Haiti, ein weiteres Scheitern der lateinamerikanischen Integration

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Die Haitianer können nicht länger auf Gipfeltreffen hoffen, mit Fotos von Präsidenten, die vor den Kameras lächeln / EFE

Siegel, Konferenzen und offizielle Fotos. Die internationalen Organisationen scheinen mehr daran interessiert zu sein, mit Events und Empfängen ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, als mit Aktionen oder Ergebnissen. In Lateinamerika vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein Gipfeltreffen, eine Zusammenkunft oder ein Bündnis Schlagzeilen macht und eine neue Absichtserklärung hervorbringt, unterschrieben von Regierenden und Außenministern. Eine Ebene, um die Effizient solcher Integrationsbemühungen zu messen, ist die Realität, aber die meisten dieser Vorschläge bringen keine greifbaren Ergebnisse.

Die aktuelle Situation in Haiti zeigt die geringe Effizienz der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), und die von anderen regionalen Bündnissen gleichermaßen. Anstatt dem haitianischen Volk in seiner derzeit schwierigen Lage zur Seite zu stehen und ihm zu helfen, haben sich die Regierenden auf diesem Kontinent dafür entschieden wegzuschauen, oder sie beschäftigen sich damit historische Schuld zu verteilen. Es gelingt ihnen nicht, einer Bevölkerung von Haiti schnell und praktisch zu helfen, die von Gewalt, einer Wirtschaftskrise und vom Zusammenbruch der politischen Institutionen geplagt wird.

Die CELAC und die lateinamerikanischen Exekutiven haben die Bewohner von Haiti im Stich gelassen, weil sie es nicht einmal schafften, sie als Flüchtlinge zu schützen. Deren gefährliche Route führt sie durch den Dschungel des Darién, weiter durch mexikanisches Territorium und dann bis an die Südgrenze der Vereinigten Staaten. Die Haitianer zählen zu den meist gefährdeten Migranten: ohne ein Wort Spanisch, in den meisten Fällen ohne Geld, um die „Kojoten“ (Schlepper) zu bezahlen, werden sie vom Rassismus vorwärts getrieben und verwandeln sich in Unsichtbare, die die lokalen Verwaltungen weder sehen, noch erwähnen, geschweige denn unterstützen wollen.

Auffallend ist der Mangel an Programmen, die ihnen eine Unterkunft, einen Zugang zu Arbeit und eine Grundversorgung bieten. Dies betrifft einen Gutteil der Länder, die alljährlich von vielen tausend Haitianer durchquert werden. Mit den mehr als 12 Millionen Bewohnern hängt der kleine Inselteil immer mehr von seiner Diaspora ab. Die Migranten auf ihrem Weg zu unterstützen, ist auch eine Form von Rettung der Familien, die in Haiti geblieben sind und hoffen, dass es ihr Angehöriger schafft, ihnen Geld überweist, und sie so vom Ausland aus unterstützt. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat eine Reihe von Empfehlungen an die Nachbarländer herausgegeben, die den Migranten Zuflucht und Schutz zu garantieren würden; aber wie so oft sind diese dringenden Bitten auf taube Ohren gestoßen.

Abgesehen von einzelnen Einrichtungen für Migranten, fehlt es Lateinamerika an einer gemeinsamen Antwort auf das Drama in Haiti. Die dafür Zuständigen in den Ministerien sind damit beschäftigt, sich untereinander über ihre ideologische Positionierung zu streiten, ein diplomatisches Feuer zu entfachen, ausgehend von Veröffentlichungen eines Regierenden im sozialen Netzwerk X; oder sie richten Beschuldigungen an andere Regierung. Sie sollten sich an einen Tisch zu setzen und sich auf einen Aktionsplan einigen.

Krisen und humanitärer Alarm stellen regionale Organisationen auf die Probe, und jene, die uns in dieser Hemisphäre vertreten, haben schon ihre Unfähigkeit bewiesen. Die Haitianer können nicht länger auf Gipfeltreffen warten, mit Fotos von Präsidenten, die vor den Kameras lächeln. Benötigt wird ein Hilfsprogramm für die gequälte Bevölkerung, und das muss ein Ganzes sein, „wie das Silber in den Wurzeln der Anden.“

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika veröffentlicht und steht hier mit Genehmigung der Autorin.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Kubaner unterdrücken ihre Angst und gehen auf die Straßen, um zu protestieren

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Ein Moment während der Proteste in Santiago de Cuba, an diesem 17.März. /Facebook / Rompiendo Cadenas

Als sie gestern am Sonntag den 17.März aufwachten, konnte sich keiner der Kubaner vorstellen, dass sie ein paar Stunden später auf der Straße demonstrieren und „Freiheit!“ schreien würden. Den Vormittag verbrachten sie mit Stromausfällen und der schwierigen Suche nach Lebensmitteln, aber als es Nachmittag wurde, war ihre Empörung so sehr eskaliert, dass sie nicht einmal die Furcht vor Schlägen, Geldstrafen oder Gefängnis bremsen konnte. Auf Videos von den Protestaktionen sieht man, dass sie synchron wie ein einziger Organismus vorangingen.

Die öffentlichen Demonstrationen in Santiago de Cuba, Bayamo und Santa Marta zeigen, dass der soziale Überdruss auf dieser Insel stärker ist, als die Angst vor massiven Verhaftungen und exemplarischen Urteilen, wie es sie nach den Demonstrationen des 11.Juli 2021 gab. Für die Kubaner, die in Santiago vor dem Sitz der Kommunistischen Partei „Strom und Essen“ skandierten, war die Ablehnung des Systems, das sie zu einer Dauerkrise verurteilt hat, stärker als ihre Angst vor Kerker oder Schlägen.

Die Kubaner gingen auf die Plätze und Straßen, weil sie die Nase voll von einem System hatten, das sie nicht gewählt haben, und das seit mehr als sechs Jahrzehnten seine Unfähigkeit beweist, ihnen ein würdiges Leben zu bieten. Sie buhten die Funktionäre aus, die auf die Hausdächer stiegen, um von dort und fern der Demonstranten die leeren Versprechungen zu wiederholen, dass es eine Verbesserung bei der Energieversorgung und bei den mageren Lebensmittelrationen des rationierten Markts geben würde. In Bayamo intonierten die Demonstranten die Nationalhymne, um daran zu erinnern, dass die Nation nicht einer politischen Gruppe gehört und auch nicht ein Lehen von einer gescheiterten Ideologie ist.

„Vaterland und Leben!“ schrien einige; „wir haben Hunger!“ stimmten andere bei. „Keine Gewalt!“ riefen die Demonstranten in Bayamo, als ihnen die Polizei den Weg versperrte. Sie handelten, verhielten und wehrten sich wie eine eingeschworene Bürgerschaft, wie eine Gesamtheit, angetrieben von der Ablehnung eines Regimes, das sie zu Mangel und fehlenden Perspektiven verurteilt hat. Sie demonstrierten gegen ein politisches Modell, das ihnen aufgezwungen wurde. Die kubanischen Straßen haben wieder ihre Stimme erhoben und die Botschaft ist klar und deutlich: diese Diktatur muss enden! Jeder weitere Tag unter diesem Regime bringt uns nur Armut, Auswanderung und Repression.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Stromausfälle in Kuba romantisch zu finden, ist eher beleidigend als zynisch

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Eine Stromsperre romantisch zu finden, indem man erwähnt, dass die großen Klassiker der Weltliteratur bei Kerzenlicht geschrieben wurden, übersteigt den Zynismus und wird zur Beleidigung. (14ymedio)

Ein wütendes Schnauben geht durch das Stadtviertel. Soeben haben sie den Strom abgestellt, und bis er wiederkommt steht das Leben still. Der Aufzug funktioniert nicht; alte Menschen aus den oberen Stockwerken bleiben im Erdgeschoss, weil sie wegen Arthritis und Altersschwäche die Treppen nicht hochsteigen können. Die Cafeteria an der Ecke schließt, denn der Pizzaofen ist elektrisch und Pizza ist das wichtigste Angebot; die Leitungen in den Gebäuden bleiben trocken, weil die Pumpen das Wasser nicht hinauf in den Tank pumpen können; und außerdem weist ein Nachbar darauf hin, dass es seit zwei Tagen einen Rohrbruch in der Wasserleitung für Palatino (Stadtviertel) gibt.

Stromsperren sind weder romantisch, noch schön und auch nicht kreativ. Für ein Paar ist es keine Gelegenheit , das Abendessen bei Kerzenlicht zuzubereiten, sich vom Bildschirm des Smartphons zu trennen oder ein Buch zu lesen, was offizielle Medien jetzt vorschlagen. Keinen Strom zu haben ist eher banal, irritierend und beklemmend. Bettlägerige Patienten sind schweißgebadet, weil die Ventilatoren nicht laufen; die wenige Milch, die die Familie für das Baby aufgehoben hat, kippt mangels Kühlung; und der arme junge Mann, der seinen Lebensunterhalt als Fahrradkurier bestreitet, verliert seinen geringen Verdienst, weil die Liefer-App nicht funktioniert, wenn die Relais der Telekommunikation ausfallen.

Bei einem Stromausfall werden die Menschen aggressiver, und mit der Stille, die auf den Ausfall von Motoren und Geräten folgt, nehmen häusliche Streitereien mit Beleidigungen und Schimpfwörtern zu. Ein Stromausfall beendet private Geschäfte; mit abgeschalteten Ampeln vergrößert sich die Gefahr für einen Unfall; der nächtliche Stadtbummel fällt gegebenenfalls aus; Pläne werden zurückgestellt; und die Idee, die Koffer zu packen, gewinnt an Bedeutung. Auch Hochzeiten werden verschoben; Schulen reduzieren die Qualität des Unterrichts und Behördengänge werden komplizierter.

Eine Stromsperre romantisch zu finden, indem man erwähnt, dass die großen Klassiker der Weltliteratur bei Kerzenlicht geschrieben wurden, übersteigt den Zynismus und wird zur Beleidigung. Während der „Speziellen Periode“ haben einige Führer der Kommunistischen Partei den Geschmack von Gerichten gelobt, die auf einem Holzofen zubereitet wurden, weil es damals kein Gas gab. Sie erinnern sich noch heute an die rauchige Note, die das brennende Holz in der Nahrung hinterließ. Wir verbrannten damals die Möbel der Großeltern, um Essen für uns kochen zu können. Heute versichern sie, dass die Dunkelheit uns ein ruhigeres und natürlicheres Leben zurückgeben könnte, obwohl Stromsperren unsere Existenz nur noch mehr beunruhigen.

Nein, es gibt nichts Schönes an einem Stromausfall, vor allem dann, wenn man schon einen guten Teil seines Lebens darunter gelitten hat und man nicht sieht, was kurz-oder langfristig unser tägliches Leben beeinträchtigen wird.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Das kubanische „Paket“ bewegt sich im Rhythmus von russischen Forderungen

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Es ist kein Zufall, dass wir nach der zeitlichen Zurückstellung des „Pakets“ den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu Besuch hatten. (Außenministerium, Russland)

Die Kubaner verlieren die Übersicht, angesichts so vieler Namen von hochrangigen russischen Funktionären, die jetzt nach Kuba kommen. Diese Prozession, die in den letzten Monaten an Zahl und Häufigkeit zugenommen hat, findet zeitgleich mit der offiziellen Ankündigung von wirtschaftlichen Maßnahmen statt. Es fällt schwer, dahinter nicht den Kreml als Strippenzieher zu vermuten, wenn Abgesandte von Putin auf die Insel kommen und kurz darauf im offiziellen „Amtsblatt“ Tarifanpassungen für höhere Gas-und Strompreise bekannt gegeben werden.

An diesem Donnerstag kommt Boris Titow nach Havanna, der Vorsitzende des russisch-kubanischen Wirtschaftsrats, und er wird bis zum 7.März auf der Insel bleiben. Ein langer Besuch, der im Vorfeld alle Anzeichen von einer Überprüfung und einer akribischen Inspektion hat, um festzustellen, was aus den vagen Versprechungen geworden ist, die vermutlich von kubanischen Funktionären an russische Ohren gelangten, um so von Moskau Investitionen und Unterstützung zu erhalten. Ein „Tanz der sieben Schleier“, der bei Anderen funktionierte, hier aber vor Auftraggebern aufgeführt wurde, die das falsche Spiel des Castroismus genau kennen.

Es ist kein Zufall, dass wir nach der zeitlichen Zurückstellung des „Pakets“, das die Preise für Kraftstoffe und Strom erhöht, den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu Besuch hatten, und später kam noch Nikolai Patruschew, der Sekretär des russischen Sicherheitsrats. Beide in der zweiten Februarhälfte, dem Monat, in dem man ursprünglich Maßnahmen umsetzen wollte, die das Leben auf der Insel verteuern und großes soziales Unbehagen auslösen werden. Nach Lawrows Abreise wurde bekanntgegeben, dass die neuen Preise ab dem 1.März gelten würden.

Man darf vermuten, dass Díaz-Canel mit Moskauer Vorwürfen überschüttet wurde. Putin genügt es nicht, dass man zustimmt; man muss sich ihm fügen. Seine Leute sind nach Havanna gekommen um Rechenschaft zu fordern, und die törichten Funktionäre der Kommunistischen Partei wollten zunächst das tun, was sie am besten können: einen Aufschub erreichen und neue Fristen verhandeln, nur, um schließlich vor dem mächtigen Gönner zu kuschen.

Vor der Augen der Bürger scheinen sich die Russen in jede Ritze des kubanischen Lebens einzuschleichen. Die zwischenstaatliche Kommission, die Titow leitet, prüft und trifft Vereinbarungen in so unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft, Finanzen, Energie Transport, Landwirtschaft, Kommunikation, Gesundheit, Schulbildung und Tourismus. Obwohl keines der beiden Regime es zugibt, die Anwesenheit von kubanischen Söldnern, die bei der Invasion der Ukraine für Russland kämpfen, vertieft die Verbindung zwischen Castroismus und Putinismus.

Die offizielle Presse der Insel hat das Drehbuch übernommen, das der Kreml seinen nationalen Medien aufzwingt. Hier wie dort werden keine russischen Niederlagen veröffentlicht, der Name von Wolodimir Selenski darf nur zusammen mit schlimmsten Adjektiven erwähnt werden, und die Invasion ist nur eine „Spezialoperation“, damit das russische Vaterland das zurückerhält, was ihm gehört, und was man ihm genommen hat. Die Publikationen von „Sputnik“ und Granma“ ähneln sich von Tag zu Tag mehr. Zwischen „RIA Nóvosti“ und „Prensa Latina“ gibt es kaum noch Unterschiede, wenn es sich um Berichte über Europa oder die Vereinigten Staaten handelt.

Beide Regime haben in den letzten Jahren ihre Reden synchronisiert, haben politische Beiträge in mehreren Punkten aufeinander abgestimmt und so die gegenseitigen Beziehungen gestärkt, manches offen, anderes unter dem Deckmantel der Geheimhaltung. Aber Kuba ist ein kleines Land, eine Insel mit wenig natürlichen Ressourcen und einer Wirtschaft, die von Ineffizienz und schlechtem Management zugrunde gerichtet wurde. Sich so weit an die russische Gier anzunähern, ist ein gefährliches Unterfangen, weil Russland von seinen Verbündeten viel mehr verlangt als Händeschütteln und protokollarische Besuche.

Zu jener gehorsamen Unterwerfung gehört es auch, als Sprungbrett für Kampagnen mit Desinformation zu dienen, und auch als eine Brücke nach Lateinamerika, damit Putin sein Ansehen rein waschen und die Solidarität mit Kiew untergraben kann. Der Kreml gewährt keine Unterstützung, ohne im Gegenzug etwas dafür zu verlangen; es sind Zeiten mit direkten Anfragen und maßlosen Forderungen.

Wenn Moskau das Schiff verlässt, dann mit reinem Tisch. Manchmal machen seine Panzer ein Land dem Erdboden gleich, ein anderes Mal vernichten sie es mit ihrer Desinformation und ihren Anpassungen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Díaz-Canel musste bis nach Cauto Cristo gehen, um ein Bad in der Menge zu nehmen

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Auf Bildern im Fernsehen beeilt sich Díaz-Canel die Hände auszustrecken, eng umgeben von Sicherheitspersonal. (Screenshot)

Er kneift die Augen zusammen, macht einen kleinen Sprung nach vorne und legt die Hände auf die Brust. Miguel Díaz-Canel nimmt hier nicht an einem mystischen Ritual teil, sondern steht vor Fernsehkameras, die über seinen Besuch in Cauto Cristo berichten, einem Ort in der Provinz Granma. „Es war, als hätte ich den göttlichen Fidel gesehen“, ruft eine Señora in Trance, „mir standen die Haare zu Berge“. Ihr folgt eine andere Frau, die versichert, dass das Kommen des ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei ein „Gottesgeschenk“ wäre, und ein „Segen“ für eine Gemeinde, die Funktionäre und nationale Medien vergessen hätten.

Das Fernsehen zeigt, wie der Regierende sich beeilt seine Hände auszustrecken, Kinder zu umarmen und anzumerken, dass er hier zu Fuß wäre. Er tut dies in einem Moment, in dem seine Popularität sehr negativ beurteilt wird, wenngleich vertrauenswürdige Umfragen dazu fehlen, die seine Unbeliebtheit mit Zahlen belegen. Er ist hergekommen, um die armen Bewohner zu überzeugen, dass man „mit öffentlicher Beteiligung nach Lösungen suchen könnte, die die Kubaner so sehr benötigten“, so Díaz-Canel in einer Videoaufzeichnung.

„Díaz Canel, wir beten dich an, mein Sohn, wir beten dich an!“, schreit eine enthusiastische Frau, als die Prozession an ihr vorbeizieht, und vervollständigt so die Mystik des Moments. Ein Gemälde hat eine geplante Komposition; hier ist es ein Altarbild, vorbereitet für die Verehrung und somit jenseits aller Kritik. Das Bild zeigt keine Risse: der Ort, die Bezeugungen und die Worte der Bürger sollen vor Hingabe und blindem Glauben strotzen. Es gibt keinen Raum für Zweifel; eine von oben kalkulierte abgöttische Verehrung wurde zu einer plumpen und fanatischen comparsa*), bei der es nicht einmal mehr darum geht, was real ist und was nicht, sondern um die Aufführung eines Theaterstücks, dessen Handlung absolut grotesk ist.

Wenn sich der Staubwolke verzogen hat, die die offizielle Autokarawane aufgewirbelt hat, dann wird die alltägliche Misere weiter gehen, die die Tage in Cauto Cristo prägen. Die Señora, der “ die Haare zu Berge standen“, wird sich bitter darüber beklagen, dass der Reis nicht rechtzeitig zum rationierten Markt gekommen ist, und ihre „inbrünstige“ Gefährtin wird sagen, dass dies geschah, weil „der Präsident davon nicht unterrichtet war“, und die junge Frau, die wie ein Maschinengewehr redet, organisiert gerade ihre Abreise aus Kuba, mit Unterstützung eines Bekannten in Miami.

Gekleidet wie ein vermuteter Erlöser, auf Díaz-Canel warten nur die „Nägel“ der öffentlichen Ablehnung. In ein paar Tagen wird es in Cauto Cristo keine zusammen gekniffenen Augen mehr geben und keine zur Brust geführten Hände. Anstelle von Lobreden wird man Beleidigungen und Spott hören, vor allem aber jenes derbe Schimpfwort, mit dem der Regierende in die Geschichte der Insel eingehen wird. Kein offizielles Medium wagt es, diesen Beinamen zu erwähnen. Wenn Kubaner das Wort mit den sechs Buchstaben aussprechen, dann tun sie es nicht in einem Ton von Verherrlichung, sondern von Abscheu…ziemlich sicher.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*)Anmerkung des Übersetzers: Bei spanischen Festen und im kubanischen Karneval ist eine comparsa eine Gruppe von Tänzern und Musikern.

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„Diese Art von Mitteilungen mache ich üblicherweise nicht“

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Aus Angst rechtfertigen sich manche Kubaner im Voraus für das, was sie veröffentlichen werden.(14ymedio)

Als ich jung war fingen Briefe immer so an: „Ich hoffe, dass der Brief ankommt“. Heute weisen viele Kubaner schon in der ersten Zeile darauf hin, dass “ sie üblicherweise keine solchen Mitteilungen machen“. Beide Briefanfänge versuchen eine Verbindung zwischen dem Schreiber und seinem Leser herzustellen; aber die verwendeten Formeln trennen nicht nur Jahrzehnte, sondern auch die Absicht. Die eine ist nur ein Klischee, die andere ein Ausdruck von Angst.

In Kuba wurden so viele schon auf die eine oder andere Weise betraft, wenn sie sich freimütig in den sozialen Netzwerken äußerten, und deswegen gibt es eine weit verbreitete Angst sich öffentlich zu beschweren, ein Medikament nachzufragen, oder von staatlicher Nachlässigkeit zu berichten. Die Leute spüren, dass sie sich schon im Vorfeld entschuldigen sollten, wenn sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, wenn sie verlangen, dass Läden mit Lebensmitteln beliefert werden, oder dass man die Toiletten in einem Krankenhaus reinigt. Die meisten Internet-Nutzer glauben, der Obrigkeit ihre Reverenz erweisen zu müssen, damit klar und deutlich wird, dass sie nur im Extremfall auf ein solches Vorgehen zurückgreifen, um damit ihren Ärger und ihre Verzweiflung kund zu tun.

Sie wollen sich aber auch von Aktivisten, unabhängigen Journalisten und Oppositionellen distanzieren, die das Internet als virtuellen Raum nutzen, um auf ihre Aktionen, Informationen oder Plattformen aufmerksam zu machen. Den „Inquisitoren“ der politischen Polizei, die das Netz überwachen, soll klar werden, dass der fragliche User gegen die Vorschriften verstoßen hat, indem er diesmal seine Meinung publizierte, aber nur dieses eine Mal. Wenn also irgendein „Arbeitskollege“ auf Facebook schaut, um die Mitteilung zu lesen, dann wird er vermuten, dass dieser Beitrag aus Dringlichkeit gepostet wurde und nicht zu einer Gewohnheit werden wird.

Die Botschaft richtet sich auch an Andere. Sie sollen wissen: wenn das Problem gelöst ist und der Unwille des Users abgeklungen ist, dann wird er auf Facebook nur noch Familienfotos, verbandelte Herzen und Promi-Klatsch posten können. Es soll kein Zweifel daran bestehen, dass es für ihn keine Möglichkeit mehr geben wird, sich politisch zu positionieren und sich abtrünnig zu verhalten, und noch weniger, dass er zu einer digitalen Führungsperson wird, die andere User um sich schart und Funktionäre und Parteiführer in den Schatten stellt.

Dass “ ich üblicherweise keine solchen Mitteilungen mache“, fasst kurz zusammen, dass wir bei unseren eigenen Worten erschrecken. Diese Formel ist mehr als ein Gemeinplatz, sie verewigt den Knebel, den sie uns angelegt haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Angst der Kubaner vor dem wirtschaftlichen ‚Paket‘ der Regierung

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Zu Weihnachten trauten sich nur wenige Kubaner zu sagen, dass das kommende Jahr besser werden würde. (14ymedio)

Wenige Girlanden, spärliche Weihnachtbäume und wenig öffentliche Begeisterung kennzeichneten die letzten Tage des Jahres 2023. Abgesehen von gelegentlichen Festen, war die Stimmung im Dezember mehr von Unsicherheit als von Feiern geprägt. Zu der langen Wirtschaftskrise und einem massiven Exodus gesellte sich noch die Angst vor einem wirtschaftlichen ‚Paket‘, das die Behörden für 2024 angekündigt hatten.

Obwohl der Regierende Miguel Díaz-Canel schon versucht hat, die Gerüchte in Zaum zu halten und versicherte, es würde sich bei den Kürzungen nicht um einen „neoliberalen“ Prozess handeln, so wissen wir doch alle, dass kubanische Führer in Bezug auf Begriffe ihr eigenes Glossar verwenden. Jahrzehntelang hat man Arbeitslose als „verfügbare Arbeitskräfte“ bezeichnet, ein fast liebenswerter Euphemismus; die Wirtschaftskrise in den 90-er Jahren bekam das Etikett „Spezielle Periode“; und dem Sturm von 1968, der alle privaten Geschäfte beschlagnahmte − einschließlich der Kästen der Schuhputzer − gaben sie die heroische Bezeichnung „Revolutionäre Offensive“.

Bei ihrer Vorliebe Dinge selbst zu benennen, gefällt es den kubanischen Behörden überhaupt nicht, wenn ihnen jemand dabei zuvorkommt, und den Phänomenen und Ereignissen der kubanischen Realität einen anderen Taufnamen gibt. Im Parlament dauerte es daher nur wenige Minuten, bis der Premierminister Manuel Marrero begann, die wirtschaftliche „Anpassung“ zu erklären, die im neuen Jahr kommen wird. Damit sollte sich das ‚große Paket‘ (sp. paquetazo) in den sozialen Netzen und den Instant-Messenger-Diensten verbreiten. Es handelt sich um sozial-politische Einschnitte, die einerseits Subventionen kürzen und andererseits die Preise erhöhen werden.

Diese Aktionen könnte man als „Absturzplan“ bezeichnen, ein Wort, das die offizielle kubanische Presse gern benutzt, wenn sie über andere Länder spricht. Was im Großen und Ganzen auf uns zu kommt, ist eine Preiserhöhung für Produkte und Dienstleistungen und ein Ende der subventionierten Grundnahrungsmittel. Im Anschluss an die Erläuterungen von Marreo haben mehre Funktionäre versichert, dass das „Bezugsbüchlein“ für den Einkauf im rationierten Markt nicht abgeschafft würde, ohne allerdings zu garantieren, dass es – nach 60 Jahren seiner Existenz – auch weiterhin allen Konsumenten zugänglich bliebe.

Das ‚Paket‘ beinhaltet auch eine Erhöhung des Strompreises um 25%, was die 6% der Wohnungen mit dem höchsten Verbrauch betrifft, und Kraftstoffe müssen Touristen in Zukunft mit Devisen bezahlen. Die Kosten für die Versorgung mit Trinkwasser wird sich für diejenigen Haushalte verdreifachen, die keinen Wasserzähler haben; der Preis für einen Zylinder Flüssiggas wird um 25% steigen; und es gelten auch neue Tarife für den öffentlichen Nahverkehr. Außerdem kündigte Marrero eine Revision der Zahl der Personen an, die aktuell auf der staatlichen Gehaltsliste stehen, was auf eine Reduzierung des Personalbestands hinweist.

Es ist offensichtlich, dass es sich in Kuba um eine Gesellschaft handelt, in der man Wohlfahrt, verordnete Gleichheit und den rationierten Markt nicht nur als Mechanismen zur Verteilung von Produkten und Gütern verwendet, sondern auch als eine Form von sozialer und politischer Kontrolle. Die Ankündigungen im Parlament machen nicht nur dem kleinen Mann Sorgen, sondern auch den Funktionären. Während man in den Häusern eine deutliche Preissteigerung für Produkte des täglichen Bedarfs befürchtet, vermutet man in den klimatisierten Räumen von Institutionen und Ministerien eine Zunahme von öffentlichen Protesten oder eine ansteigende Emigration, die den Arbeitsmarkt hart treffen würde, vor allem im Bereich Facharbeiter.

Es herrscht dicke Luft. Die Unsicherheit der Kubaner zeigte sich am Jahresende darin, dass es weniger Feiern und spärliche Weihnachtbäume gab. Wenn man einem Freund oder Bekannten auf der Straße begegnete, dann traute man sich nicht einmal, einen der heute üblichen Wünsche zu sagen. Denn, dass 2024 „ein besseres Jahr“ werden würde, ist eine sarkastische Prognose.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Weihnachten in Kuba, geteilt in „hier“ und „dort“

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Am Ende des Jahres verbringen viele von uns Insel-Kubanern die Feiertage mit denen, die emigriert sind. (14ymedio)

Es ist die Zeit sie auf den Fotos zu sehen, die sie auf WhatsApp geschickt haben. Sie sind auf einem Platz, lächeln, und sie haben einen Weihnachtsbaum auf dem Rücken. Manchmal sitzen sie an einem Tisch mit vollen Tellern, leuchtenden Kerzen, perlenden Gläsern und bunter Dekoration. Am Ende dieses Jahres verbringen viele von uns Insel-Kubanern die Feiertage mit denen, die emigriert sind. Wir atmen erleichtert auf, wenn wir daran denken, dass sie dieser Hölle entkommen sind.

