Ethische Lähmungen, der traurige Fall des Ignacio Ramonet

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An der gleichen Universität, an der Ramonet (rechts) am Dienstag sein Buch vorstellte, wurde vor einigen Monaten eine Journalismusstudentin wegen ihrer Verbindung zu einer unabhängigen Oppositionsgruppe verwiesen. (UCLV)

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YOANI SÁNCHEZ | GENERACIÓN Y | 23. November 2017  Als 2006 das Interview von Ignacio Ramonet* mit Fidel Castro veröffentlicht wurde, ließen sich viele Bürger die Gelegenheit nicht entgehen, sich über den Titel lustig zu machen. „Warum sollten wir ‚Hundert Stunden mit Fidel**‘ lesen, wenn wir unser ganzes Leben mit ihm verbracht haben?“, war auf der Straße zu hören, doch der Journalist hat nicht einmal Notiz davon genommen.

Jenes Buch, das durch seinen ausgeprägten journalistischen Sanftmut als eine Autobiografie des „Máximo Líders“ eingestuft werden kann, erntete mehr als nur Gelächter. Der Autor wurde auch mit Anschuldigungen überhäuft, dass er mittels „Kopieren und Einfügen“ den Inhalt alter Reden von Fidel Castro für die Antworten hergenommen habe.

Ohne eine überzeugende Erklärung zu solchen Fragen abgegeben zu haben, ist Ramonet nun mit einem weiteren Buch zurückgekehrt, für das er diese Woche an mehreren Universitäten auf der Insel warb. Dieser Band trägt ebenfalls einen jener Titel, die ein spöttisches Lächeln auslösen: Das Imperium der Überwachung (Originaltitel: El imperio de la vigilancia).

Am vergangenen Dienstag hielt der Professor für Kommunikationstheorie an der Zentraluniversität Marta Abreu de Las Villas eine Ansprache im Rahmen der Präsentation des Buches, das im José Martí Verlag veröffentlicht wurde. Es wurde eine bittere Schmährede gegen das globale Überwachungsnetz, das die Vereinigten Staaten geknüpft haben, um an Informationen über Bürger, Gruppen und Regierungen zu kommen.

 Ramonet leidet unter einer ethischen Lähmung, wenn es darum geht, Verantwortung zu verteilen und anderen Regierungen aufzuzeigen, dass sie jeden Tag in die Privatsphäre ihrer Bürger eindringen.

Das Buch legt besonderen Nachdruck auf die Komplizenschaft von Unternehmen, die die Nutzerdaten verwalten, um sie in das Spionagenetz der kommerziellen Interessen, der Kontrolle und Unterordnung einzufügen. Ein Netz, in dem die moderne Gesellschaft gefangen ist und aus dem man sich dringend befreien soll, so die Analyse des Professors.

Bis dahin unterscheidet es sich nicht von dem, was so viele Cyberaktivisten auf der ganzen Welt anprangern, aber Ramonet leidet unter einer ethischen Lähmung, wenn es darum geht, Verantwortung zu verteilen und anderen Regierungen aufzuzeigen, dass sie jeden Tag in die Privatsphäre ihrer Bürger eindringen.

Die Tatsache, dass Ramonet in so ein „orwellianisches“ Land wie Kuba gereist ist, um mit dem Finger auf Washington zu zeigen, ist ein Beweis für seinen unhaltbaren Standpunkt, wenn es darum geht, Themen zu behandeln, wie „Big Data“, die Legalisierung von Web-Überwachung und die Sammlung von Benutzerdaten, um Verhalten vorherzusagen oder Produkte zu verkaufen.

Die Insel, auf der die Staatssicherheit (in diesem Fall der „Big Brother“) über jedes Detail im Lebens von Einzelpersonen wacht, ist nicht der beste Ort, um über indiskrete Augen zu sprechen, die die Emails anderer lesen, auch nicht über Polizeibeamte, die jede Information überwachen, die das Netz durchquert, und über Daten, die von Regierungsbeamten abgefangen werden, um damit Menschen zu unterdrücken.

Die Regierung dieser Nation, die von ihrem Sitz auf der „Plaza de la Revolución“ aus eine strenge Kontrolle über die Informationen aufrechterhält und nur die öffentliche Verbreitung von wohlwollend gesinnten Reden zulässt, müsste eigentlich zu den Regimen gehören, die Ramonet in seinem Buch anprangert. Seltsamerweise gibt es aber für den Journalisten „schlechte“ und „gute“ Überwachungen, und in letztere scheint diejenige zu fallen, die von der kubanischen Regierung durchgeführt wird. 

Die Regierung dieser Nation, die von ihrem Sitz auf der „Plaza de la Revolución“ aus eine strenge Kontrolle über die Informationen aufrechterhält, müsste eigentlich zu den Regimen gehören, die Ramonet in seinem Buch anprangert.

An der gleichen Universität, an der Ramonet am Dienstag sein Buch vorstellte, wurde vor einigen Monaten eine Journalismusstudentin wegen ihrer Verbindung zu einer unabhängigen Oppositionsgruppe verwiesen. Das Imperium der Überwachung reagierte nicht halbherzig und mit der Hilfe einiger Studenten und Studentenführer, die zur Komplizenschaft gezwungen wurden, warf man sie aus der Uni.

