Havanna, im Jahr Null

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Für den größten Teil der Bevölkerung ist das Leben ein täglicher Kampf ums Überleben. (14ymedio)

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YOANI SÁNCHEZ | La Habana | 17. April 2018  

Meinte Mutter wurde unter dem Castro Regime geboren, ich wurde unter dem Castro Regime geboren und auch mein Sohn wurde unter dem Castro Regime geboren. Mindestens drei Generationen Kubaner haben unter der Führung von zwei Männern mit dem gleichen Namen gelebt. Diese Uniformität ist kurz davor sich am kommenden 19. April*) aufzulösen, nämlich dann, wenn der Name des neuen Präsidenten öffentlich bekannt gegeben wird. Egal, ob er den Status quo beibehält oder Reformen anstrebt – die Machtübernahme stellt ein historisches Ereignis dar: das Ende der Ära Castro auf der Insel.

 Obwohl sich dieser Tag, den es so in den letzten 50 Jahren noch nicht gegeben hat, nähert, ist die Erwartungshaltung in den Straßen von Havanna extrem niedrig. Und das in einem Land, das kurz vor einer bedeutenden Veränderung der Nomenklatur steht, die in einigen Tagen beginnen könnte.

 Diese Gleichgültigkeit basiert auf mindestens drei Faktoren. Der erste ist die bedauerliche wirtschaftliche Lage, die den größten Teil der Bevölkerung an den täglichen Kampf ums Überleben fesselt. Politische Hirngespinste oder Prophezeiungen von einer besseren Zukunft werden von anderen, dringenderen Bedürfnissen verdrängt: etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen, zur Arbeit und zurück zu kommen, oder zu planen, sich in Richtung anderer Breitengrade davonzumachen.

 Der zweite Grund für so viel Antriebslosigkeit, hat mit dem Pessimismus zu tun, der aus dem Glauben heraus resultiert, dass sich auch mit einem neuen Gesicht auf den offiziellen Fotos nichts ändern wird, weil die Gerontokratie in Form einer gehorsamen und streng kontrollierten Marionette weiterhin die Kontrolle behalten wird. Der dritte Grund für diesen Überdruss resultiert daraus, dass man weder andere Szenarien kennt noch Anhaltspunkte hat, um sich vorzustellen, dass es ein Leben nach der sogenannten „historischen Generation“ geben könnte.

 Anstelle von Menschen, die Fahnen auf den Plätzen schwingen, begeisterten Jugendlichen, die Parolen rufen oder epische Fotos machen, nimmt man überall ein Gefühl von Ermüdung wahr.

 Dieses fatale Gefühl, dass alles so bleiben wird wie es momentan ist, stellt die direkte Folge von sechs Jahrzehnten dar, in denen zuerst Fidel Castro und dann Raúl Castro die Insel kontrollierten, ohne dass sie jemand in den Schatten hätte drängen können oder ihre Autorität in den höchsten Regierungskreisen in Frage gestellt hätte. Durch die Tatsache, dass sie stets am Steuerrad des Staatsschiffs standen, die Opposition in die Knie zwangen und andere charismatische Führer eliminierten, haben sich beide Brüder während dieser Zeit als ein beständiger und unverzichtbarer Teil der nationalen Geschichte erwiesen.

 Mehr als 70% der Kubaner wurden nach jenem Januar 1959 geboren, in dem eine Gruppe bärtiger Männer bewaffnet und lächelnd in Havanna einfiel. Unmittelbar darauf stellten die Schulbücher, alle Pressemedien sowie die Regierungspropaganda diese „Revolutionäre in olivgrün“ als Väter des Vaterlands – als Heilsbringer und Erlöser des Volkes dar, die das Land gerettet hatten. Sie verbreiteten die Idee, dass Kuba identisch sei mit der kommunistischen Partei, mit der offiziellen Ideologie, sowie mit einem Mann namens Castro.

 Jetzt ist die Biologie kurz davor, diesem Kapitel der Geschichte ein Ende zu machen. Der kubanischen Kalender könnte jetzt mit dem Jahr null beginnen, also neu anfangen. Anstelle von Menschen, die Fahnen auf den Plätzen schwingen, begeisterten Jugendlichen, die Parolen rufen oder epische Fotos machen, nimmt man überall das Gefühl von Ermüdung wahr. Ein abweisendes Verhalten von Millionen von Menschen, deren Enthusiasmus nach einer sehr langen Zeit des Wartens verkümmert ist.

           Übersetzung: Berte Fleißig

Anmerkung der Übersetzerin:
*) Yoani Sánchez publizierte diesen Text zwei Tage vor der Wahl von Miguel Díaz-Canel zum neuen Präsidenten Kubas.
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Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf der lateinamerikanischen Seite veröffentlicht.

Information als Verrat

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„Für die reaktionäre kubanische Regierung sind alle Katzen grau“. (EFE)

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YOANI SÁNCHEZ | Generación Y | 14. Oktober 2016 Die Ruhe ist nichts für autoritäre Regime. Sie brauchen den Schrecken, der sich unter den Bürgern breit macht, damit sie nach Herzenslust regieren können. Diese Angstszenarien haben sich auf Kuba in den vergangenen Monaten immer mehr zugespitzt, in denen die Regierung ihren Konfrontationskurs verschärft oder neu aufgenommen hat: gegen die Opposition, gegen die Selbstständigen, gegen jene Jugendlichen, die ein Stipendium in den Vereinigten Staaten anstreben und speziell gegen die unabhängige Presse.