„Gebratene grüne Bananen (sp. ‚Tostones‘) oder Maniok-Pommes (sp. ‚Yuca‘)?“, fragt eine Nachbarin ihren Mann zum Menu an Heiligabend. Nach der Emigration der beiden Töchter sie sind allein; sie versuchen die Tradition zu erhalten, und wollen − trotz ihrer Situation − den kommenden Sonntag mit der Familie zu feiern. Das Problem ist, dass sie in Kuba keine Angehörigen mehr haben, die sie zum Abendessen einladen könnten, keine Enkel, die sie beschenken könnten, und auch keine Kinder, um zusammen mit ihnen für 2024 zu planen. Sie fühlen sich so einsam wie der Stern, der oben am Weihnachtsbaum leuchtet.

„Es ist mir völlig egal, wenn es nur wir beide sind und sonst niemand“, antwortet er auf ihre Frage nach den Optionen für das Menu. Er ist in Rente; früher hat er das verteidigt, was er heute verächtlich „diese Sache“ nennt. Er weiß, dass der letzte Sommer nicht wiederkehren wird, als er 79 Jahre alt wurde, seine Töchter, Schwiegersöhne und Enkel bei ihm waren und jemand einen Schnappschuss machte, der nie wieder möglich sein wird. Valencia, Miami und das kalte Stockholm sind ihre neuen Wohnsitze; noch vor ein paar Monaten posierten sie auf dem Foto zusammen mit ihm, einem Kuchen, einigen Dosen Bier, und dem Negrito, dem alten Familienhund.

Seit Wochen lächelt das Paar nur noch, wenn seine Frau − technisch versierter als er −in Eile zu ihm kommt, um ihm zu sagen, „die Mädchen“ (ihre Enkelinnen) hätten ihr geschrieben, eine wäre gut in der Schule und die andere hätte neue Freundschaften geschlossen. Sie wird emotional, wenn sie erzählt, wie glücklich der Mann ihrer älteren Tochter ist, „Hamburger zu braten und zum ersten Mal eigenes Geld zu verdienen“, obwohl er in Kuba Ingenieur war. Wenn Nachbarn sie fragen, dann antwortet sie immer: „Also, es geht ihnen sehr gut, und wenigstens sind sie nicht mehr hier“.

„Hier“ ist der Ort, wo die zwei alten Leute am kommenden Sonntag die Tischdecke auflegen, die die Großmutter bestickt hat, vor zehn Jahren ist sie gestorben. Sie werden die hohen Gläser nehmen und auch die Porzellanschüssel mit dem intensiv blauen Blumendekor auf den Tisch stellen. „Hier“ entkorken sie eine Flasche Cidre, die ihnen ihre jüngere Tochter geschickt hat; sie werden bedächtig essen, sich Anekdoten erzählen, wie ihr ältester Enkel bei seinen ersten Gehversuchen auf die Nase fiel, oder wie einer ihrer Schwiegersöhne einen Motorradunfall hatte. Dann gibt es den Nachtisch, sie lassen die Gläser klingen und betrachten noch einmal die neuesten Fotos, die von „dort“ gekommen sind.

„Dort“ wissen ihre Enkel mittlerweile und zum ersten Mal was Heimweh, Schnee und kulturelle Vielfalt ist. Vermutlich machen sie Selfies vor hell erleuchteten Schaufenstern, versuchen dreimal am Tag „die alten Leute“ auf der Insel anzurufen, aber die miserable Qualität des kubanischen Internets macht ihre Wünsche oft genug zunichte. „Dort“ treffen sie sich mit Freunden, begegnen anderen Leuten, lernen eine andere Arbeitswelt kennen und stehen die Schwierigkeiten für Neuankömmlinge durch. Das „dort“wurde zu ihrem „hier“.

In Kuba sind sich die Großeltern darin einig, dass man sie nicht beunruhigen sollte. “ Sie sollen uns nicht traurig sehen“, sagt sie. „Sie sollen sich um uns keine Sorgen machen“, stimmt er bei. Um alle Bedenken zu zerstreuen, werden sie am Heiligabend Musik hören, ein kurzes Video aufnehmen, während sie eine Flasche öffnen, den Negrito schlafend in einem Sessel zeigen, und eine Woche später weitere Bilder hinzufügen, wie er einen Eimer Wasser vom Balkon schüttet, damit das neue Jahr ein besseres Jahr wird.

„Hier“, alles ist darauf ausgerichtet, die nicht zu verunsichern, die weggegangen sind. Sie sollen die Einsamkeit nicht bemerken, unter der tausende, hunderttausende Kubaner leiden. Meine Nachbarn wollen nicht, dass ihre Töchter sie sehen, also ob sie das letzte Rettungsboot verpasst hätten. Von „hier“ kommt es darauf an, den Auswanderern Mut zu machen und mit ihnen zu leben, mit den Fotos, die sie von „dort“ auf WhatsApp schicken.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Drehbuchautoren des kubanischen Regimes erschrecken niemanden mehr

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Der offizielle Sprecher Humberto López live in einem kubanischen Fernsehstudio. (Razones de Cuba/YouTube/Captura)

Es gab eine Zeit in der die offiziellen Ausreden besser waren, vielleicht waren wir auch leichtgläubiger. In jenen Jahren erzählten sie von Gefahren, die wirklich beängstigend waren, von Bösewichtern, die uns Angst machten, und von Angriffen, bei denen uns die Haare zu Berge standen. Manchmal war es die uns eigene Naivität zusammen mit dem Monopol für Information, das die Kommunistische Partei damals hatte. Es genügte schon zu sagen, dass der „Feind“ beabsichtige, die Wasservorräte in den Kindertagesstätten und den Schulen zu vergiften, damit wir vermieden, auch nur einen Tropfen Wasser in der Schule zu trinken−wenigsten für ein paar Tage.

An jene sprachgewandten Geschichtenerzähler und unsere Naivität erinnern wir uns nicht mehr. Jetzt, am Ende des Jahres, hat sich das kubanische Fernsehen auf die x-te Wiederholung der Geschichte gestürzt, dass man im kubanischen Exil Sabotage vorbereitet, Waffen bereit hält, und eine Landung auf der Insel plant. Ein in Umlauf gebrachtes Beispiel bringt uns zum Lachen. Vermutlich erreichte ein einzelner Mann auf einem Jetski die Insel, und bewaffnet war er mit drei Pistolen und einigen Schuss Munition. Bei dieser Beschreibung sollte man sich an Berichte von früher erinnern, als ein solcher Bösewicht noch Angst und Schrecken verbreitete, jetzt bedauern wir ihn.

Es ist auch kein Zufall, dass jedes Mal wenn eine Wirtschaftkrise eskaliert und die allgemeine Empörung wächst, solche Reportagen auftauchen, die in allen Einzelheiten einem Drehbuch folgen. Damit will man die Kubaner einschüchtern und vermeiden, dass sie ihre Unzufriedenheit öffentlich zeigen, auf die Straße gehen, oder zu einem Generalstreik aufrufen. Der beabsichtigte Theaterdonner der Drehbücher hat seit einiger Zeit seine Wirkung verloren, es sind Produkte einer reichen Fantasie und betreffen einzelne Personen, bestimmte Konzepte, und die zunehmend abenteuerlichen Maßnahmen der Regierung.

Der augenblickliche Verfolgungs-und Invasionswahn, der die offiziellen Propagandisten befallen hat, zeigt ein hohes Maß an Verzweiflung. Die Autoren der Drehbücher haben jede Objektivität verloren, so sie die jemals hatten − und jetzt erreichen sie das absolut Groteske. Bei solchen Karikaturen von vermuteten Übeltätern und deren Attacken − wer soll das noch glauben?

Ein Rat an die unfähigen Autoren von so viel Schund: Vielleicht würde ein Training bei Marvel oder Netflix zu glaubwürdigeren Ergebnissen führen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Managua, Caracas und Havanna: Migration ist ein Geschäft

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Terminal 3 des Internationalen Flughafens José Martí von Havanna. (14ymedio)

Die meisten sind Männer, und als Gepäck haben sie nur einen kleinen Rucksack. Die Warteschlange im Flughafen José Martí, um am Schalter der Conviasa einzuchecken, kommt schnell voran. Der Flug geht direkt nach Managua, aber in Nicaragua beginnt dann ein Weg, der die Männer bis an die Südgrenze der Vereinigten Staaten führen wird. Trotz der Maßnahmen, mit denen Washington vor kurzem Fluglinien sanktioniert hat, die vom kubanischen Migrationsdrama profitieren, starten weiterhin Flugzeuge nach Nicaragua.

Vor ein paar Tagen brach die Welt von Marco de Jesús zusammen. Er hatte bereits für sich und seinen Bruder zwei Tickets bei der dominikanischen Air Century gekauft, um nach Nicaragua zu fliegen, als ihn eine kurze E-Mail von der Annullierung dieser Verbindung erreichte. Air Century war eines der ersten Unternehmen, das auf die neue restriktive Visa-Politik der Vereinigten Staaten reagierte, „zu Händen“ von Eignern und Geschäftsführern von Fluggesellschaften, die Tickets zu Wucherpreisen an jene kubanischen Migranten verkauft hatten, die nach Mittelamerika wollten.

Für den 38 Jahre alten Habanero war die Beschränkung seitens der Vereinigten Staaten eine Strafe, die zu einer denkbar schlechten Zeit kam. Nach dem Verkauf seiner Wohnung und seines Elektro-Motorrads, hatte er die mehr als 4.000 Dollar beisammen, die die zwei Tickets für die kurze Strecke von Havanna nach Managua kosteten. „Wir hatten alles geregelt, um das Land zu verlassen, und jetzt verlangen wir von der Air Century, dass sie uns das Geld zurück gibt“, fügt er unsicher hinzu. Obwohl er zugibt, dass solch hohe Ticketpreise „ein Missbrauch“ sind, ist er entschlossen, noch einmal eine solche Summe oder noch mehr zu bezahlen, „um das Land zu verlassen“.

Daniel Ortega, der autoritäre Machthaber von Nicaragua, hat die Hoffnungslosigkeit der Kubaner richtig eingeschätzt. Mit der Visabefreiung für kubanische Staatsangehörige, die 2021 in Kraft trat, schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: er zweigte einen Teil der saftigen Dividende für sich ab, die der ständige Fluss von Migranten abwarf, und er erhöhte nebenbei den Druck auf die Grenze der Vereinigten Staaten, was intern zu vermehrter Kritik an der Administration von Joe Biden führte. Er füllte sich die Taschen mit der Not von Menschen und drückte seinen Erzfeind im Norden in die Seile.

Aus der Ungeduld von vielen tausend Kubanern, die Insel um jeden Preis zu verlassen, wurde ein Geschäft, an dem sich auch andere beteiligen wollten: die staatliche venezolanische Conviasa und sogar das Regime in Havanna. Vermutlich waren die kubanischen Behörden damit einverstanden, denn sie tolerierten Werbung für angebliche Pauschalreisen nach Nicaragua, „um die Vulkane zu sehen“, obwohl jeder wusste, dass die „Touristen“ nicht zurückkehren würden. Zwei Jahre lang floss so Geld in die Taschen der drei Regime. Niemand weiß genau, wie viel sie dabei kassiert haben, aber bei dem Preis für ein Ticket könnte es sich um mehrere Millionen Dollar handeln.

Jetzt, mit der neuen Beschränkung aus Washington, ist diese Geldquelle teilweise versiegt, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Tricks und andere Machenschaften auftauchen, um diese lukrativen Flugverbindungen beizubehalten. Marco de Jesús und sein Bruder wollen es nicht wahrhaben, dass sie nur Figuren in einem Spiel von drei unersättlichen, autoritären Regimen sind, die sich Ressourcen aneignen. Und was die Migration betrifft, so ist es die neue Speerspitze ihrer Geopolitik.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch publiziert.

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Eamon Gilmore und die vielen Fallstricke bei seiner Reise nach Kuba

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Eamon Gilmore, der EU-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, in Manila, Philippinen, im vergangenen März. (EFE/EPA/Rolex Dela Pena)

Der irische Politiker Eamon Gilmore, der EU-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, wird diese Woche zu einem Besuch in Kuba erwartet. Der nationale Kontext dafür könnte für den Beamten schlechter nicht sein. Inmitten des größten Exodus in den letzten Jahrzehnten, mit mehr als tausend politischen Gefangenen und einer tiefen Wirtschaftskrise… die Insel wird bei dem Abgesandten von Josep Borrell für heftige Kopfschmerzen sorgen. Die größte Herausforderung bei seinem Aufenthalt wird sein, dem erdrückenden Terminkalender aus dem Wege zu gehen, den das Regime in Havanna für ihn vorbereitet hat. Man will verhindern, dass er problematische und beklagenswerte Bereiche der kubanischen Realität zu sehen bekommt.

Anders als früher, als Informationen noch tröpfchenweise aus dem Land sickerten, verfügt Gilmore heute über zahllose Berichte, Aussagen von Zeugen, und über Artikel der unabhängigen Presse, die detailliert das Ausmaß der Repression dokumentieren, unter der wir zu leiden haben. Im Vorfeld der Reise konnte er emigrierte Kubaner treffen, die ihm aus erster Hand von erzwungener Verbannung und von Reiseverboten für Dissidenten berichteten, sowie von Drohungen gegen die Familien jener, die wegen ihrer Teilnahme an den Protesten des 11.Juli verurteilt wurden. Er konnte sich auch über eine weitere Drehung an der Zensur-Schraube informieren, die das neue Kommunikationsgesetz mit sich bringen wird; es wurde schon verabschiedet und tritt demnächst in Kraft.

Es ist eine Sache, diese alarmierenden Berichte zu lesen oder den Erzählungen von Emigrierten zuzuhören; eine ganz andere Sache ist, in Kuba direkt mit Opfern zu sprechen, um dann das Besuchsprogramm zu ändern und den Kontakt mit diesem Teil unserer Gesellschaft aufzunehmen, der zum Schweigen gebracht oder verstoßen wurde. In Kuba ist Gilmore ein weiterer Gast der Regierung, und er wird sich dem offiziellen Programm fügen müssen. Das bedeutet, dass er das US-Embargo verurteilen muss, die öffentlichen Dienste loben wird − obwohl man ihm nur Schulen und Krankenhäuser zeigen wird, die für diesen Anlass hergerichtet wurden − und er wird öffentlich die „soliden Bande“ in der Zusammenarbeit zwischen der EU und Havanna betonen.

Allerdings sollte jemand, der über die Einhaltung der Menschenrechte wacht, darüber hinaus gehen, und sich von symbolischen Gesten und roten Teppichen nicht beeindrucken lassen, und das anzusprechen, was unsere Gesellschaft plagt und quält. Wenn Gilmore ein Programm absolviert, das seinem Amt entspricht, dann kann er nicht umhin, wenigsten ein kubanisches Gefängnis zu besuchen. In diese „Unterwelt“ einzutauchen wäre wichtig, um das völlige Fehlen von physischen und rechtlichen Garantien zu begreifen, unter denen die Häftlinge leiden. Unmittelbar mit politischen Gefangenen und ihren Familien zu reden, wäre entscheidend, um zu verstehen, was auf dieser Insel geschieht.

Falls Gilmore während seines Aufenthalts das Internet nutzt, das ihm die Etecsa, das staatliche Monopol für Telekommunikation anbietet, dann könnte er feststellen, dass viele digitale Seiten blockiert sind; es sind vor allem jene mit nationalen Nachrichten, die nicht konform mit den Richtlinien der Kommunistischen Partei gehen. Ein Ausflug aufs Land, aber nicht zu den Fincas, die für die Augen von internationalen Organisationen eigens dekoriert werden, sondern zu jenen Bauern, die nicht einmal Maschendraht für ihre Gehege kaufen können, weil dieses landwirtschaftliche Produkt nur mit Devisen zu erwerben ist. Damit könnte Gilmore seinem Abschlussbericht einige Nuancen hinzufügen.

Auf seiner Rundreise sollte auch der Besuch einer überfüllten Abfertigungshalle eines Flughafens nicht fehlen, wo sich hunderte von jungen Männern mit leichtem Gepäck darauf vorbereiten, an Bord eines Flugzeugs nach Managua zu gehen, um von dort ihre Emigration zu beginnen; es sind Kubaner, die bessere wirtschaftliche Bedingungen und Freiheit suchen und jetzt das Land verlassen. An ihnen sieht man das Scheitern des kubanischen Modells, das dem Land vor mehr als 60 Jahren aufgezwungen wurde.

Gilmore könnte seiner Liste mit Aktivitäten auch einen Überraschungsbesuch in einem Laden des rationierten Markts hinzufügen, in dem es viele Mücken und nur wenige Produkte gibt; er könnte in eines der neuerdings überall auftauchenden Geschäfte gehen, in denen 30 Eier einen Monatslohn kosten. Und um das Ganze abzurunden, empfiehlt sich ein Spaziergang durch ein Viertel am Stadtrand von Havanna, mit vielen Menschen, die „illegal“ in ihrem eigenen Land leben, ohne Versorgung mit Trinkwasser und ohne Chancen.

All das und noch mehr würde dem Sonderbeauftragten der EU eine vollständige und realistische Sicht auf das vermitteln, was wir Kubaner erleben. Aber bei den Fallstricken der offiziellen Tagesordnung und der ängstlichen europäischen Diplomatie, ist es vorhersehbar, dass der Besuch von Gilmore nur einer von vielen anderen bleiben wird, ohne Auswirkung auf uns Bürger. Schließlich ist Gilmore nur noch für kurze Zeit im Amt, und das kubanische Regime wird ihn mit seiner 64-jährigen Erfahrung in Sachen Repression überstehen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch publiziert.

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Reglementierte und Verbannte nehmen am Treffen der kubanischen Regierung mit Emigrierten nicht teil

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Die Absicht der Regierung ist klar: Man will diejenigen, die man einst als „Abschaum“ oder „Gewürm“ bezeichnete, davon überzeugen, dass sie ihren Geldbeuten öffnen und in Kuba investieren sollten. (14ymedio)

Zehn Jahre sind vergangen, seit die Reform des Migrationsgesetzes in Kraft getreten ist und die nicht-präsentable Ausreisegenehmigung abgelöst hat, die wir Kubaner für eine Reise ins Ausland benötigten. Dennoch, das Recht auf Reisefreiheit wurde nicht in vollem Umfang wiederhergestellt. Reglementierende Maßnahmen und erzwungene Verbannung haben es dem Regime erlaubt, Verbote von Ein-und Ausreise weiterhin als Mittel der politischen Kontrolle und der Kriminalisierung von Kritikern zu nutzen.

An diesem Wochenende wird im Kongresszentrum von Havanna eine Konferenz zu „Nation und Migration“ stattfinden. Zu diesem Event, den es so seit 19 Jahren nicht mehr gab, hat man eine größere Zahl von Emigrierten eingeladen, die in verschiedenen Ländern leben, aber in ihrer Haltung übereinstimmen: Sie vermeiden Kritik am autoritären kubanischen Regime und schweigen zu Verletzungen der Menschrechte auf dieser Insel. Die Vertreter des Außenministeriums werden sich wohl fühlen, angesichts von Kongressteilnehmer, die viel applaudieren und wenig fordern.

Obwohl offizielle Stimmen unterstreichen, dass es bei dieser Konferenz kein Tabu-Thema gebe, wird man vermutlich die Ungerechtigkeit nicht einmal erwähnen, von der viele Aktivisten, Oppositionelle und unabhängige Journalisten betroffen sind, denn es handelt sich bei ihnen um Reglementierte, denen man verwehrt Kuba zu verlassen. Eine repressive Maßnahme, weil jene von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben. Man wird auch nicht die Namen derjenigen erwähnen, denen man nach einem Aufenthalt im Ausland verwehrt hat, in ein Flugzeug zu steigen und in ihre Heimat zurückzukehren; eine enorme Bestrafung, denn sie haben ihren Auslandsaufenthalt nicht über die 24 Monate hinaus verlängert, die die aktuelle Gesetzgebung als Limit vorschreibt, um den Wohnsitz auf der Insel zu behalten.

Weder die Reglementierten noch die Verbannten werden bei diesem Treffen vertreten sein, und ziemlich sicher ist auch, dass keiner der Eingeladenen es wagen wird, solche Fälle anzusprechen und ein Ende der Sanktionen zu fordern. Wenn also die zwei schlimmsten Verletzungen des Migrationsrechts im Verlauf der Konferenz weder behandelt noch beseitigt werden, wozu taugt dann ein solches Treffen?

Die Absicht der Regierung ist klar. Man will diejenigen, die man einst als „Abschaum“ oder „Gewürm“ bezeichnete, davon überzeugen, dass sie ihren Geldbeutel öffnen und in Kuba investieren sollten. Um an ihr Geld zu kommen, wird man ihnen sagen, dass Änderungen in der Migrationspolitik auf einem guten Weg wären, dass man eines Tages sogar das Wort „Emigrant“ nicht mehr verwenden würde, um damit Landsleute zu bezeichnen, die über die ganze Welt verstreut leben. Außerdem wird man alle Schritte einer angeblichen Flexibilisierung aufzählen, mit denen man in den letzten Jahren voran gekommen wäre, um die nationalen Grenzen in beiden Richtungen zu überqueren.

Sobald die Konferenz vorbei ist, wird das Kanzleramt mit dem Lächeln aufhören und erneut von „Gehässigen“ und „Frustrierten“ sprechen; es wird seine Angriffe auf „jenes Land“ konzentrieren, das viele tausend Kubaner gewählt haben um dort zu leben, und in dem viele schon die Staatsbürgerschaft besitzen, und es werden vermehrt Reden von einem „belagerten Kuba“ gehalten, in dem eine abweichende Meinung ein Verrat ist. In ihren Häusern werden viele Kubaner die Umarmung eines Bruders, eines Sohns oder einer Mutter weiterhin aufschieben müssen, denn ein absurdes System verwehrt ihnen ein Flugzeug zu besteigen, um zu ihren Lieben zu kommen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Kuba, Venezuela und ein Hurrikan namens María Corina Machado

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In dieser Woche wird die Kandidatur von María Candida Machado von der Staatsanwaltschaft überprüft. (EFE)

Vor fast zehn Jahren traf ich sie in Madrid. María Corina Machado, hyperaktiv und direkt, war damals eine der vielen Figuren der venezolanischen Opposition, die nach dem Tod von Hugo Chavez versuchten, auf der politischen Bühne an Einfluss zu gewinnen. Von da an und bis heute befindet sich ihr Land im Abgrund einer chronischen Krise, und meine Insel hat zu diesem Absturz mit vielen tausend Barrel Rohöl beigetragen, die von den Petróleos de Venezuela nach Kuba kamen und das kubanische Regime am Leben hielten.

In dieser Dekade hat Machado schlimme Momente erlebt, als ihr Haupt-Gegner Nicolás Maduro systematisch alle Wege für einen gesetzeskonformen und friedlichen Verzicht auf sein unpopuläres Mandant blockierte. Überwachung, die Vernichtung ihres Ansehens, interne Kämpfe unter den Oppositionellen, und noch viel mehr hat diese Frau erfahren, die am vergangenen Wochenende gewählt wurde, um bei den Wahlen gegen den Erben des Chavismus anzutreten. Ihre Chancen, dass man sie als Kandidatin für diese Wahlen rehabilitiert und sie mit Sicherheitsgarantien am Wettbewerb um das Präsidentenamt teilnehmen kann, sind minimal, aber nicht hoffnungslos.

Alle, die wie wir in autoritären politischen Systemen geboren wurden, wissen, dass keine Diktatur bereit ist, ihr Fortbestehen an den Urnen aufs Spiel zu setzen. Wenn etwas im Katechismus für Tyrannen steht, den die von klein auf lernen, dann ist es, dass sie weder Oppositionellen noch Wahlzetteln erlauben sollten, sie von den Honigtöpfen der Macht zu verdrängen. Die Geschichte kennt hervorragende Beispiele von krachendem Scheitern, wenn ein eitler Autokrat glaubte, dass er auch nach Wahlen auf dem Präsidentenstuhl bleiben könnte und schließlich als Verlierer endete.

Maduro weiß genau, was ihm passiert, wenn Machado Erfolg hat. Er muss den Regierungspalast „Miraflores“ verlassen und eine öffentliche Überprüfung von Wirtschaftssektoren zulassen, die er unter Verschluss hält. Außerdem hat er gute Chancen verurteilt zu werden und hinter Gittern zu landen, aufgrund der Gräueltaten während seiner Regierungszeit. Wer auf einem Tiger reitet, muss damit rechnen, dass das Raubtier ihn frisst, wenn er denn absteigt; es wird für ihn aber immer schwieriger, sich auf dem Rücken des unruhigen Tieres zu halten.

María Corina Machado hat die schwierigsten Monate ihres Lebens vor sich. Die Attacken der Medien werden heftiger, die Justiz beschuldigt sie, es gibt missgünstige Konkurrenten und Gefahren für ihre Person. In Kuba verfährt Havanna nach dem wohlbekannten Drehbuch, dass Machado eine Agentin der CIA wäre und versuchen wird, Venezuela in die „neoliberale Vergangenheit“ zurückzuführen; vermutlich arbeitet die Politische Polizei in beiden Ländern zusammen. Man versucht ihre Reputation zu vernichten und will verhindern, dass ihr Name im Verlauf der Wahlen auftaucht und die Wähler verunsichert. Im Moment ist sie für beide Regine der Staatsfeind Nummer eins.

In diesem Jahr transportierten Tanker täglich etwa 57.000 Barrel venezolanisches Erdöl nach Kuba. Was für den Castroismus auf dem Spiel steht, wenn Machado Erfolg hat, ist keine Kleinigkeit. Trotz der Bedeutung, die mexikanisches Rohöl erlangt hat − dank Andrés Manuel Obrador − bleibt Caracas eine unverzichtbare Stütze für das gescheiterte kubanische Regime, das hat Angst, dass Stromausfälle, Inflation und der Mangel an Freiheiten die Straßen der Insel erneut in Aufruhr versetzen, so, wie es am 11 Juli 2021 der Fall war.

Was das kubanische Regime im Augenblick am meisten verunsichert: María Corina Machado; die internationale Gemeinschaft, die demokratische Wahlen in Venezuela fordert; und die Wähler, die den politischen Wechsel wollen, sich aber keine Illusionen machen. Die Politische Polizei ölt ihre Maschinerie, um mit allem was sie hat gegen Machado vorzugehen. Bleiben wir wachsam und wünschen wir der Führerin von Vente Venezuela*) Glück. Sie wird es brauchen, und sogar viel davon.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*)Anmerkung des Übersetzers: „Vente Venezuela“ ist eine liberale politische Partei, die 2012 von María Corina Machado gegründet wurde.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf Spanisch veröffentlicht.

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Die UNO und das brüchige Vertrauen in internationale Organisationen

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Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. (EFE)

Binnen weniger Tage zeigten zwei Nachrichten eine verheißungsvolle und eine enttäuschende Seite der Vereinten Nationen (UN). Anfang Oktober billigte der Sicherheitsrat die Entsendung von mehr als tausend Polizisten nach Haiti, unter der Führung Kenias. Mit dem Einsatz dieses Polizei-Kontingents will man versuchen, die Spirale der Unsicherheit und Gewalt zu bremsen, in der das karibische Land versunken ist. Viele Haitianer hoffen und erwarten, dass bei dieser Mission die bewaffneten Banden an Terrain verlieren, denn diese kontrollieren bereits große Gebiete des Landes. Allerdings gibt es schon Zweifel an der Effizienz und der moralischen Integrität der kenianischen Polizisten.