Wenige Tage später starteten die Cyberpolizisten, die diese Kontrollarmee bilden, eine Verleumdungskampagne gegen die junge Frau in den sozialen Netzwerken. Sie benutzten Informationen aus ihren Emails, Telefonaten und sogar privaten Gesprächen, um sie zu verunglimpfen. Unser „Big Brother“ handelte ohne Rücksicht auf Verluste.

Vor einigen Jahren zeigte das nationale Fernsehen den Inhalt mehrerer privater Emails, die aus dem persönlichen Account einer Oppositionellen gestohlen wurden. All dies geschah ohne richterliche Anordnung, ohne dass die Dame etwa wegen eines Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurde und natürlich ohne bei Google die Freigabe der Emails beantragt zu haben, deren Inhalt vermutlich veröffentlicht werden sollte.

Ramonet kann nicht ignorieren, dass das kubanische Telekommunikationsunternehmen Etecsa einen strengen Filter für jede von ihren Kunden gesendete Textnachricht einsetzt. Das staatliche Monopol zensiert Wörter wie „Diktatur“ und den Namen von Oppositionsführern. Obwohl die Nachrichten kostenpflichtig sind, erreichen sie nie ihr Ziel.

Der ehemalige Direktor von ‚Le Monde Diplomatique‘ ist eben auch nicht in eine Wifi-Zone gegangen, um auf eine dieser Websites zuzugreifen, die die Regierung nach jahrelangem Druck durch die Bürger geöffnet hat

Der ehemalige Direktor von Le Monde Diplomatique ist eben auch nicht in eine Wifi-Zone gegangen, um auf eine dieser Websites zuzugreifen, die die Regierung nach jahrelangem Druck durch die Bürger geöffnet hat. Wäre er in solch einer Wifi-Zone gewesen, wüsste er, dass das chinesische Firewall-Modell auf dieser Insel kopiert wurde, um unzählige Seiten zu zensieren.

Weiß Ramonet, dass eine große Anzahl kubanischer Internetnutzer anonyme Proxies nicht nur für den Zugriff auf diese gefilterten Websites verwendet, sondern auch, um ihre privaten Informationen vor dem indiskreten Auge des Staates zu schützen? Hat er bemerkt, dass die Stimmen der Leute leiser werden, um über Politik zu sprechen, dass sie verbotene Bücher einbinden oder den Computerbildschirm mit ihren Körpern bedecken, wenn sie eine blockierte Zeitung wie 14ymedio besuchen?

Hat er sich über die Vereinbarung zwischen Havanna und Moskau gewundert, in Kuba ein Zentrum unter dem Namen InvGuard zu eröffnen, das ein angebliches Schutzsystem gegen Angriffe auf Netzwerke einführen soll? Gerade jetzt wo der Kreml beschuldigt wird, über das Internet manipuliert zu haben, vom Brexit über die katalanische Krise bis hin zu den US-Wahlen.

Keine dieser Antworten wird der Leser in Ignacio Ramonets jüngstem Buch finden können, denn genauso wie jene Autobiografie von Fidel Castro, die versuchte als Interview durchzugehen, kann dieses Buch von den Kubanern schon allein aufgrund seines Titels allein in Frage gestellt werden: Warum sollte man Das Imperium der Überwachung lesen, wenn man sein ganzes Leben lang unter seiner Herrschaft gestanden hat?

Anmerkung der Übersetzerin:

*Ignacio Ramonet, geb. 1943 in Redondela, Spanien, ist ein spanischer Journalist, der in Paris lebt. Er ist Ehrenpräsident der ATTAC-Bewegung. Von 1991 bis 2008 war er Direktor der französischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, jetzt leitet er die spanischsprachige Ausgabe dieser Zeitung.

**100 Horas con Fidel (100 Stunden mit Fidel) ist auf Deutsch erschienen unter dem Namen: Mein Leben | Fidel Castro, Ignacio Ramonet, Barbara Köhler (Übersetzerin).

Übersetzung: Nina Beyerlein

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Intellektuelle verurteilen die Unterdrückung auf Kuba

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Ein Bild von der polizeilichen Durchsuchung am Sitz von Cubalex. (14ymedio)

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14YMEDIO, Havanna | 03. Oktober 2016 

Ungefähr zwanzig Intellektuelle haben die kubanische Regierung gebeten, die Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden zu beenden. Sie wollten einen pluralistischen und toleranten Dialog durch einen Brief einleiten, der letzten Montag veröffentlicht wurde. In diesem Brief verurteilen sie die Unterdrückung auf der Insel.

Die Unterzeichner des Textes verurteilen das, was sie “die Welle der Unterdrückung, die Kubas Regierung in den letzten Monaten ausgelöst hat“ nennen. Dazu gehören „Inhaftierungen, repressive Gewalt, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und jede Art von Einschüchterung gegen Gruppen, die auf friedliche Weise einen Rechtsstaat fordern“.

Außerdem zeigen sie auf, dass “sowohl der Druck, der auf den Jugendlichen wegen des Stipendienprogramms für die USA lastet, als auch die Durchsuchung, die kürzlich in den Räumlichkeiten von Cubalex stattfand, alarmierend sind“.

In diesem Brief, der auf der Plattform Change.org Platz für weitere Unterschriften bietet, appellieren die Intellektuellen an die internationale Gemeinschaft, auf diese Geschehnisse zu reagieren und fordern die kubanische Regierung dazu auf, „diese Gewalttaten zu beenden und Teil eines Prozesses des nationalen Dialogs zu werden, um in einem pluralistischen und toleranten Rahmen auf demokratische Weise alle Probleme anzugehen, die die kubanische Gesellschaft quälen und Lösungen zu suchen“.

