
Ein grauer Platz, aus Beton und Marmor, der bewirkt, dass die Menschen auf ihm sich klein und unbedeutend fühlen. Ich komme jeden Tag auf dem Weg nach Hause am Platz der Revolution vorbei und ich fühle mich immer wieder überwältigt, sehe mich erdrückt von dieser Architektur, die so sehr an den faschistischen Größenwahn erinnert. Einmal war ich mit einem weiß-gelben Banner dort und schrie „Freiheit“ vor einem Altar in Form einer Taube, der für den Papst entworfen war. Ich bin nicht katholisch, aber um nichts in der Welt hätte ich mir die Möglichkeit entgehen lassen, eine andere Art von Parolen auf diesem Platz zu rufen.
Es scheint, dass es am 20. September Juanes ist, der versuchen wird, einem architektonischen Komplex ein menschliches Antlitz zu verleihen, an dem niemand sich ruhig hinsetzen will. Ich habe dort noch nie ein Pärchen oder eine kubanische Familie gesehen, die sich – ohne dazu aufgerufen zu sein – zum reden oder lachen in eine Ecke gestellt hätten. Ein Platz ohne Bäume, dafür gedacht, dass man sich in Massen versammelt, dass der Líder uns aus seiner Höhe – einige Meter über dem Boden – anschreit und erwartet, dass wir ihm mit irgendeinem wiederholten Slogan wie „Wir werden siegen!“, „An die Wand stellen!“ oder „Viva!“ antworten.
Ich glaube, Juanes muss kommen und singen. Wenn sein Thema Frieden ist, dann sollte er wissen, dass diese Insel nicht in einen kriegerischen Konflikt verwickelt ist, aber genauso wenig die Eintracht kennt. Er wird seine Stimme erheben vor einem Volk, das geteilt, nach politischer Farbe geordnet ist und zur Konfrontation gegen Andersdenkende gezwungen wird. Eine Bevölkerung, die seit Jahren nicht mehr von Harmonie reden hört, und die die Strafe für jene kennt, die es wagen, ihre Kritik zu äußern. Wir brauchen seine Stimme, aber nur, wenn er singt, ohne einen einzigen Kubaner zu vergessen, ohne irgendeine Andersartigkeit auszuschließen.
Es würde uns gefallen, wenn er seine Lieder mit der Kadenz von Willy Chirino, der Trompete von Arturo Sandoval, dem Rhythmus von Albita Rodríguez oder dem sinnlichen Saxophon von Paquito D‘ Rivera begleiten würde… aber keiner von diesen wird dort sein dürfen. Juanes wird das Privileg des Ausländers genießen, der auf dieser Insel viel höher geschätzt wird als die Einheimischen. Alles, was er zwischen den Liedern sagen wird – falls er überhaupt etwas sagt – wird als seine Zustimmung zu einem System interpretiert werden, das zu Ende geht, als die Anerkennung einer Gruppe an der Macht.
Es war keine unschuldige Entscheidung, den Platz der Revolution als Bühne für seine Musik zu wählen, und er wird die politische Last dessen, was es bedeutet, nicht abschütteln können. Aber wenn es denn so sein muss, wenn es keinen Platz in den Armenvierteln am Stadtrand gibt oder in meiner Heimat im Zentrum Havannas, am Rande des Kollapses, wenn sie ihn nicht in San Miguel oder Marianao auftreten oder wenigstens das Lateinamerika-Stadion benutzen lassen, dann soll er eben unter der Statue von Martí und gegenüber dem Bild von Che Guevara singen, aber wenigsten soll er für alle singen.
Ich frage mich, ob das gleiche geschehen wird, wie bei den beiden letzten Konzerten von Pedro Luís Ferrer*, als man einige Blogger nicht hinein ließ.
Anmerkung der Übersetzer:
* Plaza de Revolución in Havanna: Der Platz ist mit 72 Tausend Quadratmetern einer der weltweit größten innerstädtischen Plätze. Hier finden regelmäßig offizielle politische Kundgebungen statt. Fidel Castro sprach hier jährlich zu besonderen Anlässen beispielsweise am 1. Mai oder am 26. Juli vor mehr als einer Million Kubanern. (Wikipedia)
* siehe dazu Blogeintrag vom 11. Juli
Übersetzung: Werner Jäckle