Die Kriegstrommeln werden gerührt und der Hauptfeind wird diesmal von jenen Journalisten verkörpert, die nicht den staatlichen Medien angehören und die von dem Schaden berichten, den der Hurrikan Matthew verursacht hat. Die Regierung stellt sich dem entgegen und sagt, „private Stellen oder solche, die ganz offen der Kontrarevolution dienen“ gäben ein „Bild, das nicht nur der Realität fremd ist, sondern diese sogar verfälscht”, wie es aus einem Artikel hervorgeht, der diesen Donnerstag in der Granma veröffentlicht wurde.

Der Text mit dem Titel Matthew: Humanismus, Transparenz und Manipulation ist nur ein weiteres Scharmützel, um den Konflikt der vergangenen Wochen weiter eskalieren zu lassen, bei dem es um die Publikationen geht, die sich der Parteikontrolle entziehen. Das Neue daran ist, dass dieser Angriff auf bestimmte Bereiche der unabhängigen Presse zielt, die hart dafür gekämpft haben, nicht in den „Sack der Feinde” gesteckt zu werden.

Die Offensive, die gerade gegen sie geführt wird, zeigt sich bei den Verhaftungen von Mitgliedern des lokalen Nachrichtenblogs Periodismo de barrio und seiner Direktorin Elaine Díaz, aber auch bei der wiederholten Androhung auf eine mögliche Ausweisung, die sich gegen Fernando Ravsberg richtet, sowie den Sanktionen gegen den Journalisten José Ramírez Pantoja aus Holguín. Das beweist doch, dass für die reaktionäre Regierung alle Katzen grau sind, oder was das Gleiche ist: Der Journalist, der nicht mit der genügenden Begeisterung Beifall klatscht, ist ein Verräter.

Was gerade passiert, ist das Aufeinanderstoßen zweier Epochen

Der offizielle Angriff hat es sogar bis in den Bericht geschafft, den das „Komitee zum Schutz der Journalisten“ (CPJ) herausgab und in dem es um die Situation der Presse auf Kuba geht. Eine Studie, an der Ernesto Lodoño mitgearbeitet  hat, Journalist der Zeitung The New York Times, deren Verlagshäuser das Auftauen der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten befürworten und sogar bis vor kurzem deswegen von unserer staatlichen Presse gelobt wurden.

Jetzt… haben sie uns alle in den gleichen Sack gesteckt.

Es nützt den neuen Opfern überhaupt nichts, sich von denjenigen zu distanzieren, die durch die offizielle Propaganda in Fernsehprogrammen, zur Hauptsendezeit, stigmatisiert worden sind. Es wird wenig bringen, dass die Attackierten sich nun – aufgrund des Staatsgrolls – von der unabhängigen Presse, die in den 90ern entstanden ist, lossagen. Und genauso wenig nützt es, wenn sie die „konfliktiven“ Blogger oder Dissidenten verfluchen und öffentlich zusichern, dass sie von einer linksgerichteten Ideologie geleitet werden.

Nichts von all dem zählt. Denn was gerade passiert, ist das Aufeinanderstoßen zweier Epochen. Eine davon war diejenige, in der die Kommunistische Partei Kubas sämtliche Informationen nach Lust und Laune kontrollieren, manipulieren und über ihre Veröffentlichung entscheiden konnte. Jene Zeiten, in denen wir erst Wochen später vom Fall der Berliner Mauer erfuhren, und die Bilder von den Unruhen in Havanna im Jahr 1994 auf den Titelseiten der nationalen Zeitungen unterdrückt wurden. Diese Epoche stirbt gerade und eine andere wird geboren; dank neuer Technologien und dass sich viele Journalisten der Wahrheit verpflichtet fühlen, sowie dem wachsenden Verlangen der Kubaner nach Information.

 Ist der Parteistempel nicht darunter gesetzt, wird jeder Versuch, Berichterstattung zu betreiben, als eine Kriegserklärung verstanden.

Trotzdem, für die Regierung, die daran gewöhnt ist, jeden Titel festzulegen und die Direktoren von Zeitungen, TV-Sendern und Nachrichtenprogrammen per Fingerzeig zu ernennen, ist es nicht wirklich wichtig, ob ihr neues „Objekt der Abscheu“ eine Modezeitschrift, ein Sportmagazin oder ein Nachrichtenprogramm ist. Ist der Parteistempel nicht darunter gesetzt, wird jeder Versuch, Berichterstattung zu betreiben, als eine Kriegserklärung verstanden.

Solange die kubanischen Journalisten nicht einsehen, dass sie sich – jenseits redaktioneller Nuancen, Phobien oder Ideologien – vereinigen und gegenseitig schützen müssen, solange wird der Regierungsapparat weiterhin solche Schläge austeilen. Er wird verteufeln, verhaften und die Arbeitsutensilien jener Reporter konfiszieren, die nicht auf seiner Gehaltsliste stehen – ganz egal, ob es sich bei der Berichterstattung um die Migration von Greifvögeln handelt oder um die gezielten Aktionen von öffentlicher Demütigung gegen die Opposition.

Auf Distanz zu gehen führt im Moment einzig und allein dazu, dass die Gegenmächte der Informationsfreiheit uns zerstören. Getrennt sind wir lediglich Journalisten, die der Willkür der Regierung ausgeliefert sind; zusammen aber bilden wir ein starkes und notwendiges Gremium.