Abgesehen der Polemik, die die haitianische Mission ausgelöst hat, scheint es einen Konsens darüber zu geben, dass man handeln musste. Dieselbe UNO, die bei mehr als 11 Millionen Menschen Hoffnungen weckt, hat in diesem Monat die Bewohner eines anderen Teils dieses Planeten erneut enttäuscht, weil es bei einer Abstimmung über die Integration des Menschenrechtsrat*) dafür keine Mehrheit gab. Das Verhalten von Mitgliedern von offen diktatorischen Regimen, die ihren Bürgern politische und bürgerliche Freiheiten vorenthalten − wie es China und Kuba tun − ist ein Schlag ins Gesicht von Aktivisten, Verteidigern der Menschenrechte und Organisationen, die von den repressiven Exzessen in beiden Ländern berichtet haben


Die Vereinigten Nationen verbreiten die Zuversicht, dass internationale Organisationen Leben retten oder Nationen vor dem sozialen Kollaps bewahren können, bestrafen sich aber selbst, wenn sie den Eindruck erwecken eine Art Konklave zu sein, in dem obskure Interessen grassieren und sich autoritäre Lobbyisten durchsetzen können. In den großen Hallen der UN sind sowohl Havanna wie Peking sehr geschickt darin, mit wirtschaftlichen oder diplomatischen Erpressungen an den Fäden zu ziehen − zu ihrem Vorteil. China tut dies mit Druck auf nationale Wirtschaften, weil ein Netz von ausgedehnten Investitionen auf mehreren Kontinenten dies ermöglicht. Havanna nutzt seine medizinischen Missionen und die ideologischen Kameradschaften, um Unterstützung für sich zu gewinnen.


Wie fallende Körner in einer Sanduhr, so verliert in jeder Sekunde ein Mensch auf diesem Planeten das Vertrauen zu den Vereinten Nationen, dass diese sein Leben oder das seiner Familie verbessern könnten. Dieses Misstrauen ist unumkehrbar. Wer heute nicht mehr an die UNO glaubt, wird dies wahrscheinlich nie mehr tun. Aber für so viel Misstrauen und Ablehnung übernimmt niemand die Schuld, weil die UNO eine Körperschaft ist, die von Bürokraten gepeinigt wird, die sich angesichts der heutigen Herausforderungen töricht verhält, und die durchsetzt ist von Rivalitäten und Allianzen, denn letztere konzentrieren sich eher auf Auseinandersetzungen mit anderen politischen Blöcken, als auf die Suche nach dem Wohlergehen der Bürger.


Konfrontiert mit zwei aktuellen Kriegen, konnte die UNO nicht einmal den Traum ihrer Gründerväter realisieren, nämlich neue Kriege zu verhindern. Dieses Scheitern am wichtigsten Grund ihrer Existenz, bedeutet das nicht, dass es Zeit wäre für ein neues Konklave. Besser vielleicht, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Bestrebungen, die Vereinten Nationen abzuschaffen, sind in den letzten Jahren stärker geworden. Allerdings, ein internationales Szenario ohne diese Organisation würde autoritäre Regime und bewaffnete Auseinandersetzungen begünstigen. Was also tun? Man sollte die UNO bei humanitären Einsätzen und Friedensmissionen unterstützen, und im Innern der Organisation sollte man das Vorankommen von Diktaturen und Vetternwirtschaft bremsen. Bleibt dafür noch Zeit? Wenig, sehr wenig.


Übersetzung: Dieter Schubert


*)Anmerkung des Übersetzers: Der Menschenrechtsrat ist ein Unterorgan der Generalversammlung der UN. Der Rat kann die Entsendung von Beobachtern zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte in einem Mitgliedsland beschließen.


Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf Spanisch veröffentlicht.


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Heberto tauscht einen Hammel gegen einen Koffer, um Kuba mit seiner Familie zu verlassen

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Die Familie emigriert; ihre Route wird sie von Brasilien bis an die Südgrenze der Vereinigten Staaten bringen.(14medio)

Ein Leben lang ist er zwischen zwei kubanischen Territorien hin-und her gependelt, der heutigen Provinz Artemisa und der Hauptstadt Havanna. Aber im Oktober werden Heberto, seine Frau und seine kleine Tochter den Sprung in eine andere Geographie wagen. Die Familie emigriert, und ihre Route wird sie von Brasilien bis an die Südgrenze der Vereinigten Staaten führen. „Das haben wir so beschlossen“, erzählt Heberto, ohne die vielen tausend Kilometer auch nur zu erwähnen, die zwischen ihrem Startpunkt in Südamerika und dem Endziel liegen.

„Wir brauchen einen großen Koffer und einen kleinen“, erzählt er. „Mit dem großen gehen wir los und nehmen die Kindersachen mit; aber unterwegs werden wir wahrscheinlich nur den kleinen Koffer behalten können, weil wir durch schwierige Gebiete müssen“. Heberto ist Händler; er verkauft Käse, Kompott von Guajaven und Joghurt, und seit Jahren fährt er mit der Bahn von seinem Heimatort Alquízar bis zur Endstation in der Tulipán-Straße, um in dem Stadtviertel seine Produkte anzubieten. Dort kam es in dieser Woche zu einer Abmachung: Ein großer Koffer im Tausch gegen einen Hammel.

„Ein langjähriger Kunde hatte einen Koffer und brauchte das Fleisch, also waren wir uns nach ein paar Minuten einig“, sagte er. „Dann sagte er mir noch, dass, wenn ich ihm einen großen, gut geräucherten Käse besorgen könnte, er mir im Tausch einen Handkoffer geben würde, einen von denen, die man mit ins Flugzeug nimmt“. In einer Zeit mit Inflation und gestiegenen Preisen für Produkte des täglichen Bedarfs, versorgt sich der eine mit Lebensmitteln, und der andere erhält zwei solide Rollkoffer, die ihm bei seinem Vorhaben zu emigrieren helfen werden.

Das Viertel um die kleine Bahnstation verliert damit einen seiner verlässlichsten Händler. Im Verlauf von zwei Jahrzehnten hat Heberto eine treue Kundschaft gewonnen, die seine Produkte schätzt. Sein Angebot hat sich mit den Jahren verändert, war aber immer vorhanden, „abgesehen von der Pandemie“, sagt er. „Es gab eine Zeit, wo ich auch eingedickte Sahne verkaufte, aber das kann ich jetzt nicht mehr, weil es weniger Kühe in meiner Gegend gibt“.

„Später machte ich gute Geschäfte mit dem Verkauf von Viktoria-Barschen, aber auch das rentierte sich nicht mehr, weil es kein Futter mehr gab, um die Fische in den Becken zu füttern. Schweinefleisch war eines seiner beliebtesten Produkte, bis die „Bauern von Alquízar die Sauen schlachteten, weil sie kein Futter mehr für sie hatten. Leute, die heute Tiere züchten, tun dies nur noch für den eigenen Bedarf“. In letzter Zeit hat er sein Angebot mit Früchten, Okra-Schoten, kreolischem Reis und dem einen oder anderen Stück Hammelfleisch ergänzt. Genau dieses Produkt hat sich jetzt in zwei Koffer verwandelt, die ihm helfen werden, seinen Traum zu verwirklichen, „dieses Land so bald wie möglich zu verlassen“.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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CDR, das ‚Komitee zur Verteidigung der Revolution‘ ist eine Organisation ohne Empathie

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Ein Plakat, das sie im Erdgeschoss eines Gebäudes in Havanna aufgehängt haben. (14ymdeio)

„Beiträge der Nachbarn werden gerne entgegengenommen, angefangen mit einer Knoblauchzehe bis zu einem größeren Beitrag“, steht auf einem Plakat, das man im Erdgeschoss unseres Gebäudes in Havanna aufgehängt hat. Damit ruft das ‚Komitee zur Verteidigung der Revolution‘ (CDR) dazu auf, Mittel für ein Fest zu spenden. Diese parapolizeiliche Organisation, die gerade ihre tiefsten Momente erlebt, plant, ihren 63.Geburtstag zu feiern, mitten in einer wirtschaftlichen Krise, die besonders den Zugang zu Grundnahrungsmitteln betrifft. Das Gedenken an den Tag der Gründung geht zudem einher mit ihrem zehnten Kongress, der ab Mittwoch dieser Woche stattfindet − trotz der roten Zahlen, die die kubanische Wirtschaft aktuell schreibt.

Währenddessen werden Vorschriften erlassen, die die tägliche Arbeitszeit verkürzen und Kühlschränke und Klimageräte für bestimmte Tagesstunden vom Netz trennen. Das Komitee scheut keine Kosten, um seine Führungskräfte zu versammeln, seine politischen Muskeln spielen zu lassen und die Feier und den Kongress in ein-und derselben Woche abzuhalten. Wenn dem nicht so wäre, würde es eine Menge Ärger geben, denn diese Organisation wurde ins Leben gerufen, um die Kubaner auf Nachbarschaftsebene zu überwachen und zu kontrollieren; heute hat sie an Popularität verloren, einige Kubaner widmen ihr nicht einmal mehr einen Gedanken. Wie ein nicht-bestatteter Toter stolpert sie umher und hofft darauf, dass man von oben die letzten Schaufeln Erde auf sie wirft.

Ein neugieriger Nachbar betrachtet das Plakat des Komitees. (14ymedio)

In Erwartung des Todes des einst so mächtigen Riesen in Sachen häuslicher Spionage, haben sich im Laufe der Zeit viele ehemalige Unterstützer von ihren Aufgaben im Komitee verabschiedet. Jene, die noch vor ein paar Jahren enthusiastisch an unsere Wohnungstüren klopften und um etwas Maniok, einige Malanga-Knollen oder um eine Zwiebel für eine dünne Knoblauchsuppe baten, sie erscheinen jetzt nicht mehr − und aus der ‚Suppe‘ ist im offiziellen Sprech eine „caldosa“ geworden, ein Eintopf.

Die Bewohner unseres Blocks müssen mit ihren eigenen Dramen fertig werden, und sie wissen, dass das Komitee nicht dazu da ist, um ihnen zu helfen die Pension zu strecken, um Händler zu überzeugen, den Preis für Nahrungsmittel herabzusetzen, und auch nicht, um für sie ein Medikament zu besorgen.

Trotzdem, in meinem Haus werden wir aus gegebenem Anlass mehr als eine Knoblauchzehe spenden. Wir wollen nämlich das Komitee ein für alle Mal loswerden; eine Organisation soll verschwinden, die nur Spaltung und Angst ins Leben der Kubaner gebracht hat. Wie einem Vampir, den es nach der Intimität von anderen Menschen dürstet, und der sich von jedem ernährt, der eigene Ideen hat,…wir werden ihm einen ganzen Knoblauchzopf an die Tür hängen, um ihn zu vertreiben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Kuba, eine Containerwirtschaft

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Der Container der Marke Seaco wurde wenige Meter entfernt vom Büro der Einwanderungs-und Ausländerbehörde aufgestellt. (14ymedio)

Riesig, gekühlt und mit einem Markenzeichen versehen, das seinen Weg über die Weltmeere verrät, ist der Container in unser Viertel in Havanna gekommen ist. Diese überlange Masse wurde binnen weniger Tage zu einer Gerüchteküche mit Illusionen und Kritik. „Der Container gehört einem kubanischen Einzelhändler, der ihn hierher gebracht hat, um tiefgefrorenes Hühnchen zu verkaufen“, sagt eine Nachbarin. „Es wird sicher auch ein Angebot an Salchichas, Erfrischungsgetränken und Bier geben“, versichert ein Rentner, der gegenüber dem Behälter wohnt. „Das wird die Preise in die Höhe treiben“, spekuliert eine alte Frau.

In meinem Viertel, mit vielen Gebäuden mit mehr als zwölf Stockwerken und wenigen Supermärkten, wurde der Container der Marke Seaco auf einen Gehsteig gestellt, nur wenige Meter entfernt vom Büro der Einwanderungs-und Ausländerbehörde; ein Ort, den man fürchtet, weil es dort ein Gefängnis für Ausländer gibt und Abschiebeverfahren bearbeitet werden. „Man muss schon viel Mut haben, um so etwas ‚diesen Leute‘ vor die Nase zu setzen“, meint ein junger Mann, der den größten Teil des Tages auf einer nahen Parkbank verbringt. „Es muss jemand mit Beziehungen sein, vielleicht ein Ex-Militär“, sagt er noch.

In kurzer Zeit haben sich allerlei Legenden über dieses Depot verbreitet. Was erzählt wird zeigt die Wahrnehmung der Kubaner, die jetzt ihre Hoffnungen in winzige, kleine und mittelgroße Unternehmen setzen, die seit ein paar Jahren eine Genehmigung erhalten haben. Es gibt Leute, die glauben, dass mit der Öffnung der „riesigen Box“ eine Fahrt ins Zentrum von Havanna oder El Vedado nicht mehr nötig wäre, um ein Paket tiefgefrorenes Hühnchen zu kaufen. „Es wird teurer sein, aber wenigsten ist es näher“, sagt mir ein ehemaliger Bauarbeiter, der beim Bau unseres Betonblocks mithalf.

Aber auch der Zorn über den Container hat zugenommen. Er steht leuchtend in der Nähe einer Metzgerei des rationierten Markts, deren Kühlung seit Jahren defekt ist; sie wird immer schlechter beliefert, und vor ihr gibt es eine Warteschlange mit langen Gesichtern und miserablen Löhnen. „Dort werden Rentner nicht einkaufen können“, sagt eine Frau, die versucht, ausschließlich von ihren 1.400 CUP Pension zu leben. Ohne Angehörige im Ausland oder kleinen illegalen Geschäften wäre es der Frau nicht möglich, für einen Liter Milch in einem Geschäft 1.200 CUP zu bezahlen.

Früher gab es hier Läden, die auf Basis des konvertiblen Pesos (CUC) funktionierten, und − noch früher − sogar Produkte anboten, die in der Zeit der sowjetischen Subventionen aus Osteuropa kamen; niemand setzt mehr Hoffnung in solche Läden. Jetzt wissen die Leute, dass es einen dynamischen Verkauf und ein breites Angebot an einer Straßenecke gibt, auf einem Gehsteig, an einem improvisierten Kiosk oder herab von einem Lastwagen. Der Container wurde zum Zentrum der kubanischen Wirtschaft.

Aber auch der Zorn über den Container hat zugenommen. Er steht leuchtend in der Nähe einer Metzgerei, deren Kühlung seit Jahren defekt ist. (14ymedio)

„Ich verkaufe einen Container mit pflanzlichem Speiseöl“; „Bestellen Sie jetzt, der Container kommt in der zweiten Augustwoche“; „Wir bieten einen professionellen Lieferdienst ihres Containers an, in jeden Teil von Havanna“; „Kein Detail-Verkauf, entweder kaufen Sie den ganzen Container oder der Deal kommt nicht zustande“. Das sind Sätze, die man bei Facebook-Gruppen, in Kleinanzeigen, oder auf WhatsApp-Listen liest, die importierte Waren bewerben.

Einkauf im Laden geht so: Nimm einen Wagen, laufe an den Regalen vorbei und wähle das Produkt −das musst du nicht mehr. Man kauft jetzt nämlich blind, meistens ist es ein verschlossener Karton mit einer aufgedruckten Gewichtsangabe, ein paar Sätze in einer Fremdsprache und das Bild eines stolzen Hahns. „Sie müssen den ganzen Karton mit Hühnchen-Vierteln kaufen“, erklärt der Händler einem Internetnutzer, der nach der Menge fragt.

Auch und immer häufiger bezahlt man mit Devisen. „Wir sind Einzelhändler mit Lieferung frei Haus. Bestellen auf einer Webseite. Bezahlen Sie in Dollar, Euros, oder einer anderen frei konvertierbaren Währung. Ihre Familie kann die Bezahlung auch im Ausland tätigen, mit einer Banküberweisung, einer Transaktion per Smartphone oder über einen Online-Bezahldienst“. So die Werbung des Unternehmens, das in seinem Katalog neben Fruchtsäften und alkoholischen Getränken auch LED Glühbirnen anbietet. Im Hauptgebäude stehen etwa ein Dutzend bestellte Container, in denen Waren lagern, die vor kurzem vom Hafen in Mariel eingetroffen sind. „Alles erste Qualität, und eingeführt“, prahlt der Händler.

Würde man von Havanna eine Luftaufnahme machen und auf jeden Container, der manchmal auch ein Laden ist, eine rote Markierung setzen, dann wären in der Stadt die Windpocken ausgebrochen; ein Hautausschlag, verursacht von Containern, die dort, wo sie stehen, ein ansteckendes Fieber hervorrufen, bei dem sich Unwohlsein und Illusion mischen. „Haben sie dir schon einen Container ins Viertel gestellt?“ begrüßt mich ein Freund, den ich lange nicht mehr gesehen habe. “ In meinem gibt es schon vier davon“, beeilt er sich hinzuzufügen. „Jetzt ist die Bevölkerung nicht mehr abhängig von der Belieferung eines Ladens mit Reis, sondern von dem Schiff, das den nächsten Container bringt“.

In den Träumen von Millionen auf dieser Insel tauchen jetzt rechteckige Formen auf, mit metallischer Oberfläche; sie sind schwer, sehr schwer.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Vom Maleconazo zu 11J, der Weg von der bürgerlichen Kindheit zur Reife

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Demonstranten besetzen die Galiano-Straße während des Maleconazo am 5.August 1994. (Karel Poort)

Einige kamen in Lumpen, andere trugen Masken. Jene schrien, um in der Bucht von Havanna auf ein Boot zu kommen und zu emigrieren. Diese besetzten die Straßen der Insel, um das Land zu verändern und um nicht selbst das Land verlassen zu müssen. Zwischen dem Maleconazo am 5.August 1994 und den massiven Demonstrationen am 11.Juli 2021 (11J) sind 27 Jahre vergangen; die Kubaner haben die bürgerliche Kindheit hinter sich gelassen und sind erwachsen geworden. Man muss nur die Bilder der beiden Ereignisse betrachten, um die enormen Veränderung zu bemerken, die unsere Gesellschaft erlebt hat.

An jenem Augustmorgen war der Auslöser für die Unruhen die Annullierung von Reisen mit ReglaFerries, und die damit verbundene Sehnsucht dem Land zu entkommen. Der Aufschrei der Straße am 11.Juli war deutlich anarchistisch, regierungsfeindlich und vom Überdruss an einem politischen und wirtschaftlichen Modell geprägt, das dem Land vor sechs Jahrzehnten aufgezwungen wurde. Besser strukturiert, mit abgestimmten Losungen und demokratisch gesinnt, die Demonstranten vor zwei Jahren waren die Kinder und Enkel jener, die damals die Avenida Malecón besetzten und von den Schnellen Einsatztruppen und den Bauarbeitern des Kollektivs Blas Roca verprügelt wurden.

Verstreut, führerlos und von Hunger ausgezehrt, die Haupt-Akteure jener ersten sozialen Explosion waren zweifellos mehr als mutig. Es war seit langer Zeit die erste öffentliche Revolte gegen das kubanische Regime, und es schien so, als ob es der Indoktrination und der Politischen Polizei nicht gelungen wäre, die staatsbürgerliche Gesinnung auf der Insel auszurotten. Es war ein Aufstand der Hoffnungslosigkeit, chaotisch, und wegen mangelnder Organisation zum Scheitern verurteilt; die Küste wurde für die Aufständischen zu einer Falle, als die Stoßtruppen gegen die Menge vorrückten. Sie konnten es nicht besser. Sie wussten es nicht besser.

Trotz der vielen Unterschiede gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ereignissen. In beiden Fällen war die Repression die Antwort. Wenn sich die Unterdrücker in jenem weit zurückliegenden Sommer mit Zivilkleidung tarnten, so ließen sie am 11.Juli die Scham fallen, denn sie begannen mit allen Utensilien zu verprügeln und zu verhaften: in Uniform und mit Schutzschildern und Waffen. Während des Aufschreis mitten in der Speziellen Periode war es Fidel Castro, der die Niederschlagung der bürgerlichen Unzufriedenheit leitete, und der erst auf dem Malecón erschien, als die Situation schon unter Kontrolle war. Im Jahr 2021 fiel Miguel Díaz-Canel diese schmachvolle Rolle zu; er erteilte den „Befehl zum Kampf“ in seinem Büro, an seinem Schreibtisch −  und damit begann die Jagd auf die Demonstranten.

Dennoch, die wichtigste Verbindung zwischen dem Maleconazo und den Protesten des 11J ist nicht das Verhalten des Regimes und nicht die Tatsache, dass keine der beiden sozialen Explosionen den demokratischen Wandel auf der Insel herbeigeführt hat. Beide Daten sind viel tiefer miteinander verbunden. Sie zeigen nicht nur die Ablehnung des Systems durch die kubanische Bevölkerung, sondern auch die Entwicklung einer Gesellschaft, der man die Sehnsucht nach Freiheit nicht austreiben konnte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der Kater nach der Wahl in Spanien, aus der Sicht von Lateinamerika

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Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse begrüßen Mitglieder der Volkspartei ihre Anhänger vor der Parteizentrale in Madrid. (EFE)

Tage sind vergangen, seit die Wähler am 23.Juli zur Wahl der Cortes Generales (das spanische Parlament) an die Urnen gingen. Dennoch, die Verhandlungen, um eine Regierungsmehrheit zu erreichen, werden sich noch mehrere Wochen hinziehen. Diese Tatsache hält auf unserer Seite des Atlantiks Millionen Bürger im Ungewissen. Die konservative Volkspartei (Partido Popular) hat die Wahl gewonnen, aber nicht ganz, und wahrscheinlich wird die Sozialistische Arbeiterpartei (Partido Socialista) an der Macht bleiben. Auf jeden Fall ist Spanien, das augenblicklich die Präsidentschaft der EU innehat und mit Lateinamerika eng verbunden ist, dazu verdammt, eine aktivere Position in unserer Hemisphäre einzunehmen, aber seine internen Brüche belasten diese Rolle.

Das jüngste Gipfeltreffen der EU und der CELAG (Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten) fand in diesem Monat in Brüssel statt und hat gezeigt, dass es Madrid nicht gelingt, eine solide und langfristige Strategie zu entwickeln, mit Blick auf die lateinamerikanischen Länder. Mit einer gemeinsamen Vergangenheit und der von Tag zu Tag größer werdenden“ Community“ von spanischen Bürgern in diesem Teil der Welt, sollte Madrid − dank des Gesetzes der Demokratischen Erinnerung*) − eine viel aktivere Rolle in unserer Region spielen, diplomatisch, politisch und wirtschaftlich. Jedoch hindern die parteiinternen Kämpfe Madrid daran zu verstehen, wie wichtig es ist, die früher sogenannte Neue Welt in ihrer ganzen Dimension wahrzunehmen und ihr mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Angesichts einer schwachen Moncloa (Sitz des Ministerpräsidenten) in Lateinamerika, gewinnen die autoritären Akteure auf internationalen Bühnen an Beachtung. Der Gipfel EU-CELAG hat gezeigt, dass die spanische Standhaftigkeit oder Zögerlichkeit letztendlich entscheidend für die Zusammenarbeit von 27 europäischen und 33 lateinamerikanischen und karibischen Staaten ist. Wenn Madrid in seinen eigenen Angelegenheiten versinkt, ohne die Bedeutung seiner Führerschaft für Länder jenseits des Atlantiks zu erkennen, dann leidet das ganze alte Europa an seinen Bindungen mit unserem Kontinent. Spanien ist das Schlüsselland. Der Groll über die Vergangenheit, angefangen mit dem Kolonialismus und weiter mit der Sklaverei, sollte das Land nicht von seiner Führungsrolle in Amerika abbringen. Wenn Spanien diese Rolle nicht übernimmt, dann werden sich China und Russland darum streiten und an Boden gewinnen.

Die lokalen Diktatoren reiben sich die Hände, wenn die Moncloa unsichtbar bleibt und sich selbst in Frage stellt. Solange eine Regierungsbildung nicht absehbar ist und viele fürchten, dass sich eine Verzögerung wie nach der Wahl 2019 wiederholt, ist jeder Tag mit Unentschlossenheit ein Geschenk für diejenigen in Lateinamerika, die lieber ein schwaches, zerstreutes und apathisches Spanien hätten. In der Liste derer, die daran interessiert sind, dass die Unsicherheit anhält, findet man die Regime von Nicaragua, Venezuela und Kuba. Sie wissen, solange Madrid Nabelschau betreibt um ein Kabinett zu bilden, wird es weder Zeit noch Energie haben, um Verletzungen der Menschenrechte anzuklagen; darunter leiden wir und Millionen Menschen in diesem Teil der Welt.

Ein schwaches Spanien, unfähig bei internationalen Foren seine Stimme zu erheben, damit Freiheiten der Lateinamerikaner respektiert werden, ist ein Spanien, das den großen Raubtieren im bürgerlichen Gewand zupass kommt. Madrid muss der Tatsache ins Auge sehen und entsprechend handeln, dass es jetzt nicht nur um Diplomatie geht, sondern um substantielle Innenpolitik, wenn man bedenkt, wie viele Bürger in lateinamerikanischen Ländern leben. Die Zerstreutheit von Madrid bereitet uns Schmerzen; sein Mangel an Führungsqualität ist für uns eine Strafe.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*)Anmerkung des Übersetzers: Dieses Gesetz, auch Enkelgesetz genannt, beabsichtigt, denen Tribut zu zollen, die während der Franco-Diktatur aus politischen ideologischen oder religiösen Gründen das Land verlassen mussten.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch veröffentlicht.

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Fischzucht Zuhause, der Einfall eines kubanischen Ministers, um die Knappheit an Nahrungsmitteln zu beheben

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Der kubanische Vize-Premierminister Jorge Luis Tapia. (@AsambleaCuba/Twitter)

Tage später, nach jenem langen Anstehen in der Schlange, musste ich in Havanna durch Straßen des Stadtviertels San Leopoldo gehen und dabei die toten Küken vermeiden, die man von Balkonen und Terrassen heruntergeworfen hatte, mit ausgestrecktem Hals und immer noch gelben Flaumfedern. Ich hatte den ganzen Vormittag in dieser Warteschlange verbracht, um diese winzigen Wesen zu kaufen, die − so die offizielle Rede − uns vor Hungersnot bewahren würden.

Nur eines dieser Küken überlebte zwei Wochen in unserem Haus. Es starb unterernährt und krank, aufgrund unserer Unerfahrenheit in der Aufzucht von Hühnern, und weil wir auch kein geeignetes Futter hatten. Von dieser ausgemergelten Kreatur konnten wir keinen Bissen versuchen, vielleicht weil sie uns am Ende zu ähnlich war. Drei Jahrzehnte später wiederholt sich dieser Albtraum, dieses Mal aber mit der Zucht von Fischen.

Der unpopuläre kubanische Vize-Premierminister, Jorge Luis Tapia, hat vor der Nationalversammlung dazu aufgerufen, Teiche in unsere Patios einzubauen und uns der Aquakultur zu widmen. Ich will mich nicht weiter mit dem autoritären und despotischen Ton beschäftigen, mit dem er seinen Vorschlag vom Stapel ließ, weil das die Art und Weise ist, wie die Bürokraten der Kommunistischen Partei (PCC) mit uns sprechen, so, als ob sie Soldaten und nicht Bürger vor sich hätten, und als ob das Land eine riesige Kaserne wäre und wir Rekruten im obligatorischen Militärdienst.

Tapia hat sich dort, wo immer ihn die PCC als Parteiführer einsetzte, den miserablen Ruf erworben ineffizient, korrupt und außerdem ein Unterdrücker zu sein. Er hat nicht die geringste Ahnung vom dem, was er angeordnet hat. Folgt man seinen Ausführungen, so könnte man schon auf ein paar Quadratmetern einen Teich setzen, der uns aus der Krise brächte, unsere Küchen mit reichlich Fisch füllen würde und unsere Teller mit übrig-geblieben Flossen. In einem Land mit dem ernsten Problem der Überbelegung von Wohnungen zu denken, dass Familien in ihrem Wohnbereich dafür Platz hätten, übersteigt Naivität und wird zur Bosheit.

Hinzuzufügen ist das Thema Wasser. Ein Land, in dem viele tausend Haushalte nur von Tankwagen mit Wasser versorgt werden, und wo aus dem Wasserhahn in so vielen Wohnungen seit Monaten kein Tropfen mehr gekommen ist, sollte man Tapia schon fragen dürfen, wie und womit wir den Teich füllen sollen. Wenn sie schon jenen das Leben schwer gemacht haben, die einen kleinen Pool in ihrem Patio aufgestellt haben, um sich im Sommer zu erfrischen, was werden sie wohl mit dem machen, der es wagt und sich eine Lagune zulegt mit Barschen oder Welsen.

