Eine alte Frau geht mit einem Schild um den Hals den Paseo del Prado entlang. Es ist in blauer Tinte von Hand geschrieben und bietet eine „2-Zimmer-Wohnung in Cerro“ im Tausch gegen etwas Ähnliches im Stadtteil Playa. Seit sieben Uhr morgens kommen Leute an den Ort mit Vorschlägen, eine Wohnung gegen eine andere zu tauschen, in einem Land, in dem das Kaufen und Verkaufen von Wohnungen immer noch verboten ist. Man sieht auch Zwischenhändler, bekannt als „Vermittler“, die dort vermehrt auftauchen, wo man nicht mit Immobilien handeln kann, wo öffentliche und legale Anzeigen zum Wohnungsmarkt verteufelt werden.
Eine der schwierigsten Fragen, die mir meine Spanischschüler stellen, während ich ihnen die baufällige und eigentümliche Stadt, in der ich geboren wurde, zeige, ist die Frage: „Was für Menschen leben in bestimmten Häusern oder Stadtvierteln?“ Ich versuche ihnen zu erklären, dass eine Frau, die ihren Lebensunterhalt als Putzfrau bestreitet, ebenso in einer Villa in Miramar leben kann, wie ein Chirurg in einer Bruchbude ohne fließendes Wasser. Wahrscheinlich fällt in dem großen Haus dieser Frau das Dach in sich zusammen und ihr Garten ist ein Durcheinander aus Gestrüpp und verrosteten Eisenteilen, da ihr Lohn nicht ausreicht, um so viele Quadratmeter zu erhalten. Der Arzt hat, dank seiner illegalen Geschäfte mit Brustimplantaten, inzwischen Kapital angehäuft; aber er kann auf legale Weise keine seinen Möglichkeiten entsprechende Wohnung bekommen. Also gelangen die bescheidene Putzfrau und der Arzt zu einer Einigung, überschreiten das Gesetz und beschließen, ihre Wohnsitze zu tauschen. Um das zu erreichen, bestechen sie drei oder vier Beamte der Wohnungsbehörde. Ein Jahr später erfreut er sich an seinem Rasen, der von Bougainvilleas umgeben ist und sie an tausenden von konvertiblen Pesos, die sie für das „Sich Verkleinern“ erhalten hat.
Tausende von Kubanern planen gerade etwas Ähnliches, sodass sie beim Lesen des Punktes 278 der Leitlinien des VI. Kongresses der Kommunistischen Partei Kubas, wohl erleichtert aufgeatmet haben. Laut diesem gelten „flexible Regeln für den Tausch, Kauf, Verkauf und das Anmieten von Wohnräumen“. Viele interpretieren das als erhobene Flagge auf dem Immobilienmarkt und hoffen, dass das Verkaufen und Erwerben von Häusern erlaubt sein wird. Ich gestehe, dass ich meine Vorbehalte habe. Ich glaube nicht, dass unsere Behörden bereit wären, die dann sofort folgende Umverteilung zu akzeptieren, die diese Stadt und das ganze Land erleben würden, wenn die Leute selbst entscheiden dürften, was sie mit ihrem Eigentum machen. Ein paar Monate nach der Entscheidung für solche Maßnahmen, werden die sozialen Unterschiede zum Vorschein kommen, die sich heute hinter einer heruntergekommenen Villa oder einer mit Elektrogeräten überfüllten Bruchbude verstecken. Die wachsende Ungleichheit, die die staatliche Heuchelei versucht hat zu verbergen, wird dann umso stärker ans Tageslicht kommen.
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Übersetzung: Valentina Dudinov
In den Tweets schreibt Yoani von der Jugend Kubas. Sie schreibt unter anderem auch von Selbstmorden.
Gibt es denn darüber Zahlen oder sind es „gefühlte Zahlen“ durch Erzählungen?
Wenn Jugendliche oder Kinder sich umbringen, dann ist es wirklich schlimm! Wie wird in dem Land damit umgegangen?
Weiß jemand mehr über das Thema?