Mag dieser Text dazu dienen, meine Solidarität all jenen Kollegen auszusprechen, die sich heute im Auge des Hurrikans der Repression befinden, ganz unabhängig von der Linie ihres Verlags, ihrem Arbeitsfokus oder der Farbe ihrer Träume, die sie für unser Land hegen.

Übersetzung: Nina Beyerlein

Ein Spitzenkoch im 14. Stock

José Andrés

Der Spitzenkoch José Andrés kocht in der Redaktion von 14ymedio. (14ymedio)

Generación Y, Yoani Sánchez, 18. April 2016 José Andrés kam zum besten und gleichzeitig schlechtesten Zeitpunkt des Jahres in Havanna an. Einer der berühmtesten Spitzenköche der Welt klopfte genau an dem Tag an die Tür der Redaktion von 14ymedio, als Barack Obama sich vom kubanischen Volk verabschiedete. Die Unterversorgung der Märkte war kein Hindernis, sondern ein Anreiz für diesen Asturier, der nicht zwischen den glamourösen Küchen in Washington und einem Lagerfeuer im verarmten Haiti unterscheidet.

In seinen Händen wird jede Zutat zu purer Magie. „Welche Zutaten haben Sie da?“, fragte er. Die Antwort spiegelte diese Phase leerer Regale in den Läden wieder. Dennoch besteht die Kunst des Kochens eben genau darin, das zu kombinieren, was zur Verfügung steht. Es ist die Fähigkeit, die wenigen Zutaten, die man zur Hand hat, in einen Genuss für den Gaumen zu verwandeln.

Auf Kuba muss man statt Koch eher Alchemist sein, um ein leckeres Gericht zaubern zu können.

Hier in unserer Nachrichtenredaktion war er nun, dieser Paracelsus des Herdes. „Welche Zutaten haben Sie da?“, fragte er erneut. Sehr wenige. Seit Anfang des Jahres ist es schwierig, auch nur einen Kohlkopf oder ein Pfund Hühnchen zu kaufen. Ein Grund dafür sind die kontrollierten Preise, die die Regierung auf vielen Agrarmärkten eingeführt hat. Noch dazu mangelt es in den Läden an Waren, die man in Peso Convertible bezahlen kann. José Andrés sah im Regal ein Päckchen mit russischem Hafer, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum seit 2010 überschritten ist, und seine Augen strahlten. „Daraus werden wir etwas machen“, meinte er stolz.

Er mischte Zutaten – einige davon hatte er unter der Hand auf den Straßen Havannas gekauft – briet an, rührte um und kam anschließend mit dampfenden und einzigartigen Gerichten aus der Küche. Der großartige Spitzenkoch war bis hoch in den 14. Stock gekommen, um ein unvergessliches Mahl an einem historischen Tag zuzubereiten.

Übersetzung: Lena Hartwig

Ein eher symbolischer als politischer Besuch

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Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, spricht mit seinem kubanischen Amtskollegen, Raúl Castro. (Weißes Haus)

Generación Y, Yoani Sánchez, 18. Februar 2016 Als das letzte Mal ein Präsident der Vereinigten Staaten Kuba besuchte, war das Kapitol von Havanna noch nicht eingeweiht worden, der herausragende Pitcher José de la Caridad Méndez* lag im Sterben und meine Großmutter war ein kleines Mädchen mit zerzaustem Haar und einem durchdringenden Blick. Es gibt niemanden mehr, der sich an diesen Moment erinnern und ihn aus erster Hand nacherzählen kann, und deshalb wird der Besuch Barack Obamas auf der Insel zu einer völlig neuen Erfahrung für uns Kubaner werden.

Wie werden die Menschen reagieren? – Mit Freude und Begeisterung. Auch wenn der Präsident eines anderen Staates nur wenig tun kann, um ein Land, dessen Bevölkerung eine Diktatur zugelassen hat, zu verändern, so wird sein Besuch dennoch eine große symbolische Wirkung haben. Niemand bestreitet, dass der Bewohner des Weißen Hauses unter den Kubanern beliebter ist, als der in die Jahre gekommene und wenig charismatische General, der die Macht aufgrund seiner familiären Herkunft geerbt hat.

Sobald das Flugzeug des Präsidenten kubanischen Boden berührt, wird die Politik der Abschottung, die die Regierung über ein halbes Jahrhundert so geschickt aufgebaut hat, einen irreversiblen Einschnitt erleben. Zu sehen, wie Raúl Castro und Barack Obama sich in Panama die Hand reichen, ist nicht das Gleiche wie ein Treffen auf einem Territorium, das vor kurzem noch voller Plakate gegen „das Imperium“ und voller öffentlichem Spott über Uncle Sam war.

Das Regierungsoberhaupt der Vereinigten Staaten kann Kuba nicht verändern und es ist auch besser, wenn er es überhaupt nicht versucht, denn für das Unrecht in unserem Land sind wir selbst verantwortlich.

Die Presse der Kommunistischen Partei wird äußert geschickt vorgehen müssen, um den offiziellen Empfang des Oberbefehlshabers der Streitkräfte des „Feindes“ vor uns zu rechtfertigen. Die militantesten Anhänger der Regierung werden sich verraten fühlen und es wird ans Licht kommen, dass sich hinter einer vermeintlichen Ideologie nur das Ziel verbirgt, sich mit den typischen Strategien politischer Chamäleons an der Macht festzukrallen.

