Ethische Lähmungen, der traurige Fall des Ignacio Ramonet

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An der gleichen Universität, an der Ramonet (rechts) am Dienstag sein Buch vorstellte, wurde vor einigen Monaten eine Journalismusstudentin wegen ihrer Verbindung zu einer unabhängigen Oppositionsgruppe verwiesen. (UCLV)

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YOANI SÁNCHEZ | GENERACIÓN Y | 23. November 2017  Als 2006 das Interview von Ignacio Ramonet* mit Fidel Castro veröffentlicht wurde, ließen sich viele Bürger die Gelegenheit nicht entgehen, sich über den Titel lustig zu machen. „Warum sollten wir ‚Hundert Stunden mit Fidel**‘ lesen, wenn wir unser ganzes Leben mit ihm verbracht haben?“, war auf der Straße zu hören, doch der Journalist hat nicht einmal Notiz davon genommen.

Jenes Buch, das durch seinen ausgeprägten journalistischen Sanftmut als eine Autobiografie des „Máximo Líders“ eingestuft werden kann, erntete mehr als nur Gelächter. Der Autor wurde auch mit Anschuldigungen überhäuft, dass er mittels „Kopieren und Einfügen“ den Inhalt alter Reden von Fidel Castro für die Antworten hergenommen habe.

Ohne eine überzeugende Erklärung zu solchen Fragen abgegeben zu haben, ist Ramonet nun mit einem weiteren Buch zurückgekehrt, für das er diese Woche an mehreren Universitäten auf der Insel warb. Dieser Band trägt ebenfalls einen jener Titel, die ein spöttisches Lächeln auslösen: Das Imperium der Überwachung (Originaltitel: El imperio de la vigilancia).

Am vergangenen Dienstag hielt der Professor für Kommunikationstheorie an der Zentraluniversität Marta Abreu de Las Villas eine Ansprache im Rahmen der Präsentation des Buches, das im José Martí Verlag veröffentlicht wurde. Es wurde eine bittere Schmährede gegen das globale Überwachungsnetz, das die Vereinigten Staaten geknüpft haben, um an Informationen über Bürger, Gruppen und Regierungen zu kommen.

 Ramonet leidet unter einer ethischen Lähmung, wenn es darum geht, Verantwortung zu verteilen und anderen Regierungen aufzuzeigen, dass sie jeden Tag in die Privatsphäre ihrer Bürger eindringen.

Das Buch legt besonderen Nachdruck auf die Komplizenschaft von Unternehmen, die die Nutzerdaten verwalten, um sie in das Spionagenetz der kommerziellen Interessen, der Kontrolle und Unterordnung einzufügen. Ein Netz, in dem die moderne Gesellschaft gefangen ist und aus dem man sich dringend befreien soll, so die Analyse des Professors.

Bis dahin unterscheidet es sich nicht von dem, was so viele Cyberaktivisten auf der ganzen Welt anprangern, aber Ramonet leidet unter einer ethischen Lähmung, wenn es darum geht, Verantwortung zu verteilen und anderen Regierungen aufzuzeigen, dass sie jeden Tag in die Privatsphäre ihrer Bürger eindringen.

Die Tatsache, dass Ramonet in so ein „orwellianisches“ Land wie Kuba gereist ist, um mit dem Finger auf Washington zu zeigen, ist ein Beweis für seinen unhaltbaren Standpunkt, wenn es darum geht, Themen zu behandeln, wie „Big Data“, die Legalisierung von Web-Überwachung und die Sammlung von Benutzerdaten, um Verhalten vorherzusagen oder Produkte zu verkaufen.

Die Insel, auf der die Staatssicherheit (in diesem Fall der „Big Brother“) über jedes Detail im Lebens von Einzelpersonen wacht, ist nicht der beste Ort, um über indiskrete Augen zu sprechen, die die Emails anderer lesen, auch nicht über Polizeibeamte, die jede Information überwachen, die das Netz durchquert, und über Daten, die von Regierungsbeamten abgefangen werden, um damit Menschen zu unterdrücken.

Die Regierung dieser Nation, die von ihrem Sitz auf der „Plaza de la Revolución“ aus eine strenge Kontrolle über die Informationen aufrechterhält und nur die öffentliche Verbreitung von wohlwollend gesinnten Reden zulässt, müsste eigentlich zu den Regimen gehören, die Ramonet in seinem Buch anprangert. Seltsamerweise gibt es aber für den Journalisten „schlechte“ und „gute“ Überwachungen, und in letztere scheint diejenige zu fallen, die von der kubanischen Regierung durchgeführt wird. 

Die Regierung dieser Nation, die von ihrem Sitz auf der „Plaza de la Revolución“ aus eine strenge Kontrolle über die Informationen aufrechterhält, müsste eigentlich zu den Regimen gehören, die Ramonet in seinem Buch anprangert.

An der gleichen Universität, an der Ramonet am Dienstag sein Buch vorstellte, wurde vor einigen Monaten eine Journalismusstudentin wegen ihrer Verbindung zu einer unabhängigen Oppositionsgruppe verwiesen. Das Imperium der Überwachung reagierte nicht halbherzig und mit der Hilfe einiger Studenten und Studentenführer, die zur Komplizenschaft gezwungen wurden, warf man sie aus der Uni.

Wenige Tage später starteten die Cyberpolizisten, die diese Kontrollarmee bilden, eine Verleumdungskampagne gegen die junge Frau in den sozialen Netzwerken. Sie benutzten Informationen aus ihren Emails, Telefonaten und sogar privaten Gesprächen, um sie zu verunglimpfen. Unser „Big Brother“ handelte ohne Rücksicht auf Verluste.

Vor einigen Jahren zeigte das nationale Fernsehen den Inhalt mehrerer privater Emails, die aus dem persönlichen Account einer Oppositionellen gestohlen wurden. All dies geschah ohne richterliche Anordnung, ohne dass die Dame etwa wegen eines Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurde und natürlich ohne bei Google die Freigabe der Emails beantragt zu haben, deren Inhalt vermutlich veröffentlicht werden sollte.