Zu den Unterzeichnern gehören die Kubaner Armando Chaguaceda, Enrique Patterson, Haroldo Dilla, Juan Antonio Blanco, Marlene Azor, Norges Rodríguez und Pedro Campos, sowie weitere Intellektuelle aus Argentinien, Brasilien, den USA, Nicaragua und Peru.

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Der Brief:

Intellektuelle verurteilen die Unterdrückung auf Kuba und rufen die kubanische Regierung dazu auf, die Feindseligkeit gegen Andersdenkende zu beenden und einen pluralistischen und toleranten Dialog zu beginnen.

Wir, die Unterzeichner, verurteilen die Welle der Unterdrückung, die die Regierung von Kuba in den letzten Monaten ausgelöst hat. Als Vorwand diente ein angeblicher imperialistischer Angriff. Gegner mit verschiedenen ideologischen Ausrichtungen hatten mit unterschiedlichen Formen von Verfolgung zu kämpfen. Die Zahl der Inhaftierungen, die repressive Gewalt, die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und jede Art von Einschüchterung gegen Gruppen, die auf friedliche Weise einen Rechtsstaat fordern, sind angestiegen.

Der Druck, der auf den Jugendlichen wegen des Stipendienprogramms für die USA lastet und die Durchsuchung, die kürzlich in den Räumlichkeiten von Cubalex stattfand, sind alarmierend. Cubalex ist eine Organisation von Anwälten, die Rechtsberatung für Personen bietet, die von einem Verstoß gegen ihre Bürgerrechte betroffen sind, wie z. B. unbefugtem Eindringen in Wohnungen, Beschlagnahme von technischem Gerät, schikanöses Verhalten gegenüber den Betroffenen und Androhung von Strafverfolgung wegen ihrer Tätigkeit.

Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, auf diese Geschehnisse zu reagieren, um eine Eskalation zu vermeiden, die die Lage des kubanischen Volkes nur noch weiter verschlimmern würde.

Wir fordern die kubanische Regierung auf, diese Gewalttaten zu beenden und Teil eines Prozesses des nationalen Dialogs zu werden, um in einem pluralistischen und toleranten Rahmen auf demokratische Weise alle Probleme anzugehen, die die kubanische Gesellschaft quälen und Lösungen zu suchen.

Dieselbe Regierung, die die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Kolumbien und der linksgerichteten Guerillabewegung FARC ermöglicht hat, sollte einen Dialog mit seinem eigenen Volk fördern, um in einem pluralistischen und toleranten Rahmen Lösungen für Probleme zu finden, die die kubanische Gesellschaft quälen.

ARMANDO CHAGUACEDA, POLITIKWISSENSCHAFTLER, KUBA
BOLÍVAR LAMOUNIER, POLITIKWISSENSCHAFTLER, BRASILIEN
ENRIQUE PATTERSON, PHILOSOPH, USA
HAROLDO DILLA ALFONSO, SOZIOLOGE, KUBA/CHILE
JAVIER CORRALES, POLITIKWISSENSCHAFTLER, USA
JEFFERSON REPETTO LAVOR, BETRIEBSWIRT, BRASILIEN
JUAN ANTONIO BLANCO GIL, HISTORIKER, KUBA
LAURA TEDESCO, POLITIKWISSENSCHAFTLERIN, ARGENTINIEN
MÁRIO MIRANDA FILHO, PHILOSOPH, BRASILIEN
MARLENE AZOR HERNÁNDEZ, SOZIOLOGIN, KUBA
MOUSTAFA HAMZE GUILART, INGENIEUR, BRASILIEN
NORGES RODRÍGUEZ, BLOGGER, KUBA
OSCAR PEÑA, JOURNALIST, USA
PEDRO CAMPOS, HISTORIKER, KUBA
ROBERTO CAJINA, BERATER, NICARAGUA
RUT DIAMINT, INTERNATIONALER AKTIVIST, ARGENTINIEN
SAMUEL FARBER, HISTORIKER UND POLITOLOGE, USA
SIMON SCHWARTZMAN, SOZIOLOGE, BRASILIEN
SIMONE MARIA FIGUEIREDO QUEIROZ, HISTORIKERIN, BRASILIEN

Übersetzung: Eva-Maria Böhm

Die Journalisten, die gebraucht werden

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Sechs Mitglieder des kubanischen Volleyball-Teams befinden sich in Finnland in Haft, ohne dass die Presse die Straftat bekannt gab, der sie beschuldigt werden. (Volleyball World League)

Generación Y, Yoani Sánchez, 07. Juli 2016 Mein Vater kam mit einer Frage nach Hause, die ihm keine Ruhe ließ: „Welches ist wohl das Verbrechen, für das mehrere kubanische Sportler in Finnland angeklagt worden sind?”. Er kannte nur die offizielle Mitteilung des Kubanischen Volleyballverbandes, die am Montag in den TV-Nachrichten verlesen und von den Zeitungen veröffentlicht wurde. Aus dem Text ging nicht hervor, welche Missetat ihnen zur Last gelegt wird, deshalb spekulierte mein Vater: „Illegaler Tabakverkauf? Diebstahl? Störung des öffentlichen Friedens?“.

