleiter gehen in die Defensive: „Wissen Sie, wir wissen schon gar nicht mehr was wir mit diesem Jungen anstellen sollen.“

Die Wahrheit ist jedoch, dass über Mobbing an Schulen weder gesprochen, noch diskutiert wird… während Mädchen wie Cecilia weiterhin den kleineren Mädchen ihre Uniformen klauen, Klassenkameradinnen das Gesicht mit Haarklammern entstellen oder sich über den großen Kopf eines Mitschülers – bis zum Selbstmord – lustig machen.

 Übersetzung: Katrin Vallet

Ein unglaublicher Vater

Ricardo hat seine zwei Töchter alleine großgezogen. Eines Morgens im August wachte er auf und seine Frau war weg. Später erfuhr er, dass man sie auf hoher See abgefangen hatte und dass sie mehrere Monate auf dem Stützpunkt der US-Navy in der Guantánamo-Bucht verbrachte, bevor sie es schließlich in die Vereinigten Staaten schaffte. Seine jüngere Tochter schlief zu dieser Zeit noch in einer Wiege, die Ältere lernte gerade ihre ersten Buchstaben.

Es waren harte Zeiten für ihn. Er hatte mit den Angriffen seiner Schwiegermutter zu kämpfen, die es nicht akzeptieren wollte, dass er das Sorgerecht hatte und immer wenn sie ihn sah schrie sie aufgebracht: „Diese Mädchen brauchen eine Mutter!“. In seinem Dorf hatte er es auch nicht leichter. Ein Mann, der von seiner Frau verlassen wurde, fällt in Havanna nicht weiter auf, auf dem Land aber wird er zum Gespött der gesamten Nachbarschaft.

Er musste mit allem alleine fertig werden. Es musste seinen Töchtern erklären was das Einsetzen der Regel zu bedeuten hat und wie wichtig es ist, ein Kondom zu benutzen. Er stand lange vor Apotheken Schlange, um ihnen Binden zu kaufen und verkaufte einige seiner Sachen, um jeden Monat etwas mehr Baumwolle besorgen zu können. Er lernte Unterröcke zu bügeln, Strumpfhosen zu nähen und Nissen aus den Haaren zu entfernen. Am Anfang flocht er die Zöpfe noch sehr locker und die Schleifen gingen bereits nach wenigen Minuten wieder auf, aber inzwischen ist er zu einem richtigen Experten geworden.

Er hat keinen einzigen Morgen mehr verschlafen. Eines seiner Mädchen muss immer früh aufstehen und er bereitet ihr dann das Frühstück zu und weckt sie auf. Er hebt für die beiden seinen Teil des Brotes der monatlichen Ration auf, damit sie ein bisschen mehr essen können. Ihr „Papi“ bereite die besten Bohnen des ganzen Landes zu, sagt die eine, und die andere bittet ihn immernoch alles zu durchzulesen was sie schreibt.

Er spricht nie schlecht über ihre Mutter. Er bewahrt für sie lieber das Bild einer Frau mit traurigem Blick, die irgendwo in Kalifornien sitzt und sich nichts sehnlicher wünscht als ihre Töchter wiederzusehen. Aber seit mehr als 10 Jahren kommen keine Briefe mehr an und das letzte Mal schien ihr ihre Arbeitssuche wichtiger zu sein als ihre beiden Töchter, die sie in Kuba zurückgelassen hat.

Ricardo hätte sich auch einfach abwenden können wie so viele andere auch. In der kubanischen Gesellschaft würde man ihn nicht dafür verurteilen, wenn er seine Töchter zur Großmutter abgeschoben hätte. Die Volksweisheit „padre es cualquiera“ („Der Vater ist irgendwer“), würde dieses Handeln sogar noch rechtfertigen. Sein Fall ist trotzdem keine Seltenheit. Seine Geschichte geht einfach nur inmitten der vielen Problemen unseres Alltags verloren.

Heute hat er, ohne Lärm zu machen, früh das Haus verlassen, um zum Friseur zu gehen und sich etwas Rum zur Feier des Vatertags zu kaufen. Es ist Sonntag, die Mädchen werden erst später aufstehen und in der Küche hört man schon wie er Bohnen für sie zubereitet.

Übersetzung: Anja Seelmann

Ein Faden weniger im sozialen Gewebe

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In einem Land, in dem so wenige Plattformen für Debatten existieren, stellt der Verlust jeder Einzelnen eine Tragödie dar. Durch das Ausscheiden von Roberto Veiga und Lenier González aus der Zeitschrift Espacio Laical, werden wir bei Diskussionen vermehrt zu „Waisenkindern“. Ihre Arbeit zeichnete sich dadurch aus, dass sie strittige und schwierige Themen in ihrem Blatt anschnitten, das sich in den letzten Jahren zu einem Magazin entwickelt hatte, das man gelesen haben musste. Mit respektvoller Manier, wirklicher Besorgnis um die Nation und der Fähigkeit zu polemisieren, schlugen diese Publizisten eine Bresche zum Nachzudenken, die wir Leser nun fürchten zu verlieren.