Auf den Straßen werden die Menschen dieses unerwartete Ereignis mit Begeisterung erleben. Für die Schwarzen und Mestizen unter uns ist dies eine klare und direkte Botschaft in einem Land, in dem die Macht in den Händen einer weißen Gerontokratie liegt. Diejenigen, die ein T-Shirt oder ein Plakat besitzen, auf dem das Gesicht Obamas abgebildet ist, werden es an diesen Tagen zur Schau stellen und somit die Nachlässigkeit der Regierung ausnutzen, und der Geist Fidel Castros wird in diesen Tagen in seinem bewachten Refugium in Havanna noch ein bisschen mehr sterben.

Das Bier „Presidente“** wird aus den Lokalen verschwinden, wo man laut den Satz „Gib mir noch zwei Obamas!“ hören wird und die Standesämter werden in dieser Woche zweifellos einige Neugeborene mit Namen wie „Obamita de la Caridad Pérez“ oder „Yurislandi Obama“ in das Geburtenregister eintragen. Pepito, der kleine Junge aus den kubanischen Witzen, wird für diesen Anlass ein paar neue Scherze in Umlauf bringen und die Ramschverkäufer werden Produkte, mit dem Bild des ehemaligen Anwalts und den fünf Buchstaben seines Namens anbieten.

Trotzdem ist eines klar, über einen kurzlebigen Enthusiasmus hinaus kann das Regierungsoberhaupt der Vereinigten Staaten Kuba nicht verändern und es ist auch besser, wenn er es überhaupt nicht versucht, denn für das Unrecht in unserem Land sind wir selbst verantwortlich. Dennoch wird seine Reise einen großen und langanhaltenden Einfluss ausüben und er sollte die Gelegenheit nutzen, um eine laute und deutliche Botschaft über die Mikrophone zu vermitteln.

Seine Worte sollten sich an die jungen Menschen richten, die aus Verzweiflung in Gedanken schon ein Floß aufrüsten, um aus dem Land zu fliehen. Ihnen muss man zeigen, dass unser Mangel an Gütern und Moral nicht die Schuld des Weißen Hauses ist. Die beste Möglichkeit für Barack Obama auf die Geschichte Kubas einzuwirken, besteht darin unmissverständlich klar zu machen, dass die Verantwortlichen unseres Dramas auf dem Platz der Revolution von Havanna zu finden sind***.

Anmerkung. d. Übers.:

*José de la Caridad Méndez, auch bekannt als der „schwarze Diamant“ (el diamante negro) war ein kubanischer Pitcher, der in seiner Heimat zu einer Legende wurde und sowohl in die kubanische als auch in die US-amerikanische Baseball Hall of Fame aufgenommen wurde. Er starb am 31 Oktober 1928 in Havanna an Tuberkulose.

** Das Bier „Presidente“ (la cerveza Presidente) ist eine Biermarke aus der Dominikanischen Republik, die von Kuba importiert wird, um die eigene, unzureichende Produktion auszugleichen.

*** Die Plaza de la Revolución (Platz der Revolution) ist ein öffentlicher Platz in Havanna, Kuba und wurde durch die kubanische Revolution bekannt, während der die Regierung Batistas gestürzt und durch die von Fidel Castro abgelöst wurde.

Übersetzung: Anja Seelmann

 

Der tödliche Kuss der kontrollierten Preise

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Die offizielle Presse schreibt die Verantwortung für die hohen Preise vieler Nahrungsmittel den privaten Produzenten zu. (14ymedio)

Generación Y, Yoani Sánchez, 04. Januar 2016 Ich war zehn Jahre alt, als Fidel Castro die wirtschaftliche Schlacht eröffnete, die er „Berichtigung von Fehlern und negativen Tendenzen“ nannte. Die Wut des Máximo Líder (Größter Führer) traf damals die privaten Bauern und die Zwischenhändler, die mit deren Produkten Handel betrieben. Die Plaza de Cuatro Caminos in Havanna, die auch unter dem Namen Mercado Único (Einziger Markt) bekannt ist, wurde von Offizieren gestürmt und nach dieser Razzia verschwanden Zwiebeln, Bohnen, die pfeffrige Paprika und sogar die Malanga, eine essbare Knolle eines Aronstabgewächses, aus unserem Leben.

Fast ein Jahrzehnt später, als das Land mit seiner Unterversorgung und der Lebensmittelknappheit seinen Tiefstand erreichte, gestattete die Regierung erneut die privaten Bauernmärkte. Als ich mich zum ersten Mal einem Stand näherte und einen Zopf Knoblauch kaufte, ohne mich dabei verstecken zu müssen, war es, als ob ich einen Teil meines Lebens zurückbekommen würde, den sie mir genommen hatten. Jahrelang mussten wir auf illegale Märkte zurückgreifen, auf die Unsicherheit des Schwarzmarktes, um ein Pfund Bohnen oder Kreuzkümmel zu kaufen, mit dem man das Essen würzen konnte.

Die Rückkehr dieser Bauernmärkte war jedoch nicht frei von Angriffen und Feindseligkeiten von Seiten der Regierung. Die offizielle Presse machte die privaten Produzenten für die hohen Preise vieler Lebensmittel verantwortlich und die Figur des Zwischenhändlers wurde auf extreme Weise verteufelt. In der letzten Nationalversammlung kam sogar die Idee auf, eine Festpreisbindung für bestimmte landwirtschaftliche Produkte einzuführen, um die Händler damit zu zwingen, die Kosten für die Produkte zu senken.