Aber das Hauptproblem sind Nahrungsmittel. Glaubt Tapia mit der Ignoranz eines Bürokraten, dass Fische von Luft leben. Wenn Familien nicht genug haben, um ihren Kindern ein Pausenbrot mitzugeben, über welche Futtermittel sollten sie dann verfügen, um kleine Setzlinge zu ernähren, die ohne Futter nicht wachsen, nicht an Gewicht zunehmen und somit nicht von uns gegessen werden können. Seine Worte sind völliger Unsinn, oder − schlimmer noch − eine Gemeinheit, in Umlauf gesetzt von einem Mann, der weiß, dass er auf seiner Terrasse sich nicht dem Fischfang widmen muss, wenn er gern eine Brasse essen möchte.

Ich zweifle nicht daran, dass es in meinem Wohnblock Nachbarn gibt, die ausrechen, wie viele Schleien in den riesigen Wassertank passen könnten, der 144 Wohnungen versorgt. Vielleicht ergreift ein kampferprobter Cederista1) die Initiative und nutzt den Tank für eine industrielle Fischzucht, mit Laichen, Aufzucht und Mast. Der Glaube an die Macht des Willens kann zu solchen Extremen führen, aber Jahrzehnte mit Misserfolg haben gezeigt, dass Wollen kein Tierfutter erzeugt.

Wie jene Küken in meiner Jugendzeit, in der Speziellen Periode2), so wird es jetzt mickrige Fische von Balkonen und Dachterrassen regnen. Sie fallen auf die Straße und niemand wagt sie aufzuheben; sie sind uns zu ähnlich, um sie zu berühren.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkungen des Übersetzers:

1) Cederistas sind Mitglieder eines „Komitees zu Verteidigung der Revolution“; das Wort wird gebildet mit den Anfangsbuchstaben von „Comités de Defensa de la Revolucion“.

2) Als „Spezielle Periode“ bezeichnet die kubanische Regierung die Wirtschaftskrise, die 1990 begann. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR fehlten Kuba die russischen Subventionen.

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Systemwechsel: der Elefant im Parlament

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Abgeordnete in der kubanischen Nationalversammlung an diesem Mittwoch. (Cubadebate)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 20.Juli 2023

Sie schlüsseln Daten auf. Alle negativ. Die Zuckerrohrernte bricht ein, die Erzeugung von Nahrungsmitteln geht zurück, und das Geld, um Produkte des täglichen Bedarfs zu importieren, ist knapp. An den aktuellen Sitzungen der Nationalversammlung nimmt ein Elefant teil, in all seiner Unermesslichkeit und inmitten der Sitze und der erhobenen Hände der Abgeordneten. Es ist der „Elefant der Dringlichkeit“ eines Systemwechsels. Alle spüren seine Anwesenheit, wissen, wie wichtig er ist, aber niemand wagt es von ihm zu sprechen.

Bei den Parlamentariern vermisst man eine mutige Geste, die anerkennt, dass das Land seit sechs Jahrzehnten auf dem falschen Weg ist, und dass die Einführung eines zentralistischen Staatsmodells uns in den Abgrund geführt hat, in dem wir heute sind. Die Abgeordneten bestehen darauf, Maßnahmen, Anpassungen und mehr Kontrollen zu empfehlen, um aus der wirtschaftlichen Krise herauszukommen. Aber mit jedem Zwischenruf und jeder weiteren bekannt gegebenen Zahl gewinnt das Röntgenbild der kubanischen Wirtschaft an Konturen; es ist das eines Patienten im Endstadium. Weiterhin wird auch klar, dass das von der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) verordnete Modell zum Scheitern verurteilt ist, und dass die Behörden weder den Mut noch die Fähigkeiten haben, unser Leben zu verbessern.

Nichts, was im Rahmen der Gesetze und der Verordnungen der PCC möglich wäre, wird es schaffen, den Fall des Landes in den Abgrund zu bremsen, vorhersehbar mit Elend und einer irreversiblen Schädigung der Infrastruktur des Landes.

Stunde um Stunde verschwenden die Abgeordneten mit Rechtfertigungen, und sie ergehen sich darin, die bekannten Übel auf das Klima zurückzuführen, auf die Nähe des Nachbarn im Norden oder auf den Preis für Weizenmehl im internationalen Vergleich. Jedoch fehlt ihnen der Mut, das zu sagen, was viele von uns denken: Dieses System muss geändert, abgeschafft und durch ein anderes ersetzt werden, mit weniger Losungen und mehr Sinn für Realität. Nichts, was im Rahmen der Gesetze und der Verordnungen der PCC möglich wäre, wird es schaffen, den Fall des Landes in den Abgrund zu bremsen, vorhersehbar mit Elend und einer irreversiblen Schädigung der Infrastruktur des Landes.

Der Dickhäuter räkelt sich, er trompetet und schüttelt seine Ohren, mitten unter den Parlamentariern. Einige berühren fast seinen Rüssel, wenn sie wissen wollen, „ob der Reis auf kubanischen Tellern fast ausschließlich aus dem Ausland kommt, trotz der neuen Richtlinien für Landwirtschaft“. Der Präsident der Nationalversammlung, Esteban Lazo, greift nach dem Schwanz des Tieres, indem er feststellt, dass „wir alle aufgrund von Programmen, Maßnahmen, Studien und Diagnosen schon sehr müde geworden sind“. Dennoch, niemand erwähnt den Elefanten; alle vermeiden es, jene Entscheidungen der Nationalversammlung als „Fehlschläge“ zu bezeichnen, die das riesige Säugetier genährt und gemästet haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Das Echo des Wagner-Aufstands erreicht Lateinamerika

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Am vergangenen Samstag den 24.Juni richteten sich alle Blicke auf Russland; wir verfolgten aufmerksam den Aufstand, bei dem die Wagner-Gruppe bis in die Nähe von Moskau vorankam. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 28.Juni 2023

Wir blieben im Ungewissen. Am vergangenen Samstag den 24.Juni richteten sich alle Blicke auf Russland, wir verfolgten interessiert den Aufstand, der die Wagner-Gruppe in die Nähe von Moskau führte und so die Risse der Macht des Kremls zeigte. Alle Zeitungen der Welt, alle Geheimdienste und ein großer Teil der Bewohner dieses Planeten verbrachten Stunden damit vorauszusehen, was sich noch ereignen würde. Es waren aber die Regierungen und die Staatskanzleien, die vor einer harten Prüfung standen. In Lateinamerika war es auch der Tag, um Position zu beziehen.

Einer der ersten, der auf dieser Seite der Welt seine Solidarität mit Wladimir Putin kundtat, war der venezolanische Regierungschef Nicolás Maduro. Er schmähte nicht nur die Offensive der Söldner, angeführt von Jewgeni Prigoschin, er ging sogar darüber hinaus und schickte dem ehemaligen Agenten des KGB eine „solidarische Umarmung“. Eine ähnliche Haltung zeigte der nicaraguanische Autokrat Daniel Ortega, der hinzufügte, dass es innerhalb seines Machtbereichs immer Menschen geben werde, die die Ereignisse in Russland „mit Zuneigung“ verfolgten. Havanna indessen schwieg.

Dieses Schweigen dauerte stundenlang, fast bis neun Uhr nachts, als die Panzerkolonne von Wagner schon kehrt gemacht hatte und Alexander Lukaschenko sich rühmte, eine Vereinbarung mit Prigoschin über den Rückzug seiner Truppen erreicht zu haben. Erst jetzt wagte es der Regierende Miguel Diáz-Canel eine Mitteilung auf seinem Twitter-Account zu veröffentlichen, in der er sich auf die Seite Putins stellte und den Aufstand verurteilte. Die Tageszeitung „Granma“, das offizielle Organ der Kommunistischen Partei, hatte bis dahin noch nicht einmal eine Nachricht von diesem Aufstand publiziert.

Das Phantom von 1991

Warum hat Diáz-Canel so lange gezögert Stellung zu beziehen und seine Unterstützung für Putin zu zeigen? Vielleicht kalkulierte er, dass es, wenn denn der Kreml-Chef fiele, es gut wäre, keine Speere auf seinen möglichen Nachfolger geworfen zu haben. Mit Hinblick auf die tiefe Krise, die die Insel heimsucht, taktierte das kubanische Regime vorsichtig und wollte nicht über Prigoschin herfallen, weil der zum nächsten Verbündeten in Moskau werden könnte. Sich auf die Leute von Wagner mit einer Verurteilung zu stürzen, könnte eine zukünftige Allianz mit ihnen erschweren.

Der Tag verging. Die meisten Regierungen der Welt gingen auf Distanz; sie erklärten, dass der Konflikt eine inner-russische Angelegenheit wäre und kümmerten sich um den Schutz ihrer Staatsangehörigen in dem euro-asiatischem Land. Auch die Staatskanzleien in Lateinamerika fassten das Thema mit Vorsicht an; die meisten Erklärungen von offizieller Seite unterstrichen die Verurteilung der russischen Invasion. Die Trennlinie zwischen demokratisch gewählten Exekutiven und Diktaturen wurde offensichtlich. Die russische Krise einte die „Genossen“ von Putin, und die demokratischen Regierungen in diesem Teil der Welt rückten enger zusammen.

Die Krise in Russland führte auch dazu, dass das Phantom von 1991 zurückkehrte, damals implodierte die Sowjetunion, der wichtigste Unterstützer und Alliierte des kubanischen Regimes. In den Stunden, in denen die Wagner-Rebellen auf Moskau vorrückten, muss die Erinnerung an den Fall des kommunistischen Riesen mehr als ein Mitglied der Regierung in Angst und Schrecken versetzt haben. Dann, als sie hörten, dass ihre schlimmsten Befürchtungen nicht eingetreten waren, begannen sie Putin auf die Schulter zu klopfen. Doch die Angst ihren Verbündeten erneut zu verlieren, hat sie seitdem nicht mehr verlassen. Sie haben die Risse im Kreml gesehen und die waren tief.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der „Deutschen Welle“ auf Spanisch veröffentlicht.

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Moskau glaubt nicht an Inseln, aber Kuba umarmt wieder den russischen Bären

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Der russische Vize-Premierminister Dmitri Tschernyschenko und der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel am vergangenen Freitag in Havanna. (Cubadebate)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 22.Mai 2023

In vielen kubanischen Häusern gibt es heute noch eine „Matrjoschka“ aus Holz, einen leeren Parfum-Flacon mit „Moskau Rot“ und eine Ausgabe der Zeitschrift „Sputnik“. Die sowjetische Präsenz auf unserer Insel war so intensiv, dass die UdSSR für uns Kinder, die in den 70ger und 80ger Jahren aufwuchsen, wie eine Stiefmutter war, mächtig und streng. Heute sehen wir wieder Abgesandte des Kremls, und obwohl sie sich in ihren Anzügen und Krawatten von ihren Vorgängern unterscheiden, wissen wir, dass sie dasselbe wollen: unser Land als geostrategische Figur in einem Schach benutzen, das für uns zu groß ist, viel zu groß.

An dem Tag, als in Japan das G7-Treffen begann, ratifizierte der Regierende Miguel Díaz-Canel dem russischen Vizepräsidenten Dmitri Tschernyschenko „die bedingungslose Unterstützung der Russischen Föderation von Seiten Kubas“ bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Westen. In Hiroshima ging es in den Sitzungen darum, wie man die Sanktionen wirkungsvoller gestalten könnte, um Putin wegen seiner Invasion in die Ukraine in die Enge zu treiben; in Havanna aber rollte man für den Ex-Agenten des KGB den roten Teppich aus. Das war kein Zufall.

International zunehmend isoliert und mit einem Krieg im Nacken, in dem man nicht den erhofften fulminanten Sieg errungen hat, braucht das russische Regime dringend Alliierte. Es benötigt sie auf diplomatischer Ebene, nicht nur um zu zeigen, dass ihm überall auf der Welt loyale Verbündete geblieben sind, sondern auch, damit ihm seine Freunde helfen die Sanktionen zu umgehen. Bis zu Beginn der Invasion hat Putin mehrmals sein Desinteresse an der Insel bekundet; es wurden sogar mehrere gemeinsame Projekte annulliert, wegen ineffizienter Maßnahmen des kubanischen Partners. Aber der Feldzug hat alles verändert.

Mit diesen Gesandten in Anzug und Krawatte, die in diesen Tagen nach Havanna kommen, wird es keinen demokratischen Wandel in Kuba geben, auch nicht mehr Freiheiten, und schon gar nicht eine größere Achtung der Menschenrechte.

Havanna übernahm sehr schnell die Sicht von Moskau und begann, das Eindringen von russischen Truppen auf ukrainisches Territorium als „militärische Spezialoperation“ zu bezeichnen. Bei den Vereinten Nationen verhinderte Havanna die Verurteilung der russischen Aggression und beschuldigte Kiew, den Konflikt verursacht zu haben. Danach regnete es Meldungen, die von der Unterzeichnung neuer Abkommen berichteten, von russischen Krediten und von wechselseitigen Besuchen von Funktionären auf beiden Seiten des Atlantiks. In dem Maße, wie mehr Fotos von Bürokraten aus beiden Ländern erschienen, die Verträge und Absichtserklärungen paraphierten, wuchsen bei uns Kubanern die Befürchtungen.

Das Unbehagen, das wir jetzt spüren, hat mehrere Ursachen. Wir kennen die Intensität der Präsenz von Russen in unserem Land und ihre Allgegenwart; und wir erinnern uns an ihre Fähigkeit, sich in Ministerien, Büros und Kasernen auszubreiten. Wir wissen, dass das Regime von Díaz-Canel angezählt ist, und dass es bereit ist − um vom Castrismus zu retten was zu retten ist − die Insel Stück für Stück zu vermarkten. Wir vermuten, dass ein „großzügiger Scheck“ aus Moskau es dem unpopulären Díaz-Canel ermöglichen würde, weiter am Ruder des Staatsschiffs zu bleiben und die Repression zu verstärken. Wir verstehen auch, dass wir für Putin nur deshalb interessant sind, weil wir nur etwa 180km von den Vereinigten Staaten entfernt sind, dem Erzfeind, und weil wir zu Lateinamerika gehören, einer Gegend, auf die Putin seinen Einflussbereich ausdehnen möchte.

Außerdem vermuten wir, dass mit diesen Gesandten, die in diesen Tagen nach Havanna kommen, es keinen demokratischen Wandel in Kuba geben wird, auch nicht mehr Freiheiten, und schon gar nicht eine größere Achtung der Menschenrechte. Alles deutet auf das Gegenteil hin. Als Tschernyschenko am vergangenen Donnerstag die Umsetzung eines „Strategieplans“ ankündigte, um die Annäherung der beiden Länder zu beschleunigen, sagte er, „dass man vielleicht noch einige Änderungen in der kubanischen Gesetzgebung benötigen würde“; dabei dachte er sicher nicht daran den Dissidenten mehr Freiräume zu geben, oder Zeichen des Respekts an die unabhängigen Pressemedien zu senden. Es handelt sich eher darum den Weg zu ebnen, so, dass Russen Stück für Stück die staatliche Wirtschaft kontrollieren und nach Belieben auch in anderen Bereichen schalten und walten können.

Sie werden ihre Methoden mitbringen, ganz bestimmt: Die Geschicklichkeit, mit der obskure Agenten der politischen Polizei ein Imperium zusammenraffen, damit die „dicken Fische“ der Partei die lukrativste Industrie übernehmen können und das Geld aus Liquidationen von öffentlichem Besitz hauptsächlich in den Taschen von ideologischen Genossen landet…, die dann ihre Militäruniformen gegen den noblen Zwirn von Oligarchen austauschen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch veröffentlicht.

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Rauben, plündern, verwüsten: mit der Krise kommt das Schlimmste der Kubaner ans Tageslicht

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Eine Ungeschicklichkeit beim Transport führte dazu, dass bei einer Scheibe eine Ecke abbrach, aber die Plünderer störte das nicht; sie nahmen auch dieses Teil mit. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 17.Mai 2023

An die „Spezielle Periode“ erinnert man sich aufgrund der langen Stromausfälle und wegen des Mangels an Lebensmitteln, aber auch weil es eine Zeit in Kuba war, in der Vandalismus und Raub ein alarmierend hohes Niveau erreichten. Glühbirnen verschwanden aus Schulen und Krankenhäusern; Badezimmerarmaturen, die kaum ein paar Stunden an dem Platz blieben, wo man sie installiert hatte; Steckdosen, die in Arztpraxen mit einem Ruck von den Wänden gerissen wurden; und sogar Eisenbahnschwellen verwandelten sich in Schweineställe. Elektromasten demontierte man Stück für Stück und machte daraus Zäune für Häuser, während die Räder von Müllcontainern bei Schubkarren Verwendung fanden, um damit Wasser heranzukarren. Diese Plünderungen verbreiteten sich unter der gesamten kubanischen Gesellschaft, und die Plünderer waren fast „Helden“, denen es nachzueifern galt, weil sie mit ihrer Geschicklichkeit und den „Früchten ihres Raubs“ das Leben ihrer Familien sicherten.

Mit der neuen Krise, die wir jetzt erleben, sind die Stromsperren zurückgekehrt, auch die langen Warteschlangen um Nahrungsmittel zu kaufen, und − was auch nicht fehlt − der Raub von allem, was man wegtragen kann. An diesem Dienstag entfernte jemand zwei Glasscheiben aus einer Fensterfront im Korridor des vierzehnten Stockwerks, wo ich in Havanna wohne. Sie waren dort seit Mai 1985, als dieser hässlichen Betonklotzes bezogen wurde; sie überstanden sogar unbeschädigt die Plünderungswut der 90er Jahre. Trotzdem, jemand rechnete sich aus, dass jede der fast einen Quadratmeter großen Scheiben 5.000 Pesos bringen würde, und nahm sie mit. Die Aktion war alles andere als einfach: die Aluminiumrahmen entfernen, die Scheiben herausnehmen und dabei aufpassen, sich nicht an ihren scharfen Rändern zu schneiden. Gegenüber konnte jemand in jedem Augenblick die Wohnungstür öffnen und die Diebe überraschen; es müssen mehr als einer gewesen sein, weil der Diebstahl so kompliziert war.

Unruhe verbreitet sich unter allen Nachbarn, die einen solchen Raub erlebt haben. Keine Maßnahme scheint sicher genug zu sein, angesichts der Wut der Überfälle, die das ganze Land erschüttern.

Eine Ungeschicklichkeit beim Transport führte dazu, dass bei einer Scheibe eine Ecke abbrach, aber die Plünderer störte das nicht, sie nahmen auch dieses Teil mit. Sie transportierten ihre Beute am helllichten Tag und hinterließen in unserem Korridor eine breite, offene Zone, die nicht mehr vor Wind und Regen geschützt ist. In mehr als 50m Höhe und in einem Land mit einer ausgeprägten Hurrikan-Saison bedeutet der Verlust dieser Fenster ein höheres Risiko für alle Bewohner des Stockwerks. Zunächst und angesichts der hohen Preise für Glas bleibt als Lösung nur, beide Öffnungen mit Brettern zu verschließen und darauf zu vertrauen, dass die Diebe nicht auch noch die paar der alten Holzteile mitzunehmen wollen. Das Problem ist viel größer, als das einer Lücke in der Fensterfront; es besteht die Gefahr, dass ein Wirbelsturms kommt, ehe man die Öffnung verschließen kann.

Unruhe verbreitet sich unter allen Nachbarn, die einen solchen Raub erlebt haben. Keine Maßnahme scheint sicher genug zu sein, angesichts der Wut der Überfälle, die das ganze Land erschüttern. Hausflure bleiben dunkel, weil man die Lampen geschickt und schnell demontiert hat; in einigen Gebäuden hat man Stufen aus Granit herausgerissen und in Küchen wiederverwendet; und aus dem Holz von Parkbänken macht man Möbel oder verarbeitet es zu Holzkohle. Im öffentlichen Raum oder in gemeinschaftlich genutzten Räumen ist niemand mehr sicher, und auch in Wohnungen kommt man nicht mehr zur Ruhe. Kuba ist ein Land, in dem Bauern nicht ruhig schlafen können, weil sie ihnen ihre Tiere stehlen; wo Mütter die Wäscheständer im Blick behalten müssen, weil sie die zusammen mit den Windeln für das Baby mitnehmen; und in Klassenzimmern sollte man den Rucksack nicht außer Acht lassen, jeder Tag ist ein Risiko Bleistifte, Radiergummis oder das Pausenbrot zu verlieren.

Unser Leben ist unsicher geworden. Nichts und niemand ist mehr sicher. Was wäre geschehen, wenn ich gestern beim Verlassen des Hauses den Dieben der zwei Glasscheiben begegnet wäre? Wären sie geflohen oder hätten sie sich mir entgegengestellt? Was wäre einem alten Mann passiert, der auf seinen Wegen durch das Gebäude die Ganoven bei ihrer Arbeit entdeckt hätte? Das will ich mir nicht vorstellen. Wie bei der Krise vor 30 Jahren sind wir ständig in Gefahr überfallen zu werden, und wir leben mit der Angst, dass hinter jeder Straßenecke ein Aggressor steht, ein unersättlicher Räuber, ein Dieb.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Caimanera, einer der best-überwachten Orte in Kuba ging auf die Straße

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Der Mann auf dem Bild, der die Führungsrolle übernommen hat, sagt: „Von jetzt an gehöre ich zur Opposition.“ (Yosmany Mayeta Labrada-Facebook)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.Mai 2023

Ohne Hemd, mit erhobenem Arm und dem Zeichen für Sieg, so sehen wir einen der Demonstranten, die in Caimanera am vergangenen Samstag auf die Straße gingen, in der Provinz Guantánamo. Der Mann, der die Führungsrolle übernommen hatte, zählte Gründe auf, warum er und seine Mitstreiter protestieren würden und fügte hinzu: „Von jetzt an gehöre ich zur Opposition“. Einen solchen Satz laut zu sagen, erfordert in einer der best-überwachten Kommunen von Kuba ein hohes Maß an Mut.

Bei den Bewohnern von Caimanera, gewöhnt an ständige Beobachtung, erreichte die Unzufriedenheit ein Ausmaß, die sie die Angst überwinden ließ, mit der sie jahrzehntelang lebten. Die Gemeinde grenzt an die US Marinebasis Guantánamo; Elektrozäune, überall Uniformierte und eine breite Minenzone, die das Militärgebiet umgibt, gehören zum Alltag der Bewohner.

Darüber hinaus gibt es ständige Kontrollen unter der Bevölkerung, und wer nach Caimanera kommen will, muss vorher eine Genehmigung beim Innenministerium beantragen. Um die Erlaubnis zu erhalten, braucht man einen triftigen Grund; einem Fremden erlaubt man den Aufenthalt in Caimanera nur für eine beschränkte Zeit und er wird überwacht, wie auch sein Gastgeber. Die Militarisierung erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens, angefangen mit den Einschränkungen an der Küste zu fischen, bis zum Abwürgen des „informellen Devisenmarkts“, der für die Insel unerlässlich ist.

Die ständigen Drohungen und der lächerlich Slogan, dass Caimanera die „wichtigste anti-imperialistische Grenze Kubas“ wäre, verloren ihre Wirkung.

Aber keine dieser restriktiven Maßnahmen konnte verhindern, dass sich an diesem 6.Mai mehrere hundert Personen vor dem Sitz der Kommunistischen Partei versammelten, um − neben vielen anderen Losungen − die zu schreien, die alle ihre Forderungen zusammenfasste: „Freiheit!“. Alle Ängste, die man von Kindesbeinen an ins Bewusstsein dieser Guantanameros eingepflanzt hatte, verloren ihre Wirkung, ebenso wie die ständigen Drohungen und der lächerliche offizielle Slogan, dass Caimanera die „wichtigste anti-imperialistische Grenze Kubas“ wäre. Im Verlauf weniger Minuten zählte das nicht mehr und hörte auf die Leute zu lähmen.

Nach den Ansprachen, die den politischen Wechsel forderten, eine Verbesserung der Versorgung mit Lebensmitteln und mehr Medikamente für Krankenhäuser, sahen die Demonstranten ein Einsatzkommando der „Schwarzen Baskenmützen“ auf sich zukommen, sowie einen Wolkenbruch. Dieser war vielleicht der erste Platzregen im Mai, auf den viele hofften um eine wohltuende Dusche zu nehmen, die jedoch zu einer Szene mit Schlägen und Verhaftungen wurde. Man kennt immer noch nicht den Aufenthaltsort der Verhafteten, und die Identität des mutigen Mannes ohne Hemd konnte nicht ermittelt werden.

Die Bewohner von Caimanera, denen man die Rolle „Lanzenspitze gegen den Feind“ aufgezwungen hatte, hatten die vielen unsinnigen Losungen satt. Leere Teller waren stärker als Stacheldraht; unversorgte Apotheken überzeugender als Polizeihunde; Misere und fehlende Freiheiten überwanden die Angst vor Schlägen und Gefängnis. Der best-überwachte Ort im ganzen Land schüttelte den Terror von sich ab.

Während man in den Kasernen Pläne und Strategien entwarf, um zu vermeiden, dass sich Kubaner in Massen auf den Weg in Richtung US Marinebasis machen würden − in den Häusern von Caimanera dachte man nicht an solche Eskapaden, sondern an Widerstand. Weder Zäune, noch Checkpoints, noch Minen können den Zorn von Menschen im Zaum halten.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Fortschrittsfeindlichkeit kennzeichnet das neue Mandat von Díaz-Canel als Präsident von Kuba

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Das kubanische Parlament an diesem Mittwoch: Raúl Castro (erste Reihe, zweiter von links) sitzt nahe beim Regierenden Díaz-Canel (gleiche Reihe, dritter von rechts). (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 21.April 2023

An diesem Mittwoch erreichen die ersten Sonnenstrahlen die Avenida Carlos III in Havanna. Wo früher ein ständiges Kommen und Gehen von Fahrzeugen war, hat die Treibstoffkrise bewirkt, dass es auf der Fahrbahn kaum noch Autos gibt. In den langen Warteschlangen vor den Geschäften klagt man über die Inflation, erzählt von einem Angehörigen, dem es in den letzten Tagen gelungen, ist in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, oder jammert über die Stromausfälle. Niemand spricht von den Abgeordneten, die an diesem 19.April ihr Amt antreten, und keiner spekuliert, wer der designierte Präsident der Republik Kuba sein wird.

Stunden später bestätigen die offiziellen Medien, dass Miguel Díaz-Canel für eine zweite Amtszeit ins höchsten Staatsamt wiedergewählt worden ist, während die Aufteilung von Verantwortung in der Nationalversammlung nahezu gleich blieb und es auch im Kabinett keine größeren Änderung gab. Fortschrittsfeindlichkeit war die Richtschnur bei einem Wahlvorgang, der bei den Bürgern auf wenig Begeisterung stieß. Diese waren mehr daran interessiert Lebensmittel zu finden, oder von Punkt A nach Punkt B zu kommen, als im nationalen Fernsehen das langweilige Wahlspektakel in einem Parlament zu verfolgen, in dem es keine politische Vielfalt gibt.

Die Nominierung des Ingenieurs Díaz-Canel für ein zweites Mandat verbreitete die Botschaft von der Beständigkeit des aktuellen kubanischen Modells. Eine Nachricht, die nicht nur von der internationalen Staatengemeinschaft zur Kenntnis genommen werden sollte, sondern sich vor allem an jene auf der Insel richtete, die seit geraumer Zeit einen politischen Richtungswechsel und eine demokratische Öffnung fordern. Der Regierende, der bei den öffentlichen Protesten des 11.Juli 2021 vor die Kameras des nationales Fernsehens trat und erklärte, dass der „Befehl zum Kampf“ erteilt wäre, rechnet jetzt mit weiteren fünf Jahren, in denen er den Willen seines politischen Lagers durchsetzen kann.

In seiner Wiederwahl sehen viele Kubaner die Bestätigung dafür, dass es auf kurze Sicht keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geben wird, und dass die Koffer zu packen und zu emigrieren eine kluge Entscheidung ist und bleibt.