Unterschiedliche Ansichten dürfen nicht zu persönlichen Konfrontationen führen. Eine Lektion, die jeder lernen sollte, der ideologische Widersprüche als Vorwand benutzt, um niedere Beweggründe gezielt zu lenken. Deshalb – trotz meiner Differenzen zu vieler ihrer Ansichten, vor allem bezüglich ihrer Kategorie „Legale Opposition“ – brachte ich Veiga und Gonzalez immer Respekt entgegen, und ihrer Arbeit eine große Wertschätzung. Das öffentliche Dasein ihrer Stimmen verbesserte die Qualität der Diskussion auf der Insel, weil sie aus einem anderen Blickwinkel an die Themen herangingen – was immer gut ist – und so politische Tendenzen, die aus gegensätzlichen Richtungen kamen, im Konsens zusammen brachten. Ich bedaure, dass sie sich nie dazu bereit erklärten, an einer der Diskussionsrunden teilzunehmen, die nicht im Rahmen der Regierung abgehalten wurden. Ich hoffe jetzt – da sie von ihren Posten „befreit“ sind – können wir Ideen austauschen, die nicht dem Schutz des Lehrstuhls „Félix Varela“ * unterliegen.

Kuba geht als Verlierer hervor, und ich kann mir nicht vorstellen, wer von dieser Entlassung profitieren könnte. Der nächste Erzbischof von Havanna? Vielleicht die so wankelmütige Kirche? Einmal entrissen sie uns die Zeitschrift Vitral , um aus ihr einen Schatten an Stelle des vielfarbigen Lichts zu machen, das sie einmal war. Jetzt scheint das gleiche mit der Espacio Laical zu passieren. Die Erklärungen des jetzigen Direktors, in denen er versichert, die Arbeit der Zeitung werde fortgesetzt, überzeugen mich nicht. Ich glaube fest an das Siegel, das jedes menschliche Wesen seinem Schaffenswerk aufdrückt, und im Fall dieses Druckwerks sind es ganz klar Veiga und González, die dieses hauptsächlich inspiriert haben.

Aus dem ausgefransten Gewebe unserer bürgerlichen Gesellschaft haben sie gerade einen weiteren Faden gezogen.

 

*Anmerkung der Übersetzerin:

Félix Varela (1788 – 1853) war ein kubanischer Priester, Philosoph und Sozialreformer; er gilt als einer der Väter der kubanischen Nation. Seit 2006 trägt der Lehrstuhl für Wissenschaftskultur an der Universität von La Habana seinen Namen.

Übersetzung: Nina Beyerlein

Ein kalter Kuss unter tropischer Sonne

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Manuel Pereira (Foto MP)

Die Angst nicht weggehen zu können, auf der Insel eingeschlossen zu bleiben, wird von vielen meiner Landleute geteilt. Jene, die nie eine Reise unternommen haben, fürchten zu altern, ohne je das kennen zu lernen, was auf der anderen Seite des Ozeans liegt. Auch Kubaner, die im Ausland leben, sind nicht frei von dieser Angst. Wenn sie auf die Insel zu Besuch kommen, haben viele von ihnen wiederkehrende Albträume, dass man sie bei ihrer Rückreise nicht an Bord des Flugzeugs lässt. Eben dieses Gefühl überwältigt den Protagonisten des Romans „Der Kuss des Eskimo“ des Journalisten und Romanciers Manuel Pereira.

Das noch unveröffentlichte Buch erzählt von der Erfahrung eines Mannes, der in seine Heimat zurückkommt, die er vor 12 Jahren verlassen hat. Das fortgeschrittene Alter seiner Mutter veranlasst ihn ins „Fata Morgana-Land“ – wie er selbst es nennt – zurückzukommen. Seine Ankunft ist begleitet von der Panik hier gefangen zu bleiben, und diese Besorgnis mischt sich mit dem ständigen Gefühl überwacht zu werden. Während der 4 Tage, die ihm die die Behörden „aus humanitären Gründen“ genehmigt haben, kommt ihm sein Heimatland wie eine Mausfalle vor.

Es ist nicht nur die Wahrnehmung eingesperrt zu sein, die sich der Romanfigur von Pereiras aufdrängt, sondern auch der Unterschied, wie er sich sein Vaterland vorgestellt hatte und wie es dann war. Mit der Entfernung, den Jahren und Gefühlen neigt man dazu, die geliebten Menschen und das verlorene alltägliche Leben mit einer Patina von Liebreiz und Harmonie zu überziehen, die oft dann in Stücke zerbricht, wenn man ihnen wieder begegnet. Eine blasse Nation und eine Moral im freien Fall tragen nicht dazu bei, das Gefühl des Erstickens zu besänftigen, das die Seiten dieses Buchs durchzieht. „Wird er davonkommen?“, fragen wir uns schon auf den ersten Seiten. Um eine Antwort zu finden, müssen wir in eine Wirklichkeit eintauchen – ebenso bekannt wie absurd – in der auch wir selbst gefangen sind.

Übersetzung: Dieter Schubert