Die Vergewaltigung einer Frau, für die man die Athleten verantwortlich hält, wird in der Erklärung nicht erwähnt, was einen „Akt der Geheimhaltung“, das Verschweigen der Wahrheit und eine Respektlosigkeit gegenüber der Öffentlichkeit darstellt. Die staatliche Presse behandelt uns so, als ob wir kleine Kinder wären, vor deren zarten Ohren man keine so unanständigen Details erwähnen darf. Oder schlimmer noch – als ob wir es nicht verdienten, über die Schwere der Anschuldigungen Bescheid zu wissen.

Das Geschehene lässt die Zwangsjacke sichtbar werden, die die professionellen Berichterstatter daran hindert, ihre Arbeit im Rahmen der Medien auszuüben, die von der Kommunistischen Partei kontrolliert werden. Hier handelt es sich um etwas, das viele Journalisten mit Schmerz und Frustration ertragen, während andere – die opportunistischer sind – von der Zensur profitieren und eine mittelmäßige Arbeit abliefern, oder eine, die es den Machthabern bequem macht.

Warum ist kein prominenter Europa-Korrespondent der lateinamerikanischen Presse nach Finnland gereist, um dort im Minutentakt darüber zu berichten, was mit den kubanischen Athleten passiert?

Das Geschehene lässt die Zwangsjacke sichtbar werden, die die professionellen Berichterstatter daran hindert, ihre Arbeit im Rahmen der Medien auszuüben, die von der Kommunistischen Partei kontrolliert werden

Jeden Tag sind wir dieser Art von unterdrückter Information durch die staatlichen Medien ausgesetzt. Jenes schon chronisch gewordenen Fehlen steht im Widerspruch zu dem Fingerzeig von Miguel Díaz-Canel, dem Ersten Vizepräsidenten Kubas, wenn er dazu aufruft, einen Journalismus ohne Selbstzensur zu betreiben, der näher an die Realität gebunden ist. Wo ist dieser Funktionär denn jetzt, wenn es gilt, die Reporter  anzutreiben, dass sie ihre Recherchen anstellen und Einzelheiten über das Schicksal der Volleyballer veröffentlichen?

Es ist sehr bequem, die Journalisten dazu zu ermuntern, mutiger zu sein, doch ihnen dann, wenn der Moment gekommen ist, zu raten, lieber vorsichtig zu bleiben oder gar Stillschweigen zu bewahren. Solche Falschheiten haben sich innerhalb der letzten fünf Jahrzehnte so oft wiederholt, dass sich in der kollektiven Denkweise  die Vorstellung breit gemacht hat, „Presse“ sei ein Synonym für „Propaganda“ und ein Informator, ein Regierungsvertreter.

Der Schaden, der dem kubanischen Journalismus zugefügt wurde, ist tiefgreifend und systematisch. Ihn zu reparieren wird lange dauern; es braucht den Respekt vor diesem ehrenvollen Beruf als Rahmen und auch eine neue Generation von Berichterstattern, die nicht durch die “Laster” der aktuellen kubanischen Akademie für Journalismus gekennzeichnet ist. Jene jungen Menschen, die keine Kompromisse mit den Machthabern eingehen, sind die einzige Hoffnung, die uns bleibt.

Übersetzung: Nina Beyerlein

Elena Burke, diese Stimme, die in der Erinnerung nachhallt

Generación Y, Yoani Sánchez, 06. Juni 2016 Diese Frau hatte etwas. Neben ihrer tiefen Stimme und den Emotionen, die sie durch das Mikrofon übertrug, hatte sie eine Art, die einen in ihren Bann zog. Wenn sie auf dem Bildschirm erschien, hatte meine kindliche Überheblichkeit Pause, ich hörte auf herumzurennen und schenkte ihr stattdessen meine Aufmerksamkeit. Da war sie die „Dame der Gefühle“*, die junge Frau, deren Karriere beim kubanischen Radiosender CMCQ angefangen hatte und die in dem Jahr geboren wurde, in dem auch der Kapokbaum im Parque de la Fraternidad** in Havanna gepflanzt wurde. Ich wurde still, um ihr zuzuhören.

Temperament, Emotion und eine Interpretation, die jede gute Darbietung oder die Erinnerung bei weitem übertraf, waren ihr Markenzeichen. Sie lebte jedes Lied. Man sah, wie sie wegen Untreue kämpfte, wegen eines gebrochenen Herzens weinte, bis zum Delirium genoss oder wie sie, wie die Frau, die auf einer beliebigen Türschwelle die Hand zum Abschied hebt, Lebewohl sagte. In der kubanischen Musikszene der 70er und 80er Jahre, voller Ängste und Heuchelei, stach Elena Burke durch ihre Authentizität hervor, sie wollte weder gefallen noch begeistern.

Andere ernteten den Ruhm der internationalen Medien als diese eindrucksvolle und ehrliche Frau nicht mehr unter uns weilte, als die Dame des Filin*** bereits gegangen war. Aber keine kubanische Sängerin hat es bisher geschafft ihre Interpretationen der Lieder von Komponisten wie José Antonio Méndez, Marta Valdés oder César Portillo de la Luz und vielen anderen, denen sie ihre Stimme lieh, zu übertreffen. Denn diese Frau, die das Mikrofon in der Hand hielt und deren Silhouette den ganzen Bildschirm ausfüllte war einfach nur sie selbst, ohne Verschönerungen, ohne Zugeständnisse und ohne Heuchelei.