Ramonet kann nicht ignorieren, dass das kubanische Telekommunikationsunternehmen Etecsa einen strengen Filter für jede von ihren Kunden gesendete Textnachricht einsetzt. Das staatliche Monopol zensiert Wörter wie „Diktatur“ und den Namen von Oppositionsführern. Obwohl die Nachrichten kostenpflichtig sind, erreichen sie nie ihr Ziel.

Der ehemalige Direktor von ‚Le Monde Diplomatique‘ ist eben auch nicht in eine Wifi-Zone gegangen, um auf eine dieser Websites zuzugreifen, die die Regierung nach jahrelangem Druck durch die Bürger geöffnet hat

Der ehemalige Direktor von Le Monde Diplomatique ist eben auch nicht in eine Wifi-Zone gegangen, um auf eine dieser Websites zuzugreifen, die die Regierung nach jahrelangem Druck durch die Bürger geöffnet hat. Wäre er in solch einer Wifi-Zone gewesen, wüsste er, dass das chinesische Firewall-Modell auf dieser Insel kopiert wurde, um unzählige Seiten zu zensieren.

Weiß Ramonet, dass eine große Anzahl kubanischer Internetnutzer anonyme Proxies nicht nur für den Zugriff auf diese gefilterten Websites verwendet, sondern auch, um ihre privaten Informationen vor dem indiskreten Auge des Staates zu schützen? Hat er bemerkt, dass die Stimmen der Leute leiser werden, um über Politik zu sprechen, dass sie verbotene Bücher einbinden oder den Computerbildschirm mit ihren Körpern bedecken, wenn sie eine blockierte Zeitung wie 14ymedio besuchen?

Hat er sich über die Vereinbarung zwischen Havanna und Moskau gewundert, in Kuba ein Zentrum unter dem Namen InvGuard zu eröffnen, das ein angebliches Schutzsystem gegen Angriffe auf Netzwerke einführen soll? Gerade jetzt wo der Kreml beschuldigt wird, über das Internet manipuliert zu haben, vom Brexit über die katalanische Krise bis hin zu den US-Wahlen.

Keine dieser Antworten wird der Leser in Ignacio Ramonets jüngstem Buch finden können, denn genauso wie jene Autobiografie von Fidel Castro, die versuchte als Interview durchzugehen, kann dieses Buch von den Kubanern schon allein aufgrund seines Titels allein in Frage gestellt werden: Warum sollte man Das Imperium der Überwachung lesen, wenn man sein ganzes Leben lang unter seiner Herrschaft gestanden hat?

Anmerkung der Übersetzerin:

*Ignacio Ramonet, geb. 1943 in Redondela, Spanien, ist ein spanischer Journalist, der in Paris lebt. Er ist Ehrenpräsident der ATTAC-Bewegung. Von 1991 bis 2008 war er Direktor der französischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, jetzt leitet er die spanischsprachige Ausgabe dieser Zeitung.

**100 Horas con Fidel (100 Stunden mit Fidel) ist auf Deutsch erschienen unter dem Namen: Mein Leben | Fidel Castro, Ignacio Ramonet, Barbara Köhler (Übersetzerin).

Übersetzung: Nina Beyerlein

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Das Team von 14ymedio setzt sich für einen seriösen Journalismus ein, der die Realität des Kubas in all seinen Facetten widerspiegelt. Danke, dass Sie uns auf diesem langen Weg begleiten. Wir laden Sie ein, uns weiterhin zu unterstützen, diesmal aber durch die Mitgliedschaft bei 14ymedio. Gemeinsam können wir den Journalismus auf Kuba weiter transformieren.

Maduro, Schüler einer verfallenden Schule

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Es gibt unzählige Unterschiede im Führungsstil der beiden Staatsoberhäupter, aber etwas noch viel Wichtigeres trennt sie voneinander: Die Zeit. (nicolasmaduro.org.ve)

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YOANI SÁNCHEZ  | GENERACIÓN Y | 21. Dezember 2016   Im Fernsehen ertönt eine Rede von Nicolás Maduro. Er spricht von internationalen Verschwörungen, dem Feind, der die bolivianische Revolution beenden möchte und von einer „Währungsmafia“. Wieder die gleiche alter Leier, die stark an den verstorbenen kubanischen Expräsidenten Fidel Castro erinnert, besessen davon andere für das selbst verursachte Chaos verantwortlich zu machen.

Es gibt unzählige Unterschiede im Führungsstil der beiden Staatsoberhäupter, aber etwas noch viel Wichtigeres trennt sie voneinander: Die Zeit. Jahrzehnte sind zwischen dem Moment, in dem Castro Kuba mit seiner Sprachgewalt umgarnte und dem, in dem der fehlgeleitete Maduro anfing Venezuela zu regieren, vergangen. In diesen Zeiten sind die Lateinamerikaner populistischen Diskursen gegenüber misstrauisch geworden und haben gelernt autoritäre Herrscher, die sich unter dem Deckmantel des vermeintlichen Erlösers verstecken, zu erkennen. Die politischen Diskurse funktionieren nun nicht mehr wie vorher. Genau wie die abgedroschenen Verse, die die Augen mit den Sternen und den Mund mit einer Rose verglichen und nun nur noch Spott hervorrufen.

In diesen Zeiten, in denen von der Tribüne aus zu stark zur Vaterlandstreue aufgerufen wird, das Ausmaß der ausländischen Einmischung verzerrt wird und keine Lösungen angeboten werden, sollte man wachsam werden

In diesen Zeiten, in denen von der Tribüne aus zu stark zur Vaterlandstreue aufgerufen wird, das Ausmaß der ausländischen Einmischung verzerrt wird und keine Lösungen angeboten werden, sollte man wachsam werden. Wenn die Anführer uns dazu aufrufen auch noch den letzten Tropfen unseres Blutes zu vergießen, während sie sich selbst mit Leibwächtern umringen oder sich an irgendeinem „punto cero“* verstecken, sollte man aufhören ihnen zu glauben.

Eine gesunde Dosis Skepsis immunisiert gegen diese niederträchtigen Tiraden, in denen erklärt wird, dass die Probleme des Landes ihren Ursprung außerhalb der nationalen Grenzen haben. Es ist bedenklich, dass der Denunziant keinerlei Verantwortung an diesem Debakel übernimmt und die Schuld an seinem Scheitern angeblichen Verschwörungen und Medienfeldzügen zuschiebt.