Wir Konsumenten müssten die Suppe auslöffeln, denn diese Maßnahme löst weder das Problem der niedrigen Produktivität unserer Felder, noch das der lächerlich niedrigen Löhne

Auf den ersten Blick schien diese Maßnahme günstig für die Konsumenten zu sein. Wer würde es nicht für eine gute Nachricht halten, dass ein Pfund Schweinefleisch ohne Knochen nicht mehr als 30 kubanische Pesos kosten und es nie mehr den astronomischen Preis von 50 Pesos erreichen würde, der am Ende des Jahres 2015 auf dem Egido-Markt in Havanna verlangt wurde. Die anfängliche Reaktion der Kunden war positiv, denn eine Zitrone würde nicht mehr einen oder ein Pfund Papayas nicht mehr fünf kubanische Pesos kosten. Jedoch lauern hinter den regulierten Preisen noch größere Übel.

Was passieren könnte ist, dass die Produkte, die von den Preiskontrollen betroffen wären, von den landwirtschaftlichen Märkten verschwinden und wieder in den “Untergrund“ abtauchen würden. Wir könnten an der Ecke kein Pfund Zwiebeln mehr kaufen, wie wir es in den letzten zwei Jahrzehnten gemacht haben, sondern wir würden in die Zeiten zurückkehren, als wir versteckt in einer Straße oder im Nirgendwo illegal direkt mit dem Produzenten oder den verfolgten Zwischenhändlern Geschäfte machten.

Wir Konsumenten müssten die Suppe auslöffeln, denn diese Maßnahme löst weder das Problem der niedrigen Produktivität unserer Felder, noch das der lächerlich niedrigen Löhne.

Wirtschaft plant man nicht nach Belieben und man verwaltet sie nicht durch Einschränkungen, sondern sie ist ein zerbrechliches Geflecht, wo Misstrauen und überzogene staatliche Kontrolle wie eine tödliche Umarmung wirken, die sie ohne die Fähigkeit selbstständig atmen zu können zurücklässt. In diesem festen Griff werden die kontrollierten Preise zum gefürchteten tödlichen Kuss, der dem Handel die Luft zum Atmen nimmt und ihn leblos zurücklässt.

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

 

Ich möchte dich nicht mehr finden, Camilo

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Blumen für Camilo Cienfuegos in einer Grundschule im Stadtbezirk Plaza de la Revolución, Havanna. (14ymedio)

Generation Y, Yoani Sánchez, 28. Oktober 2015 Die Mauer der Strandpromenade schmeckt nach Salz und fühlt sich rau an. Über diese Brüstung warf ich in meiner Schuluniform, die vom Salz der Wellen Flecken hatte, in jedem Oktober meiner Kindheit einen Blumenstrauß ins Meer. Und zwar zu Ehren eines Mannes, der 15 Jahre vor meiner Geburt starb. Sein Gesicht blickte uns von den Wänden und aus den Schulbüchern an, mit einem breiten Lächeln unter einem breitkrempigen Hut. Das war zu Zeiten, als wir noch davon träumten, Camilo Cienfuegos zu finden.

Die Geschichte wurde bis zum Umfallen erzählt. In den Morgenversammlungen der Schule und in der offiziellen Propaganda sprach man von einem verschwundenen Flugzeug, in dem der Kommandant damals von Camagüey nach Havanna flog. Für die Kinder meiner Generation war es ein fast schon magisches Rätsel. Wir glaubten, dass man ihn eines Tages finden würde, gut gelaunt und bärtig, irgendwo in der kubanischen Landschaft. Wir dachten, es sei nur eine Frage der Zeit.

Jedoch vergingen die Jahre und bis heute fand man kein einziges Teil jener zweimotorigen Cessna auf dieser langen aber schmalen Insel. Die neuen Technologien griffen in das Leben aller ein; Satelliten suchten jeden Zentimeter dieses Planeten ab, und sogar versunkene und verborgene mystische Städte wurden auf der Erde gefunden. Aber von Camilo gab es weiterhin keine Spur.

Jene Hoffnung, dass er zurückkehren würde, um sich dem Regierungsapparat anzuschließen, verschwand und machte Platz für einen anderen Wunsch. Mitte der achtziger Jahre hörte ich, wie man von Camilo Cienfuegos redete, als würde er die Hoffnung auf Veränderungen mit sich bringen. „Wenn er jetzt hier wäre, wäre nichts von alledem passiert“, hörte man die älteren Bürger sagen. „Er war auf keinen Fall Kommunist“, stellte mein Großvater fest.

Das Rätsel hat sich in Luft aufgelöst, aber nicht weil wir Antworten gefunden haben, sondern weil wir es leid sind, auf diese zu warten.

Wir hörten nicht damit auf, uns zu wünschen, dass man den Helden von Yaguajay1 lebend finden würde; aber dieses Mal, damit er unseren Widerstand anführt und uns hilft, unsere Angst zu überwinden.

Während der Sonderperiode auf Kuba kehrte mit aller Macht die Sehnsucht zurück, zumindest eine Spur jenes Schneiders zu entdecken, der zum Kämpfer wurde. Wir spekulierten darüber, dass die Regierung von Fidel Castro wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde, wenn die Umstände des Todes von Cienfuegos aufgeklärt würden. Das bestgehütete Geheimnis aus der Zeit der Revolution würde zugleich ihr Ende bedeuten. Aber auch in diesen Jahren wurde das Rätsel nicht gelöst.