Anm. d. Ü.:

*Elena Burke wurde auch als „Señora Sentimiento“ (Dame der Gefühle) bezeichnet, da sie sich durch die gefühlvollen und ehrlichen Interpretationen ihrer Lieder auszeichnete und eine wichtige Figur in der Musikbewegung „Filin“ verkörperte.

**Der Park „Parque de la Fraternidad Americana” ist ein Komplex aus mehreren Parks in Havanna. Der Kapokbaum wurde zur Unabhängigkeit Kubas im Jahr 1902 im Stadtviertel Cerro gesät und im Jahr 1928 in den Park gepflanzt.

***Filin (nach dem englischen Wort Feeling) ist eine moderne Musikbewegung, die sich in den 50er Jahren in Kuba entwickelte. Diese Bewegung hatte ihren Ursprung unter anderem im lateinamerikanischen Musikstil Bolero.

 

Übersetzung: Anja Seelmann

Ein Spitzenkoch im 14. Stock

José Andrés

Der Spitzenkoch José Andrés kocht in der Redaktion von 14ymedio. (14ymedio)

Generación Y, Yoani Sánchez, 18. April 2016 José Andrés kam zum besten und gleichzeitig schlechtesten Zeitpunkt des Jahres in Havanna an. Einer der berühmtesten Spitzenköche der Welt klopfte genau an dem Tag an die Tür der Redaktion von 14ymedio, als Barack Obama sich vom kubanischen Volk verabschiedete. Die Unterversorgung der Märkte war kein Hindernis, sondern ein Anreiz für diesen Asturier, der nicht zwischen den glamourösen Küchen in Washington und einem Lagerfeuer im verarmten Haiti unterscheidet.

In seinen Händen wird jede Zutat zu purer Magie. „Welche Zutaten haben Sie da?“, fragte er. Die Antwort spiegelte diese Phase leerer Regale in den Läden wieder. Dennoch besteht die Kunst des Kochens eben genau darin, das zu kombinieren, was zur Verfügung steht. Es ist die Fähigkeit, die wenigen Zutaten, die man zur Hand hat, in einen Genuss für den Gaumen zu verwandeln.

Auf Kuba muss man statt Koch eher Alchemist sein, um ein leckeres Gericht zaubern zu können.

Hier in unserer Nachrichtenredaktion war er nun, dieser Paracelsus des Herdes. „Welche Zutaten haben Sie da?“, fragte er erneut. Sehr wenige. Seit Anfang des Jahres ist es schwierig, auch nur einen Kohlkopf oder ein Pfund Hühnchen zu kaufen. Ein Grund dafür sind die kontrollierten Preise, die die Regierung auf vielen Agrarmärkten eingeführt hat. Noch dazu mangelt es in den Läden an Waren, die man in Peso Convertible bezahlen kann. José Andrés sah im Regal ein Päckchen mit russischem Hafer, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum seit 2010 überschritten ist, und seine Augen strahlten. „Daraus werden wir etwas machen“, meinte er stolz.

Er mischte Zutaten – einige davon hatte er unter der Hand auf den Straßen Havannas gekauft – briet an, rührte um und kam anschließend mit dampfenden und einzigartigen Gerichten aus der Küche. Der großartige Spitzenkoch war bis hoch in den 14. Stock gekommen, um ein unvergessliches Mahl an einem historischen Tag zuzubereiten.

Übersetzung: Lena Hartwig

Die Rebellion von Liliput

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Gulliver wird von den Liliputanern gefesselt (CC)

Generation Y, Yoani Sánchez, 05. November 2015 Der Aufruf zum Sparen ist für die kubanischen Regierungsmitglieder seit mehr als einem halben Jahrhundert eine gängige Praxis, während sie selbst ein üppiges Leben führen. Die Forderung, den “Gürtel enger zu schnallen”, wird von Funktionären mit dicken Hälsen und rosigen Gesichtern vorgebracht, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr wissen, wie ein Kühlschrank mit mehr Raureif als Essen aussieht. Ohne Zweifel ärgert dieser Widerspruch all die, die das rationierte Brot mit einem Verwandten teilen müssen, oder die geschickt ein Stück Seife stückeln, damit es für mehrere Wochen reicht.

Das Unbehagen des Volkes aufgrund des Gegensatzes zwischen dem, was gesagt und dem was getan wird, könnte den Journalisten Alexander A. Ricardo dazu veranlasst haben, in der Zeitung Tribuna de La Habana,  im Ressort Meinung, einen metaphorischen aber treffenden Text zu veröffentlichen. Mit dem Titel “Gullivers Reisen” bezieht sich der Meinungsartikel auf jemanden, der “als Riese an den Küsten des Mittelmeers das Leben genießt, oder als ein abenteuerlustiger Zwerg keine Probleme hat – weder in seinem Leben, noch mit seinem Visum.”

Diese Anspielung wurde wenige Monate später veröffentlicht, nachdem Antonio Castro, einer der Söhne des kubanischen Expräsidenten, von einem Paparazzi entdeckt wurde, während er Urlaub im türkischen Bodrum machte. Ein Ort, den er nach seinem Aufenthalt auf der griechischen Insel Mykonos an Bord einer 50 Meter langen Jacht angesteuert hatte, wo er und seine Begleiterinnen und Begleiter in Luxus-Suiten untergebracht waren.