Maduro wurde in dieser Schule der ständigen politischen Anspannung, deren wichtigster Lehrstuhl in Havanna liegt, ausgebildet. Obendrein war der venezolanische Staatschef ein mittelmäßiger Schüler, der die ursprünglichen Grundsätze mit übermäßigen Gefühlsäußerungen, wenig Charisma und einem großem Haufen Unsinn garnierte. Sein größter Irrtum bestand darin, nicht zu bemerken, dass das „Lehrbuch“ von Fidel Castro längst nicht mehr funktioniert.

Der venezolanische Präsident kam zu spät, um diese Leichtgläubigkeit ausnutzen, die jahrzehntelang dafür sorgte, dass viele Völker dieses Kontinents Diktatoren emporhoben. In seinen Reden schwingt die Vergangenheit mit, und wie die schlechten Gedichte, bewegen sie weder die Seele noch das Gemüt.

Anmerk. d. Übersetzers:

*Das Anwesen von Fidel Castro auf Kuba wird als „punto cero“ bezeichnet.

Übersetzung: Anja Seelmann

Schluss mit der Bastion Kuba

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Eine Nachrichtensprecherin in den Tagen der Militärübung „Bastión“ (14ymedio)

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YOANI SÁNCHEZ  | GENERACIÓN Y | 20. November 2016  Müde klingt die Stimme einer Freundin, die mich anruft und fragt, wann die Sirenen mit dem Heulen aufhören, was sie jetzt jeden Tag schon vom frühen Morgen an tun. Genervt ist der Nachbar, der nach seiner Arbeit nicht rechtzeitig nach Hause kommt, weil der Verkehr wegen eines Militärmanövers umgeleitet wird. Eine Belästigung ist das, sagt der junge Reservist, den sie zur Teilnahme an einer Militärübung verdonnert haben, genau jetzt, wo eine Spritztour mit seiner Freundin geplant war.

Die drei für „Bastion 2016″* benötigten Arbeitstage haben bei vielen Kubanern ein Gefühl von extremer Sättigung hinterlassen. Denn als sich nach 72 Stunden aggressiver Anspannung das Ende dieses MG-Alptraums abzeichnete, erklärte die Regierung per Dekret den darauf folgenden Samstag und Sonntag zu „Nationalen Tagen der Verteidigung“. Das sagt nur jemand, der keinen Krieg will…… drei Tage vergeudet, drei Schüsse in den Ofen.

.So wie das morgendliche Gebrüll – Weckruf genannt – die Uniformierten aus ihren Betten reißt, so haben diese Tage mit militärischen Übungen das Land aus manchen Träumen von Bürgerschaft gerissen.

Ermüdet von so viel „Schützengraben“ und zu vielen Anspielungen auf den „Feind“, fragen wir uns, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, all diese Ressourcen dafür zu verwenden, uns Bürgern das tägliche Leben leichter zu machen. Wenn man die chronischen Schwierigkeiten des öffentlichen Nahverkehrs betrachtet, die Brotqualität auf dem rationierten Markt oder die Belieferung unserer Apotheken mit Medikamenten…, es hätte bessere Verwendungsmöglichkeiten für das bisschen Geld in den staatlichen Schatztruhen gegeben.

Warum Geld in Form von Benzin für Panzer verschwenden? Geld, das man hätte verwenden können, um in den Grundschulen das Frühstück zu verbessern.

Die Drohungen mit bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen sind Teil der Kontrollmechanismen. Der Schützengraben ist das Loch, in dem man uns ruhig stellt und einschränkt; Truppenverbände radieren unsere Individualität aus; das Wasser in der Feldflasche schmeckt nach Metall und die Angst treibt uns die „Wohlstands-Dämonen“ aus.

„Bastion 2016“ hat uns daran erinnert, dass wir nur Soldaten sind. So wie das morgendliche Gebrüll – Weckruf genannt – die Uniformierten aus ihren Betten reißt, so haben die Tage mit militärischen Übungen das Land aus manchen Träumen von Bürgerschaft gerissen.

*Anmerkung des Übersetzers:

Bastion (span. Bastión) ist eine dreitägige Militärübung, die die kubanische Regierung nach dem Sieg von Trump organisierte. Es handelt sich dabei um eine aufwendige Mobilisierung von Truppen, Reservisten und der Zivilbevölkerung, um damit dem „Feind im Norden“ die Wehrfähigkeit Kubas zu demonstrieren.

Übersetzung: Dieter Schubert

Information als Verrat

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„Für die reaktionäre kubanische Regierung sind alle Katzen grau“. (EFE)

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YOANI SÁNCHEZ | Generación Y | 14. Oktober 2016 Die Ruhe ist nichts für autoritäre Regime. Sie brauchen den Schrecken, der sich unter den Bürgern breit macht, damit sie nach Herzenslust regieren können. Diese Angstszenarien haben sich auf Kuba in den vergangenen Monaten immer mehr zugespitzt, in denen die Regierung ihren Konfrontationskurs verschärft oder neu aufgenommen hat: gegen die Opposition, gegen die Selbstständigen, gegen jene Jugendlichen, die ein Stipendium in den Vereinigten Staaten anstreben und speziell gegen die unabhängige Presse.

Die Kriegstrommeln werden gerührt und der Hauptfeind wird diesmal von jenen Journalisten verkörpert, die nicht den staatlichen Medien angehören und die von dem Schaden berichten, den der Hurrikan Matthew verursacht hat. Die Regierung stellt sich dem entgegen und sagt, „private Stellen oder solche, die ganz offen der Kontrarevolution dienen“ gäben ein „Bild, das nicht nur der Realität fremd ist, sondern diese sogar verfälscht”, wie es aus einem Artikel hervorgeht, der diesen Donnerstag in der Granma veröffentlicht wurde.

Der Text mit dem Titel Matthew: Humanismus, Transparenz und Manipulation ist nur ein weiteres Scharmützel, um den Konflikt der vergangenen Wochen weiter eskalieren zu lassen, bei dem es um die Publikationen geht, die sich der Parteikontrolle entziehen. Das Neue daran ist, dass dieser Angriff auf bestimmte Bereiche der unabhängigen Presse zielt, die hart dafür gekämpft haben, nicht in den „Sack der Feinde” gesteckt zu werden.