Vor einigen Tagen erinnerte ein Mädchen seine Mutter, dass sie einen Blumenstrauß in die Schule mitbringen müsse, um ihn am Jahrestag des Verschwindens dieses Mannes aus Havanna, der nicht einmal 30 Jahre alt wurde, ins Meer zu werfen. Eine Sekunde später fragte das Mädchen: „Aber ist er jetzt tot oder ist er nicht tot?“. Die Mutter erzählte mit gelangweilter Stimme die offizielle Version der Geschichte und sagte, um mit dem Thema abzuschließen: „Ja, er ist tot …er atmet nicht mehr.“

Das Rätsel hat sich in Luft aufgelöst, aber nicht weil wir Antworten gefunden haben, sondern weil wir es leid sind, auf diese zu warten. Gerade jetzt würde sich nichts ändern, wenn wir wüssten, dass Camilo Cienfuegos irgendwo am Leben ist – mit seinem Bart, der inzwischen grau geworden ist – oder wenn man wissenschaftlich beweisen könnte, dass die offizielle Version der Wahrheit entspricht. Es würde auch keinen Aufschrei in der Bevölkerung geben, wenn man beweisen könnte, dass sein Tod ein geplanter Anschlag war, der von seinen eigenen Genossen aus der Sierra Maestra2 in Auftrag gegeben wurde.

Die Zeit, dieser unerbittliche Gegner, hat Camilo letzten Endes begraben.

 Anmerkung der Übersetzerin:

1 Camilo Cienfuegos Gorriarán war einer der führenden Revolutionäre in der Kubanischen Revolution gegen das Batista-Regime. Er war Anführer einer Rebellenarmee-Kolonne in der bedeutenden „Schlacht von Yaguajay“ im Dezember 1958, was ihm den Beinamen „Héroe de Yaguajay“ (Der Held von Yaguajay) einbrachte. Auch wird er „El Héroe del Sombrero Alón“ (Der Held mit dem breitkrempigen Hut) genannt.

2Die „Sierra Maestra“ (dt. „Hauptgebirge“) ist ein Gebirgszug im Osten Kubas. Während der kubanischen Revolution verbarg sich dort die Rebellenarmee unter der Führung von Fidel Castro.

 

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

 

Die heilige Route

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Calle Reina, eine Straße im Zentrum Havannas. (14ymedio)

Generation Y, Yoani Sánchez, 8. September 2015 Die Farbe kommt über die Risse, die Löcher und den Rost des stark beschädigten Metalles der Säulen und Decken. Eine bunte Schicht, die Spinnweben, Spalten und Schmutz versteckt, so wie Schminke, die Falten und Narben überdeckt. Havanna putzt sich für den Besuch von Papst Franziskus heraus. Sie werden retuschiert, die Fassaden in jenen Straßen, durch die der Bischof von Rom kommen wird und die der Volksmund schon spöttisch in die „heilige Route“ umgetauft hat. Es ist ein flüchtiges, eilig aufgetragenes Rouge, das der Regen und die kommenden Monate schon bald wieder wegspülen werden.

Die Menschen konnten sie trotzdem nicht mit einer Schicht Optimismus überziehen. Ihre Haut und ihre Sorgen können die Maler, die einen Zeitplan einhalten müssen, nicht einfach mit ihren  groben Pinselstrichen übermalen. Schon seit den frühen Morgenstunden verlassen die Bewohner Havannas mit über den Schultern baumelten Tüten ihre Häuser auf der Suche nach etwas Essbarem. „Nicht einmal wenn der Papst kommt, gibt es mehr in den Läden“, beschwert sich eine Frau an der Ecke zwischen den Straßen Marinque und Salud, während eine Freundin in Richtung der Avenida Galiano zeigt. „Dort gibt es jetzt heiße Hotdogs, und zwar die richtig Guten“, versichert sie.

Sie werden den Papst nicht in die Nähe der leeren Kühltruhen kommen lassen und deshalb beinhaltet dieses Prozedere nicht den Versuch vorzutäuschen es gäbe genug Lebensmittel oder das Verbergen der allgemeinen Knappheit. So haben wir uns vor den Hähnchenschenkeln aus Karton und dem Milchpulver aus Sand gerettet! Es gibt keine Kosmetika, die das wirtschaftliche Debakel, in dem wir leben überdecken können. So bleiben also die Verkaufstische und die Regale der Märkte hinter geschlossenen Türen, weit weg vom pompösen päspstlichen Gefolge.

Unsere heilige Route ist hohl, ein reines  Bühnenbild, das das Gröbste und das Unglaublichste versteckt.

Übersetzung: Anja Seelmann

Carnival Cruise Lines, ein Paradigma für unsere heutige Zeit

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Ein Schiff der US-amerikanischen Kreuzfahrtgesellschaft Carnival. (Carnival)

Generation Y, Yoani Sánchez, Havanna | 09/07/2015 – Es gibt verschiedene Arten auf den Reichtum anderer Leute zu reagieren. Eine von ihnen wurde uns seit Kindesalter vom Castro-Regime beigebracht; sie besteht darin, Wohlhabenden Wut entgegen zu bringen und sie zu stigmatisieren; eine Intoleranz wie sie bei Robin Hood zu finden ist, deren Ziel es ist, dem Anderen das zu entreißen, was ihm „übrig bleibt“ oder was er „zu viel hat“. Die Feindseligkeit gegenüber jedem, der beruflich vorwärts kommt, Eigentum erwirbt oder einen gewissen materiellen Wohlstand genießt, wurde zu einem untrennbaren Bestandteil unserer Abneigung, obwohl es so scheint, als würden sich die Zeiten jetzt ändern.