Es fällt schwer, das opulente Leben von Fidel Castros Sohn (…) nicht auf den ironischen Satz des Journalisten zu beziehen: “Zuhause angekommen erzählt er nichts. Er täuscht seine Landsleute mit Geschichten über Schiffbrüche”

Es fällt schwer, das opulente Leben von Fidel Castros Sohn und die Aufrufe zum Sparen, die heute sein Onkel verlauten ließ, nicht auf den ironischen Satz des Journalisten zu beziehen: “Zuhause angekommen erzählt er nichts. Er täuscht seine Landsleute mit Geschichten über Schiffbrüche”. Die Parallelen zwischen der symbolträchtigen Geschichte und der Wirklichkeit führten dazu, dass sich der Artikel per E-Mail in Kuba wie ein Lauffeuer verbreitete.

Noch mehr Überschneidungen gibt es, wenn A. Ricardo schreibt: „Wieder lichtet er den Anker, dieses Mal bricht er gen Norden auf, wovon ihn in vergangenen Zeiten das kühle Klima abgehalten hatte”. Das stimmt mit der vorherigen Reise des Expräsidenten-Sohns nach New York überein, wo er ebenfalls in Marken-Sportswear und einem Teddybären in der Hand fotografiert wurde.

„Dank seines Vaters reist Gulliver Junior regelmäßig” ist in dem publizierten Artikel der Zeitung aus Havanna zu lesen. Mit anderen Worten: Im System wirtschaftlicher Unsicherheit, das sein Vater Millionen von Kubanern aufbürdete, kann er sich wiederrum einen Luxus erlauben, der höher ist als das, was von der Rente seines pensionierten Vaters bezahlt werden könnte. Aber auch die Liliputaner werden einmal müde. Ob dieser Artikel des Journalisten ein Beispiel für die – mitnichten winzige – Empörung gewesen ist?

Übersetzung: Nina Beyerlein

Leopoldo López: der freiste Gefangene der Welt

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Leopoldo López grüßt aus einem Fenster im Militärgefängis Ramo Verde in Caracas. (EFE)

Generation Y, Yoani Sánchez, 11. September 2015 Ich lernte ihn kennen und es war unmöglich, ihn nicht zu bemerken: Er ragte unter allen hervor: jung, mit beeindruckender Energie und Intelligenz, die voraussehen ließ, dass er es weit bringen würde. Gestern wurde er von einem ebenso parteiischen wie übel gesinnten Gericht zu 13 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Als ich das Urteil hörte, rechnete ich aus, wie alt seine zwei Kinder sein würden, wenn ihr Vater aus dem Gefängnis käme, aber ich hielt plötzlich inne. Leopoldo López wird diese Jahre nicht hinter Gittern verbringen, sagte ich mir, genauso wie auch mein erster Eindruck von ihm nicht trügen wird.

Autoritäre Menschen lernen nichts dazu. Sie sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass Gitterstäbe einen politischen Führer an Größe gewinnen lassen, und dass der im Kerker erfahrene Schmerz sich ihm wie eine auf dem blutigsten Schlachtfeld gewonnene Medaille um den Hals hängt. Leopoldo wird gestärkt aus dem Gefängnis herausgehen, während auf der anderen Seite ein ängstlicher Nicolás Maduro nicht wissen wird, was er mit dem freisten Gefangenen der Welt anfangen soll.

Jeder Tag, den der Venezuelaner hinter Gitter verbringt, wird wie eine schändliche Last am Chavismus hängen, der mit dem Tode ringt.

Ich erinnere mich auch an den Moment, als ich Lilian Tintori kennen lernte. Eine Frau, die ihre eigenen Ängste überwinden musste, um zu der Bürgerin zu werden, die gestern Abend nach der ungerechten Verurteilung die Nachricht ihres Ehemanns las. Bei Lilian Tintori gab es eine Unerschütterlichkeit, die ich bei unserem ersten Wortwechsel in Madrid niemals vermutet hätte. Dennoch hat die Absurdität, die sie erlebt hat, ihre Stärke nochmals hervorgehoben und sie in ihrer Entschlossenheit bestärkt.

Autoritäre Menschen wissen nicht, was sie tun.

Leopoldo wird zurückkommen – jung, voller Energie und vom Schmerz geprägt. Lilian ist schon hier mit jener Bestimmtheit, die dazu führt, dass wir uns alle fragen: Wären wir bereit, das Gleiche für unsere Familien und unser Land zu tun?

Übersetzung: Berte Fleissig

Die heilige Route

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Calle Reina, eine Straße im Zentrum Havannas. (14ymedio)

Generation Y, Yoani Sánchez, 8. September 2015 Die Farbe kommt über die Risse, die Löcher und den Rost des stark beschädigten Metalles der Säulen und Decken. Eine bunte Schicht, die Spinnweben, Spalten und Schmutz versteckt, so wie Schminke, die Falten und Narben überdeckt. Havanna putzt sich für den Besuch von Papst Franziskus heraus. Sie werden retuschiert, die Fassaden in jenen Straßen, durch die der Bischof von Rom kommen wird und die der Volksmund schon spöttisch in die „heilige Route“ umgetauft hat. Es ist ein flüchtiges, eilig aufgetragenes Rouge, das der Regen und die kommenden Monate schon bald wieder wegspülen werden.

Die Menschen konnten sie trotzdem nicht mit einer Schicht Optimismus überziehen. Ihre Haut und ihre Sorgen können die Maler, die einen Zeitplan einhalten müssen, nicht einfach mit ihren  groben Pinselstrichen übermalen. Schon seit den frühen Morgenstunden verlassen die Bewohner Havannas mit über den Schultern baumelten Tüten ihre Häuser auf der Suche nach etwas Essbarem. „Nicht einmal wenn der Papst kommt, gibt es mehr in den Läden“, beschwert sich eine Frau an der Ecke zwischen den Straßen Marinque und Salud, während eine Freundin in Richtung der Avenida Galiano zeigt. „Dort gibt es jetzt heiße Hotdogs, und zwar die richtig Guten“, versichert sie.