Die Offensive, die gerade gegen sie geführt wird, zeigt sich bei den Verhaftungen von Mitgliedern des lokalen Nachrichtenblogs Periodismo de barrio und seiner Direktorin Elaine Díaz, aber auch bei der wiederholten Androhung auf eine mögliche Ausweisung, die sich gegen Fernando Ravsberg richtet, sowie den Sanktionen gegen den Journalisten José Ramírez Pantoja aus Holguín. Das beweist doch, dass für die reaktionäre Regierung alle Katzen grau sind, oder was das Gleiche ist: Der Journalist, der nicht mit der genügenden Begeisterung Beifall klatscht, ist ein Verräter.

Was gerade passiert, ist das Aufeinanderstoßen zweier Epochen

Der offizielle Angriff hat es sogar bis in den Bericht geschafft, den das „Komitee zum Schutz der Journalisten“ (CPJ) herausgab und in dem es um die Situation der Presse auf Kuba geht. Eine Studie, an der Ernesto Lodoño mitgearbeitet  hat, Journalist der Zeitung The New York Times, deren Verlagshäuser das Auftauen der Beziehungen mit den Vereinigten Staaten befürworten und sogar bis vor kurzem deswegen von unserer staatlichen Presse gelobt wurden.

Jetzt… haben sie uns alle in den gleichen Sack gesteckt.

Es nützt den neuen Opfern überhaupt nichts, sich von denjenigen zu distanzieren, die durch die offizielle Propaganda in Fernsehprogrammen, zur Hauptsendezeit, stigmatisiert worden sind. Es wird wenig bringen, dass die Attackierten sich nun – aufgrund des Staatsgrolls – von der unabhängigen Presse, die in den 90ern entstanden ist, lossagen. Und genauso wenig nützt es, wenn sie die „konfliktiven“ Blogger oder Dissidenten verfluchen und öffentlich zusichern, dass sie von einer linksgerichteten Ideologie geleitet werden.

Nichts von all dem zählt. Denn was gerade passiert, ist das Aufeinanderstoßen zweier Epochen. Eine davon war diejenige, in der die Kommunistische Partei Kubas sämtliche Informationen nach Lust und Laune kontrollieren, manipulieren und über ihre Veröffentlichung entscheiden konnte. Jene Zeiten, in denen wir erst Wochen später vom Fall der Berliner Mauer erfuhren, und die Bilder von den Unruhen in Havanna im Jahr 1994 auf den Titelseiten der nationalen Zeitungen unterdrückt wurden. Diese Epoche stirbt gerade und eine andere wird geboren; dank neuer Technologien und dass sich viele Journalisten der Wahrheit verpflichtet fühlen, sowie dem wachsenden Verlangen der Kubaner nach Information.

 Ist der Parteistempel nicht darunter gesetzt, wird jeder Versuch, Berichterstattung zu betreiben, als eine Kriegserklärung verstanden.

Trotzdem, für die Regierung, die daran gewöhnt ist, jeden Titel festzulegen und die Direktoren von Zeitungen, TV-Sendern und Nachrichtenprogrammen per Fingerzeig zu ernennen, ist es nicht wirklich wichtig, ob ihr neues „Objekt der Abscheu“ eine Modezeitschrift, ein Sportmagazin oder ein Nachrichtenprogramm ist. Ist der Parteistempel nicht darunter gesetzt, wird jeder Versuch, Berichterstattung zu betreiben, als eine Kriegserklärung verstanden.

Solange die kubanischen Journalisten nicht einsehen, dass sie sich – jenseits redaktioneller Nuancen, Phobien oder Ideologien – vereinigen und gegenseitig schützen müssen, solange wird der Regierungsapparat weiterhin solche Schläge austeilen. Er wird verteufeln, verhaften und die Arbeitsutensilien jener Reporter konfiszieren, die nicht auf seiner Gehaltsliste stehen – ganz egal, ob es sich bei der Berichterstattung um die Migration von Greifvögeln handelt oder um die gezielten Aktionen von öffentlicher Demütigung gegen die Opposition.

Auf Distanz zu gehen führt im Moment einzig und allein dazu, dass die Gegenmächte der Informationsfreiheit uns zerstören. Getrennt sind wir lediglich Journalisten, die der Willkür der Regierung ausgeliefert sind; zusammen aber bilden wir ein starkes und notwendiges Gremium.

Mag dieser Text dazu dienen, meine Solidarität all jenen Kollegen auszusprechen, die sich heute im Auge des Hurrikans der Repression befinden, ganz unabhängig von der Linie ihres Verlags, ihrem Arbeitsfokus oder der Farbe ihrer Träume, die sie für unser Land hegen.

Übersetzung: Nina Beyerlein

Heute Extremist, morgen Demokrat

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Der Journalist José Ramírez Pantoja. (Facebook)

Generación Y, Yoani Sánchez, 31. August 2016 In den neunziger Jahren war jene Studentin eine der kämpferischsten im Hörsaal, bis sie ein Stipendium in Spanien erhielt, und heute schreibt sie mir und fragt: „Weshalb ertragt ihr so viel und wehrt euch nicht?“. Eine fanatische Aktivistin der Union Junger Kommunisten (UJC)* schrieb ihre Biographie um und wurde zu einer heimlichen Kämpferin für die Demokratie, die flüchten musste, da man auf Kuba „nicht viel tun konnte“.

In den letzten Tagen habe ich mir die Geschichte dieser Kollegin, deren Ideologie in kürzester Zeit völlig ins Wanken geriet, ins Gedächtnis zurückgerufen, als ich die immense Polemik las, die die Disziplinarmaßnahme gegen den Journalisten José Ramírez Pantoja vom Radiosender Holguín hervorgerufen hat. Der junge Reporter veröffentlichte in seinem Blog die Abschrift eines internen Statements** von Karina Marrón, der stellvertretenden Direktorin der Tageszeitung Granma, in dem sie die derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen als Grundlage für einen „perfekten Sturm“ bezeichnete.

