Caravaggio’s Modelle

2011-09-27_michelangelo_caravaggio_narciso
Narziss starrt auf das Wasser, in dem sich sein eigenes Spiegelbild reflektiert, aber für kurze Augenblicke nimmt er in ihm auch das Aufblitzen einer Stadt mit zerfallenen Säulen und zerbrochenen, farbigen Kirchenfenstern war. Seit dem 23. September ist das Ölgemälde mit dem Jüngling der sich über einen See beugt, welches Michelangelo Merisi da Caravaggio zuzuschreiben ist, im Museum der Schönen Künste in Havanna ausgestellt. Der König der Hell-Dunkel-Malerei, dessen Pinsel sich in den Schatten ergötzte, hat diese Großstadt erreicht, in der es Sonne und Dämmerlicht im Überfluss gibt. Transportiert und überwacht wurde es von der Fluggesellschaft Blue Panorama, und zusammen mit 12 anderen Kunstwerken bildet es eine Ausstellung, deren Kuratoren Rossella Vodret und Giorgio Leone sind. Ein Bruchstück der italienischen Barockmalerei bei uns, ein Teil aus der Epoche in der ein streitsüchtiger und berühmter Künstler die Bedeutung von Licht in der Malerei für immer verändert hat.

Nach dem Kräfteverzehr im August bringt uns diese Kostprobe der Kunst das Gefühl zurück, wieder Teil der Welt zu sein. Die Studenten betrachten Narziss mit gierigen Augen, die Kuratoren des Museums spüren, dass dies eine einmalige Gelegenheit in ihrem Leben ist und die nächtlichen Strauchdiebe aus Havannas Altstadt fragen sich, warum so viel Wirbel wegen eines „Stücks bemalten Stoffs“ gemacht wird. Würde der ruhelose Mailänder – der mit nur 39 Jahren verstorben ist – sich den Staub der Jahrhunderte abschütteln und durch unsere Straßen laufen, würde er hier seine einstigen Modelle finden, dieselben Prototypen die ihm dazu dienten Jungfrauen und Heilige zu malen: die Prostituierten, die Bettler und die Andersartigen … und die Jungen, die von ihrer eigenen Schönheit geblendet sind. Caravaggio würde in dieser Stadt viele verträumte und gedankenverlorene Kubaner entdecken, die stets bemüht sind nicht über ihren eigenen kleinen Horizont hinaus zu blicken. Hunderttausende von Narzisse, Schutz suchend in dem Einzigen, was ihnen im Moment sicher erscheint: ihre Jugend, ihr Körper, ihre Schönheit.

Übersetzung: Birgit Grassnick

14 Gedanken zu „Caravaggio’s Modelle

  1. Natürlich ist das so, wie der Mitarbeiter vom Spiegel berichtet. Im Prinzip (!) haben wir in D. Pressefreiheit, in der Praxis oft Unfreiheit. Ganz oben im Himmel schreiben wir mit goldenen Buchstaben „Pressefreiheit“, doch zwischen Himmel und Erde herrschen die Interessen. Der Sozialismus -sagte man in der DDR und auch in Kuba – ist als Idee gut, keine Frage, aber die Menschen … die sind das Problem!

    Das Kleingedruckte ist oft das Gegenteil von der Überschrift. Aber immerhin kann sich der ehemalige Spiegeljournalist in den deutschen Medien dazu äußern, sich verteidigen. Und er ist nicht für die Ewigkeit „abgeschrieben“ und lebendig begraben. In Kuba wird zurzeit Pablo Milanés, einen der größten Liedermacher der spanischen Welt und Schöpfer der musikalischen Kulisse der Revolution, zerfezt, ohne dass er eine Chance hätte, seine Gedanken öffentlich darzulegen. In Kuba schreibt die Macht und nur die Macht, und youtube ist nur der Parteielite zugänglich.