Sie werden den Papst nicht in die Nähe der leeren Kühltruhen kommen lassen und deshalb beinhaltet dieses Prozedere nicht den Versuch vorzutäuschen es gäbe genug Lebensmittel oder das Verbergen der allgemeinen Knappheit. So haben wir uns vor den Hähnchenschenkeln aus Karton und dem Milchpulver aus Sand gerettet! Es gibt keine Kosmetika, die das wirtschaftliche Debakel, in dem wir leben überdecken können. So bleiben also die Verkaufstische und die Regale der Märkte hinter geschlossenen Türen, weit weg vom pompösen päspstlichen Gefolge.

Unsere heilige Route ist hohl, ein reines  Bühnenbild, das das Gröbste und das Unglaublichste versteckt.

Übersetzung: Anja Seelmann

Machado Ventura: weder jung noch weiblich

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Machado Ventura, im Jahr 2012, bei der 8. Plenarsitung der Nationaldirektion des Komitees zur Verteidigung der Revolution (CDR). (JCG)

Generation Y, Yoani Sánchez, 31. August 2015 Wenn jemand die Orthodoxie des mehr als altmodischen politischen Systems auf Kuba verkörpert, dann ist dies ohne Zweifel er, José Ramón Machado Ventura. Mit schleppendem Gang und unbegrenzter Macht; der Vizepräsident des Staats- und Ministerrats repräsentiert den reaktionärsten und fortschrittsfeindlichsten Flügel der Inselregierung. Daher kommt es, dass die übersteigerte Führungsrolle, die er in den Medien im Verlauf der letzten Wochen erlangt hat, viele beunruhigt.

Machadito, wie ihn ältere Kubaner nennen, spielt in diesem Sommer die Hauptrolle; angefangen mit Besichtigungen von Zuckerfabriken und einem Treffen mit Viehzüchtern, bis hin zur Abschlussrede auf der Tagung des kubanischen Frauenverbandes, einen Tag beim 10. Kongress des kommunistischen Jugendverbandes, und an diesem Samstag die Schlussworte im Nationalrat des Studentenverbandes FEU. All das, obwohl er weder Landwirt, noch Frau und schon gar nicht mehr jung ist.

Die vielen Fotos und Statements, die die offizielle Presse vom zweiten Sekretär des Zentralkomites der Partei publiziert hat, lassen viele Kubanern über eine Frage nachdenken: Wird sich die harte Linie schlussendlich gegen die Reformer durchsetzten, die möglicherweise Teil der politischen Macht auf Kuba sein könnten? Das häufige Erscheinen von Machado Ventura auf der öffentlichen Bühne lässt keinen Raum für Hoffnungen.

Wird sich die harte Linie schlussendlich gegen die Reformer durchsetzen, die möglicherweise Teil der politischen Macht auf Kuba sein könnten?

Manche nennen diesen Funktionär den „Mann der kleinen Bäume“, loyal bis ins Mark und grau bis in alle Mitochondrien seiner Körperzellen. Von ihm, glaubt man, stammt das Rundschreiben von 1995, das das Aufstellen von Weihnachtbäumen in Hotels und auf öffentlichen Plätzen verbot. Jahre später hat sich das Leben gegen sein Vorhaben durchgesetzt, und heute sieht man überall mit Beginn des Monats Dezember den Santa Claus und bunte Lichter, und das auf eine herausfordernde Art und Weise, die diesem gelernten Arzt überhaupt nicht gefallen kann; ihm, der schon vergessen hat, wann er zum letzten Mal einen Patienten behandelte.

Dieser Achtzigjährige, der so tut als wüsste er alles, repräsentiert das, was auf Kuba ein für alle Mal zu Ende gehen muss. Er verkörpert diese verstaubte Macht, die sich an „die da unten“ richtet, nur um von ihnen höhere Leistung und größere Opfer zu fordern. In seiner Person vereinigen sich Despotismus, Arroganz und die Überlegenheit von jemand, der seit Jahrzehnten weder in einen Omnibus eingestiegen ist, noch die Centavos zählt, um ein Kilo Hühnchen zu kaufen. Der die kühle Leere eines Kühlschranks, der sich mit einem mittleren Monatslohn über Wasser hält, überhaupt nicht mehr fühlt.

In der Zukunft wird Machado glücklicherweise eine jener Figuren sein, die sich in der Geschichte verlieren. Wie in einem dieser Witze, die so populär in Osteuropa waren und später auf unsere Insel kamen, wo jemand seinen Namen in einer Enzyklopädie sucht und dort kaum einen knappen Hinweis auf sich findet. Vielleicht sagt dieser, dass er „dem Kader der kommunistischen Partei Kubas angehörte und zu einer Zeit lebte, als die Kubaner wieder begannen Bäume zu pflanzen, und an Weihnachten Girlanden aufzuhängen.“

Übersetzung: Dieter Schubert

Wolken impfen oder das Schwert von Voltus V

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Der japanische Zeichentrickfilm „Voltus V“

Generation Y, Yoani Sánchez, 28. August 2015 So gut wie erledigt, die Sicht durch die Funkenentladungen der Kurzschlüsse benebelt und das Cockpit in tausend Stücke zerschlagen – so stand Voltus V im Showdown einem gefürchteten Gegner gegenüber, zog jedoch in allerletzter Minute sein Schwert und vernichtete seinen Feind mit einem sauberen Schnitt. Der japanische Anime, der während der 80er-Jahre auf der Insel so beliebt war, scheint die kubanischen Autoritäten in ihrer Tendenz inspiriert zu haben, bestimmte Lösungen solange zurückzuhalten, bis ein Problem die schlimmsten Schäden angerichtet hat.