Neben der Disziplinarmaßnahme, die das endgültige Aus seiner Arbeit beim Radiosender bedeutet, musste Pantoja eine Phase öffentlicher Diskreditierung ertragen, deren Höhepunkt mit einem von Aixa Hevia, der ersten Vizepräsidentin des Kubanischen Journalistenverbandes (UPEC), unterzeichneten Schreiben erreicht wurde. Die Funktionärin beschuldigt ihn, er wolle „sich eine Biographie suchen, die es ihm ermöglichen würde, Zugang zu den Medien in Miami zu erhalten“. Möglicherweise spiegelt sich darin wieder, was sie selbst tun würde, wenn sich ihr die Gelegenheit dazu böte.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein sehr bekanntes Gesicht des offiziellen Journalismus letztendlich „den großen Teich überquert“ und dies – angekommen auf der anderen Seite – damit begründet, dass er „in jenem Moment daran glaubte, aber jetzt nicht mehr“. Die größten Extremisten, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, endeten auf diese Weise: Sie begruben ihre roten oder olivgrünen Uniformen und Kleidungsstücke, ohne gleichzeitig Selbstkritik zu üben, was diejenigen ein wenig entlasten würde, die ihren Ausbrüchen zum Opfer gefallen waren.

Wenn überhaupt erleiden „Instrumente der Zensur“ wie Aixa Hevia mit der Zeit eine selektive Amnesie und vergessen all den Schaden, den sie denjenigen zufügten, die sich ehrlicher und konsequenter verhielten

Wenn überhaupt erleiden „Instrumente der Zensur“ wie Aixa Hevia mit der Zeit eine selektive Amnesie und vergessen all den Schaden, den sie denjenigen zufügten, die sich ehrlicher und konsequenter verhielten. Sie hinterlassen eine Reihe von Kollegen, die sie verraten und zu deren Entlassung sie beigetragen haben, ohne an sie auch nur ein einziges Wort der Entschuldigung oder des Mitgefühls zu richten.

Nicht Pantoja biegt sich hier eine Biographie zurecht, sondern Fanatiker wie die Vizepräsidentin von UPEC, die es fertigbringt, gegen jemanden vorzugehen, den sie eigentlich verteidigen sollte. Als Repräsentantin des journalistischen Gremiums müsste sie ihren Kollegen schützen, statt dazu beizutragen, ihn zu vernichten. Sie hat es jedoch vorgezogen, im Einklang mit der Zensur zu handeln, bevor sie sich mit einem Journalisten verbündet, der nur die Pressefreiheit, die informelle Transparenz sowie das Recht der Leser verteidigen wollte, von Journalisten sachlich informiert zu werden.

Es geht nicht um Spekulationen darüber, ob Pantoja von seinem souveränen Recht Gebrauch machen wird, in einem anderen Land als Journalist zu arbeiten, da es ihm in seinem verboten wurde. Es ist wahrscheinlicher, dass Aixa Hevia eines Tages wie ein Chamäleon die Farbe wechselt, um sich an die Gegebenheiten der nächsten politischen Macht anzupassen, für die sie wieder als reines Instrument agieren will.

 Anm. d. Übers.:

* Die Jugendorganisation der kommunistischen Partei Kubas (PCC)

** Karina Marrón, die Vizepräsidentin der Granma, warnte im Rahmen der 6. Vollversammlung kubanischer Journalisten (UPEC) davor, dass sich auf Kuba ein „perfekter Sturm zusammenbraut“, als Folge der von der Regierung beabsichtigten Kürzungen im Bereich Energie und Brennstoffe.

 

Übersetzung: Lena Hartwig

Elena Burke, diese Stimme, die in der Erinnerung nachhallt

Generación Y, Yoani Sánchez, 06. Juni 2016 Diese Frau hatte etwas. Neben ihrer tiefen Stimme und den Emotionen, die sie durch das Mikrofon übertrug, hatte sie eine Art, die einen in ihren Bann zog. Wenn sie auf dem Bildschirm erschien, hatte meine kindliche Überheblichkeit Pause, ich hörte auf herumzurennen und schenkte ihr stattdessen meine Aufmerksamkeit. Da war sie die „Dame der Gefühle“*, die junge Frau, deren Karriere beim kubanischen Radiosender CMCQ angefangen hatte und die in dem Jahr geboren wurde, in dem auch der Kapokbaum im Parque de la Fraternidad** in Havanna gepflanzt wurde. Ich wurde still, um ihr zuzuhören.

Temperament, Emotion und eine Interpretation, die jede gute Darbietung oder die Erinnerung bei weitem übertraf, waren ihr Markenzeichen. Sie lebte jedes Lied. Man sah, wie sie wegen Untreue kämpfte, wegen eines gebrochenen Herzens weinte, bis zum Delirium genoss oder wie sie, wie die Frau, die auf einer beliebigen Türschwelle die Hand zum Abschied hebt, Lebewohl sagte. In der kubanischen Musikszene der 70er und 80er Jahre, voller Ängste und Heuchelei, stach Elena Burke durch ihre Authentizität hervor, sie wollte weder gefallen noch begeistern.

Andere ernteten den Ruhm der internationalen Medien als diese eindrucksvolle und ehrliche Frau nicht mehr unter uns weilte, als die Dame des Filin*** bereits gegangen war. Aber keine kubanische Sängerin hat es bisher geschafft ihre Interpretationen der Lieder von Komponisten wie José Antonio Méndez, Marta Valdés oder César Portillo de la Luz und vielen anderen, denen sie ihre Stimme lieh, zu übertreffen. Denn diese Frau, die das Mikrofon in der Hand hielt und deren Silhouette den ganzen Bildschirm ausfüllte war einfach nur sie selbst, ohne Verschönerungen, ohne Zugeständnisse und ohne Heuchelei.

Anm. d. Ü.:

*Elena Burke wurde auch als „Señora Sentimiento“ (Dame der Gefühle) bezeichnet, da sie sich durch die gefühlvollen und ehrlichen Interpretationen ihrer Lieder auszeichnete und eine wichtige Figur in der Musikbewegung „Filin“ verkörperte.

**Der Park „Parque de la Fraternidad Americana” ist ein Komplex aus mehreren Parks in Havanna. Der Kapokbaum wurde zur Unabhängigkeit Kubas im Jahr 1902 im Stadtviertel Cerro gesät und im Jahr 1928 in den Park gepflanzt.