  2. Ja, Ernesto, das finde ich gut: „Genauso wie hier in Deutschland …“. KUBANISCHE SCHEINFREIHEIT versus DEUTSCHE SCHEINFREIHEIT. 😉

    In Deutschland:
    Was, denkst du, beeinflusst das Abstimmungsverhalten unserer Bundestagsabgeordneten? Sind sie Ihrem Gewissen treu und stimmen im Sinne des deutschen Volkes?
    Ha, ein Schelm, der böses dabei denkt: http://www.netzpolitik.org/wp-upload/Parteispenden-in-Deutschland-labs.vis4_.net_1286353199644.png oder http://www.nebeneinkuenfte-bundestag.de/auswertungen/
    … und wie du schon selbst so schön sagst: „Wehe, dein (Partei-)Chef erfährt usw.“

    In Kuba:
    … dein Part … , aber ich schätze, das Prinzip ist das gleiche.

    Ich habe hier in einem anderen Zusammenhang schon einmal ein deutsches Sprichwort genutzt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Da ist man in Kuba weißgott nicht allein.

    Ich glaube, in und Verlogenheit unterscheiden sich unsere beiden Heimatländer nicht wirklich viel.

    Mir stellt sich vielmehr die Frage: Wie kommt es, dass man sich hier offensichtlich FREIER, weniger fremdgesteuert fühlt? Ich kann dieses Gefühl, wie es Yoani oft beschreibt, gut nachvollziehen. Diese platten Reden der Funktionäre, das Gewäsch und die Propaganda der Partei … die Reden heute scheinen in ihrer Sprache weniger totalitär, weniger dogmatisch – zugegeben.
    Aber: Ist es weniger perfide, wenn ich Menschen mit anderen (geschickter gewählten) Worten zu manipulieren suche?

    Und, lieber Ernesto, ich würde dich gern ermutigen (wenn ich das kann), uns an deinem Wissen teilhaben zu lassen. Vielleicht kann man ja auch, ohne kompromittierende Details preiszugeben, darüber schreiben, „wie man heute in Kuba tickt“. Mich würde es interessieren.

  3. Sehr zutreffend, Ernesto:
    „sagen kannst, dass du Angela Merkel Scheiße findest, aber wehe erfährt dein Chef auf Arbeit, dass du ihn für einen Idiot hälst“

    Der Kapitalismus schafft die Represion nicht ab, er privatisiert sie nur.

    Zum ideologischen Diskurs: kannst du dir einen Handelsblatt Journalisten vorstellen, der die Verstaatlichung des Finanzwesens vorschlagen würde?
    (die linke Blätter tuen es schon, nur die haben kein Einfuluss und keine Sposoren).

    Was die Yoani will, ist ein Medienzirkus in Kuba wie ein Regenbogen, aber hinter der Kulissen 300 Familien, die die Volkswirschschaft beherrschen. Beispiele einer solcher „Befreiung“ sind von Mecklenburg bis nach Vladivostok ausreichend vorhanden.

  4. @Ricardo
    Loben und applaudierren ist immer noch auf der Tagesordnung in Kuba, vor allem wenn es um das Große und Ganze geht. Ich weiß das aus ersten Quelle, weil ich immer noch viele Freunde dort habe, die ideologisch wichtige Funktionen ausüben. Wir halte ständig Kontakt, treffen uns wenn ich dort zu Besuch bin und reden unter vier Augen. Der ideologische Diskurs in Kuba hat sich kaum geändert, sie müssen das Gleiche prägiden, was sie (wir) vor 25 Jahre geprädigt haben. Ich kann leider keine Details hier schreiben, so gern ich das tun möchte.

    Und solche „kritische Beiträge“ kenne ich auch von früher. Solange keine Systemkritik ausgeübt wird, ist alles in Ordnung. Sie brauchen ja Sündenböcke für das gemeine Volk. Das schimpfen auf die Burokraten, Funktionäre und Technokraten war immer usus der Revolution. Das ist die Oberfläche, die Scheinfreiheit, die sie pflegen müssen. Genauso wie hier in Deutschland, wo du vor laufenden Kamera sagen kannst, dass du Angela Merkel Scheiße findest, aber wehe erfährt dein Chef auf Arbeit, dass du ihn für einen Idiot hälst.

