Die gerettete Telenovela

antenas

Ich bin im Aufzug, gemeinsam mit einer Nachbarin. Wir grüßen uns, reden über das Wetter und fragen uns, ob wohl der Laden an der Ecke nun endlich wieder Eier geliefert bekommen hat. Wir sind noch in der sechsten Etage, als sie mir, im Schutze der momentanen Privatsphäre der Aufzugskabine, auf einmal sagt, dass sie dank mir eine kolumbianische Telenovela sehen konnte. Ich verstehe gar nichts. Welchen Bezug könnte es geben zwischen dieser Bloggerin, die melodramatische Seifenopern mit Skepsis betrachtet, und der Kunst, die Menschen vor den Fernsehern zum Weinen zu bringt? Aber die Frau besteht darauf. In Gedanken bin ich bereits bei den Drehbücher des guten alten Félix B. Cañet*, als uns immer noch vier Stockwerke bis zum Erdgeschoss fehlen.

Die Antwort überrascht mich. Während auf der Anzeige des Aufzugs die Nummer Drei erscheint, erzählt sie mir, dass die Angst vor der Dunkelheit des Parks, der an einer Seite unseres Wohnhauses liegt, sie bisher davon abgehalten hat, zur Wohnung einer Freundin zu gehen, bei der, empfangen über eine illegale Satellitenschüssel, jeden Abend eine Folge der Telenovela gezeigt wird. Aber jetzt, sagt sie mit dankbarer Stimme, wird dieser aus Beton und Grünzeug bestehende Parkstreifen rund um die Uhr bewacht. Ich tue so, als ob ich nicht verstehe, aber sie klärt mich auf, dass die Leute des Innenministeriums, die ihre Runden um mein Wohnhaus ziehen, das Viertel sicherer gemacht hätten. Ich würde lieber glauben, dass die Schatten, die ich von meinem Balkon aus sehe, der Fantasie von jemandem entspringen, der zu viele Krimis gelesen hat, aber die Frau lässt nicht locker. Sie lässt mich nicht mit einem Lächeln davonkommen. Vielmehr will sie nochmals betonen, dass sie es mir verdankt, dass sie wohlbehalten bis zum nächsten Wohnhaus gelangt.

Ohne es je erwartet zu haben, werde ich für die Schrecken entlohnt. Jemand hat mir gerade dafür gedankt, dass ich ein Opfer der Überwachung bin, ein Zielobjekt von staatlichen Aufpassern. Ich habe noch nie eine sanftere Art erlebt, sich der Repression bewusst zu werden, aber ich lache mit der Nachbarin – was bleibt mir auch anderes übrig. Um nicht abweisend zu wirken, frage ich sie, um was es in der Telenovela geht, deren Genuss ich ihr ermöglicht habe. Sie leckt sich genüsslich die Lippen. Die Geschichte spielt im 18. Jahrhundert, mit fliehenden Sklaven, Matronen, die außereheliche Kinder haben, die sie vor ihren Ehemännern verstecken, mit Peitschen, die über gebeugten Rücken knallen, und engen, dunklen Feldwegen, die des Nachts von Vorarbeitern und Hunden bewacht werden.

Anm. d. Ü.
* Félix B. Cañet, auch Féix B. Caignet, war ein kubanischer Autor und Schöpfer der ersten melodramatischen „Radionovela“ namens „El derecho de nacer“, die überregional großen Erfolg hatte.

Übersetzung: Florian Becker
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Ein Gedanke zu „Die gerettete Telenovela

  1. Da faellt mir ein: „Mit Geduld und Spucke, faengt man eine Mucke“ Bei Gott braucht man diese wenn man das Thema Cuba bespricht. das ist ja schon jahrelang eine Quaelerei,ich fuerchte die werden uns noch klein kriegen,Nur wenn ich Yoanis Artikel lese fasse ich wieder Hoffnung. Hut ab vor ihrem Glauben und Zivilkourage!!!

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