In seiner Wiederwahl sehen viele Kubaner die Bestätigung dafür, dass es auf kurze Sicht keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage geben wird, und dass die Koffer zu packen und zu emigrieren eine kluge Entscheidung ist und bleibt. Andere werden daraus folgern, dass es zu weiteren Monaten mit verkrampfter diplomatischer Rhetorik kommt, und dass Kuba mit der Achse von autoritären Regimen verbunden bleibt, wie es die Regime von Nicaragua, Venezuela oder Russland sind.

Díaz-Canel verkörpert auch die Halbherzigkeit notwendige wirtschaftliche Änderungen in die Wege zu leiten; er befürwortet vielmehr umfangreiche Investitionen für den Bau von Hotels, während er Mittel für das Gesundheitswesen und auch für Erziehung und Bildung streicht. Sein Name ist unauslöschlich mit den mehr als 1000 politischen Gefangenen verbunden und dem erzwungenen Exil von vielen hundert Aktivisten.

Warum kam ein so unpopulärer Mann und einer Vita mit so vielen unseligen Entscheidungen für weitere fünf Jahre an das Ruder des Staatsschiffs? In dieses Amt hat ihn erneut die Nominierung durch Raúl Castro gebracht, der ihn unter seinen Günstlingen auswählte, damit er ihm den Rücken freihält und den Zusammenbruch des Systems aufhält. Damit verhindert der 90-jährige General, dass er und seine Angehörigen vor Gericht kommen oder ihre Koffer packen müssen, um sich unter den Schutz eines Genossen im Ausland zu stellen.

Díaz-Canel hat den Auftrag erledigt, den Castro ihm gab. Es ist ihm nicht gelungen, den Kubaner zu einem würdigeren Leben zu verhelfen, aber er hat einem ganzen Familienclan den Hals gerettet. Deswegen wurde er erneut als Präsident nominiert, um mit allen Mitteln die Ankunft der Freiheit auf Kuba zu hinauszuzögern.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch publiziert.

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Eine Niederlage als Sieg verkaufen

Hervorgehoben

Ein Übermaß an Dünkel ließ die Regierung versichern, dass das Ergebnis der letzten Wahl, die die Abgeordneten des Parlaments bestätigen sollte, ein Ritterschlag für das System gewesen wäre, obwohl es viele Enthaltungen gab. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 11.April 2023

Nur wenige Sätze veranschaulichen den kubanischen Voluntarismus so deutlich, wie der, der dazu aufruft „eine Niederlage in einen Sieg zu verwandeln“. Hervorgegangen  aus einer Laune Fidel Castros kennzeichnet diese Maxime seit 1973 die Art und Weise Politik zu machen, für die es wichtiger ist, sich mit einem Triumpf zu brüsten, als Ergebnisse von Recherchen zur Kenntnis zu nehmen. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass Menschen im Streit ihr Leben verlieren, dass das Land in einer Krise versinkt oder dass die Wirtschaft zu Bruch geht; jedes Versagen muss zu einem neuen, noch ambitionierteren Projekt werden, das es gilt in großem Stil zu feiern.

Es gab eine Zeit, in der der „ideologische Kompass“ auf wahnwitzige Kampagnen setzte, die den Durchzug eines Hurrikans als einen Kampf gegen die Natur darstellten und uns glauben ließen, dass wir die Gewinner im Kampf gegen die starken Winde gewesen wären, die eingestürzte Häuser und verwüstete Felder zurückließen. Nach einem Wirbelsturm musste man damit prahlen, dass man die vom Zyklon zerstörten Wohnungen wieder in Stand setzen würde, sogar geräumiger und schöner als vorher. Wir zeigten den Böen die Zunge und dem Platzregen die Fratze.

Auf widrige Umstände und Schicksalsschläge antwortete man mit revolutionärem Hochmut, dass jedes „Missgeschick“ nichts wäre im Vergleich mit der „Kraft eines Volkes“. Auf diese Weise häuften sich die Unglücksfälle, nach denen man uns nicht einmal erlaubte sie zu betrauern, weil man die Faust hochheben und von einem Ohr zum anderen lachen musste, als ob es eine nicht endende Gaudi gewesen wäre. Der Niedergang der Zuckerindustrie, der massive Exodus, der Wohnungsmangel und die Wirtschaftskrise, alles erhielt unterschiedslos eine hochmütige Antwort von der Regierung, gefolgt von der konsequenten Strategie, das Fiasko zu vertuschen.

Mit reichlich Wimperntusche und grell geschminkten Lippen, der Castrismus will nicht, dass wir in ihm ein triumphierendes System sehen; er zieht es vor, dass wir ihn fürchten.

Mit der Zeit hat die Besessenheit, um jeden Preis zu triumphieren, dazu geführt, dass man eine Katastrophe immer plumper und lächerlicher kaschierte. So versicherten uns kubanische Führer unmittelbar nach der Explosion im Hotel Saratoga, dass man das Gebäude wieder aufbauen würde, „besser als vorher“, obwohl die Untersuchungen von Sachverständigen Verantwortungen für den Tod von 47 Menschen feststellten − niemand sprach dann mehr davon. Ähnliches ereignete sich bei der Tragödie der Supertanker in Matanzas, bei der die Katastrophe mit übertrieben optimistischen Schlagzeilen zur Rekonstruktion der Tanks vertuscht wurde.

Einen Exzess an Dünkel gab es im Zusammenhang mit der Baseball-Weltmeisterschaft; man feierte die Spieler des Teams Asere als Sieger im Spiel gegen die Vereinigten Staaten, obwohl sie es mit nur 2 „Runs“ gegen 14 verloren hatten. Mit dem gleichen Gehabe versicherte man, dass die Ergebnisse bei dem Wahlvorgang, der die Abgeordneten des Parlaments bestätigen sollte, ein Ritterschlag für das System gewesen wären, ungeachtet der großen Zahl von Enthaltungen. Ständig wird der Unterschied größer, zwischen dem, was mit Applaus bedacht wird, und dem, was sich tatsächlich ereignet hat. Wir leben in einer Zeit, in der man eine Niederlage in einen Sieg verwandelt, einer Zeit des totalen Make-ups und einer plumpen Kosmetik, die man der Realität verpasst. Aber im Unterschied zu früher, glaubt nicht einmal mehr das Regime, dass wir ihm glauben.

Mit reichlich Wimperntusche und grell geschminkten Lippen, der Castrismus will nicht, dass wir in ihm ein triumphierendes System sehen; er zieht es vor, dass wir ihn fürchten. Schließlich ist das System eine repressive Maschinerie, die fähig ist das Leben von Menschen zu vernichten, und dabei simuliert es zu schützen. Ein Land versinkt, und zugleich behauptet man es gerettet zu haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Kubanische Frauen, denen man das Recht entzogen hat auf die Straße zu gehen, tragen am 8.März ein schwarzes Band am Handgelenk

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Frauenverbände haben damit begonnen, ein schwarzes Band am Handgelenk zu tragen, als Zeichen des Widerstands gegen sexistische Gewalt. (YoSíTeCreo)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.März 2023

Der 8.März ist der Internationale Tag der Frau.

Gladys lebt in Caibarién, einer kleinen Küstenstadt in der Mitte Kubas. Vor zwei Monaten verließ ihr Sohn zusammen mit anderen jungen Leuten das Land; auf einem rustikalen Floß wollten sie die Vereinigten Staaten erreichen.  Seit damals hat sie nichts mehr von ihm gehört. Sie ist Lehrerin und seit 10 Jahren im Ruhestand. Jetzt verbringt sie viele Stunden mit Nachforschungen in den sozialen Netzwerken, und sie ruft die Familien der anderen verschwundenen Bootsflüchtlinge an, um zu hören, ob es eine Nachricht von ihnen gibt. Der 8. März ist der Internationale Tag der Frau; er wird für sie länger sein als sonst: ohne Feiern und Lachen.

„Dort, dort war es, wo sie sie getötet haben“. Wenn jemand nach Leidy Bacallao Santana fragt, 17 Jahre alt, dann zeigt ein Bewohner von Camalote auf eine Polizeistation. Am Freitag dem 3.Februar suchte die junge Frau dort Schutz vor den Drohungen ihres Ex-Verlobten, aber der verfolgte sie und tötete sie schließlich mit einer Machete vor den Augen der Uniformierten. Seit Beginn des Jahres sind 16 kubanische Frauen bei sexistischen Angriffen gestorben, in einem Land, in dem die offizielle Propaganda sich weigert die Femizide anzuerkennen, die so viele Familien in Trauer zurücklassen. Von Seiten der Regierung hört man nur Geschichten von glücklichen Frauen, die sich selbst verwirklichen und dankbar für das System sind.

Am Morgen geht Danurys in ihrer weißen Berufskleidung zur Arbeit in eine Arztpraxis. Ihr Studium hat erst sie vor ein paar Monaten erfolgreich abgeschlossen, und sie träumt davon, sich später auf Kinderheilkunde zu spezialisieren. Diese Woche fiel das Frühstück aus, obwohl die Löhne im öffentlichen Gesundheitswesen zu den höchsten im Land zählen. Die Abwertung des kubanischen Pesos und der Preisanstieg für Produkte des täglichen Bedarfs, zusammen mit chronischer Unterversorgung und ineffektiver Produktivität, bewirken, dass ein Stück Brot, ein Glas Milch oder ein Schluck Kaffee unerschwinglich für den Geldbeutel von vielen wird.

In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erreichte die feministische Bewegung wichtige Reformen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Die junge „Frau Doktor“ will nicht die Koffer packen und das Land verlassen, so, wie es 350.000 Kubaner im vergangenen Jahr getan haben; aber sie weiß nicht, wie lange sie noch die materiellen Entbehrungen und die niedrige Bezahlung ertragen kann. Sie plant nicht einmal, in den nächsten Jahren Kinder zu bekommen: „Hier nicht zu gebären, das steht für mich fest“, erklärt sie kategorisch. .

Es ist hundert Jahre her, dass die Großmütter von Gladys, Leidy und Danurys auf die Straße gingen und das Wahlrecht für Frauen forderten. Sie feierten es, das erste Scheidungsgesetz auf der Insel erreicht zu haben, nach jahrzehntelangen Forderungen, und sie kämpften für die Integration der Frauen in die Arbeitswelt und für würdige Löhne. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts erreichte die feministische Bewegung wichtige Reformen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und man formulierte Änderungen in Bezug auf Ehe, Mutterschaft, Studium und Arbeit. Es waren keine leicht erzielten Erfolge. Viele Frauen kamen bei Kundgebungen, Konferenzen und öffentlichen Protesten ans Ende ihrer Kräfte, manchmal weinten sie, aber sie kamen voran.

In diesem Jahr beschloss eine Gruppe von Feministinnen, einen Brief an das Parlament zu übergeben, in dem sie um die Genehmigung für eine friedliche Demonstration baten. Die Nationalversammlung lehnte dieses Anliegen ab, und einige der Frauen wurden anschließend festgenommen und angeklagt. Diese Repression veranlasste sie, eine andere Initiative zu starten und am Weltfrauentag ein schwarzes Band am Handgelenk zu tragen: als Zeichen der Trauer, gegen Femizide, und zugunsten eines umfassenden Gesetzes, das Frauen vor sexistischer Gewalt schützen soll. In den sozialen Netzwerken organisierten sie einen „virtuellen Marsch“, um damit ihre Teilnahme an einer Demonstration zu ersetzen, die von der Regierung verboten wurde. Gladys, Danurys und die Angehörigen von Leidy werden sich damit begnügen müssen, ihre Empörung nur online zeigen zu können. Im Augenblick  werden ihre Einsprüche nur im digitalen Raum geduldet, aber eines Tages werden sie die Straßen zurückerobern. Es fehlt dazu nicht mehr viel.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Verhaften, verurteilen und austauschen, die Taktik der Autokraten gegen Dissidenten

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Der Oppositionelle Félix Maradiaga bei einem Pressetermin in Washington D.C.
(La Prensa / Facebook / Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / 14ymedio / 9.Februar 2023

Als ich den nicaraguanischen Oppositionellen Félix Maradiaga kennenlernte, wusste ich sofort, dass Daniel Ortega ihn zutiefst hassen müsse. Der Aktivist ist der Gegenspieler des alten Caudillo: hyperaktiv, charismatisch und ein ausgezeichneter Kommunikator. An diesem Donnerstag habe ich erfahren, dass der vormalige Präsidentschaftskandidat unter den 222 politischen Gefangenen ist, die das Regime in Managua ins Exil geschickt hat, in Richtung Vereinigte Staaten. Ich atme erleichtert auf.

Die Taktik, Dissidenten zu verhaften, sie zu langen Gefängnisstrafen zu verurteilen, und sie dann als Verhandlungsmasse mit Washington, dem Vatikan oder der EU zu benutzen, ist übliche Praxis bei autoritären Regimen, die damit das Bild von Lateinamerika trüben. Das kubanische Regime hat in dieser Strategie einen Bachelor und mehrere Doktortitel erworben, was ihm nicht nur ermöglicht demokratische Regierungen zu erpressen − um sich Vorteile zu verschaffen − sondern auch den sozialen Druck innerhalb der Insel zu verringern.

Ortega ist ein gelehriger Schüler von Fidel Castro, der während des „Schwarzen Frühlings“ im Jahr 2003 angeklagte Oppositionelle als geldwerte „Chips“ beim Handel mit der Katholischen Kirche und den spanischen Behörden benutzte. Den Dissidenten, die vor etwa 20 Jahren im Gefängnis waren, ließ er die Wahl zwischen Gittern und Exil. Nur einige wenige hielten dem Druck stand und blieben auf der Insel. Zwei von ihnen, Félix Navarro und Daniel Ferrer, sind seit Juli 2021 wieder im Gefängnis.

Heute, außerdem, auf der Liste der politischen Gefangenen stehen mehr als tausend Namen, weshalb Díaz-Canel fühlen muss, dass er genügend Trümpfe in der Hand hat, um mit ihnen satte Gewinne zu erzielen. Die Anzeichen dafür, dass man insgeheim einen Austausch aufeinander abstimmt, könnten nicht offensichtlicher sein. Mehrere Funktionäre der Vereinigten Staaten haben kürzlich darauf hingewiesen, dass Gefangene aus Gewissensgründen ein Hindernis für die Normalisierung der Beziehung zwischen den beiden Ländern wären, und Kardinal Beniamino Stella hat Havanna jetzt gedrängt, die Demonstranten des 11.Juli freizulassen.

Das kubanische Regime hat in dieser Strategie einen Bachelor und mehrere Doktortitel erworben, was ihm nicht nur ermöglicht demokratische Regierungen zu erpressen − um sich Vorteile zu verschaffen − sondern auch den sozialen Druck innerhalb der Insel zu verringern.

Das Manöver, das Ortega am vergangenen Donnerstag begonnen hat, nimmt vielleicht nur vorweg, was seine kubanischen Genossen planen. Mit einer abgestimmten Aktion würden beide Regime ihre Kritiker loswerden, und sie könnten einige Bürgeraktionen desaktivieren, die eine Amnestie fordern; nebenbei könnten sie bei dem Austausch Vergünstigungen erhalten, wirtschaftliche Vorteile und diplomatisches Schweigen inklusive. Im Fall Havanna würde hinzukommen, dass man die Insel von der Liste der Terror-Unterstützer streicht, und Geldüberweisungen sowie die Einreise von Touristen der Vereinigten Staaten flexibilisiert.

Bis hierher sieht es sieht so aus, als ob die alte Taktik „verhaften, verurteilen und austauschen“ rundum gewinnbringend für die Autokraten wäre, die letztendlich immer damit durchkommen, weil auf der anderen Seite des Tisches demokratische Regierungen sitzen, die bereit sind nachzugeben, damit eine Gruppe von Personen wieder die Familie umarmen kann und nicht in einer Gefängniszelle dahinsiecht. Diktaturen arbeiten mit allen diplomatischen und emotionalen Mitteln. Sie fühlen sich auf diesem Gebiet überlegen, weil sie Menschenleben anbieten können, die in einem totalitären System wenig zählen. Aber sie irren sich.

Die Zeit, die sie mit solchen Manövern erkaufen, wird immer kürzer; und mit der Abschiebung ihrer Gegner stirbt nicht deren Politik. Selbst das Castro-Regime musste feststellen, dass ein repressiver Prankenhieb gegen 75 Oppositionelle − im „Schwarzen Frühling“ vor zwei Jahrzehnten − nicht die allgemeine Unzufriedenheit verringerte, die schließlich Kubaner auf die Straße trieb, und zwar in einer Zahl und mit anarchistischen Forderungen, wie man es bis dato noch nicht gesehen hatte. Auf die aus dem Land geworfenen Führern folgten andere, und das Exil selbst gewann an Bedeutung bei der Formulierung von politischen Prinzipien innerhalb der Insel.

Daniel Ortega − obwohl es so aussieht, als hätte er Nicaragua fest im Klammergriff, veranstaltet jetzt ein verzweifeltes Manöver. Díaz-Canel könnte gerade ein ähnliches vorbereiten, das dringend notwendig für ein Regime ist, das eine wachsende − und zunehmend öffentlichere − Ablehnung im Volk spürt. Keiner der beiden Autokraten kann Millionen Bürger, die sich ihnen entgegenstellen, ins Exil schicken; und ebenso wenig können sie die internationale Kritik mit solchen plumpen Strategien zum Schweigen bringen. Beide wissen, dass ihre Diktaturen enden werden; aber statt neuen Akteuren den Weg zu ebnen und Türen zu öffnen, spielen sie weiter mit den alten Karten. Nur die kennen sie, und mit denen werden sie früher oder später verlieren.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Sponsor oder Tod, wir werden Kuba verlassen!

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Auf dieser Insel gibt es Millionen verlorene Seelen, die lieber heute als morgen weggehen möchten, aber nicht mit einem Sponsor rechnen können. (Guardia Costera)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.Januar 2023

Es war am frühen Morgen des 23.Februars, als ein Floß mit 28 Personen an Bord vor der Nordküste der Provinz Matanzas kenterte. Wenigstens fünf „balseros“ starben und weitere zwölf sind verschollen geblieben. Diese Tragödie, die wieder einmal kubanische Familien in Schmerz und Trauer zurücklässt, ereignete sich kaum zwei Wochen nach dem Start des neuen Migrationsprogramms, das die Vereinigten Staaten konzipiert haben, um die Lawine von Kubanern aufzuhalten, die an ihre Südküste gekommen ist.

„Ich brauche einen Sponsor, koste es was es wolle“, sagt ein Nachbar und schaut mich dabei an, ohne zu blinzeln; er hat reichlich graue Haare und kaum finanzielle Mittel. In der Enge des Fahrstuhls in diesem Wohnblock aus Beton fühlt er sich ausreichend sicher, um mir sein Anliegen vorzutragen. „Jemand soll mich von hier wegbringen, und ich bezahle ihn dann mit Arbeit, egal mit welcher“. In seiner Wohnung in diesem Gebäude, das in den 80er Jahren mit sowjetischer Subvention gebaut wurde, warten seine Frau, seine zwei Töchter und die drei  Enkel darauf, dass seine Bemühungen Früchte tragen, sobald wie möglich.

Mein Nachbar, der bis vor kurzem noch ein aktives Mitglied in der Kommunistischen Partei war, sucht jetzt nach einem Weg, „um die Seinen so schnell wie möglich herauszuholen“. Eine Möglichkeit bietet das „humanitäre Programm zur Familienzusammenführung“, das die Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahres ankündigten, und das Migranten aus Venezuela, Nicaragua, Kuba und Haiti begünstigt. Mit dieser Maßnahme beabsichtigt Washington monatlich 30.000 Staatsbürger dieser Länder aufnehmen, und die zurückzuschicken, die versuchen illegal einzureisen.

Die Spannung wurde schließlich zu groß. Die, die gerade ein Floß aufrüsten und sich aufs offene Meer wagen, sind die, die keine andere Wahl haben.

Aber der Weg dahin ist nicht einfach. Um die humanitäre Bewilligung zu beantragen, braucht der Begünstigte einen Sponsor in den Vereinigten Staaten, der in finanzieller Hinsicht Verantwortung übernimmt, und der auch Einkünfte haben muss, die es ihm erlauben, den Prozess in die Wege zu leiten. Obwohl in den letzten Jahren die kubanische Emigration bunt-gemischt war und verschiedene soziale Schichten und Rassen betraf, so ist es doch offensichtlich, dass jetzt der in den Vereinigten Staaten lebende Migrant − weiß und mit Fachkenntnissen − bei einer Familienzusammenführung mit seinen kubanischen Angehörigen die besseren Chancen hat.

Die Überquerung der Floridastraße auf einem Floß, oder die Durchquerung von Mittelamerika ist brutal und potentiell tödlich; jedoch basiert die neue Erlaubnis auf wirtschaftlichen Ressourcen, die aussondern, und so die Gruppe der Ärmsten, der nicht-städtischen Bevölkerung und der Afro-Nachkommen außen vor lässt. Es ist der Weg für die, die jemand „dort drüben“ haben, der sein Gesicht zeigt und die Brieftasche öffnet. Aber auf dieser Insel gibt es Millionen verlorene Seelen, die sich danach sehnen zu fliehen, aber nicht mit einem Sponsor rechnen können.

Die Spannung wurde schließlich zu groß. Die, die gerade ein Floß ausrüsten und sich aufs offene Meer wagen, sind die, die keine andere Wahl haben. Von denen unterscheidet sich mein Nachbar − ein Kameramann des staatlichen Fernsehens im Ruhestand − der jetzt sein Anliegen an jeden richtet, der ihm begegnet, und der vermutlich einen Angehörigen in Florida hat, der seine Flucht mitfinanziert. Die Bootsflüchtlinge in dieser Minute gehören weder der einen noch der anderen Kategorie an. Sie wollen nicht bleiben, aber es gibt kein legales Programm, das − passend zu ihrem Geldbeutel − ihnen erlauben würde wegzugehen.

Es ist der 23.Januar, früh am Morgen: 28 Kubaner, ohne Sponsor und ohne Hoffnung auf ein besseres Leben in Kuba, wagen sich aufs offene Meer. Viele von ihnen haben Träume; die Wellen haben sie verschlungen.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika veröffentlicht.

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Die künstliche Intelligenz macht seriöse Vorschläge, um die kubanische Wirtschaft zu entwickeln

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Der ChatGPT hat gute Laune; er ist pragmatisch und gibt der Realität den Vorzug vor der Ideologie, und er hat das Wissen, das den Führern der Kommunistischen Partei so sehr fehlt. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 2.Januar 2023

Ein Vergnügen, das das ich mir zum neuen Jahr geschenkt habe, ist, mit dem ChatGBT zu interagieren, den das Unternehmen OPENAI im Jahr 2022 entwickelt hat und als „dialogbasiert“ anpreist. Am Neujahrstag 2023 begrüßte ich den Bot, der mir liebenswürdig und bescheiden und in einem fast perfekten Spanisch antwortete. Sofort fragte ich ihn zu dringenden Themen auf dieser Insel, und seine Vorschläge zur kubanischen Wirtschaft erschienen mir klüger als alles, was der zuständige Minister Alenjandro Gil je gesagt hat, seit er im Amt ist.

In einem abwägenden Tonfall, der darauf hinwies, dass er nicht seine Meinung abgebe und vermeide, künftige Situationen vorherzusagen, erwähnte der Algorithmus des Chatbot einige detaillierte Maßnahmen, die unserem Land helfen könnten, aus der wirtschaftlichen Klemme herauszukommen. Im Endeffekt unterschieden sich diese Bemerkungen nicht von dem, was man in den Warteschlangen vor Geschäften hört, oder was Freunde untereinander bereden, wenn sie von der aktuellen Krise und möglichen Lösungen sprechen; aber in jedem Fall war das Gesagte grundverschieden vom offiziellen Diskurs.

Es handelt sich um notwendige ausländische Investitionen, um die Förderung der Landwirtschaft, und um die Verpflichtung die Währung zu stabilisieren. In diesen Punkten stimmen die Antworten der künstlichen Intelligenz mit dem überein, was auf kubanischen Straßen diskutiert wird, und was kubanische Führungskräfte ständig wiederholen. Der ChatGPT unterscheidet sich aber deutlich von Letzteren, weil er nicht bei Vorschlägen stehen bleibt, die nie umgesetzt werden, und auch kein rhetorisches Feuerwerk veranstaltet. Weit entfernt von Triumpf-Gehabe und Polarisierung, weist er auf die Notwendigkeit hin, das Bildungsniveau der Kubaner zu erhöhen, sowie auf eine notwendige Änderung der Politik, „notwendig, um weitreichende wirtschaftlich Reformen in die Wege zu leiten“.

Im Unterschied zur Regierung und dem Minister Alejandro Gil, besitzt der Roboter gesunden Menschenverstand und Empathie.

Ohne Losungen, ohne Aufrufe zu Opferbereitschaft, ohne parteipolitische Parolen − die Sätze des sympathischen Bot kommen einher mit dem Hinweis, dass jedwede Reform zusätzlich ein „langfristiges Engagement“ benötigen würde. Was die politische Öffnung des Landes betrifft, so war der Algorithmus deutlicher: Es braucht mehr Transparenz und die Rechenschaftspflicht seitens der Behörden, mehr Teilhabe der Bürger, den Respekt vor Meinungsfreiheit und der Presse; und die Verletzung der Menschenrechte in Kuba muss endgültig aufhören.

Um das anregende Gesprächs zu beenden, verabschiedete sich die künstliche Intelligenz mit den Worten: „Ich wünsche dir einen guten Tag, und wenn du mich wieder für etwas brauchst, dann werde ich da sein“. Diese Höflichkeit ist weit entfernt von den Beleidigungen, die aus dem Mund eines kubanischen Funktionärs strömen, wenn ein Bürger es wagt ihm solche Fragen zu stellen.

Der ChatGPT hat gute Laune; er ist pragmatisch, und er gibt der Realität den Vorzug vor der Ideologie, und er hat das Wissen, das den Führern der Kommunistischen Partei Kubas so sehr fehlt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Lateinamerika und das ewige politische Pendel der Caudillos

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Der Regierungschef Miguel Díaz-Canel und der mexikanische Präsident Andrés López Manuel Obrador bei einer Militärparade auf dem Zócalo, dem Hauptplatz von Mexiko Stadt, im September 2021. (José Méndez / EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 1.Januar 2023

Manche nennen es das politische Pendel, andere sehen darin ein notwendiges ideologisches Hin und Her, das die Geschichte erzwingt, und es fehlen auch nicht jene, die von einer Wippe sprechen, die heute einige Parteiführer in Lateinamerika absinken lässt und morgen andere hochhebt. Akademische Definitionen oder die Etiketten, die die Schlagzeilen der Presse vergeben, bedeuten heute nicht mehr viel: die ideologischen Schwankungen der Regierungen unterscheiden sich de facto immer weniger.

Als in Chile Gabriel Boric an die Macht kam, rieb sich der Platz der Revolution in Havanna die Hände. Das autoritäre Regime glaubte, in dem südamerikanischen Staatschef einen treuen Gefolgsmann zu haben, der seine Politik akzeptieren und zu seinen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde. So war es aber nicht, denn im Verlauf einiger Monate machte Boric eine Kehrtwende hin zum Pragmatismus und vertrat eher moderate Positionen. Obwohl man aus der Moneda, dem Sitz der chilenischen Regierung, keine deutlichen Worte hörte, die die Repression in Kuba verurteilt hätten, so gab es auch keinen komplizenhaften Applaus, und man sah auch nicht den erhobenen, anklagenden Zeigefinger, der die Übergriffe des Autokraten Daniel Ortega in Nicaragua ächten würde.

Die vernichtende Niederlage des Pedro Castillo, des ehemaligen Präsidenten von Peru, stellt die „Theorie der ideologischen Pendelschwingungen“ in Frage. Bei einer Wahlkampagne, in der sich Castillo als ein bescheidener Lehrer präsentierte, der die sozial ärmsten Klassen vor dem Vergessen retten würde, umgab sich der Mann aus Puña mit einem Kabinett, das nur noch wenig mit seinen ursprünglich links-orientierten Reden oder seinen proletarischen Forderungen zu tun hatte. In die Enge getrieben von seiner Unfähigkeit und den komplexen Aufgaben, eine so heterogene Nation zu regieren, trat er die Flucht nach vorne an, und machte sich mit einem selbst-inszenierten und gescheiterten Staatsstreich lächerlich.