  5. @Ernesto
    Was du über über „loben und applaudieren“ schreibst das war mal, unter Fidel.
    Die Zeiten haben sich geändert. Und die Presse auch.
    Hast du gestern über Michkatastrofe in Camagüey gelesen?

    Ist das „loben und applaudieren“?

    El periódico oficial Granma denunció este lunes incumplimientos en la producción de leche en la provincia oriental de Camagüey, con una fuerte tradición ganadera en Cuba, que atribuye a las “chapucerías”, el “descontrol” y la “falta de previsión”, entre otras causas.

    “Todo parece indicar que las justificaciones, las explicaciones absurdas y las promesas han pasado a formar parte del arsenal con que cuentan algunos empresarios y cuadros administrativos para salir del paso,(…), o para evadir su cuota de responsabilidad ante un desliz o incumplimiento en el orden productivo”, señala el rotativo.

    Señala que esa “pareciera ser la táctica a seguir por aquellos de cuyas decisiones depende la buena marcha de la actual campaña lechera en Camagüey”.

    El periódico recuerda que esa producción estuvo “enmarañada primero por las afectaciones reales de una intensa y prolongada sequía”, pero opina que ahora está “entorpecida” por “las chapucerías, el descontrol y la falta de previsión, para chapotear, una y otra vez, en las mismas insuficiencias”.

    Read more: http://www.elnuevoherald.com/2011/10/03/1037326/produccion-de-leche-en-picada.html#ixzz1ZpiTRCGr

  6. @ab-ovo
    Ich glaube, aus lautem Groll zur westlichen Demokratie, verstehst du mich falsch und verdrehst meine Intention. Ich habe nie behauptet, dass unsere deutschen Medien regierungsneutral berichten. Als politisch gebildeter Mensch weißt ich sehr gut, dass auch bei uns in der Demokratie tabuisierte Bereiche gibt, dass wir uns in der Ausübung unserer Freiheit nur innerhalb eines Korridors bewegen dürfen. Wehe einer verlässt das Korridor der politischen Korrektheit und sagt, was alle wissen und keiner äußern darf … Horst Köhler lässt grüßen. Als nächster ist Rösler dran – Wollen wir wetten?

    Ich habe nur Ricardo erinnert, dass in den kubanischen Medien (!) nicht mal eine Regierungsneutralität geduldet wird. Das heißt im Klartext: Als Journalist kannst du dich der Propaganda nicht entziehen, du musst ständig loben und applaudieren – ohne Beifall kein Preis. Am Ende muss immer der Sozialismus siegen und der Imperialismus das absolute Böse verkörpern.

    In Kuba, lieber ab-ovo, gibt es nur Schwarz und Weiß. Hier gibt es wenigstens grau, rot und leider sogar braun. Im Land, wo ich geboren bin, gibt es kein Korridor der Freiheit. Da gibt nur einen ideologischen Pfad, den du als Journalist stramm zu gehen hast. Wer nicht marschiert fliegt raus.

  7. Ob Kuba von Informationen anderer Länder abgeschnitten ist? Ich glaube schon, weitgehend, nicht total.

    Kuba befindet sich im Kalten Krieg mit der USA. Die USA betreiben und finanzieren antikubanische Propaganda. Granma betont nur das schlimmste aus der USA (Morde in der Schulen, 40 Millionen ohne Krankenversicherung) und Radio Marti das schlimmste aus Kuba (Keine Privatpresse, Ausreiseeinschränkungen, Korruption).

    Für uns, Europäer, nix neues.

    Die BRD war von der DDR auch abgeschnitten. Man könnte in der BRD kein DDR Fernsehen empfangen. Man dürfte damals überhaupt kein Privat Radio oder TV betreiben. Das waren die Gesetze des kalten Krieges. Auf dem Bahnhofskiosk könnte man nie eine DDR Zeitung kaufen. Sie waren ofiziel nicht verboten (eine USA Zeitung ist in Kuba auch nicht verboten und reisende Kubaner bringen sie nicht selten nach Kuba zurück), nur für die breite Schichten gab es sie nicht.