So geschah es jedenfalls mit der jüngsten Ankündigung, dass ab dem 15. September eine Kampagne „zur künstlichen Erzeugung von Regen“ starten wird. Bei der als „Wolken impfen“ bekannten Technik schießt man pyrotechnische Silberjodid-Kartuschen mit einem russischen Yak-40-Flugzeug in Wolken, sodass die Wasserdampfpartikel kondensieren und somit Niederschlag erzeugt wird, wie die offizielle Presse informierte.

Die erste Reaktion vieler, nachdem sie die Nachricht gelesen hatten, war die, sich zu fragen, warum so etwas nicht schon früher gemacht wurde. Musste das Land bis an die aktuelle Wasserknappheit kommen, damit Voltus V‘s Schwert gezogen wurde? Stauanlagen, die 36 Prozent ihres Gesamtfassungsvermögens nicht überschreiten, sowie 25 Stauseen, ausgetrocknet oder am sogenannten „Punkt null“ — und jetzt erst schlagen die Experten des Nationalen Instituts für Wasserversorgung INRH (Instituto Nacional de Recursos Hidráulicos) vor, die Wolken zu bombardieren?

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht nur hinsichtlich der Langsamkeit und der Unwirtschaftlichkeit unseres Staatsapparates alarmierend, sondern zeigen auch, dass die „Hausaufgaben nicht gemacht wurden“, wenn es darum geht,  solch wertvolle Ressourcen zu schützen. Solange bei uns in Kuba weiterhin 50 Prozent des mit Pumpen geförderten Wassers durch Leckagen und Rohrbrüchen verplempert wird, wird keines der Wasserprojekte je nachhaltig sein.

 Kein Wasserprojekt wird je nachhaltig sein, solange bei uns in Kuba weiterhin 50 Prozent des mit Pumpen geförderten Wassers durch Leckagen oder Rohrbrüchen verplempert wird.

Anderseits lohnt es sich, das Management der Wasserversorgung zu hinterfragen, so, wie es seit Jahrzehnten in unserer Nation geführt wird und dessen Priorität im Bau großer Stauseen lag. Diese Entscheidung hat schließlich zur Beschädigung der gestauten Betten von unzähligen Flüssen geführt und die Sedimente verringert, das diese an die Küsten befördern, was wiederrum eine größere Erosion und den Rückgang von Flora und Fauna in ihren Deltas zur Folge hat.

Natürlich wurden viele dieser Stauseen, deren Auslastung heute unter der Hälfte ihrer Fassungsvermögen liegt, oder die einfach ausgetrocknet sind, in einer Epoche gebaut, in der die Verantwortlichen für die Wasserversorgung über sämtliche Details unserer Leben entschieden haben. Sie sind die Narben, die dem Staatsgebiet von seinen Exzessen zurückgeblieben sind, und von hirnrissigen Plänen, die diesem Volk weder mehr Lebensmittel noch mehr Wasser oder Freiheit beschert haben.

Sie sind die Narben, die dem Staatsgebiet von seinen Exzessen zurückgeblieben sind, und von hirnrissigen Plänen, die diesem Volk weder mehr Lebensmittel, noch mehr Wasser oder Freiheit beschert haben.

Solch außerordentliche Stauwerke für Flüsse und kleine Bäche gingen auf Kosten anderer Lösungen, die uns helfen würden, die derzeitige Situation in den Griff zu bekommen. Dazu gehören Investitionen für die Aufbereitung von Abwässern und für das Entsalzen von Meerwasser, das uns von allen Seiten umgibt. Das Land hat jedoch alles auf eine Karte gesetzt: den Regen. Jetzt sind wir dabei, das Spiel zu verlieren.

Wäre die Aktion „Wolken impfen“ in einem Land mit einer Umweltbewegung angekündigt worden, sähen wir bereits die Proteste in den Straßen. Die Methode ist nicht so harmlos, wie es uns die Zeitung Granma darstellen will. Tatsächlich halten die Kritiker dieser Praxis sie für ein „Eingreifen in den normalen Rhythmus der Natur“ und argumentieren, dass der Feuchtigkeitsentzug in einem Gebiet sich auf das Niederschlagsmuster in anderen Gebieten auswirken kann.

Den Blick nach oben gerichtet, um zu gucken, ob der Regen kommt oder nicht, erwarten wir Kubaner mehr als Wolken zu ernten, die mit einem Schuss Silberiodid verändert worden sind. Wir verdienen eine zuverlässige Wasserpolitik, langfristig, ohne Magie oder Beschwörungsformeln, jedoch mit Garantien. Damit uns die nächste Dürre uns nicht wie Voltus V erwischt: so gut wie erledigt und durstig hebt er den Arm, um das majestätische Schwert zu ziehen… das er schon lange nicht mehr trägt.

Übersetzung: Nina Beyerlein