Zum Jahresende ein Vierzeiler von Erich Kaestner:
„Es ist ein Verhaengniss!
von der Empfaengniss
bis zum Leichenbegaengniss,
Nichts als Bedraengniss!!!
Hoffen wir dass es im Jahr 2011 nicht so sein wird!!
@Ernesto
Sehr schön has du es mit mit „biologischem chip“ beschrieben. Du machst Yoani Konkurenz.
Ein wirklich schöner Artikel von Yoani. Ich musste an meine Zeiten in Kuba denken. Danke Yoani für die Erinnerung an „El parque de las mentiras“ (Park der Lügner) in meiner Geburtsstadt.
Dort gibt es einen Park, wo jeden Donnerstag, ab ca.9 Uhr, die Wohnungsbörse der dort lebenden Menschen stattfindet. Man geht dahin und versucht, mit den anderen ins Gespräch zu kommen. Wenn du einmal mit jemandem gesprochen hast, und dabei reichlich deine Wohnung gelobt hast, gibt es keinen Halt mehr. Du bist im Umlauf. Diese Person, mit der du gesprochen hast, erzählt dem nächsten von dir und von deinem Palast. Deine „Lügengeschichte“ verbreitet sich innerhalb weniger Minuten mit sagenhafter Geschwindigkeit. Was dort erzählt wird, bekommt schnell lange Beine. Und es gibt wirklich Leute, die überall federführend dabei sind. Sie agieren wie eine lebende Datenbank, sie katalogisieren alle Wohnungsangebote und Tauschwünsche mit Sorgfalt. Ein Papierfetzen und ein Bleistift, um die Adresse zu notieren, reichen dafür völlig aus. Sie hören sich jede Geschichte an und speichern sie auf ihrem biologischen chip. Für Vermittlungsdiente kassieren sie meistens etwas „Kleingeld“ (Un menudito). Doch einige machen das nicht für Geld, sondern aus Freude an der Kommunikation, aus Nächstenliebe oder einfach aus purer Lust am Tratschen.
In meiner Stadt gab eine dicke blonde Frau, etwas obszön, die als „Maria Permuta“ jedem bekannt war. Sie verlangte kein Geld für ihre Dienste. Sie war der Meinung, wenn sie dir einen Preis nennt und dafür Geld von dir verlangt, dann gelingt die Permuta (Wohnungstausch) nicht, platzt die Seifenblase unerwartet. Die Leute brachten ihr ein Dankeschön-Präsent als Anerkennung ihrer Dienste und gut war es: Ein Päckchen Kaffee, eine Kernseife, eine Schachtel Zigaretten oder, wenn sie besonders erfolgreich war, einen lebenden Huhn.
Kubanische Permutas sind echte Seifenblasen. Sie sind immer von Lügen und Übertreibungen schrill gefärbt, und meistens platzen sie gerade dann, wenn sie richtig bunt und groß aufgeblasen sind. In einer Permuta sind in der Regel mindestens 3 Parteien involviert. Die Permutas neigen dazu, ihren Wirkungskreis täglich zu erweitern. Am Ende bestehen sie fast immer aus 5 bis 7 (!!!) Parteien. Dabei muss jemand den Überblick behalten und die Truppe bei Laune halten, denn wenn eine Partei abspringt, fällt das ganze Konstrukt wie ein Turm aus Dominosteine zusammen.
Mein Gott, was hat meine Mutter jedes Mal gelitten, wenn sie vor den Trümmern ihrer Träumen stand!
Habt ihr gelesen Wikileaks vom 17.12?
US Botschaft über die Dissidenten: in Kuba unbekannt, zerstritten (unter sich und mit Miami-Kubanern), egoistsch und ohne Vision:
http://213.251.145.96/cable/2009/04/09HAVANA221.html
Wie viel einfacher wären die permutas mit Internet…
Wovon hast du Angst, Ramiro?
Naja, bei allem Respekt, aber das Beispiel war kein allzugutes. Machen Sie trotzdem weiiter ! Viel Erfolg und möge Ihr Mut dazu beitragen ein besseres System auf Kuba zu erreichen !