  8. @Ernesto: Du willst uns hier nicht allen Ernstes erklären, die Berichterstattung hierzulande sei regierungsneutral? Wo bitte in unseren Sendern wurde und wenn wie von den Ereignissen in Spanien, Portugal, Griechenland … bis hin zu den jüngsten Ereignissen der Wall Street berichtet?

    Wo bitte habe ich von unseren öffentlich-rechtlichen oder gar privaten Rundfunkanstalten diese Fotos gesehen, die das wahre Ausmaß der Wut der Menschen gegen derzeitige Zustände beschreiben. Hier nur ein paar wenige Beispiele:

    Griechenland: http://cryptome.org/info/greece-protest4/greece-protest4.htm

    Spanien: http://lunareclipselive.blogspot.com/2011/05/alternative-media-latest-spain-protest.html (upps, da war doch mal was!!! hat man wohl aus „gutem“ Grund entfernt) … dann eben hier: http://ueberwachungsbuerger.wordpress.com/2011/05/19/puerta-del-sol-viva-la-revolucion-blindheit-der-medien/

    Soll ich weitermachen mit den „Randalierern“ und dem „gewalttätigen Mob“ in Londons Problemviertel in Trottenham in Frankreichs Vororten großer Städte? … Die Berichterstattung hier wie andernorts in den sogenannten Demokratien erfolgt doch wenn überhaupt, dann immer im gleichen Duktus. Dann sind es die faulen Griechen, die über ihre Verhältnisse leben, die gewaltbereiten… ICH KANN’S NICHT MEHR HÖREN!!!
    Die Liste s. o. könnte unendlich fortgesetzt werden, wie du sicher weißt.

    Die Perfidität unserer Politik(er) in den ach so demokratischen Ländern kennt, so scheints, keine Grenzen mehr. Ich wünschte mir, dass endlich genügend Leute weltweit aufstünden und ihren Staatsregierungen den blauen Brief unter die Nase hielten.

    Und was Ricardo zuweilen bei Yoani (für meine Begriffe zurecht) anmahnt, ist ein Stück mehr Weitsicht, die man erwarten kann auch wenn man hinter einem (nicht ganz undurchlässigen) Vorhang wie Yoani lebt, zumal sie auch andere Seiten kennengelernt hat in ihrem Leben und sie in der Zeit, in der sie nicht auf Kuba war, die Verlogenheit anderer Systeme kennenlernen durfte.

  9. @Ricardo
    Cuba ist wirklich von der Welt abgeschnitten – das ist kein übliches Jammer der Kubaner, sondern eine Realität. Die Berichterstattung in Kuba ist einseitig und ideologisch zum Einheitsbrei filtriert. Die Partei hat absolutes Monopol über die Medien und lässt nicht mal eine regierungsneutrale Betrachtungsweise zu. Aber so eine Art von Nachrichten wird sie schon im Noticiero Nacional erhalten, mehr als ihr lieb ist! Du sollst ihr lieber über die Repressionen in Syrien berichten. Am besten auf Spanisch und per sms. Vielleicht begreift sie dadurch, dass die Repression in Kuba eigentlich ein lächerliches Kinderspiel ist, im Vergleich zu dem, was anderswo stattfindet.

  10. Yoani, du beklagst dich, dass die Damas de Blanco up und zu festgenommen werden und auch von der Weltnachrichten abgeschnitten zu werden.

    Dann schreibe ich dir diese Nachricht: CUBA NO ESTA SOLA. In New York wurden an einem Tag, 1. Oktober, 700 Demonstranten festgenommen. Die Polizisten in weissen Hemden sind dort besonders brutal.

    Und zu der Zensur gibt es auch Nachrichten, schau mal wie innert 20 Minuten THE NEW YORK TIMES die Nachricht zu der Festnahmen geändert hat: http://october2011.org/blogs/kevin-zeese/nyc-white-shirt-police-commanders-entrap-occupy-wall-street-arrest-500-join-occupy

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