***Filin (nach dem englischen Wort Feeling) ist eine moderne Musikbewegung, die sich in den 50er Jahren in Kuba entwickelte. Diese Bewegung hatte ihren Ursprung unter anderem im lateinamerikanischen Musikstil Bolero.

 

Übersetzung: Anja Seelmann

Die Stimme deiner Rechte

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Yoani Sánchez‘ neue Interviewserie im Kanal der Deutschen Welle Lateinamerika: La voz de tus derechos (Die Stimme deiner Rechte). (Bildausschnitt aus dem Video)

Generación Y, Yoani Sánchez, 04. April 2016  Was tun, wenn man ein Megaphon in der Hand hat? Seit ich 2007 mit meinem Blog Generación Y anfing, hat mich diese Frage nicht mehr losgelassen. Oft genug nützte meine Sicht der Dinge nicht jenen, die es am nötigsten gehabt hätten, und der schützende Schirm, wie es mein Zugang zu internationalen Organisationen ist, erreichte nur einige wenige. Den Platz vor einem Mikrophon allein zu besetzen, nur um selbst etwas laut zu sagen, ist eine Verschwendung, weil das mehr mit Monolog als mit journalistischer Arbeit zu tun hat. La voz de tus derechos (Die Stimme deiner Rechte)das neue TV-Programm mit Interviews, die ich bei der Deutschen Welle in Lateinamerika moderiere, beabsichtigt, das Megaphon an die heranzuführen, die es am meisten brauchen.

Die 40 Episoden, die in Panama Stadt aufgezeichnet wurden, haben eine Gästeliste, die unverzichtbar für alle ist, die unseren Teil der Welt kennenlernen und sich mit der Geschichte ihrer Menschen befassen wollen: Umweltaktivisten; Frauen, die gegen den Feminizid* kämpfen; Menschenrechtsorganisationen, die die Überfüllung in den Gefängnissen anprangern; Gruppen, die Kinderarbeit aus allen Blickwinkeln ansprechen… das sind nur einige der Themen mit denen sich die Personen, denen ich in den kommenden Wochen im Studio begegnen werde, befassen.

Ich treffe auf Protagonisten, die versuchen ein Fenster in einem Haus zu öffnen, dessen Tür verschlossen ist. Meine Rolle in diesem Programm ist nicht nur eine berufliche Herausforderung in meiner journalistischen Karriere, sondern sie beinhaltet auch, dass ich mich den Schweigenden in jeder Gesellschaft verpflichtet fühle. Mögen die Kameras und die Macht des audiovisuellen Mediums dazu beitragen, dass sich ihre Projekte besser verwirklichen lassen und ihr Leben weniger gefahrvoll verläuft.

Anmerkung des Übersetzers:

Feminizid, span. Feminicidio, ist in beiden Sprachen ein Neologismus, der den Mord an Frauen meint, als die schlimmste Form von geschlechtsspezifischer Gewalt.

Übersetzung: Dieter Schubert

Vor dem Spiegel

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Die Vermischung der Kulturen und einen Teil von dem zu übernehmen, was ihnen das neue Land bietet, hat bei den Kubanoamerikanern ein Durcheinander aus Verhaltensweisen und Träumen ausgelöst. (Geandy Pavón)

Generación Y, Yoani Sánchez, 06. März 2016 Es handelt sich um die Ausstellung „The Cuban-Americans“ des Künstlers Geandy Pavón (Las Tunas, 1974). Dort findet man die Tante mit Lockenwicklern auf dem Kopf und dem mütterlichen Blick, eine Nachbarin im Morgenmantel und jene Freundin, die ihre Geburtstagskerzen auspustet. Es sind bekannte Gesichter, Verwandte. Sie wohnen hunderte Kilometer von der Insel entfernt, aber sie kommen wieder zu uns – wie in einem Spiegel, der ein Bild von uns ohne Verzerrungen oder Verfälschungen zeigt.

In diesem fernen Land versuchen die Ausgewanderten ihre Träume zu verwirklichen, sie nehmen neue Bräuche an, behalten ihre Vorliebe für Reis mit Bohnen bei, und sie sehnen sich nach einem Land, das nur noch in ihren Erinnerungen existiert. Diesen „Kosmos“, in dem sich das Leben der Kubanoamerikaner abspielt, nannte der Schriftsteller Gustavo Pérez Firmat das Hyphen* oder den Bindestrich, „der Kubaner und Nordamerikaner vereint, sie aber gleichzeitig nominal und kulturell trennt.“

Pavón fängt in dieser Reihe von Schwarzweißfotografien, die im Cervantes-Institut in New York ausgestellt wurde, einen Teil der Nostalgie derer ein, die ihre Wurzeln nur noch ganz tief in sich tragen, damit die neue Generation ein besseres Leben führen kann. Eltern, die ihr bisheriges Leben zurückließen, das Haus, wo sie aufwuchsen, und sogar ihre Eheringe; und das alles nur, um ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Sie sind wie wir, aber sie haben mehr erlebt, und in ihren Ohren klingt die Bezeichnung „Kubaner“ süß und schmerzhaft.

Sie heißen Josefa, Paco, Pedro, Yosvany, Miguel… und sie haben den täglichen Kontakt mit der anderen Kultur erlebt, aber auch die Freude an den kleinen Dingen, die sie mitnehmen konnten: den Teil eines Liedes, das vergilbte Foto der Oma und die Erinnerung an den Hund, der im Zwinger bellte. Sie haben auch mit Traurigkeit und dem Gefühl verlassen zu sein zu kämpfen und mit der Überzeugung, dass sie nicht ganz in das Land gehörten, das sie verließen, aber auch nicht in das neue gehören, das sie aufgenommen hat. Es sind Menschen, die ihre eigene Heimat mit sich herumtragen.

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Die Ausstellung ist voller intimer Momente. Hinter verschlossenen Türen, in der Wärme des Zuhauses, zeigt sich der kubanische Teil von ihnen in einer Geste, in einer Haltung oder einfach nur in einem bestimmten nostalgischen Schimmern ihres Blicks.