Das autoritäre Regime glaubte, in dem südamerikanischen Staatschef einen treuen Gefolgsmann zu haben, der seine Politik akzeptieren und zu seinen Menschenrechtsverletzungen schweigen würde.

Andrés Manuel López Obrador, der mexikanische Präsident, hat viel mit ihm gemein. Er ist ein erklärter Kritiker der Presse, ein Förderer von Verschwörungstheorien und Unwahrheiten, die er in seinen öden mañanas, den morgendlichen Pressekonferenzen, zu rechtfertigen sucht. In seinen Reden wechselt er die Themen nach Belieben und streift dabei populistische Klischees und Opportunismus. Obwohl er in internationalen Foren den Schulterschluss mit Pedro Castillo, mit der kürzlich verurteilten Cristina Fernández de Kirchner oder dem nicht-vorzeigbaren Miguel Díaz-Canel suchte, an sein eigenes Land gerichtet bedient er sich einer konfusen Rhetorik, die jeden Tag etwas sagt und auch das Gegenteil davon. Er ist wie ein Pendel, das hin-und her schwingt, so, wie es ihm gerade passt.

Nayib Bukele ist der Präsident von El Salvador und das größte Chamäleon von allen; er befindet sich aber noch nicht auf der sicheren Seite. Er hält sich für den „Chef-Twitter-Nutzer“ und dringt gewaltsam mit Militär in den Kongress ein. Er kann hypnotisch in seinen Reden sein, modern im Umgang mit den sozialen Netzwerken, und sogar innovativ mit seinen Vorschlägen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität; aber schlussendlich ist er nichts weiter als der groteske und wohlbekannte lateinamerikanische Caudillo, der glaubt, dass man uns Bürger wie unmündige Kinder behandeln und bestrafen sollte, als ob wir noch in Windeln wären.

Angesichts von so viel politischer Dekadenz, bleibt als extremes Beispiel nur noch der beschämende Nicolás Maduro übrig. Dumm, unfähig und lächerlich − der venezolanische Caudillo hilft uns zu verstehen, dass es sich nicht um ideologische Farben handelt, und auch nicht um das Dilemma von Liberalismus und Sozialismus. Die Krankheit unserer Region sind Autokraten und Lehrlinge von Diktatoren. Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von El otoño del patriarca (Der Herbst des Patriarchen) von Gabriel García Márquez, sowie El recurso del método (Die Methode der Macht) von Alejo Carpentier, und Yo, el Supremo (Ich, der Allmächtige) von Augusto Roa Bastos, ist Lateinamerika immer noch eine Region mit karikaturistischen Machthabern, mit Führern, die eher Angst oder Gelächter hervorrufen als Bewunderung.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Kann 2023 ein besseres Jahr für Kuba werden?

Hervorgehoben

Warteschlangen, sogar solche, um Dollars in staatlichen Wechselstuben zu kaufen, sind nicht neu; erregten aber in diesem Jahr Aufsehen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 29.Dezember 2022

Um das Jahr zu beenden, und zusammen mit einigen Journalisten-Kollegen, haben wir eine Liste von Personen und Projekten erarbeitet, die in Kuba im Jahr 2022 Marken setzten. Das Verzeichnis mit Namen und Ereignissen erweist sich als eine Reihenfolge der wichtigsten Momente in diesen zwölf Monaten, und ist ein schmerzlicher Rückblick auf die Krise und die Tragödien, die Kuba heimgesucht haben. Überraschend ist, dass es unter den Personen mehr Tote als Lebende und unter den Ereignissen mehr Katastrophen als Erfolge gibt.

Warum fiel die Jahresbilanz für ein Land so düster aus, das nicht im Krieg ist und auch keine Katastrophen von größerem Ausmaß erlebt hat? Die Antwort auf diese Frage liegt in der Fortdauer eines Irrtums, in der starrsinnigen Aufrechterhaltung eines politischen Modells, das sechzig Jahre Zeit hatte um zu beweisen, dass es gegebenenfalls unfähig ist die Realität in den Griff zu bekommen. Es war das Jahr, in dem es überall immer längere Warteschlangen gab, um Lebensmittel zu kaufen; in dem sich Familien von fast einer viertel Million Emigranten verabschieden mussten; und in dem der Funke Hoffnung erlosch, den es nach den Protesten des 11.Juli 2021 gab.

Im Jahr 2022 erlebten wir Kubaner eine Explosion im Hotel Saratoga, die 47 Menschen das Leben kostete; wir sahen tagelang die Basis für Supertanker in Matanzas brennen, mit 17 Toten als Folge; und außerdem nahmen wir an stillen Trauerfeiern teil, für dutzende oder hundert Bootsflüchtlinge, die in der Floridastraße Schiffbruch erlitten hatten, oder für kubanische Emigranten, die in Panama im Darién-Urwald ums Leben kamen. Ein todbringendes Jahr endet gerade, in dem aber noch nicht einmal die Ergebnisse der offiziellen Sachverständigen zu den größten Unfällen veröffentlicht wurden.

Aber ein demokratischer Wechsel braucht wesentlich mehr als angehäufte Enttäuschungen und wiederholte Misserfolge. Man benötigt rebellische junge Leute, die die Öffnung eines Landes vorantreiben.

Nach dem Anstoß die Dinge zu ändern, der von den größten Demonstrationen in der Geschichte Kubas ausging, folgte eine Zeit der Angst und der Stille. Es vergeht kaum eine Woche, dass wir nicht „adios!“ zu einem unabhängigen Journalisten-Kollegen sagen müssen, der von Drohungen und Gefahren in die Enge getrieben wurde, weil er seinen Beruf außerhalb der engen offiziellen Grenzen ausübte. Monatelang haben wir auch die Unnachgiebigkeit einer Staatsmacht verfolgt, die mehrere Teilnehmer an den Protesten des 11.Juli zu mehr als 20 Jahren Gefängnis verurteilte.

Aber das Regime hat auch eine erhebliche Verschlechterung seines internationalen Ansehens erlitten; es hat die Fähigkeit verloren Angst zu verbreiten, und auch die Macht Bürger zum Schweigen zu bringen. Überall nimmt die Kritik zu, keimt die Unzufriedenheit auf, und es gibt Schmähschriften, die es nicht mehr dabei belassen Bürokraten und lokale Administratoren zu beschimpfen, sondern ihre präzisen Pfeile gegen die höchsten Instanzen des Regierungsapparats richten. Dieses 2022 war das Jahr, in dem die Bürgerschaft aufwachte und die Kommunistische Partei Kubas einen galoppierenden Verlust an Glaubwürdigkeit erlitten hat.

Aber ein demokratischer Wechsel braucht viel mehr als angehäufte Enttäuschungen und wiederholte Misserfolge. Man benötigt rebellische junge Leute, die die Öffnung eines Landes vorantreiben. In den nun folgenden Monaten wird ein Teil der hier so dringend benötigten Bürger nach Mittelamerika emigrieren; dieser soziale Aderlass wird den notwendigen Übergang hinausschieben. Als Hoffnung bleibt uns der politische Verschleiß und die internen Streitigkeiten „da oben“, der mögliche Tod von einigen mächtigen Neunzigjährigen, und die Fähigkeit jeder Generation zu regenerieren. Für das nächste Jahr bleibt uns die Hoffnung… können wir mit etwas mehr rechnen?

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert

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Ich werde weiter hier in Kuba leben, trotz der Diktatur

Hervorgehoben

Tagesanbruch in Kuba; ein Land, das in einer Wirtschaftskrise versinkt und einen Exodus ohnegleichen erlebt. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 18.Dezember 2022

Es nähern sich diese Dezembertage, in denen wir alle Bilanz ziehen; wir setzen uns neue Ziele und wollen wissen, was im nächsten Jahr auf uns zukommt. Das Jahr 2023 kommt auf eine Insel, die in einer tiefen Krise versinkt, mit ungewissem Ausgang. Wegen fehlender Gewissheit riskiere ich es, persönliche und nationale Dinge aufzulisten, von denen ich glaube, dass sie sich im nächsten Jahr so ereignen werden − obwohl die Auswahl personenbezogen und subjektiv ist und entscheidend von meiner Lage bestimmt wird.

Ich werde weiter hier in Kuba leben, in dem Land, in dem ich geboren wurde. Ich bin dickköpfig (sehr dickköpfig), und eines Tages werden sie meine Asche auf dieser Erde verstreuen, unter einem Guavenbaum.

Jeden Morgen, von Montag bis Freitag, werde ich versuchen, meinen Podcast „Cafecito informativo“ aufzuzeichnen und zu senden, einen bescheidenen Beitrag zum kubanischen informativen Ökosystem.

Meine besten Stunden werde ich der Zeitung 14ymedio widmen, einem informativen Freiraum, der im nächsten Mai neun Jahre alt wird und sich den Ruf erworben hat, seriös und zuverlässig zu sein und kundige Leute auf dem Gebiet der Information zu haben. Es gibt noch viel zu tun, aber mit Arbeit werden wir es schaffen  − mit viel, viel Arbeit.

Ich werde nicht zulassen, dass die politische Polizei mich daran hindert die Sonnenaufgänge zu genießen, den Duft der Romerillo-Blüten, oder die Meeresbrandung in der kleinen Bucht von San Lázaro. Auch das  gehört zu mir.

Ich will versuchen mehr zu lesen, obwohl der Zugang zu Büchern und anderen Druckerzeugnissen schwierig bleiben wird; aber ich bin eine jene „seltenen“ Philologinnen, die Hörbücher mag und Bücher gern auch digital liest. Weil Papier fehlt, kommen mir die Kilobytes zugute.

Ich werde weniger Zeit in den sozialen Netzwerken verbringen, vor allem nicht auf Facebook, denn ich habe mehrere berufliche Projekt, die viel Zeit erfordern. Dennoch werde ich alles im Blick behalten was auf dieser Insel publiziert wird, seien es Strafanzeigen, Nachrichten oder Berichte.

Das Wichtigste aber ist, dass ich ein glücklicher Mensch bleibe. Meine Zufriedenheit hängt nicht von dem politischen oder wirtschaftlichen Modell ab, in dem ich lebe. Ich bin glücklich, weil ich atme.

Ich werde wieder Pflanzen aussähen. Die Gartenarbeit und der Gemüsegarten in der Stadt sind spezielle Formen, die ich gewählt habe, weil dieses System nicht den sensiblen Teil von mir zerstören darf. Ich werde sehen wie meine Tomaten wachsen, werde meine Kürbisse gießen und den Salat und den Mangold essen, der auf meinem Balkon wächst, und dabei werde ich auf das nutzlose Ministerium für Landwirtschaft schauen, genau gegenüber meiner Terrasse, das es kaum schafft etwas zu ernten.

Ich werde dabei bleiben und kein Wort mit der Staatssicherheit reden. Wenn sie mich vorladen, dann wissen sie es schon; ich werde das wiederholen, was ich ihnen schon so oft gesagt habe: „Ich spreche nicht mit der politischen Polizei.“ Es ist mir egal, ob sie Ernesto heißen (wie Che Guevara, der Guerillero), oder Camilo (wie Cienfuegos, der verschwundene Revolutionär), oder Ramses, wie der Pharao. Ich habe ihnen nichts zu sagen. Schweigen als eine Form von Streik ist, was in diesen Fällen zählt, und sie wissen es.

Ich werde meinen Hunden und Katzen mehr in die Augen schauen. In diesen unergründlichen Pupillen liegt viel Weisheit.

Meine Strafanzeigen werden weitergehen: gegen Willkür, gegen neue Formen von totalitärem Machtmissbrauch und gegen Generäle, die zu Managern mutieren.

Das Wichtigste aber ist, dass ich ein glücklicher Mensch bleibe. Meine Zufriedenheit hängt nicht vom politischen oder wirtschaftlichen Modell ab, in dem ich lebe. Ich bin glücklich, weil ich atme, weil ich lebe, weil ich weiß, dass jeder Atemzug ein Wunder ist und ich dieses allen jenen verdanke, die mir vorausgegangen sind. Ich bin glücklich, trotz der Diktatur und dem Leben in einem gescheiterten Staat. Ich bin glücklich, weil auch das eine Form von Rebellion ist.

Es ist alles gesagt. Ich wünsche euch allen ein glückliches Jahr 2023; vielleicht wird es nicht das Jahr auf das wir alle hoffen, aber es ist das Jahr, das wir erreicht haben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Ich wünsche meinen Lesern und Leserinnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr 2023. (D.S.)

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Danke, lieber Pablo, für das musikalische Vermächtnis und deine Ehrlichkeit

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Pablo Milanés und seine Tochter Haydée singen im Duett. (Archivbild)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 22.November 2022

Wenn man vor 30 Jahren einen Sender auf einem Radiogerät suchte, dann war es wenig wahrscheinlich, dass man nicht bei mehreren Stationen auf die warme Stimme von Pablo Milanés traf. Es war die Zeit, als das Phänomen Nueva Trova*) seinen Höhepunkt auf dieser Insel erreichte und der Liedmacher Milanés in Konzerten auftrat, Interviews gab, Fernsehauftritte hatte, und mit seiner Musik sogar einen politischen Prozess unterstützte, dem er nicht nur seine besten Akkorde gab, sondern auch sein Prestige als Künstler. Aber wenig später ging diese Beziehung für immer zu Bruch, und als der Künstler am 22. November mit 79 Jahren in Madrid starb, war er längst zu einem offenen Kritiker des Regimes in Havanna geworden.

Mit dem Tod von Milanés endet auf dieser Insel eine kulturelle Etappe, obwohl Troubadoure seiner Generation weitermachen im Stil von Silvio Rodríguez. Milanés setzte einen Schlusspunkt, weil − im Unterschied zum letztgenannten − der Autor von Hymnen wie Yolanda oder Yo no te pido (Ich bitte dich nicht) sein Publikum nicht nur musikalisch begeisterte, sondern es ihm auch gelang, sich einen Platz in den Herzen seiner Zuhörer zu sichern. Sein Ruf als guter Mensch, frei von Hass und solidarisch mit jungen Talenten, gewann ihm die Wertschätzung von vielen, innerhalb und außerhalb der Insel. Dazu kam seine Ehrlichkeit, ein Charakterzug, der ihn dazu führte, sich öffentlich von dem ideologischen Modell zu distanzieren, das er einmal unterstützt und in seinen Liedern gelobt hatte.

„Es ist unverantwortlich und absurd“, beklagte er sich auf Facebook, „dass ein Volk sich geopfert und jahrzehntelang alles getan hat, um ein Regime zu unterstützen, das letztlich nur eines im Sinn hat, es einzusperren“.

Im Juli 2021, als tausende Kubaner auf die Straße gingen und einen Systemwechsel und die demokratisch Öffnung des Landes forderten, war Milanés resolut in der Unterstützung der Bürgerschaft und der Ablehnung des Regimes. „Es ist unverantwortlich und absurd“, beklagte er sich auf Facebook, „dass ein Volk sich geopfert und jahrzehntelang alles getan hat, um ein Regime zu unterstützen, das letztlich nur eines im Sinn hat, es einzusperren“. Der Künstler nutzte die Gelegenheit um daran zu erinnern, dass er seit langer Zeit „die Ungerechtigkeiten und Irrtümer in Politik und Regierung“ verurteilt. An diese Worte erinnerte man sich und wiederholte sie in den Stunden als man von seinem Tod erfuhr; sie wären würdig, auf dem Grabstein des Komponisten von El breve espacio en que no estás (Die kurze Zeit, in der du nicht da bist) zu stehen.

Die kubanische Regierung war bis jetzt zurückhaltend mit ihrer Anteilnahme. Auf den Seiten von kulturellen Institutionen und einigen Parteiführern gab es ein paar kurze Mitteilungen zum Tod von Milanés, aber man bemerkte den knappen und distanzierten Tenor dieser Todesanzeigen. Für das Regime, daran gewöhnt nur jene zu loben, die ihm enthusiastisch applaudieren, ist Milanés auch noch im Tod unbequem. Der Troubadour wurde für sie zu einem schwierigen Wesen, was in diesem Juni bei seinem letzten Konzert in Havanna besonders deutlich wurde. Bei dieser Gelegenheit wollten die Behörden den Künstler in einem kleinen Saal isolierenden, den sie mit „strenggläubigen“ Parteigängern füllen würden; aber wegen der Empörung der Fans mussten sie das Drehbuch für die Veranstaltung umschreiben und sie in die viel größere Ciudad Deportiva verlegen. Natürlich war auch dieser Ort voll von politischer Polizei, um zu vermeiden, dass das Publikum bei „Freiheit!“ oder anderen Protestsongs mitsingen würde.

Während der Darbietung spürten viele, dass es vermutlich das letzte Mal war, dass sie Milanés in seinem Heimatland singen hörten. Mit der ihm eigenen Würde wollte er nicht sentimental werden oder auf einen möglichen „Abschied“ hinweisen, aber die vielen tausend Anwesenden bemerkten sein Alter und seine fragile Gesundheit.

Die sozialen Netzwerke haben sich mit Bekundungen von Respekt und Zuneigung gefüllt, für all das, was er zeit seines Lebens den Menschen gab. Zu dem musikalischen Erbe, seinem wichtigsten Vermächtnis kommt hinzu, dass er konsequent war; eine Stimmigkeit, die die offizielle Propaganda erschreckte, sein Publikum aber an ihm schätzte. Dank für deine Lieder und deine Aufrichtigkeit, lieber Pablo.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers: Nueva Trova ist eine Musikrichtung, die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Kuba entstand. Dabei ist Trova eine Sammelbezeichnung für Volkssänger in der Tradition der Troubadoure des Mittelalters. Nueva Trova fusst auf traditionellen Elementen der kubanischen Volksmusik und ist bestimmt durch ihre poetischen und politischen Texte.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich auf der Internetseite der Deutschen Welle für Lateinamerika publiziert.

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Der unabhängige kubanische Journalismus angesichts der unsicheren Zukunft von Twitter

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Man weiß noch nicht, was aus Twitter wird; es ist aber leicht vorherzusagen, was mit den vielen tausend kubanischen Nutzern geschieht, wenn man seine Flügel stutzt: wir werden mehr geknebelt. (EFE)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 20. November 2022

Ein unsicherer Wind weht über Twitter: massive Entlassungen; ein Versuch, mit der Verifizierung von Konten Geld zu verdienen und die Brandreden des neuen Besitzers Elon Musk haben Zweifel an der Zukunft des sozialen Netzwerks genährt. Auch in Kuba gibt es vermehrt Fragen zu einem Tool, das für den politischen Aktivismus und den unabhängigen Journalismus überlebenswichtig ist.

Die Krise, in der das blaue Vögelchen steckt, kommt für die Insel zu einem unpassenden Zeitpunkt. Wenige Tage bleiben noch, ehe das neue Strafgesetzbuch in Kraft tritt, das die freie Meinungsäußerung und den Handlungsspielraum der Presse weiter einschränken wird. Sobald das neue Gesetz verbindlich ist, wird die Notwendigkeit zunehmen repressive Exzesse anzuzeigen, und die 280 Zeichen von Twitter sind der wichtigste Kanal, damit diese Beschwerden möglichst viele internationale Organisationen, informierende Medien und Verbände erreichen, die über die Einhaltung der Menschenrechte wachen.

In dem Maße, wie das soziale Netzwerk den Eindruck vermittelt, dass es zu einer überholten Angelegenheit werden könnte, verringert sich die Tragweite solcher Anzeigen, und auch die Akteure der kubanischen Zivilgesellschaf werden weniger sichtbar. Außerdem, die aktuell unsichere Lage der Gesellschaft in San Franzisco ermutigt das kubanische Regime, das in den letzten Monaten mit der Sperrung von Konten mehrere Niederlagen hinnehmen musste, weil diese Konten ideologische Propaganda verbreiteten und Dissidenten attackierten.

Von Beginn an war Twitter ein Ärgernis und eine Bedrohung für den Castrismus. Eine Technologie, die den Bürgern die Möglichkeit bot unmittelbar zu publizieren − sogar ohne ins Internet zu gehen − wurde auf der Insel in vollem Umfang für reine Textnachrichten via Smartphone genutzt. Nach einer Zeit der Ablehnung des sozialen Netzwerks, begann die Bürokratie schließlich ihre eigenen institutionellen Konten zu eröffnen, sowie die von Parteiführern, konnte aber niemals ihr Missbehagen gegenüber Twitter verbergen. Das unruhige blaue Vögelchen ging der Regierung immer auf die Nerven.

Jetzt beeilen sich die Pressesprecher des Regimes den verletzten Vogel zu rupfen und damit zu prahlen, dass sie seinen „Fall in Ungnade“ schon immer vorhergesehen hätten. Die aktuelle Instabilität des Mikroblogging-Dienstes ist Musik in ihren autoritären Ohren, und sie fantasieren schon von einer Schließung des Unternehmens und vom Ende eines Lautsprechers, zu dem der Dienst für die Opposition und die unabhängigen kubanischen Medien wurde. Unfähig, dem Netz ihr eigenes Narrativ aufzuzwingen, warten sie sehnsuchtsvoll darauf, dass die Stimme der kubanischen Bürger nicht mehr zu hören sein wird.

Twitter trägt eine große Verantwortung für die Bewohner dieser Insel. Wenn wir weiter von unserer Realität „zwitschern“ können, dann ist dies keine Frage von Trends, Unterhaltung, kindlichen Gesprächen, oder dem Wunsch der Langeweile zu entkommen. Ein Tweet kann den Unterschied markieren, entweder auf der einen Seite zu sein oder auf der anderen hinter Gittern; er kann eine repressiven Aktion stoppen oder Zwangsmaßnahmen der politischen Polizei aufdecken. In unserem Fall ist Twitter kein Dienst, um unsere morgendliche Tasse Kaffee zu zeigen, oder unsere Füße, die nah an einem Pool ein Sonnenbad nehmen; Twitter ist vielmehr der wichtigste Schutzschild, den wir so sehr benötigen.

Man weiß noch nicht was aus Twitter wird, es ist aber leicht vorherzusagen, was mit den vielen tausend kubanischen Nutzern geschieht, wenn man seine Flügel stutzt: wir werden mehr geknebelt und sind noch mehr in Gefahr.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Victor, der Puppenspieler, der die Kubaner inmitten der Armut lächeln lässt

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Karikaturisten, Stelzenläufer, Wahrsager und Bettler versuchen in einem Alt Havanna ohne Touristen zu überleben.

In der Galerie Morionet zieht der Puppenspieler an den Fäden; die Marionette schüttelt den Pinsel, tunkt ihn in Aquarellfarbe und geht dann an die Staffelei. (14ymedio)

JUAN IZQUIERDO / JUAN DIEGO RODRÍGUEZ / 14ymedio / 6.November 2022

Straßenkünstler, Wahrsager, Bettler, Spezialisten für Tarot und Handlesen, Verkäufer von Heiligenbildern, Taschendiebe, Menschen, die ein Gelübde einlösen … in Alt Havanna ist immer etwas los; und die, die dort leben, müssen etwas für ihren Lebensunterhalt tun. Talent, Schläue und kreolischer Charme sind inmitten der weit verbreiteten Armut die einzig verfügbaren Mittel, um mit etwas Geld in der Tasche nach Hause zu kommen.

In der Straße Obispo drängeln sich die Leute; sie betreten und verlassen Geschäfte, Apotheken, Kneipen und Lokale, und versuchen dabei, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Eine Touristengruppe erregt Aufsehen, denn sie bleibt unvermittelt unter einem Dachvorsprung stehen. Dort ist Victor, ein junger Mann, verborgen hinter den Kulissen in Miniatur, in seiner Galerie Marionet.

Victor zieht in seinem kleinen Puppentheater die Fäden; Marionet setzt sich zusammen aus dem Namen des Malers Jean Monet und dem spanischen Wort für Marionette. Er macht, dass seine Puppe − kubanisch und agil wie er selbst − das Bild eines Mannes auf ein Stück Karton malt.

Es ist eine raffinierte Kunst, die man nicht in ein paar Wochen erlernt. Der Puppenspieler zieht an den Fäden, die Puppe schüttelt den Pinsel, tunkt ihn in Aquarellfarbe und geht dann an die Staffelei. Manchmal kommt ein Hund vorbei, die Puppe betrachtet ihn argwöhnisch ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, und streichelt ihm dann die Schnauze.

Die Marionette malt in einem kleinen Raum voller Müll, der so auch der eines Bewohners von Havanna sein könnte, bekleckert mit Farbe und zwei mickrigen Balkonen darüber.

Fasziniert beobachten die Leute das Geschehen: Die Marionette malt in einem kleinen Raum voller Müll, der so auch der eines Bewohners von Havanna sein könnte, bekleckert mit Farbe und zwei mickrigen Balkonen darüber. In der Wohnung hört man einen Blues von Louis Armstrong, und als die Musik endet, lassen die Zuschauer einige Münzen in eine Schale fallen.

Wenn es keine Touristen sind, die Passanten können nicht viel geben, denn, nachdem die Vorstellung sie für kurze Zeit ihre Sorgen vergessen ließ, müssen sie in einer Stadt vorwärts kommen, die zunehmend ungastlicher wird.

Auf den Bürgersteigen stürzen sich die Kellner der privaten Restaurants auf die Passanten, bringen sie zum Halten und blättern die jeweiligen Menükarten vor ihnen auf, ohne dass man ihnen entkommen könnte. Sie müssen rege und charmant sein, denn der Besitzer, in dessen Auftrag sie arbeiten, muss auf sein Geschäft achten, damit er ihre Löhne bezahlen kann. Kein Bewohner von Alt Havanna könnte sich den Luxus leisten dort zu essen.

Auf dem Randstein des Bürgersteigs sitzt ein tadellos in Weiß gekleideter Mulatte, der seine Dienste in Kartenlesen anbietet. Neben ihm eine Flasche Wasser und ein Tuch, auf dem er seine Karten ausbreitet, bereit für einen neuen Blick in die Zukunft. Aber niemand bleibt stehen, er steht gelangweilt auf, ordnet seine Kleidung und setzt sich wieder hin.

An einer anderen Straßenecke zeichnet ein Karikaturist Bilder von Prominenten wie Chucho Valdés oder Alicia Alonso. Die Kinder bitten ihre Eltern, dass der Künstler sie zeichnet, also beginnt der Mann mit seinem Werk: Mit gebeugter Schulter hält er in der einen Hand ein kleines Zeichenbrett, während er mit der anderen Hand den Stift bewegt.

Aufdringlich und bunt gekleidet, jetzt gelingt es diesen Künstlern nur wenige Geldscheine mit ihren Hüten aus Stofffetzen einzusammeln, an denen Glöckchen hängen.

Auch Stelzenläufer gehören jetzt zum Stadtbild; in Gruppen durqueren sie die Straßen mit den meisten Touristen. Aufdringlich und bunt gekleidet, jetzt gelingt es diesen Künstlern nur wenige Geldscheine mit ihren Hüten aus Stofffetzen einzusammeln, an denen Glöckchen hängen. Wegen der aktuell wenigen Touristen in der Stadt, fehlt es ihnen an Kundschaft.

In der Umgebung der Plaza de Armas oder dem Castillo de la Fuerza  stehen sie auf ihren hölzernen Stelzen und warten auf einen Transitur-Bus, aus dem dann eine kleine Gruppe aussteigt. Die Darbietung ist nur kurz, sie soll verhindern, dass die Touristen wieder in den Bus steigen, ohne vorher etwas Geld hinterlassen zu haben. Unter Lachen und Singen lässt man sie wissen, dass es für sie als Straßenkünstler besser gewesen wäre, wenn man ihnen „Euros oder Dollars“ gegeben hätte.

