Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme fehlen, karikiert die Bürokratie das republikanische Kuba

Kuba vor 1959: Die Elektrifizierung des Landes erreichte einen des besten Werte in Lateinamerika. (CC)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 29.Juni 2022

In dem Maße wie die allgemeine Empörung zunimmt, wegen der ständigen Stromsperren in weiten Teilen Kubas, verbreiten die Behörden alle Arten von Rechtfertigung, um die Verantwortung für die Stromausfälle weit entfernt von ihrem Management zu halten. Auch fehlen nicht oft wiederholte Sätze, die dem nordamerikanischen Embargo die Schuld geben, oder den ausbleibenden sowjetischen Subventionen nach dem Fall des Kommunismus in Europa, und – wie zu erwarten – fehlen auch nicht Anspielungen auf die republikanische Epoche Kubas als eine finstere und erbärmliche Zeit.

‚Adelante‘, die lokale Zeitung von Camagüey, hat diese Woche versucht die Gemüter zu besänftigen, indem sie ihre Leser an die Zeit vor 1959 erinnerte, als “Kuba nur 397 Megawatt generierte, verteilt auf isolierte, unverbundene Systeme, und somit typisch für ein unterentwickeltes Land. Einen Stromanschluss hatten kaum 56% der Bevölkerung“. Folgt man Daten, die man in diesem Zusammenhang erwähnen muss, war die weltweite Elektrifizierung ein Prozess, der ein paar Jahrzehnte benötigte.

Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht.

Der Artikel der erwähnten Tageszeitung verschweigt nicht nur dieses Detail, sondern er vermeidet es auch zu erwähnen, dass in jenen Jahren der obige Indikator einer der besten in Lateinamerika war. Angesicht der aktuellen Probleme versucht der Text bei seinen Lesern ein Gefühl der Erleichterung zu erzeugen, indem er deren aktuelle Situation mit der ihrer Großeltern vergleicht. Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht. Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme und Perspektiven für die Zukunft fehlen, bleibt dem Regime nur übrig, das Kuba zu karikieren wie es war, ehe Fidel Castro an die Macht kam.

Mit dieser törichten Strategie gelang es ihnen jahrzehntelang demokratische Forderungen zum Verstummen zu bringen, indem sie versicherten, dass mit einer Öffnung der Insel die Exzesse der früheren Diktatur zurückkehren würden.

Als die Klagen sich gegen die ineffiziente Produktion von Grundnahrungsmitteln richten, beginnen die Regierungssprecher daran zu erinnern, dass Gerichte aus Maismehl, ohne irgendwelche Beilagen, während der Regierungsjahre von Machado*) auf jedem Teller waren. Es gibt Funktionäre, die es gewagt haben zu sagen, dass eine Dissidentin oder eine unabhängige Journalistin als Prostituierte gearbeitet hätte, würde sie denn in dem Kuba der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gelebt haben.

Alle diese verbalen Kunststücke, die früher einmal Angst und soziale Lähmung hervorrufen konnten, ernten heute nur noch Spott und gießen Öl ins Feuer des sozialen Unbehagens. Die Menschen haben längst aufgehört den Kopf zu senken und den Mund zu halten, wenn man sie mit solchen veralteten Statistiken konfrontiert. Nur ein System ohne ein Morgen kann glauben, dass es die Bevölkerung eines Landes gefügig machen kann, wenn es die Gespenster von gestern aus der Mottenkiste holt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers:

Gerardo Machado war von 1925 bis 1933 fünfter Präsident der Republik Kubas. Er entmachtete politische Institutionen und etablierte eine diktatorisch und aggressiv geführte Alleinregierung. Seine Politik rief immer heftigeren Widerstand hervor, der schließlich in der erfolgreichen Demokratischen Revolution von 1933 gipfelte.

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