„Ich werde nie ein Kreuzfahrtschiff betreten, aber sollen sie doch alle kommen… umso mehr verdienen wir“, sagte gestern ein Rentner, der Tabak kaute und ein T-Shirt trug, das so ausgewaschen war, dass man seine Haut durchschimmern sah. Gerade ließ man in den offiziellen Nachrichten verlauten, dass die US-amerikanische Gesellschaft Carnival Cruise Lines aus Washington die Erlaubnis bekommen hat, nach Kuba zu fahren. Der alte Mann äußerte seine Meinung zu dem Luxus, den andere genießen. Das Symbol für einen Kapitalismus mit Genuss, Vergnügen und Verschwendung ist dabei in Havanna anzulegen, und man bemerkt, dass die Regierung das Schiff auch nicht mit Aufschreien oder Sicherheitsvorschriften empfängt, sondern mit Wohlwollen.

Die Kubaner wirken nicht geschockt, wenn sie sich über diese schwimmenden Riesen unterhalten, die mit Prunk und Geld, viel Geld, in den Hafen einlaufen. Die Menschen denken eher schon an den Gewinn, der für sie herausspringt, sobald der Riese der Meere die Küste erreicht und eine Breitseite von Touristen mit gut gefüllten Geldbeuteln und reichlich Sonnencreme ans Land schwappt. Die Restaurantbesitzer in der Nähe des Hafens von Havanna reiben sich die Hände und die Straßenverkäufer hoffen auf mehr Umsatz.

Carnival Cruise Lines ist das letzte Feigenblatt, das sie haben fallen lassen, und alles was bleibt ist ihre schamlose Faszination für Geld, das eigene und das anderer.

Andere wie der Tabak kauende Mann mit dem abgetragenen T-Shirt werden wahrscheinlich keinen Nutzen aus der Ankunft von Carnival Cruise Lines ziehen können. Jedoch verglichen mit anderen Zeiten, in denen er noch vor Wut geschäumt hätte beim Anblick dieser „ausbeuterischen Spießbürger, die herkommen, um ihren Müll bei uns abzuladen“, scheint er jetzt bereit zu sein, eine solche Zurschaustellung von Prunk und Glamour zu ertragen. Als er nach den Gründen für seine Toleranz für diesen Reichtum anderer gefragt wurde, antwortete der Rentner, dass „es auch schon hier Leute gibt, die so leben, im großen Stil, aber das sind die da oben“, während er mit dem Finger in Richtung Himmel zeigte, um auf die Nomenklatura zu verweisen. „Im Gegensatz zum Jahr 1961 ist jetzt der Unterschied, dass wir sehen, wie sie übers Meer kommen und nicht verstecken, was sie dabei haben“, schlussfolgerte er.

Um sich die „köstlichen Güter“ der Macht zu erhalten, ändert die Regierung selbst ihre Haltung bezüglich des Reichtums anderer und versucht diese „Stinkreichen, Spießbürger und Besitzergreifer“ anzulocken, wo sie doch zuvor diese noch verabscheute und jahrzehntelang bekämpfte. Um aber von den Gewinnen durch den Luxustourismus zu profitieren, wird eine widersprüchliche Botschaft an die Bürger geschickt, die unter den Aufrufen zu Gleichheit und Sparsamkeit aufwuchsen. Carnival Cruise Lines ist das letzte Feigenblatt, das sie haben fallen lassen, und alles was bleibt ist ihre schamlose Faszination für Geld, das eigene und das anderer.

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

Unsere Mauer ist nicht gefallen – aber sie ist nicht für die Ewigkeit gebaut

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Der Fall der Berliner Mauer oder die Geburt einer neuen Ära (Archivbild).

Bis zu diesem Zeitpunkt war mein Leben zwischen Mauern verlaufen. Die der Strandpromenade Malecón, die mich von einer Welt abtrennte, von der ich nur Schreckliches gehört hatte. Die der Schule, die ich besuchte als Deutschland sich wiedervereinigte. Eine lange Lehmmauer, hinter der sich die illegalen Süßwarenverkäufer versteckten. Eine zwei Meter hohe Mauer aus Ziegelsteinen über die einige Schulkameraden kletterten, um ein paar von jenen Stunden zu schwänzen, die genauso politisch indoktriniert wie langweilig waren. Hinzu kam die Mauer des Schweigens und der Angst. Daheim legten sich meine Eltern den Zeigefinger auf die Lippen, sprachen mit leiser Stimme… irgendetwas war im Gange, doch sie sagten mir nichts.

