
YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 23.Dezember 2021
Die Fundéu, die gemeinnützige Stiftung zur Förderung der spanischen Sprache, hat schon die 12 Kandidaten bekannt gegeben, die sich 2021 um den Titel „Wort des Jahres“ streiten. Die Konkurrenz ist groß, weil das Jahr tiefe Gefühle bei den Millionen Menschen hinterlassen hat, die dieses schöne Idiom sprechen, und weil sich im Verlauf der 12 Monate eine gesellschaftliche Debatte an Wörtern wie wissenschaftliche Erfolge, politische Konflikte und wirtschaftliche Nöte entzündet hat. Die Wahl könnte im spanischen Sprachraum eine Spur von Unzufriedenheit hinterlassen, einen vielstimmigen Chor in den 20 Ländern, in denen Spanisch die offizielle Sprache ist, und auch darüber hinaus.
Impfung, Kryptowährung, Unterversorgung, Variante, Metaversum und Taliban finden sich unten den Begriffen, die sich um die Krone streiten, die die Fundéu seit 2013 vergibt. Trotzdem, obwohl diese Begriffe bei zahllosen Gelegenheiten geschrieben, gesendet und gesprochen wurden, denke ich, dass es der Akt Abschied zu nehmen ist, mental oder physisch, dem wir am Ende dieses schwierigen Jahres den Vorzug geben sollten. Das Wort „adiós“ hat unsere Tage markiert, unseren Lebensweg neu definiert und uns gezwungen, die Prioritäten unserer Existenz neu zu konzipieren.
Wir mussten dieses spitze Wort noch einmal verwenden, als uns klar wurde, dass die Pandemie nicht etwas Vorübergehendes ist, sondern einen neuen Status quo darstellt, mit dem wir noch lange Zeit leben müssen. In diesem Jahr haben wir unaufhörlich „adiós“ gesagt.
Wir sagten „adiós“ zu den vielen tausend Verstorbenen, die uns in der zweiten und dritten Welle verlassen haben, als wir glaubten, dass wir das Schlimmste schon überstanden hätten. Wir haben dieses Wort verwendet, als wir begriffen hatten, dass die Art, wie wir soziale Kontakte, Begegnungen mit anderen Menschen und das Berufsleben erlebt haben, so nicht wiederkommen würde; wir mussten dafür neue Formen schaffen. Dann mussten wir dieses spitze Wort noch einmal verwenden, als uns klar wurde, dass die Pandemie nicht etwas Vorübergehendes ist, sondern einen neuen Status quo darstellt, mit dem wir noch lange Zeit leben müssen. In diesem Jahr haben wir unaufhörlich „adiós“ gesagt.
Aber jedes Mal, wenn wir eine Hand oder unseren Kopf schüttelten, um ein Kapitel abzuschließen oder einem Verstorbenen „auf Wiedersehen“ zu sagen, sagten wir auch „Hallo“ oder „Willkommen“, weil das Jahr 2021 uns jeden Morgen zwang aufzustehen und dankbar zu sein, dass die Lunge noch funktionierte; wir sprangen umher wie kleine Kinder, wenn das Test-Ergebnis negativ war; wir umarmten einander nur mit der Ecke des Ellenbogens, und auch so spürten wir, wie es mit dem ganzen Körper gewesen wäre; wir ließen die Badesachen in der Kommode, weil die Strände gesperrt waren; wir hängten keine Girlanden auf, weil Weihnachten nicht so war um zu feiern. Das brachte uns dazu Überflüssiges zu entsorgen und Wesentliches zu behalten.
Nachdem wir all das überlebt haben, ringen wir uns ein kleines Lächeln ab und erinnern uns daran, dass die Fundéu im Jahr 2014 das Wort „Selfie“ wählte, selbstverliebt und unbekümmert, oder dass 2019 die Entscheidung zugunsten der sympathischen „Emojis“ ausfiel. Die Sprache war damals beladen mit einer heute überholten und überhasteten Sorglosigkeit; wir ahnten damals natürlich nicht, dass eine Pandemie über uns kommen würde.
Am 29.Dezember wird die Stiftung Fundéu, die von der Nachrichtenagentur EFE und der Königlich Spanischen Akademie gefördert wird, das Wort des Jahres bekannt geben; aber viele von uns kennen es schon. Es sind die zwei kurzen Silben, die wir die ganze Zeit wiederholt haben: „adiós“.
Übersetzung: Dieter Schubert
Diese Kolumne wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.
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