Auswandern im dritten Alter

Emigrar

Ein älterer Herr. (Silvia Corbelle)

Das Gebäude, in dem ich wohne, ist ein Kuba im Kleinen; das Kuba im Großen mit seinen Wechselfällen und Hoffnungen ist dort offensichtlich allgegenwärtig. Dieser Mikrokosmos aus vierzehn Stockwerken ist ein Abbild der Realität, oder auch ein repräsentatives Fragment des Lebens draußen vor der Tür. Jahrelang hat der Exodus von jungen Leuten das Leben in diesem hässlichen Betonklotz geprägt, den vor 30 Jahren einige hoffnungsvolle Brigadisten erbauten, um ihren Kindern ein Dach über dem Kopf zu bieten. Die meisten dieser Kinder, mittlerweile Männer und Frauen, leben heute nicht mehr auf der Insel. Dennoch verbreitet sich der Exodus in beunruhigender Weise sogar auf Personen im dritten Alter.

Vor ein paar Wochen traf ich einen Nachbarn im Hausflur, dessen Kinder vor geraumer Zeit ins „Land im Norden“ gingen. Mit Postkarten an Weihnachten, eher seltenen Besuchen und Heimweh versuchte die Familie die Trennung und den Schmerz der Abwesenheit zu überwinden. Der Nachbar, schon im Ruhestand und fast siebzig Jahre alt, hat mir erklärt, dass er dabei ist, sein Appartement zu verkaufen. „Ich gehe weg“, versicherte er mir und lächelte dabei von einem Ohr zum anderen. Ein anderer Ruheständler, der ihm zuhörte, bemerkte spöttisch: „Ja bist du denn verrückt? Warum machst du dich vom Acker, wenn das was dir bleibt ohnedies nur noch zwei Rasuren sind“, in Anspielung auf die vermutlich kurze Lebenszeit, die der Nachbar noch vor sich hat.

Nicht auf den Mund gefallen antwortet der so angesprochene: „Zugegeben; wenn es stimmt, dass mir nur noch zwei Rasuren bleiben, dann aber bitte mit einer Gillette-Klinge!“ Mit einer Rente von kaum 20 CUC im Monat, einer Wohnung, an der der Zahn der Zeit nagt und den fehlenden Mittel, um sie in Stand zu setzten… den zukünftigen Emigranten scheinen weder graue Haare noch sein Alter davon abzuhalten zu können. Was bringt so viele Hochbetagte dazu, sich in der Fremde niederzulassen, trotz Alter, Gesundheit und Verlust der Heimat? Sie alle spüren den Mangel an Chancen, die tagtäglichen Schwierigkeiten, aber auch – und das ist entscheidend – dass sie sich schließlich damit abgefunden haben, dass das soziale Projekt – dem sie ihre Jugend geopfert haben – sie enttäuscht und im Stich gelassen hat.

Sie spüren den Mangel an Chancen, die tagtäglichen Schwierigkeiten, und sie haben sich schließlich damit abgefunden, dass das soziale Projekt, dem sie ihre Jugend geopfert haben, sie enttäuscht und im Stich gelassen hat

„Das Einzige was ich mir wünsche ist in Ruhe zu alt zu werden, ohne mich ständig anstellen zu müssen“, sagt mir der alte Mann energisch. Für ihn ist sein Land ein Synonym für Mangelwirtschaft, das Problem an Lebensmittel zu kommen. Es ist ein Altern mit einem Wettrennen um Kartoffeln einerseits und den Streitereien mit denen, die sich in der Schlange vordrängen um noch Eier zu ergattern. Das Appartement, das er mit seinen Händen zum Wohlergehen seiner Kinder gebaut hat, hat jetzt Wände, von denen der Putz herunterfällt, und die Kloschüssel hat einen Sprung. „Mit meiner Rente kann ich diese Reparaturen nicht bezahlen“, fügt er noch hinzu.

Auf Kuba sind sogar Hochbetagte dabei die Koffer zu packen… bei uns, in diesem Vorzeigehaus im jugoslawischen Stil, sagen auch die Alten: „Auf Wiedersehen!“

Übersetzung: Dieter Schubert

Die Landschaft vor dem Sturm

sede-principal-empresa-Etecsa-Habana_CYMIMA20150615_0019_16

Hauptsitz der Fimra Etecsa in Havanna. (14ymedio)

Bevor der Sturzregen beginnt, durchdringt die Stadt ein Geruch. Dieser kann als Einstimmung auf das Wasser betrachtet werden; eine Vorwegnahme des Regengusses. Die Vögel fliegen in Richtung ihrer Nester und die vorsichtigsten suchen Schutz in einem Hauseingang, bis der Regen vorbei ist. Dieses Gefühl von etwas das sich annähert, verspürt man in diesen Tagen vor einem möglichen Internetzugang für uns Kubaner. Es gibt zwar keine konkreten Anzeichen, die einen massiven Eintritt in den Cyberspace bestätigen würden, aber dennoch ist ein ungeduldiges Flattern in der Luft zu spüren.

Das Thema Internet hat im Rahmen öffentlicher Diskussionen im letzten halben Jahr mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Der Verwaltungsapparat Barack Obamas musste Stellung beziehen, damit die Bürokraten des Ministeriums für Informatik und Kommunikation, die darauf geschult sind, in die Defensive zu gehen, aufwachen. Mit der Einführung eines Maßnahmenpakets zur Flexibilisierung am vergangenen 16.Januar – auffällig an diesem sind die Maßnahmen, die mit den neuen Technologien und der Vernetzung zu tun haben – hat das Weiße Haus mehr als einen auf der Insel in Bewegung versetzt.