Der Schöpfer von The Cuban-Americans ließ sich von Robert Franks berühmter Fotoreihe The Americans inspirieren. Das Werk des amerikanischen Künstlers wurde damals stark kritisiert, „weil es nicht das Bild von Fortschritt und Großartigkeit zeigte, das man in den 50er Jahren vermitteln wollte“, erinnert sich Pavón. Wie Frank wollte auch Pavón den „Klischees und Gemeinplätzen“ entkommen.

Dieses „Niemandsland”, wohin die Exilanten von Politik, Intoleranz und den Einwanderungsbeschränkungen verbannt wurden, ähnelt in vielen Dingen dem Land, in dem wir – hier wie dort – wie in einer Seifenblase leben, die unsere Intimität erzeugt hat. Es ist eine Identität, die nur schwer auf touristischen Schnappschüssen oder Postkarten in Sepia zu finden ist, die das ausländische Auge glücklich stimmen. Über seine fotographische Arbeit hinaus, musste Pavón tief in die kubanische Seele eintauchen.

Von diesem Kopfsprung ist er ohne schöne Ruinen, alte Autos und ohne ein zwangloses Lächeln zurückgekehrt. Stattdessen stellt der Künstler fest, dass er „ein anderes Kuba außerhalb Kubas“ gefunden hat, eine Nation, die vor langer Zeit aufgehört hat, an eine Insel gebunden zu sein.

Anm. d. Übersetzerin: *Hyphen heißt der bei einem Kompositum verwendete Bindestrich

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

Apple vs. FBI, ein Streit aus kubanischer Sicht

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Ein iPhone der Firma Apple. (EFE)

Generación Y, Yoani Sánchez, 05. März 2016 Als sie ihm das Telefon zurückgaben, waren alle Kontakte gelöscht und die Speicherkarte mit den Fotos nicht mehr da. Geschichten wie diese gibt es zu Hauf bei festgenommenen Aktivisten, die mit der Beihilfe des kubanischen Telekommunikationsunternehmen Etesca – dem technologischen Arm der Repression in Kuba – strengstens überwacht werden. Eine Körperschaft, die jene Abfuhr zur Kenntnis nehmen müsste, die Apple dem FBI  in den USA erteilt hat, in dem die Firma sich weigerte, Zugriff auf Kundendaten zu gewähren.

Über Jahrzehnte hinweg hat sich die kubanische Gesellschaft an die Tatsache gewöhnt, dass die Regierung die Privatsphäre der Einzelpersonen nicht respektiert. Der Staat ist berechtigt, in der persönlichen Korrespondenz herumzuschnüffeln, medizinische Akten vor laufenden Kameras zu zeigen, persönliche Nachrichten im Fernsehen zu veröffentlichen und systemkritische Telefongespräche in den Medien zu verbreiten. In so einem Rahmen existiert keine Intimität, die Privatsphäre wurde durch die Machthaber invadiert.

Die Menschen betrachten es als “normal”, dass man einfach auf die Telefone zugreift und dass in Wohnungen Oppositioneller versteckte Mikrophone auch den kleinsten Seufzer erfassen. Außerdem ist es Gang und Gebe, dass Etesca seine Dienstleistungen für Dissidenten während bestimmter nationaler Veranstaltungen einstellt, oder bei Besuchen von ausländischen Staatsoberhäuptern, und den Empfang von Nachrichten blockiert, deren Inhalt ihnen unangenehm erscheint. Diese orwellsche Situation zieht sich nun schonso lange hin, dass nur noch Wenige bemerken, dass diese illegal ist und eine Verletzung der Menschenrechte darstellt.

Das Gefühl von ständiger Überwachung hat dazu geführt, dass sie sogar auf unsere Art und Weise wie wir sprechen Einfluss genommen hat und nun ist unsere Sprache gekennzeichnet durch Flüstern, Gesten und Metaphern, um diejenigen Worte nicht zu verwenden, die uns Probleme bereiten könnten

Das Gefühl von ständiger Überwachung hat dazu geführt, dass sie sogar auf unsere Art und Weise wie wir sprechen Einfluss genommen hat und nun ist unsere Sprache gekennzeichnet durch Flüstern, Gesten und Metaphern, um diejenigen Worte nicht zu verwenden, die uns Probleme bereiten könnten. Das geht soweit, dass nur Wenige heutzutage den Namen von Fidel oder Raúl Castro aussprechen, sondern durch Grimassen ersetzen, mit denen ein Bart, schmale Augen oder zwei auf den Schultern platzierten Fingern vorgetäuscht werden, und so Anspielungen auf „diese“, „die Macht“, „die Regierung“, „die Partei“ machen.

Wo die Grenzen eines Staat liegen, um an private Information zu gelangen, das ist im Augenblick  Schwerpunkt der internationalen Debatte, von der ausgehend  die Regierung der Vereinigten Staaten vom Technologieunternehme Apple verlangte, das Telefon freizugeben, das der für eine Schieβerei in Kalifornien verantwortliche Terrorist benutzte, bei der 14 Menschen ums Leben kamen. Die Diskussionen werden lauter zwischen denjenigen, die die Forderung nach Sicherheit verfechten und denjenigen, für die es eine Gefahr darstellt, die Rechte auf Datenschutz zu verletzen.

Ganz weit von diesen Fragestellungen entfernt befindet sich die kubanische Gesellschaft, die es öffentlich nicht einmal in Betracht zieht, die in mehr als einem halben Jahrhundert  durch Einmischung von Seitens der Regierung in alle Bereiche des täglichen Lebens verlorene Privatsphäre zurückzuerobern. Sogar ein privates Tagebuch zu führen, die Türe eine Zimmers zu schließen oder mit gesenkter Stimme zu sprechen wird von einem System verpönt, das versucht hat, die Individualität durch Vermassung zu ersetzen und die Intimität in der Promiskuität der Unterkünfte und Kartellee auszumerzen.

Apple befürchtet, dass durch die Erschaffung einer Software, die Telefone freigibt, nicht mehr verhindert werden kann, dass die Regierung oder Hacker diese benutzen, um sich private Information von Millionen unschuldiger Menschen zu erschleichen. Die Firma weiβ, dass jede Macht unersättlich ist, was Information angeht, die man über andere haben will. Daher muss die Gesetzgebung diesen Überschreitungen des Eindringens in die Privatleben – die typisch für alle Regierungen sind – Einhalt gewähren.