Außerhalb der touristischen Zone wird die Situation sehr bedrückend. Es ist nicht ungewöhnlich einer alten Frau in schmutziger Hauskleidung zu begegnen, die um Geld bittet, damit sie ein paar Pfund Süßkartoffeln kaufen kann. Manchmal ist es auch ein Mann, der einen Stein hinter sich herzieht, der an seinen Knöchel gekettet ist; er erfüllt ein Gelübde. Während er langsam vorwärtskommt, wie eine arme verlorene Seele, hält er eine Schüssel in der ausgestreckten Hand, damit jemand ihm etwas zu essen hineinwirft. Die Leute, die ihn betrachten, sind beeindruckt von den Narben an seinem Bein, haben aber selbst nur wenig, um es ihm zu geben.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Das verlorene Lächeln der Kubaner

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Das leise Lächeln auf den Lippen oder auch schallendes Gelächter, aus welchem Grund auch immer, sind von den kubanischen Straßen verschwunden. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 21.Oktober 2022

Wir sind etwa ein Dutzend Leute in einer Warteschlage. Die Frau vor mir presst die Lippen zusammen, als ob sie vermeiden möchte etwas zu sagen. Ein junger Mann in Flip-Flops und Jeans dreht ständig den Kopf von einer Seite zur anderen, während eine Jugendliche neben ihm unbeirrt auf ihr Smartphone starrt und die Stirn runzelt. Weil nichts vorangeht wird der Mann am Ende der Schlange beleidigend, und sogar der Wächter vor dem Geschäft hört nicht auf sich zu beklagen.

Meine ausländischen Studenten kommen auf die Insel, um hier Spanisch zu lernen. Jahrelang musste ich ihnen erklären, dass sie das Lachen der Kubaner nicht als ein Zeichen von Glück interpretieren sollten. „Sogar bei Beerdigungen, und trotz der Trauer über den Verlust eines nahestehenden  Menschen, erzählen sich die Leute Witze, und es wird sogar laut gelacht“, sagte ich. Aber dass die Menschen in diesem Land zufrieden und glücklich aussehen, weil sie unter dem herrschenden politischen System leben, dieses Klischee ist so wenig auszurotten, wie die Läuse in den Klassenzimmern der Grundschulen.

„Alle Gesichter die ich sehe sind traurig, nicht einmal die Kinder lächeln.“

Dann bemühte ich weitere Fakten: Ich sprach zu ihnen über die Repression; von häuslichen Konflikten, die von der Wohnungsnot befeuert werden; von der hohen Scheidungsrate; von den Dramen bei Selbstmorden, deren Zahl die Bürokratie bewusst verschweigt, und schließlich vom Traum der Kubaner zu emigrieren, irgendwohin, um so diese Insel zu verlassen. Meine Argumente, dass sich hinter dem Lächeln, das Touristen sehen, tausend und ein Drama verbergen können, zeigten keine Wirkung. Das Klischee der nationalen Zufriedenheit war stärker als jedes Argument, als jede Statistik.

Aber selbst die weit verbreiteten und hartnäckigsten Vorurteile können eines Tages auf die Realität treffen, die sie widerlegt. Jenes leise Lächeln auf den Lippen oder auch schallendes Gelächter, aus welchem Grund auch immer, sind von den kubanischen Straßen verschwunden. Überall sieht man kummervolle und verdrossene Gesichter, und anstelle der fröhlichen und lustigen Sprüche von früher hört man jetzt Klagen, Beschimpfungen und Beleidigungen. Man hat immer das Gefühl kurz vor einer Schlägerei zu stehen, oder dass dir jemand wegen einer nichtigen Meinungsverschiedenheit an den Hals gehen könnte.

Ein französischer Freund, der in Kuba viele Jahre in einer ausländischen Firma gearbeitet hat, ist vor ein paar Tagen nach Kuba zurückgekehrt, nach mehr als fünf Jahren Aufenthalt in Europa. „Was ist denn hier los mit den Leuten?“, fragte er mich, und als er merkte, dass ich ihn nicht verstand, fügte er hinzu: „Niemand lacht mehr.“ Er beendete das Gespräch mit einem Satz, bei dem mir klar wurde, dass wir Kubaner Tag für Tag mit langen und ernsten Gesichtern herumlaufen. Mein Freund sagte :“Alle Gesichter die ich sehe sind traurig; nicht einmal die Kinder lächeln.“

Wir wollen uns nicht mehr die Maske des Lächelns überstreifen, die wir so oft verwendet haben, um Unzufriedenheit oder Schmerz zu vertreiben. Wir wollen nicht einmal mehr zeigen, dass wir fröhlich sind.

Nach diesem Gespräch ging ich weiter auf der Avenida de los Presidentes im El Vedado, bog dann in die Straße 23 ein und folgte ihr bis zur L, näherte mich der Infanta und lief dann schneller in Richtung Belascoaín. Nicht ein einziges Lachen auf dem ganzen Weg.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Ja und Nein zum Familiengesetz, ein Referendum mit Sieg und Bestrafung

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Die Werbung auf Reklametafeln, mit Spots im Fernsehen und auf den Titelseiten von Zeitungen galt ausschließlich dem Ja. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 27.September 2022

María Julia, eine 26-jährige Frau aus Camagüeyana, hat bestimmt nicht den vollständigen Text des neuen Familiengesetzes gelesen, zu dem am vergangenen Sonntag ein Referendum abgehalten wurde. Sie stimmte mit Ja, weil die Kommunistische Partei, bei der sie aktiv mitarbeitet, dazu aufrief die Revolution zu unterstützen, und „bei Tagesanbruch in den Wahllokalen zu erscheinen“. Yania, 42 Jahre alt, kreuzte in Havanna das Kästchen mit Nein an, obwohl sie seit Jahren davon träumt Yesenia heiraten zu können, und das neue Gesetz ihr die Tür für eine gleichgeschlechtliche Ehe öffnet. Sie tat es, weil sie glaubt, dass „es in einer Diktatur keine gültigen Wahlen geben kann“.

Die Befürworter und die Gegner dieses Familiengesetzes, das Experten für verfrüht und Juristen für notwendig halten, bilden weder homogene Blöcke, noch ist zwischen ihnen eine klare Trennungslinie zu erkennen. Dieses dritte Referendum in Kuba, in mehr als 60 Jahren, ist eher eine Abstimmung über die Leihmutterschaft, über die Aufteilung der jeweiligen Güter im Fall einer Ehe, oder darüber, ob man das Sorgerecht durch die Verantwortung der Eltern ersetzen sollte. Aber für viele Wähler war der Gang an die Urnen die einzige Möglichkeit, dem Regime von Dìaz-Canel ihre Unzufriedenheit mitzuteilen.

Der Sieg des Ja, mit mehr als 66% der gültigen Stimmen, ist nicht der Triumpf, von dem die Regierung geträumt hatte. Im Vorfeld setzte sie alle propagandistischen Mittel für die Annahme des Gesetzes ein, ohne dass in den nationalen Medien auch jene zu Wort gekommen wären, die das Gesetz hinterfragten oder ablehnten. Mit den mehr als 26% Enthaltungen und der geringsten Wahlbeteiligung in seiner Geschichte, ist der Castrismus auf die Nase gefallen. In einer Demokratie könnte diese Zahl ein Zeichen der Zeit sein, aber in einer Diktatur, wo man mit einer Verweigerung auf sich aufmerksam macht und mit ernsthaften Repressalien rechnen muss, handelt es sich um eine herausfordernde Geste und um eine Konfrontation.

Auch die Wähler verhielten sich nicht so, wie es das offizielle Drehbuch vorgesehen hatte; weil man sich eine überwältigende Akzeptanz des neuen Gesetzes gewünscht hätte.

Auch die Wähler verhielten sich nicht so, wie es das offizielle Drehbuch vorgesehen hatte; weil man sich eine überwältigende Akzeptanz des neuen Gesetzes gewünscht hätte. Mehr als 27% der Teilnehmer an der Wahl sagten Nein, annullierten den Stimmzettel, oder gaben einen weißen Stimmzettel ab. Letztlich sagten weniger als 47% der Wahlberechtigten Ja zum neuen Familiengesetz. Diese Zahl zeigt in Bezug auf das Thema eine gespaltene Gesellschaft, zeigt aber auch eine Bevölkerung, die Stimmenthaltung und Ablehnung als Mittel benutzt hat, um dem Platz der Revolution klar und deutlich ihre Meinung zu sagen.

Wenn es sich an Stelle eines Gesetzes über Familienangelegenheiten um ein Referendum über das drakonische Strafgesetzbuch gehandelt hätte, das zutiefst repressiv ist und uns ohne Mitwirkung aufgezwungen wurde, dann wäre die Ablehnung eine wesentlich stärkere Botschaft an die Exekutive gewesen. Trotzdem, das totalitäre kubanische System entschied sich dazu einige Bürgerrecht zur Abstimmung vorzulegen, denen man de facto auch ohne ein Referendum hätte zustimmen sollen. Vielleicht glaubte die Regierung, dass der Ausgang des Referendums ein überwältigender Erfolg für sie sein würde, und sie so ihr internationales Ansehen verbessern könnte; aber letztendlich war das Ergebnis mager.

Am Freitag vor dem Wahlsonntag rief Díaz-Canel dazu auf, das Ja und „unseren Sozialismus“ zu unterstützen. Am Sonntag zeigte sich dann, dass sich seine Fähigkeiten Wähler zu beschwören signifikant verringert haben, dass die Mechanismen der Mobilisation nicht mehr so gut funktionieren wie vor Jahren, und dass mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten− auf die eine oder andere Weise − das System abgestraft hat, das er repräsentiert.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Die Generation aus Sand

Hervorgehoben

Er teilt sich die Bewachung von Autos mit einem Freund, der für ihn aufpasst, damit er hin und wieder eine Fahrt machen kann, um einen Kunden nach Hause zu bringen. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 24.September 2022

Während ich den Helm aufsetze, sagt er mir, dass er 29 Jahre alt wäre und ein Geschwür habe. Ich steige von hinten auf sein Motorrad, wir fädeln uns in den Verkehr auf der Straße Reina ein und suchen die Straße Carlos III. Die rote Ampelvor der Avenida Belascoaín zwingt uns zu einem Halt. Er erzählt mir dabei, dass er mitten in der Speziellen Periode (Período Especial) geboren wurde, und dass er der sogenannten „Generation aus Sand“ angehöre“. „Wir waren Kinder, die ohne Milch und ohne Spielzeug aufwuchsen“, fügt er hinzu, und jetzt, kurz danach, macht die grüne Ampel den Weg für uns frei, hin zu der breiten Avenida.

Er hat fast alles versucht um zu überleben: „Ich arbeitete als Kellner in einer staatlichen Cafeteria; ich verteilte das wöchentliche Paket von Haus zu Haus; ich bekam Arbeit bei einer Tankstelle, blieb dort aber nicht lange; manchmal träumte ich davon, in der Sonderwirtschaftszone von Mariel zu arbeiten, aber diese Vorstellung löste sich sehr schnell in Luft auf; ich war Kutscher in Alt-Havanna; und schließlich endete ich beim Markt El Trigal„. Wir sind schon in der Straße Zapata und sprechen so vertraut miteinander, als ob wir uns schon zeit unseres Lebens kennen würden.

Ich kann das Land nicht verlassen, weil ich hier meine Mutter und meine Großmutter habe und weiß, wenn ich weggehe ‚um die Vulkane zu sehen‘, werde ich beide nie wiedersehen“.

„Zu Beginn war die Idee mit El Trigal gut“, vertraut er mir an. „Ich kaufte dort Kochbananen für 80 Centavos, direkt vom Erzeuger, und oft verkaufte sie für 1.50 CUP (kubanischer Peso) an Kunden mit Restaurants oder Cafeterien“. El Trigal wollte Handelshemmnisse für landwirtschaftliche Produkte abbauen, und als Prototyp hätte er sich über die ganze Insel ausbreitem können. „Eines Tages kamen wir dort an und man erlaubte uns nicht mehr direkt einzukaufen; wir mussten uns an die staatliche Acopio wenden, die den Preis für Kochbananen auf 2.50 CUP festsetzte, das Geschäft lohnte sich nicht mehr für uns“.

Der Turm am Platz der Revolution bleibt links von uns, während wir durch La Timba fahren. „Ich musste El Trigal aufgeben, hatte dann ein Elektro-Dreirad und bot meine Dienste selbständigen Unternehmern an; die kamen, um im Mercabal in der Straße 26 einzukaufen, aber das wurde immer weniger rentabel; heute ist der Markt geschlossen und es gibt kein Angebot mehr“. „Auch wegen gesundheitlicher Probleme musste ich diese Arbeit aufgeben, weil ich viel Gewicht heben und verladen musste; ich habe einen Leistenbruch und Probleme mit einer Hüfte“.

„Ich hatte dann ein Elektro-Dreirad und bot meine Dienste selbständigen Unternehmern an, die zum Mercabal kamen, um einzukaufen“. (14ymedio)

Jetzt verdient er seinen Lebensunterhalt als Parkwächter in der Nähe eines Ladengeschäfts in Havanna. Er teilt sich die Bewachung von Autos mit einem Freund, der für ihn aufpasst, damit er hin und wieder eine Fahrt machen kann, um einen Kunden nach Hause bringen. „Das wirft nicht viel ab“, sagt er, „aber wenigsten habe ich Arbeit; die Mehrzahl meiner Freunde sind zu Hause und sind müde und lustlos, weil sie keine Arbeit finden“.

Vor uns sehen wir schon die Straße Tulipan, ohne Verkehr, jetzt am späten Nachmittag. Der junge Mann erzählt weiter: „Es ist so, wie ich dir schon sagte, dass wir die Sand-Generation sind, wir zerfallen gerade“. „Aber ich kann das Land nicht verlassen, weil ich hier meine Mutter und meine Großmutter habe und ich weiß, wenn ich weggehe ‚um die Vulkane zu sehen‘, werde ich beide nie wiedersehen“. Am Bahnhof, mit den Gleisen und den leeren Bahnsteigen, sagt er den schlimmsten Satz von allen: „Ich will in diesem Land keine Kinder haben, aber emigrieren kann ich auch nicht; offensichtlich wird meine Familie mit mir enden“.

Vor meinem Wohnblock aus Beton verabschiedet er sich. Ich steige vom Motorrad ab und gebe ihm den Helm zurück. Er fährt weiter und ich verliere ihn aus den Augen, so, als ob die Meeresbrise in meiner Straße aufgehört hätte die Sandkörner zu verstreuen, die er noch in seinem Hemd hatte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Von spontaner Führung und öffentlichen Protesten in Kuba

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„Lasst uns doch so leben, wie wir leben wollen“, fordert der Mann mit bloßem Oberkörper in der Bildmitte; er steht in El Cepem, Artemisa, vor Funktionären und Polizisten mit strengen Gesichtern. (Screenshot)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 31. August 2022

Ein Mann mit bloßem Oberkörper will Funktionäre und Polizisten daran hindern die Flöße zu beschlagnahmen, auf denen Bewohner von El Cepem das kubanische „sozialistische Paradies“ verlassen wollen. Eine Frau in Santiago de Cuba sitzt vor ihrem Mobiltelefon und übt scharfe Kritik an den Devisenläden. Ein alter Mann läuft schreiend durch die Straßen von San Antonio de los Baños und schimpft auf Miguel Díaz-Canel. Einige Stunden vorher hätte niemand geglaubt, dass aus solchen Aktionen Führer hervorgehen würden; niemand auf dieser Insel hätte sie als Anführer der allgemeinen Empörung bezeichnet.

Schon seit Jahrzehnten warten die Kubaner auf führende Personen, die sich berufen fühlen der Staatsmacht entgegen zu treten, und die − wie Jeanne d’Arc − bereit sind sich zu opfern, wenn es die Sache verlangen würde. In der Erwartung solcher Personen mit einem messianischen Sendungsbewusstsein haben viele Kubaner ihr eigenes Handeln als Bürger hintan gestellt. Der Ruf von innerhalb und außerhalb der Insel nach solchen entschlossenen und autoritären Führern, vom System gefürchtet, vom Volk geliebt, und zudem gute und faszinierende Redner,… solche Erwartungen haben den Wandel in diesem Land verzögert.

Das Leben hat gezeigt, dass Personen mit Führungsqualitäten dort auftreten, wo es die äußeren Umstände erzwingen, und dass Führung von einer Person zu einer anderen wechselt, wenn es die Realität erfordert.

Trotzdem, das Leben hat gezeigt, dass Personen mit Führungsqualitäten dort auftreten, wo es die äußeren Umstände erzwingen, und dass Führung von einer Person zu einer anderen wechselt, wenn es die Realität erfordert. Gerade jetzt bereitet der aktuelle Protagonist dem kubanischen Regime arge Kopfschmerzen, denn, sobald die Regierung die „Flammen der Rebellion“ in einer Region gelöscht hat, steht sie vor einem neuen „Feuer“, das raffinierter gelegt und gefährlicher ist. In El Cepem, einer armen Gemeinde in der Nähe von El Salado, tauchte an diesem Montag ein neues Problem für den Castrismus auf, weil dem Regime charismatische Figuren und Lösungen für nationale Probleme fehlen.

Ein Mann hält eine Rede, die sprachlich ein beachtliches Niveau hat. In seiner Ansprache vermeidet er jede Anzüglichkeit und trifft damit das kubanische Regierungssystem ins Mark:

„Wenn ihr uns nicht wollt, weil wir eine illegale Gemeinschaft sind; wenn wir nicht in dieses Land passen, weil unsere Löhne nicht reichen, um in Devisenläden einzukaufen; wenn es nicht genügend Treibstoff gibt, um die thermoelektrischen Kraftwerke am Laufen zu halten“, dann „lasst uns doch so leben, wie wir leben wollen“ − fordert der Vater eines acht Monate alten Baby, der vor strengen Gesichtern von Funktionären und Polizisten steht.*)

Er hat ein Mikrofon in der Hand, während ein anderer Bewohner von El Cepem ein Sprachrohr auf der Schulter trägt, sodass man die volle und feste Stimme gut hört. Der Mann setzt alle Künste eines wahren Führers ein: er überzeugt, vereint und beschützt, und er bietet jenen die Stirn, die seiner Gruppe und seinem Stadtviertel Schaden zufügen wollen. Wie heißt er? Wie kam er zu den Wahrheiten, die er wie argumentative Pfeile auf seine Widersacher wirft − sicher und unwiderlegbar? Man muss es nicht wissen. Schon bald wird die politische Polizei eine Vergangenheit für ihn erfinden und eine Verleumdungskampagne starten, um sein Ansehen zu vernichten, so, wie sie es seit mehr als 60 Jahren tut. Aber für ein paar Minuten war er der Führer der nationalen Verzweiflung, unbestreitbar.

„Hören wir nun seine Stimme“. Jeder von uns kann zu gegebener Zeit Stammesführer, Direktor, Rektor, General oder Präsident sein.

Ein Hinweis: Yoani Sánchez integriert ein Video in ihre Kolumne, das die im Abschnitt *) beschriebene Situation optisch und akustisch dokumentiert. Das obige Foto ist ein Standbild aus diesem Video.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der Brand in Matanzas ist gelöscht, aber das Drama in Kuba geht weiter

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Im Anschluss an jede Tragödie häufen sich die Fragen, aber nur selten werden detaillierte Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen auch veröffentlicht. (Prensa Latina)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 12.August 2022

Der Himmel über Havanna ist wieder blau, und am Terminal in Matanzas lodern die Flammen nicht mehr zum Himmel. Trotzdem geht die Tragödie weiter, und die Fragen, die wir alle uns stellen, bleiben ohne Antwort. Warum hat das Blitzableiter-System nicht funktioniert? Wer ordnete an, unerfahrene junge Männer, die ihren Wehrdienst leisten, zur Brandbekämpfung einzusetzen? Welche Reichweite hat die Umweltkatastrophe als Folge dieses Unfalls?

Im Anschluss an jede Tragödie häufen sich die Fragen, aber nur selten werden detaillierte Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen auch veröffentlicht. Beim Absturz eines Flugzeugs im Mai 2018 wich man bei der Ursache auf Allgemeinplätze aus; wir mussten uns mit der vagen offiziellen Erklärung zufrieden geben, die die Verantwortung für den Unfall auf die Crew schob. Noch immer warten wir auf den Bericht der Sachverständigen zu der Explosion im Hotel Saratoga, die sich vor mehr als drei Monaten ereignete. Und bis heute erreichte uns keine sachliche Analyse, wie viele Menschen in Kuba auf dem Höhepunkt der Pandemie ihr Leben verloren, weil sie es ablehnten, sich gegen Covid-19 mit Covax Vakzinen impfen zu lasen.

Leider werden sich in Zukunft Katastrophen dieser Art häufen, weil das uneffektive und zentralistische Regierungsmodell, das in Kuba vor 60 Jahren an die Macht kam, den administrativen Herausforderungen von heute nicht gewachsen ist.

Der Mangel an Transparenz von Seiten des Regimes ist nur mit seiner Unfähigkeit zu vergleichen. Das politische System ist eine Mischung aus Geheimnistuerei und Ineffizienz, die für uns Kubaner tödlich ist: Die Verletzung von minimalen Sicherheitsvorschriften; der selbstherrliche Dünkel, der uns glauben lässt, „dass man es kann“, obwohl es nicht die geringsten Voraussetzungen dafür gibt; die Sturheit Projekte durchzuziehen, um welchen Preis auch immer ….Tag für Tag fordert das in diesem Land  Menschenleben. Leben, für die sich niemand verantwortlich fühlt, weil die Straflosigkeit der dafür Verantwortlichen absolut ist.

Leider werden sich in Zukunft Katastrophen dieser Art häufen, weil das uneffektive und zentralistische Regierungsmodell, das in Kuba vor 60 Jahren an die Macht kam, den administrativen Herausforderungen von heute nicht gewachsen ist. Sie schönen Zahlen, sie ändern Schlagzeilen der Presse, sie blähen Berichte über Produktivität auf, sie setzen sich über Sicherheitsbestimmungen hinweg, um ein Bauwerk früher einzuweihen, sie beschuldigen Dritte für den eigenen Pfusch, und sie verschanzen sich hinter ihrer Macht, um nicht für die vielen Katastrophen bezahlen zu müssen, die ihr miserables Handeln verursacht hat.

Es handelt sich nicht nur darum die Infrastruktur zu stärken, den Blitzschutz zu verbessern, die Fracht im Laderaum eines Flugzeugs sicher zu verstauen und die Gasleitung für ein Hotel zu prüfen. Um unser Leben zu schützen ist es wichtig, das politische System so schnell wie möglich abzuschaffen und so zu erreichen, dass die vielen unfähigen und unberührbaren Führer möglichst bald von ihren Sesseln Abschied nehmen.

Es war kein Blitzschlag, der den Unfall in Matanzas verursachte, sondern das tödliche Wesen dieses  kaputten und grausamen Systems.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Ein Montag, an dem Havanna Angst hatte

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Man kann nicht einmal sagen, dass es in Havanna Tag geworden wäre, weil es heute Morgen am Horizont nicht hell wurde. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 8.August 2022

Ich wachte mit Halsschmerzen auf, ging ins Bad um zu gurgeln und schaute aus dem Fenster. Am Osthimmel sah ich einen beunruhigenden Schein. In Matanzas, dem Terminal für Supertanker, brennt seit vergangenem Freitag ein Treibstofflager, ein Ereignis, das wir nicht nur im Fernsehen oder in den sozialen Netzen verfolgen. Es ist auch hier, in Havanna, wo eine dunkle Wolke mit Verbrennungsrückständen über der Stadt steht und die Menschen nach Antworten suchen, die sie nicht finden.

Meine Hündin Chiqui hebt die Schnauze, legt die Pfoten auf den Schwanz und verschwindet schließlich unter dem Sofa. Meine Mutter ruft mich an, weil sie das Haus verlassen muss und nicht weiß, welche Vorsichtsmaßnahmen sie treffen soll. Ich rate ihr eine Maske zu tragen und sich vor Nässe zu schützen, wenn es einen Wolkenbruch gibt. Im Hintergrund läuft das offizielle Fernsehprogramm; es zeigt Parteiführer bei einer Sitzung in einem klimatisierten Raum, sowie Nachrichtensprecher, die um jeden Preis zutreffende Wörter vermeiden. Man sagt nicht „Explosion“ oder „Alarm“, und man spricht nicht von „Gefahr“ oder „Bedrohung“.

Niemals glaubte ich, dass das politische Systems bei Bewältigung einer Katastrophe derart unfähig wäre, dass schlechtes Management, die Verletzung von Sicherheitsvorschriften, Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung uns an Grenzen bringen würden.

Es gibt eine Realität und eine andere parallel dazu. Während man vor den Mikrophonen von „überwinden“ und „durchstehen“ spricht, schauen die Menschen in meinem Viertel zum Himmel und haben Angst. Man kann nicht einmal sagen, dass es in Havanna Tag geworden wäre, weil es heute Morgen am Horizont nicht hell wurde. Meine Augen brennen; wenn es einem Sonnenstrahl gelingt durch die dunkle Wolkendecke zu dringen, dann fällt auf den Terrassenboden ein eigenartiges gelbliches Licht, fast gespenstisch. Mein Kopf dröhnt; ich versuche möglichst viel Wasser zu trinken, von Trinkwasser-Reserven vor Ausbruch des Brands, weil die Regenfälle von Samstag bis heute die Reservoirs kontaminiert haben könnten.

Angesichts der Situation gehe ich meine Liste mit fragilen Personen durch. Die alte Frau um die Ecke, die seit dem frühen Morgen in der Warteschlange steht um Brot zu kaufen; der Freund, der eine Parzelle mit Gemüse hat und fürchtet, dass die vielen Rückstände in der Luft letztlich in Lebensmittel gelangen werden, und er sein Gemüse nicht mehr verkaufen kann. Dann fehlt ihm das Geld, um seine Familie und die Mutter des Sohns zu unterstützen, der seinen Wehrdienst leistet. Sie befürchtet, dass sie ihren Jungen in die Unfallzone schicken, obwohl er weder die Erfahrung noch das nötige Alter für die Bekämpfung dieses Brandmonsters hat.

Niemals glaubte ich, dass das politische Systems bei Bewältigung einer Katastrophe derart unfähig wäre, dass schlechtes Management, die Verletzung von Sicherheitsvorschriften, Nachlässigkeit und Selbstüberschätzung uns an Grenzen bringen würden. Optimistisch, wie ich von Natur aus bin, dachte ich, dass es sogar für offiziellen Pfusch eine Grenze geben müsse, oder wenigstens einen eingeschränkten Wirkungsspielraum, und dass sie nicht so vielen Menschen in so kurzer Zeit so viel Schaden zufügen könnten. Ich habe mich geirrt. Das System ist tödlich. Seine Unfähigkeit tötet, und es sind viele. Heute schreit der Himmel über meiner Stadt, dass das stimmt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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„Hör mal zu, hier kannst du nicht durchgehen!“, schrie mich ein Wächter vor dem ‚Haus des Volkes‘ an

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Der Ort, den fast jeder Bewohner von Havanna mit einer Erinnerung verbindet, ist jetzt nur noch für Funktionäre und Wächter zugänglich. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 30.Juli 2022

Ich beeile mich. Das Sammeltaxi fuhr im Schneckentempo, ich steige aus; wenn ich nicht größere Schritte mache, werde ich zu spät zu meiner Verabredung kommen. Ich laufe durch den ‚Parque de La Fraternidad‘, überquere die Straße auf einem gesperrten Pfad, der zu den Ruinen des Hotels Saratoga führt, und komme schließlich in die Gärten des Kapitols von Havanna. „Hör mal zu, hier kannst du nicht durchgehen!“, schreit mich ein Wächter mit ernstem Gesicht an und fügt hinzu: „Zum Weitergehen musst du auf den Bürgersteig; in diesem Bereich ist der Durchgang verboten!“.

Es sind dieselben Gärten, in denen ich als Kind auf meinen ersten Rollschuhen trainierte; es ist die begrünte Esplanade, wo meine Freunde und ich uns niederließen und über unsere Zukunft sprachen, die die meisten von uns in einem anderen Teil der Welt suchten und fanden; es ist der Ort, an dem Reinaldo mit beispielloser Ausdauer fünf Stunden auf mich wartete und so unsere begonnene Beziehung besiegelte − 30 Jahre sind seitdem vergangen. Anders gesagt, es ist der Ort, den fast jeder Bewohner von Havanna mit einer Erinnerung verbindet; jetzt gehört er ausschließlich den Funktionären und Wächtern.

