
Für den größten Teil der Bevölkerung ist das Leben ein täglicher Kampf ums Überleben. (14ymedio)
YOANI SÁNCHEZ | La Habana | 17. April 2018
Meinte Mutter wurde unter dem Castro Regime geboren, ich wurde unter dem Castro Regime geboren und auch mein Sohn wurde unter dem Castro Regime geboren. Mindestens drei Generationen Kubaner haben unter der Führung von zwei Männern mit dem gleichen Namen gelebt. Diese Uniformität ist kurz davor sich am kommenden 19. April*) aufzulösen, nämlich dann, wenn der Name des neuen Präsidenten öffentlich bekannt gegeben wird. Egal, ob er den Status quo beibehält oder Reformen anstrebt – die Machtübernahme stellt ein historisches Ereignis dar: das Ende der Ära Castro auf der Insel.
Obwohl sich dieser Tag, den es so in den letzten 50 Jahren noch nicht gegeben hat, nähert, ist die Erwartungshaltung in den Straßen von Havanna extrem niedrig. Und das in einem Land, das kurz vor einer bedeutenden Veränderung der Nomenklatur steht, die in einigen Tagen beginnen könnte.
Diese Gleichgültigkeit basiert auf mindestens drei Faktoren. Der erste ist die bedauerliche wirtschaftliche Lage, die den größten Teil der Bevölkerung an den täglichen Kampf ums Überleben fesselt. Politische Hirngespinste oder Prophezeiungen von einer besseren Zukunft werden von anderen, dringenderen Bedürfnissen verdrängt: etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen, zur Arbeit und zurück zu kommen, oder zu planen, sich in Richtung anderer Breitengrade davonzumachen.
Der zweite Grund für so viel Antriebslosigkeit, hat mit dem Pessimismus zu tun, der aus dem Glauben heraus resultiert, dass sich auch mit einem neuen Gesicht auf den offiziellen Fotos nichts ändern wird, weil die Gerontokratie in Form einer gehorsamen und streng kontrollierten Marionette weiterhin die Kontrolle behalten wird. Der dritte Grund für diesen Überdruss resultiert daraus, dass man weder andere Szenarien kennt noch Anhaltspunkte hat, um sich vorzustellen, dass es ein Leben nach der sogenannten „historischen Generation“ geben könnte.
Anstelle von Menschen, die Fahnen auf den Plätzen schwingen, begeisterten Jugendlichen, die Parolen rufen oder epische Fotos machen, nimmt man überall ein Gefühl von Ermüdung wahr.
Dieses fatale Gefühl, dass alles so bleiben wird wie es momentan ist, stellt die direkte Folge von sechs Jahrzehnten dar, in denen zuerst Fidel Castro und dann Raúl Castro die Insel kontrollierten, ohne dass sie jemand in den Schatten hätte drängen können oder ihre Autorität in den höchsten Regierungskreisen in Frage gestellt hätte. Durch die Tatsache, dass sie stets am Steuerrad des Staatsschiffs standen, die Opposition in die Knie zwangen und andere charismatische Führer eliminierten, haben sich beide Brüder während dieser Zeit als ein beständiger und unverzichtbarer Teil der nationalen Geschichte erwiesen.
Mehr als 70% der Kubaner wurden nach jenem Januar 1959 geboren, in dem eine Gruppe bärtiger Männer bewaffnet und lächelnd in Havanna einfiel. Unmittelbar darauf stellten die Schulbücher, alle Pressemedien sowie die Regierungspropaganda diese „Revolutionäre in olivgrün“ als Väter des Vaterlands – als Heilsbringer und Erlöser des Volkes dar, die das Land gerettet hatten. Sie verbreiteten die Idee, dass Kuba identisch sei mit der kommunistischen Partei, mit der offiziellen Ideologie, sowie mit einem Mann namens Castro.
Jetzt ist die Biologie kurz davor, diesem Kapitel der Geschichte ein Ende zu machen. Der kubanischen Kalender könnte jetzt mit dem Jahr null beginnen, also neu anfangen. Anstelle von Menschen, die Fahnen auf den Plätzen schwingen, begeisterten Jugendlichen, die Parolen rufen oder epische Fotos machen, nimmt man überall das Gefühl von Ermüdung wahr. Ein abweisendes Verhalten von Millionen von Menschen, deren Enthusiasmus nach einer sehr langen Zeit des Wartens verkümmert ist.
Übersetzung: Berte Fleißig
Anmerkung der Übersetzerin:
*) Yoani Sánchez publizierte diesen Text zwei Tage vor der Wahl von Miguel Díaz-Canel zum neuen Präsidenten Kubas.
___________________________________________________________________
Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle auf der lateinamerikanischen Seite veröffentlicht.