Im November 1989 fiel die Berliner Mauer. In Wirklichkeit brachten sie sie zum Fall, schlugen sie mit Hammer und Meißel ein. Sie nahmen es mit ihr auf, und zwar diejenigen, die Wochen zuvor der Kommunistischen Partei gehorsam zu folgen und an das Paradies des Proletariats zu glauben schienen. Die Nachricht erreichte uns langsam und häppchenweise. Die kubanischen Behörden versuchten davon abzulenken und dem Thema Wichtigkeit abzugewinnen, aber die Einzelheiten sickerten nach und nach zu uns durch. In jenem Jahr ließ ich meine Jugend hinter mir. Ich war erst vierzehn Jahre alt und all das was noch kommen würde ließ einfach keine Naivität mehr zu.

 Die Berliner wachten mit den Hammerschlägen auf
und wir Kubaner entdeckten, dass die versprochene Zukunft die reinste Lüge war

 

Die Masken fielen eine nach der anderen. Die Berliner wachten mit den Hammerschlägen auf und wir Kubaner entdeckten, dass die versprochene Zukunft die reinste Lüge war. Während sich Osteuropa aus der Umarmung des Kremls befreite, wurden Fidel Castros Ansprachen am Rednerpult lauter und er versprach im Namen aller, dass wir niemals schwach werden würden. Nur wenige besaßen den Scharfsinn um zu bemerken, dass jenes politische Delirium uns in unsere schwierigsten Jahre führen würde, mit denen sich gleich mehrere kubanische Generationen auseinandersetzen mussten. Die Mauer fiel weit weg von uns, aber gleichzeitig richtete sich eine andere Barrikade um uns auf: die der ideologischen Verblendung, der Unverantwortlichkeit und des Voluntarismus.

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen. Die Deutschen, und der ganze Planet, feiern am Tag des 9. November das Ende einer Absurdität. Sie ziehen Balance darüber, was nach jenem November erreicht worden ist und genießen die Freiheit, sich über das, was nicht gut gelaufen ist, zu beschweren. Wir in Kuba haben fünfundzwanzig Jahre verloren, um auf den Zug der Geschichte aufzuspringen. Für unser Land bleibt die Mauer bestehen, obwohl gerade jetzt wenige einen Schutzwall stützen, der eher aus der Laune eines Mannes heraus als durch die Entscheidung eines Volkes errichtet wurde.

Unsere Mauer ist nicht gefallen… aber sie ist nicht für die Ewigkeit gebaut.

Übersetzung: Nina Beyerlein

Schulgeldfreiheit?

Erstklässler (14ymedio)

Erstklässler (14ymedio)

Die Schulklingel läutet und die Kinder betreten, gefolgt von ihren Eltern, das Klassenzimmer. Am ersten Schultag sind einige außer sich vor Freude und andere vergießen ein paar Tränen, weil sie ihre gewohnte Umgebung vermissen. So ging es auch Carla, die gerade mit der Vorschule im Stadtviertel El Cerro angefangen hat. Das Mädchen hat Glück, weil es eine Lehrerin bekommen hat, die seit mehreren Jahren an der Grundschule unterrichtet und daher den Lehrstoff gut beherrscht, den sie vermitteln soll. „Was für ein Glück!“, dachten die Familienangehörigen der Kleinen bevor eine andere Mutter sie warnte: „Die Lehrerin ist mit Vorsicht zu genießen. Sie verlangt von jedem ihrer Schüler einen Teil des Pausenbrotes, das sie von zu Hause mitbringen.“

Am Abend jenes 1. Septembers fand die erste Elternversammlung statt. Nachdem sich alle vorgestellt hatten und die Eltern willkommen geheißen wurden, zählte die Lehrerin alles auf, was man für das Klassenzimmer noch kaufen müsse. „Wir müssen Geld für einen Ventilator sammeln“, sagte sie ohne rot zu werden. Da Carla unter der Hitze am Morgen schon sehr gelitten hatte, zahlte ihre Mutter die drei konvertiblen Pesos (CUC), die dafür gedacht waren, dass ihre Tochter während des Unterrichts etwas Erfrischung bekäme. „Außerdem brauchen wir für die Reinigung einen Besen und einen Lappen, drei Energiesparlampen und einen Mülleimer.“, ließ die Vertretungslehrerin verlauten.

Die Liste der benötigten Objekte wurde immer länger. Als nächstes kam ein Desinfektionsmittel für das WC hinzu, „weil wir ja nicht wollen, dass sich hier jemand die Pest holt!“, sagte die Lehrerin. Die gewünschten Ausgaben wuchsen immer weiter an. Als nächstes kam ein Schloss hinzu, „damit die Sachen nicht gestohlen werden, wenn niemand in der Schule ist.“ Für einen neuen Anstrich der Tafel bot ein Vater grüne Farbe an und ein anderer versprach, die Scharniere an der Tür zu reparieren, weil diese an einer Seite herunterhing. „Ich rate Ihnen, dass Sie die Hefte für die Kinder auf der Straße kaufen, weil die, die wir heuer bekommen haben, Seiten dünn wie Zwiebelschalen haben und daher schon reißen, wenn man etwas wegradiert.“, fügte die Lehrerin hinzu.

Am Ende des Elternabends kam die Familie von Carla auf die stolze Summe von 250 kubanischen Pesos für die Bildung ihrer Tochter. Das entspricht der Hälfte des monatlichen Gehalts des Vaters als Chemieingenieur. Dann betrat die Direktorin den Raum und wiederholte mit Nachdruck: „Wenn jemand einen Schreiner kennt und ihn engagieren will, damit er den Tisch seines Kindes im Klassenzimmer repariert, dann steht dem nichts im Wege.“

 Übersetzung: Eva-Maria Böhm