Es sind die Gärten, in denen ich als Kind auf meinen ersten Rollschuhen trainierte. (14ymedio)

Obwohl ich sehr in Eile bin, frage ich den Mann nach dem Grund dieses Verbots. „Ist das hier nicht das Parlament? Ist ein Parlament nicht ein Haus des Volkes? Warum ist dann der Zugang zu den Gärten für uns verboten?“. Ich frage vergebens, weil er weiter mit dem Finger auf den Bürgersteig zeigt. Nur auf dem kann ich weitergehen, wenige Meter entfernt von der leuchtenden Fassade eines Gebäudes, das jahrzehntelang verachtet wurde, inklusive Vernachlässigung, Fahrlässigkeit und Beschimpfungen von offizieller Seite. Nach seiner Instandsetzung und einer Blattgoldbeschichtung der Kuppel, ist die Regierung dazu übergegangen, das Gebäude exklusiv für sich in Anspruch zu nehmen.

Ich werde zu spät zu meiner Verabredung kommen; ich entferne mich vom Kapitol, seinem finsteren Bewacher und den exklusiven Gärten. Ich denke dabei an das Gefühl, das ich hatte, als ich zum ersten Mal Kuba verließ. Es war eine innere Unruhe, die mich fürchten ließ, dass auf irgendeinem Platz oder vor einer öffentlichen Sehenswürdigkeit ein Polizist auftauchen würde um mir zu sagen, dass ein Foto von diesem Standbild, eine Annäherung an diese Gedenktafel, oder das Berühren dieses antiken Steins ein Delikt wäre. Tage später, ohne dass ein Uniformierter gekommen wäre um mich zu beschimpfen, fiel die Last von mir ab, und ich wartete nicht mehr auf einen Pfiff, einen Schrei oder eine Geldstrafe wegen meines Verhaltens.

Gestern, am Freitagmorgen, sehnte ich mich nach dieser Leichtigkeit, als ich nicht mehr durch die gepflegten aber verbotenen Gärten des Kapitols gehen konnte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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„Kaufe Nahrungsmittel!“, der verzweifelte Ruf, der ohne Antwort blieb

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Am vergangenen Dienstagmorgen ertönte in der Umgebung unseres Gebäudes die sonore Stimme eines Ausrufers. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 20.Juli 2022

Vorher aufgenommene und dann über Lautsprecher verbreitete Ausrufe gehören zur Geräuschkulisse im Kuba von heute. In unserem Viertel hört man jeden Tag eine bunte Vielfalt  davon: es beginnt mit dem Klassiker „Eis am Stiel!“, weiter mit „Repariere Matratzen!“, und überrascht mit „Kaufe leere Shampoo-Tuben!“. Dazu kommt, dass die aktuelle wirtschaftliche Krise ständig neue Varianten hervorbringt.

Am vergangenen Dienstagmorgen ertönte in der Umgebung unseres Gebäudes eine sonore Stimme: „Kaufe Lebensmittel!“ wiederholte ein Mann minutenlang, während er um den Häuserblock lief. Früher hätten wir die Rufe in den oberen Stockwerken unseres hässlichen Betonbaus nicht gehört, wegen des Lärms der nahen Avenue Boyeros; aber weil es an Treibstoff mangelt, hat sich der Verkehr dort verringert und damit das ständige Getöse. Also hörten wir klar und deutlich: „Kaufe Lebensmittel!“; der Ruf schmuggelte sich über Terrassen und Jalousien bei uns ein.

Kein Nachbar ging auf den Balkon um ihm zu sagen: „warten Sie doch, ich komme herunter und verkaufe ihnen etwas Brot, ein Säckchen Kartoffeln, oder einen Becher Joghurt“.

Im Verlauf einer halben Stunde bewegte sich der Rufer von der nahen Bahnlinie bis zum ständig wachsenden Müllberg an der Straßenecke Estancia und Santa Ana. Er machte Halt vor einem nahen Gebäude mit zwölf Stockwerken, wiederholte seine Rufe ein paar Meter entfernt vom weitläufigen Park des Ministeriums für Landwirtschaft, näherte sich der Warteschlage vor einem Geschäft mit rationierten Produkten, bis die verzweifelten Rufe schließlich verklangen, als der Mann in Richtung Tulipán-Straße weiterging.

Während der ganzen Zeit antwortet niemand auf sein Anliegen. Kein Nachbar ging auf den Balkon um ihm zu sagen: „warten Sie doch, ich komme herunter und verkaufe ihnen etwas Brot, ein Säckchen Kartoffeln oder einen Becher Joghurt“. Hätten andere ambulante Händler ihre Waren oder Dienstleistungen ausgerufen, wäre dies so geschehen.

Sie forderten ihn auch nicht auf Ruhe zu geben, weil bei ihnen im Haus ein Baby einschlafen sollte; nicht einmal eine Großmutter zeigte sich auf dem Balkon und schüttelte verneinend den Kopf. Es kamen auch nicht die „kampferprobten“ Aktivisten der Kommunistischen Partei, um diesen Ruf zu „bekämpfen“, der mehr Protest in sich trug, als in irgendeine Losung der Opposition.

„Kaufe Nahrungsmittel!“, wiederholte der Mann; und die Stille im Viertel sprach wortlos. Das Schweigen, in dem die Bewohner der Häuser verharrten, antwortet ihm: „Wir haben keine!“

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Erinnere dich an Sri Lanka

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Demonstrierende besetzen den Präsidentenpalast in Colombo, Sri Lanka. (EFE/EPA/Chamila Karunarathene)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 15.Juli 2022

Was hier fehlt ist ein Sri Lanka“, „erinnere dich an Sri Lanka“, „wir treffen uns am Pool…wie in Sri Lanka“ sind Sätze, mit denen in diesen Tagen Kubaner ihre Freunde begrüßen. Das asiatische Land zu erwähnen ist kein Zufall. Nach wochenlangen Protesten drangen mehrere tausend Personen in die luxuriöse Residenz des Präsidenten Gotabaya Rajapaksa ein, und zwangen ihn das Land zu verlassen.

Monatelang beschuldigten die Demonstranten die Exekutive, dass sie die wirtschaftliche Krise schlecht managen würde und verantwortlich sei, für die langen Stromausfälle und die Inflation im Land; es sind die drei Übel, die auch auf dieser Insel für Entrüstung sorgen. Es genügt, die Pressemitteilungen der ausländischen Agenturen zu lesen, die in Colombo akkreditiert sind, um die Parallelen zu sehen: den Frust der Bewohner der Hauptstadt von Sri Lanka, und den Verdruss, den man an jeder kubanischen Straßenecke hört.

Was uns betrifft, so ist der Hinweis auf Sri Lanka auch eine Form von Selbstkritik, weil wir zugeben müssen, dass es angesichts von Ineffizienz und Krisen Völker gibt, wo Menschen sich entscheiden zu schweigen und die Koffer zu packen, während andere bis ins Haus der Verantwortlichen vordringen und sie zwingen abzudanken. Es ist nicht das erste Mal, dass wir Kubaner ähnliches Geschehen in anderen Weltgegenden aufgreifen, um unsere Situation öffentlich zu machen, und nebenbei die Zensur zu umgehen.

Angesichts von Ineffizienz und Krisen gibt es Völker, wo Menschen sich entscheiden zu schweigen und die Koffer zu packen, während andere bis ins Haus der Verantwortlichen vordringen, und sie zwingen abzudanken.

Vor ein paar Jahren stand der Kabarettist Nelson Gudín mit einem Solo-Programm auf der Bühne; es hatte den Titel „Die Probleme auf Zypern“ und wurde zu einer witzigen Metapher für Kuba. Indem der Künstler auf Leitartikel in der offiziellen Presse verwies, die von politischen und wirtschaftlichen Probleme in anderen Breitengraden berichteten und die nationalen verschwiegen, machte er die Insel im östlichen Mittelmeer zu einem Synonym für Kuba.

Nach einer exzellenten Performance des Künstlers, wie man sie vom ihm erwartete wo immer er auftrat, genügte es „wie schlimm steht es doch um Zypern“ zu sagen, damit alle verstanden, dass von unserer eigenen Realität die Rede war. Bis heute haben sich in der Umgangssprache mehrere Sätze gehalten, die auf die „Situation in Zypern“ anspielen und ausländische Studenten verblüffen, die hier in Kuba ihre Spanisch-Kenntnisse perfektionieren und den Zusammenhang mit Nicosia nicht verstehen.

Jetzt ist Sri Lanka zu einem Symbol geworden, das Kuba hoffen lässt. Es ist die Macht eines Volkes, wenn seine Menschen zusammenfinden, und zugleich die Warnung an die Regierenden in olivgrün, dass kein Palast voller Annehmlichkeiten mehr sicher ist, wenn der Volkszorn ausufert. Das Wasser im präsidialen Pool wird nicht ausreichen, um die Unzufriedenheit zu besänftigen, die sich im Laufe von Jahrzehnten angesammelt hat, noch werden herrschaftliche Betten, die mit den weichen Kissen, einen massiven Protest verstummen lassen.

“ Wir sehen uns in Sri Lanka“, hat mir gestern ein Nachbar von gegenüber zugerufen. “ Wir alle sind Sri Lanka“, habe ich ihm geantwortet, während mehrere kleine Jungen auf Fahrrädern vorbeigefahren sind und den Namen des Landes wiederholt haben, den bis vor ein paar Wochen kaum jemand in Kuba kannte.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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Der 11.Juli 2021 war der Tag, an dem wir die Angst hinunterschluckten

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Eine Gruppe von Demonstranten marschiert am 11.Juli durch Havanna. (Marcos Evora)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 11.Juli 2022

Niemand sah es voraus, kein Analyst nahm es in seine Prognose auf, und sogar die größten Optimisten hatten die Möglichkeit eines öffentlichen Protests auf Jahre hinaus verschoben. „Die Leute haben sich daran gewöhnt“, „die jungen Leute stürzen sich lieber ins Meer, als auf einer plaza zu demonstrieren“, „der Bürgersinn wurde amputiert“, „sie sind sanft und folgsam geworden“, das waren Sätze, die man zu uns von allen Seiten sagte. Aber der 11.Juli 2021 genügte, um alle diese Diagnosen als falsch zu entlarven, die uns als ein Volk hinstellten, unfähig seine Stimme zu erheben.

An jenem Sonntagmorgen zündete der Funke nicht in den zwei größten Städten des Landes, sondern in den Straßen von San Antonio de los Baños, in der Provinz Artemisa, in einer Gemeinde, die für ihren Humor bekannt ist, für ihre internationale Filmschule und für ihre langen Stromausfälle. Die frühesten Bilder der öffentlichen Empörung erreichten uns auf Facebook und Twitter, aber angesichts unserer Skepsis hielt sich unser Enthusiasmus in Grenzen; viele von uns dachten, dass es nur ein kleines, singuläres Ereignis wäre.

Dann erreichten die Proteste Palma Soriano in der Provinz Santiago de Cuba, Cárdenas in Matanza, und sie breiteten sich schließlich in Havanna und in vielen anderen Regionen aus. Was niemand prophezeit hatte, ereignete sich gerade. Für viele war dies einer der wichtigsten Tage in ihrem Leben, denn jeder von uns erinnert sich daran was er tat, als die Demonstrationen begannen. Wie an den Tag, an dem uns ein Sohn geboren wird, unser Vater stirbt oder sich eine Naturkatastrophe ereignet; dieser 11.Juli hat unserem Leben seinen Stempel aufgedrückt.

Aber es reicht an jenen Sonntag im Sommer zu erinnern, um zu erkennen, dass wir Kubaner nicht mehr dieselben sind.

Und dann kam die Repression, angestoßen und vorangetrieben von Miguel Díaz-Canel, der vor den Kameras des nationalen Fernsehens den „Befehl zum Kampf“ gab. Wegen dieses Aufrufs könnte er eines Tages vor einem Gericht stehen und verurteilt werden, weil er zu Gewalt aufhetzte und das Militär gegen unbewaffnete Leute vorgehen ließ. Wir haben nicht nur Uniformierte gesehen, die wütend auf Jugendliche und Teenager einschlugen, sondern auch die offizielle Presse verfolgt − die zunächst kopflos war und nicht wusste, wie sie auf die Menschen in den Straßen reagieren sollte − dann aber begann, eine andere Darstellung der Ereignisse zu verbreiten, parallel zur Realität.

In diesem Narrativ, diktiert vom Platz der Revolution, gab es nur vereinzelt gewalttätige Proteste, angeführt von Kriminellen, Vandalen und Außenseitern. Um uns diese Fiktion aufzuzwingen, benutzte die Regierung ihr Monopol bei Fernsehen, Radio und den gedruckten Zeitungen, aber die Wahrheit des 11.Juli war schon ins Bewusstsein der Menschen vorgedrungen, dank der sozialen Netzwerke und der unabhängigen Presse. Die Bilder von vielen tausend Mobiltelefonen zeigten eine Bürgerschaft, die nach jahrelanger Knebelung ihre bürgerliche Stimme erprobte. Es war der Tag, an dem wir unsere Angst hinunterschluckten, an der wir lange gekaut haben und dann bemerkten, dass es in Kuba wesentlich mehr Nonkonformisten gibt als Unterdrücker.

Nach diesen hellen Stunden, in denen die Proteste ihren anarchistischen und massiven Charakter zeigten, begann die lange Nacht der Repression, die bis heute anhält. Aber es reicht an jenen Sonntag im Sommer zu erinnern, um zu erkennen, dass wir Kubaner nicht mehr dieselben sind. Wir haben auf den Straßen geschrien, haben im Chor „Freiheit“ gerufen und der Welt gezeigt, dass wir weder feige noch fügsam sind, sondern dass nur eine kalkulierende Diktatur uns lange Zeit verwehrt hat, unsere plazas in Besitz zu nehmen. Den nächsten Aufstand kann man weder vorhersehen noch vorhersagen; aber vielleicht ist es dann das letzte Mal, dass das Regime das allgemeine Unbehagen niederschlagen kann und mit Schlägen, Schüssen und Verurteilungen antwortet. Am 11.Juli haben wir begriffen, dass die Angst die Seite gewechselt hat.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf Spanisch publiziert.

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Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme fehlen, karikiert die Bürokratie das republikanische Kuba

Hervorgehoben

Kuba vor 1959: Die Elektrifizierung des Landes erreichte einen des besten Werte in Lateinamerika. (CC)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 29.Juni 2022

In dem Maße wie die allgemeine Empörung zunimmt, wegen der ständigen Stromsperren in weiten Teilen Kubas, verbreiten die Behörden alle Arten von Rechtfertigung, um die Verantwortung für die Stromausfälle weit entfernt von ihrem Management zu halten. Auch fehlen nicht oft wiederholte Sätze, die dem nordamerikanischen Embargo die Schuld geben, oder den ausbleibenden sowjetischen Subventionen nach dem Fall des Kommunismus in Europa, und – wie zu erwarten – fehlen auch nicht Anspielungen auf die republikanische Epoche Kubas als eine finstere und erbärmliche Zeit.

‚Adelante‘, die lokale Zeitung von Camagüey, hat diese Woche versucht die Gemüter zu besänftigen, indem sie ihre Leser an die Zeit vor 1959 erinnerte, als “Kuba nur 397 Megawatt generierte, verteilt auf isolierte, unverbundene Systeme, und somit typisch für ein unterentwickeltes Land. Einen Stromanschluss hatten kaum 56% der Bevölkerung“. Folgt man Daten, die man in diesem Zusammenhang erwähnen muss, war die weltweite Elektrifizierung ein Prozess, der ein paar Jahrzehnte benötigte.

Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht.

Der Artikel der erwähnten Tageszeitung verschweigt nicht nur dieses Detail, sondern er vermeidet es auch zu erwähnen, dass in jenen Jahren der obige Indikator einer der besten in Lateinamerika war. Angesicht der aktuellen Probleme versucht der Text bei seinen Lesern ein Gefühl der Erleichterung zu erzeugen, indem er deren aktuelle Situation mit der ihrer Großeltern vergleicht. Ein rhetorischer Trick mit immer weniger Wirkung, weil es die Gesellschaft müde geworden ist, dass man ihr mit der Vergangenheit Angst macht. Weil Lösungen für gegenwärtige Probleme und Perspektiven für die Zukunft fehlen, bleibt dem Regime nur übrig, das Kuba zu karikieren wie es war, ehe Fidel Castro an die Macht kam.

Mit dieser törichten Strategie gelang es ihnen jahrzehntelang demokratische Forderungen zum Verstummen zu bringen, indem sie versicherten, dass mit einer Öffnung der Insel die Exzesse der früheren Diktatur zurückkehren würden.

Als die Klagen sich gegen die ineffiziente Produktion von Grundnahrungsmitteln richten, beginnen die Regierungssprecher daran zu erinnern, dass Gerichte aus Maismehl, ohne irgendwelche Beilagen, während der Regierungsjahre von Machado*) auf jedem Teller waren. Es gibt Funktionäre, die es gewagt haben zu sagen, dass eine Dissidentin oder eine unabhängige Journalistin als Prostituierte gearbeitet hätte, würde sie denn in dem Kuba der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts gelebt haben.

Alle diese verbalen Kunststücke, die früher einmal Angst und soziale Lähmung hervorrufen konnten, ernten heute nur noch Spott und gießen Öl ins Feuer des sozialen Unbehagens. Die Menschen haben längst aufgehört den Kopf zu senken und den Mund zu halten, wenn man sie mit solchen veralteten Statistiken konfrontiert. Nur ein System ohne ein Morgen kann glauben, dass es die Bevölkerung eines Landes gefügig machen kann, wenn es die Gespenster von gestern aus der Mottenkiste holt.

            Übersetzung: Dieter Schubert

*) Anmerkung des Übersetzers:

Gerardo Machado war von 1925 bis 1933 fünfter Präsident der Republik Kubas. Er entmachtete politische Institutionen und etablierte eine diktatorisch und aggressiv geführte Alleinregierung. Seine Politik rief immer heftigeren Widerstand hervor, der schließlich in der erfolgreichen Demokratischen Revolution von 1933 gipfelte.

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Die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna

Hervorgehoben

Im Unterschied zu Berlin, für die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna sind nicht die Bomben eines Kriegs verantwortlich. (14ymedio)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 18.Juni 2022

Ein Mitglied einer Berliner Akademie war sehr glücklich, als seine kubanischen Freunde zu Besuch kamen und er mit ihnen eine lange und informative Rundfahrt durch Berlin machen konnte. Bei solchen Fahrten fehlte nie die Geschichte vom allmählichen Verschwinden der Balkone, der besonders den Sektor der Stadt betraf, der nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischer Verwaltung stand. Die Bombardierungen der Stadt während des Kriegs, die Tendenz Teile von betroffenen Gebäuden zuzumauern, anstatt sie zu renovieren als Frieden war, und eine sozialistische Architektur, die sich mehr an einer praktischen als an einer schönen Bauweise orientierte, führten zu einer ‚Entbalkonisierung‘ der Hauptstadt der DDR.

Nachdem der Professor davon in allen Einzelheiten berichtet hatte, sprach er von einem eigenartigen Konzept der Stadt. Er atmete tief durch und erläuterte dann ausführlich, wie nach dem Fall der Berliner Mauer der umgekehrte Prozess einsetzte, die ‚Rückbalkonisierung‘ der Stadt. Jetzt hielt er kurz inne und versicherte, dass er nur im Zusammenhang mit diesem architektonischen Detail diesen Neologismus verwenden könne. Bei keiner anderen Gelegenheit wäre dies möglich. Daher möchte er sich bei seinen geduldigen Zuhörern ausdrücklich bedanken, dass sie ihm die Gelegenheit dazu gegeben hätten.

Im Unterschied zu Berlin ist die ‚Entbalkonisierung‘ von Havanna nicht eine Folgeerscheinung von Bomben in einem Krieg. Nachlässigkeit, der fehlende Wille zu erhalten, und die materielle Not der Besitzer vieler Gebäude haben bewirkt, dass diese architektonischen Elemente zunehmend verloren gingen und gehen, aufgrund von Mauerrissen, Verbau oder Einsturz. Mehr und mehr sieht man Fassaden, an denen Stahlstreben herausragen, die früher eine schöne Terrasse trugen, die nach außen strebte.

Die kubanische Hauptstadt wurde ‚entbalkonisiert; sie hat aber auch ihre Gebäudesimse und die mit Blumen und Blüten geschmückten Kapitelle vieler Säulen verloren. (14ymedio)

Aber es fehlen nicht nur die hundert (vielleicht auch tausend) Balkone, die auf Straßen gefallen sind, oder auf die Köpfe der Vorbeigehenden, oder auf das darunter liegende Stockwerk. Viele andere sind nicht mehr zugänglich, oder werden von den Bewohnern nicht mehr genutzt, aus Angst abzustürzen wenn man sie betritt. Was früher einmal für die Angehörigen eines Hausstands ein Bauelement für Unterhaltung und Vergnügen war, oder auch nur eine Augenfreude für die Fußgänger, ist jetzt zu einem Panikobjekt verkommen. Die Leute fürchten diese rissigen, durchfeuchteten und von Schimmel befallenen Erker.

Die kubanische Hauptstadt wurde ‚entbalkonisiert‘; sie hat aber auch ihre Gebäudesimse und die mit Blumen und Blüten geschmückten Kapitelle vieler Säulen verloren. Früher konnte man durch die Straßen gehen, ohne sich nennenswert von den überdachten Portalen zu entfernen. Heute stößt man dabei auf heruntergefallene Dachteile, die dazu zwingen auf den Gehsteig auszuweichen und im Zickzack weiterzugehen. Dem ist hinzuzufügen, dass man bei den meisten Gebäuden, die in der Zeit der sowjetischen Subventionen gebaut wurden, auf Balkone verzichtete, obwohl die in einem tropischen Land ein wichtiges Bauelement sind. Graue Mauern, kleine Fenster, und nicht einmal eine Freifläche um Wäsche aufzuhängen, das ist harte Realität, wenn man in einem dieser Betonblöcke wohnt.

Ich träume von dem Tag, an dem mein akademischer Freund Havanna wieder besucht und dieser Albtraum des Verfalls dann nur noch eine Erinnerung an die schlimme Vergangenheit ist. Ganz sicher werde ich ihm dann sagen, dass die Demokratie nicht nur ermöglicht hat, alles sagen zu können was man denkt, ohne dafür bestraft zu werden, sondern dass sie auch der Impuls für den Bau von anderen Wohnungen war, weil sie viele emigrierte Architekten ins Land zurückkehren ließ. Diese talentierten Architekten planten kühlere Häuser, die die Meeresbrise nutzten und bei den Bewohnern nicht das Gefühl auslösten, in einer Streichholzschachtel eingesperrt zu sein.

Dann werde ich es genießen ihm noch zu sagen, dass die ‚Rückbalkonisierung‘ von Havanna, der Stadt meiner Geburt, schon begonnen hat. Vermutlich wird es eine der wenigen Gelegenheiten sein, bei denen ich dieses neue Wort verwenden werde.

            Übersetzung: Dieter Schubert

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In Havanna stehen nicht zwei Männer vor Gericht, sondern ein Symbol

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Otero Alcántara und Maykel Castillo in Havanna, als sie noch in Freiheit waren. (Anamely Ramos)

YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 31.Mai 2022

Der letzte Montag im Mai beginnt in Havanna mit Nebel und Nässe. Dennoch, das Tagesgespräch dreht sich nicht um den möglichen Platzregen oder um die Schwierigkeiten, in einer Stadt mit einer Treibstoffkrise vorwärts zu kommen. Im Gericht in Mariano, einem Viertel im Osten von Havanna, findet an diesem Tag eine Verhandlung statt, die viele Tausend mit Augen und Ohren verfolgen. Der Künstler Luis Manuel Otero Alcántara und der Rapper Maykel Castillo Osorbo sind die Angeklagten.

In den letzten Monaten kam es zu vermehrten Anhörungen jener, die an den öffentlichen Demonstrationen im vergangenen Juli teilnahmen, oder es ergingen Urteile gegen Bürger, die in den sozialen Netzen ihre Unzufriedenheit kundgemacht hatten. Trotzdem, der Prozess in dieser Woche markiert einen Höhepunkt der Unterdrückung in diesem Land. Otero Alcántara steht vor Gericht, weil er, von anderen „Vergehen“ abgesehen, sich tagelang in die kubanische Fahne hüllte. Dies war eine künstlerische Aktion, die der Bürokratie missfiel, weil sie nationale Embleme für ihren ideologischen und parteiischen Kreuzzug exklusiv beansprucht.

Was Osorbo betrifft, so wirft man ihm vor, dass er die Person des Staatspräsidenten Miguel Díaz-Canel beleidigt hat, und dass er den Ministerpräsidenten Manuel Marreo für ausbleibende Lieferungen an die Krankenhäuser verantwortlich macht. Beide Beschuldigungen, für die die Staatsanwaltschaft sieben bzw. zehn Jahre fordert, würden in demokratischen Ländern kaum eine kleine Geldstrafe nach sich ziehen, oder in einem Rechtsstaat schlechthin kein Delikt darstellen. Beide Angeklagten erwarten monatelange Gefängnisstrafen, weil sie jetzt vor einem Gericht stehen, dessen Urteile sich eher nach den Launen von mächtigen Leuten richten, als nach der Strenge des Rechts.

Wie bei einer heißen Kartoffel: hält man sie zu lange in der Hand, verbrennt man sich die Finger; lässt man sie fallen, fängt man an zu lachen. So ist es mit dem Castrismus, in dessen Hand jetzt das Leben der beiden jungen Menschen liegt.

Um Zeichen der Solidarität mit den Angeklagten zu verhindern, stand am Morgen die Umgebung des Gerichts unter starken Sicherheitsmaßnahmen von Polizeikräften. Die Telefonleitungen von vielen Aktivisten und unabhängigen Journalisten waren blockiert, und außerdem begann in den sozialen Netzwerken eine intensive Verteufelungs-Kampagne, die versuchte, jede Art von Unterstützung von Otero Alcántara und Osorbo schon im Vorfeld zu verhindern. Aber diese Offensive bewirkte offensichtlich das Gegenteil von dem, was das Regime beabsichtigte: Bürger, die nichts von dem Gerichtsverfahren wussten, gingen der Sache nach, weil so viele Uniformierte im Stadtteil waren; und die Hartnäckigkeit, mit der man in den sozialen Netzwerken beide Angeklagten als „Kriminelle“ darstellte, hat bei den Bürgern eher Sympathie als Ablehnung ausgelöst.

Wie bei einer heißen Kartoffel: hält man sie zu lange in der Hand, verbrennt man sich die Finger, lässt man sie fallen, fängt man an zu lachen. So ist es mit dem Castrismus, in dessen Hand jetzt das Leben der beiden jungen Menschen liegt, die das Scheitern des Systems repräsentieren. Sie kommen aus bescheidenen Verhältnissen, und man dachte, dass sie das politische Modell blind begrüßen würden, das sich vor mehr als 60 Jahren in Kuba etablierte. Beide gehören Schichten der Gesellschaft an, die, so die offizielle Propaganda, am meisten von der Revolution profitierten. Stattdessen haben sie die Lügen und die Willkür der Hierarchie in olivgrün öffentlich verurteilt, wie auch die Armut in San Isidro, ihrem Viertel, und die Straflosigkeit der Polizei.

Dass man sie verhaftet hat und vor Gericht stellt beweist, dass das System von den Bürgern absoluten Gehorsam erwartet, nicht aber Kritik oder Widerspruch. So wurden Otero und Osorbo zu einem Menetekel für die Schwäche einer Bürgerschaft, der man alle Wege hin zu einer friedlichen Änderung des Status quo versperrt hat.

In den nächsten Tagen werden wir das Urteil kennen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie verurteilt werden, weil man ein Exempel statuieren will. Aber das kubanische Regime hat diese Schlacht schon verloren. Es kann zwei Männer für Jahre wegsperren; es wird ihm aber nicht gelingen das Symbol hinter Gitter zu bringen, zu dem sie geworden sind.

            Übersetzung: Dieter Schubert

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle in Spanisch veröffentlicht.

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