Vier Jahre nach der Installation des Glasfaserkabels zwischen Kuba und Venezuela bekommt man den Eindruck, dass der Regierungsapparat nicht länger rechtfertigen kann, warum wir eines der Länder mit der geringsten Vernetzungsquote weltweit sind. Auf der anderen Seite funktioniert der Atem nordamerikanischer Firmen wie Verizon oder AT&T, die im Nacken von ETASCA schnauben, wie ein Katalysator, um einen Datenservice einzurichten, der es dem kubanischen Telefonmonopol erlaubt, den nationalen Markt nicht zu verlieren.

Vor einigen Tagen ist passend dazu ein Dokument durchgesickert, in dem schriftlich die nationale Strategie festgehalten wird, die darauf abzielt, die Infrastruktur der Vernetzung Kubas für den Breitbandanschluss zu entwickeln.

Die Lektion von Isabel dos Santos, der reichsten Frau Afrikas und Tochter des angolanischen Präsidenten, muss nun unsere kubanischen Machtpolitiker wach halten. Sie wissen, dass diejenigen, die vom Fernmeldewesen und der Kommunikation profitieren, garantiert über ein mehr als sechsstelliges Vermögen verfügen werden. Dennoch sind sie sich der Tatsache bewusst, dass ein Unternehmen dieser Art Abkommen benötigt, Roamingverträge, vorteilhafte Tarifpakete und andere attraktive Angebote für die Nutzer. In der Welt, in der wir leben, lässt sich das mit einem Wort zusammenfassen: Vernetzung.

Die Realität hat ideologische Gefühlsausbrüche nach Art des Abel Prieto untersagt, der versicherte, dass man „nicht denen, die Geld haben, zu einem freien und offenen Internetzugang verhelfen werde, sondern jenen, die es brauchen, um ihre Studien und Nachforschungen voranzubringen. Der eigene Mobilfunkservice zeigt, dass Letzterer aus der Schlacht zwischen Politik und Markt als Gewinner hervorgegangen ist. Die Benutzer von Cubacel – ausgenommen diejenigen, die Cubacel als Privileg für ihre Arbeit für die Staatssicherheit oder andere strategischen Sektoren erhalten – müssen für die Dienstleistung mit konvertiblen Pesos bezahlen. Um ein Mobiltelefon zu erhalten, haben sich die rauen Bedingen des Marktes etabliert, also dem Geld das man in der Hosentasche hat, und nicht der Treue zu einer Idee.

Vor einigen Tagen ist passend dazu ein Dokument durchgesickert, in dem schriftlich die nationale Strategie festgehalten wird, die darauf abzielt, die Infrastruktur der Vernetzung Kubas für den Breitbandanschluss zu entwickeln. Trotz des Enthusiasmus, mit dem der Text von den Internethungrigen aufgenommen wurde, sind die Fristen, die das Programm vorschlägt rücksichtslos. Man spricht davon, „für das Jahr 2020 zumindest das Ziel zu erreichen, dass nicht weniger als 50% der Haushalte über einen Breitbandanschluss verfügen“ , während man zwei Jahre früher schon für „Körperschaften der Partei auf nationaler, provinzieller und städtischer Ebene, für Staatsorgane, sowie für Einrichtungen des zentralen Verwaltungsapparats“  100% zu erreichen vorsieht. Es dürfe nicht überraschen, wenn die Menschen ab jetzt Mitglieder der PPC (Kommunistische Partei Kuba) werden, um Zugang zum riesigen weltweiten „Spinnennetz“ zu erhalten.

Es dürfe nicht überraschen, wenn die Menschen ab jetzt Mitglieder der PPC werden, um Zugang zum riesigen weltweiten „Spinnennetz“ zu erhalten.

Auf der anderen Seite ist diese Woche Brett Perlmutter, Führungskraft bei Google Ideas, auf Kuba zu Besuch. Seine Anwesenheit wurde den Medien als eine Art Erkundung erklärt, um „einen besseren Internetzugang auf die Insel zu bringen“. Laut eines Beamten des Außenministeriums, der anonym bleiben möchte, „habe Google dem kubanischen Staat ein Angebot gemacht, um bei der Vernetzung des Volkes zu helfen“. Er fügte hinzu, dass „wir nicht wissen, was angeboten wurde; aber wir wissen, dass etwas angeboten wurde“.

Abgesehen davon, was Google – zwischen dem offiziellen Misstrauen und dem Aufschieben durch kubanische Beamte – erreicht, verstärkt seine Anwesenheit auf der Insel das Gefühl von Dringlichkeit. Es vermittelt der kubanischen Regierung den Eindruck, dass die Türen, die sie angesichts der Kilobyte-Flut verschlossen haben, nicht nur nicht funktionieren, sondern Gefahr laufen von innen oder von außen hinweggefegt zu werden. Heliumballons, Minisatelliten, WIFI-Antennen hergestellt aus Pringels-Kartoffelchipsverpackungen, heimliche drahtlose Netzwerke, mit deren Hilfe Inhalte sowie auch das respektlose Medienpaket verbreitet werden, setzen eine Struktur schachmatt, die geschaffen wurde um zu zensieren, sich aber für das Zuwege bringen einer Öffnung als ineffektiv erweist.

Es riecht nach Regen in diesen Tagen; sicher wird uns ein Schwall feuchter Luft erreichen; er lässt den Vogel des Internets auf uns zu fliegen.

Übersetzung: Berte Fleißig