Der Streit über Privatsphäre und Sicherheit wird noch lange andauern, weil es sich dabei um eine ewig andauerndes Spannungsfeld zwischen den Grenzen des sozialen und des persönlichen Freiraums handelt. Der Konflikt zwischen den Interessen eines Landes und diesem zerbrechlichen, aber unumgänglichen Teil, macht uns zu Individuen.

Übersetzung: Berte Fleissig

Ein eher symbolischer als politischer Besuch

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Der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, spricht mit seinem kubanischen Amtskollegen, Raúl Castro. (Weißes Haus)

Generación Y, Yoani Sánchez, 18. Februar 2016 Als das letzte Mal ein Präsident der Vereinigten Staaten Kuba besuchte, war das Kapitol von Havanna noch nicht eingeweiht worden, der herausragende Pitcher José de la Caridad Méndez* lag im Sterben und meine Großmutter war ein kleines Mädchen mit zerzaustem Haar und einem durchdringenden Blick. Es gibt niemanden mehr, der sich an diesen Moment erinnern und ihn aus erster Hand nacherzählen kann, und deshalb wird der Besuch Barack Obamas auf der Insel zu einer völlig neuen Erfahrung für uns Kubaner werden.

Wie werden die Menschen reagieren? – Mit Freude und Begeisterung. Auch wenn der Präsident eines anderen Staates nur wenig tun kann, um ein Land, dessen Bevölkerung eine Diktatur zugelassen hat, zu verändern, so wird sein Besuch dennoch eine große symbolische Wirkung haben. Niemand bestreitet, dass der Bewohner des Weißen Hauses unter den Kubanern beliebter ist, als der in die Jahre gekommene und wenig charismatische General, der die Macht aufgrund seiner familiären Herkunft geerbt hat.

Sobald das Flugzeug des Präsidenten kubanischen Boden berührt, wird die Politik der Abschottung, die die Regierung über ein halbes Jahrhundert so geschickt aufgebaut hat, einen irreversiblen Einschnitt erleben. Zu sehen, wie Raúl Castro und Barack Obama sich in Panama die Hand reichen, ist nicht das Gleiche wie ein Treffen auf einem Territorium, das vor kurzem noch voller Plakate gegen „das Imperium“ und voller öffentlichem Spott über Uncle Sam war.

Das Regierungsoberhaupt der Vereinigten Staaten kann Kuba nicht verändern und es ist auch besser, wenn er es überhaupt nicht versucht, denn für das Unrecht in unserem Land sind wir selbst verantwortlich.

Die Presse der Kommunistischen Partei wird äußert geschickt vorgehen müssen, um den offiziellen Empfang des Oberbefehlshabers der Streitkräfte des „Feindes“ vor uns zu rechtfertigen. Die militantesten Anhänger der Regierung werden sich verraten fühlen und es wird ans Licht kommen, dass sich hinter einer vermeintlichen Ideologie nur das Ziel verbirgt, sich mit den typischen Strategien politischer Chamäleons an der Macht festzukrallen.

Auf den Straßen werden die Menschen dieses unerwartete Ereignis mit Begeisterung erleben. Für die Schwarzen und Mestizen unter uns ist dies eine klare und direkte Botschaft in einem Land, in dem die Macht in den Händen einer weißen Gerontokratie liegt. Diejenigen, die ein T-Shirt oder ein Plakat besitzen, auf dem das Gesicht Obamas abgebildet ist, werden es an diesen Tagen zur Schau stellen und somit die Nachlässigkeit der Regierung ausnutzen, und der Geist Fidel Castros wird in diesen Tagen in seinem bewachten Refugium in Havanna noch ein bisschen mehr sterben.

Das Bier „Presidente“** wird aus den Lokalen verschwinden, wo man laut den Satz „Gib mir noch zwei Obamas!“ hören wird und die Standesämter werden in dieser Woche zweifellos einige Neugeborene mit Namen wie „Obamita de la Caridad Pérez“ oder „Yurislandi Obama“ in das Geburtenregister eintragen. Pepito, der kleine Junge aus den kubanischen Witzen, wird für diesen Anlass ein paar neue Scherze in Umlauf bringen und die Ramschverkäufer werden Produkte, mit dem Bild des ehemaligen Anwalts und den fünf Buchstaben seines Namens anbieten.

Trotzdem ist eines klar, über einen kurzlebigen Enthusiasmus hinaus kann das Regierungsoberhaupt der Vereinigten Staaten Kuba nicht verändern und es ist auch besser, wenn er es überhaupt nicht versucht, denn für das Unrecht in unserem Land sind wir selbst verantwortlich. Dennoch wird seine Reise einen großen und langanhaltenden Einfluss ausüben und er sollte die Gelegenheit nutzen, um eine laute und deutliche Botschaft über die Mikrophone zu vermitteln.

Seine Worte sollten sich an die jungen Menschen richten, die aus Verzweiflung in Gedanken schon ein Floß aufrüsten, um aus dem Land zu fliehen. Ihnen muss man zeigen, dass unser Mangel an Gütern und Moral nicht die Schuld des Weißen Hauses ist. Die beste Möglichkeit für Barack Obama auf die Geschichte Kubas einzuwirken, besteht darin unmissverständlich klar zu machen, dass die Verantwortlichen unseres Dramas auf dem Platz der Revolution von Havanna zu finden sind***.

Anmerkung. d. Übers.:

*José de la Caridad Méndez, auch bekannt als der „schwarze Diamant“ (el diamante negro) war ein kubanischer Pitcher, der in seiner Heimat zu einer Legende wurde und sowohl in die kubanische als auch in die US-amerikanische Baseball Hall of Fame aufgenommen wurde. Er starb am 31 Oktober 1928 in Havanna an Tuberkulose.

** Das Bier „Presidente“ (la cerveza Presidente) ist eine Biermarke aus der Dominikanischen Republik, die von Kuba importiert wird, um die eigene, unzureichende Produktion auszugleichen.

*** Die Plaza de la Revolución (Platz der Revolution) ist ein öffentlicher Platz in Havanna, Kuba und wurde durch die kubanische Revolution bekannt, während der die Regierung Batistas gestürzt und durch die von Fidel Castro abgelöst wurde.

Übersetzung: Anja Seelmann