
Mitglieder der Kooperative San Isidro protestieren nach der Verhaftung von Denis Solís. (Facebook/Anamely Ramos)
YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 26.November 2020
Die Verhaftung eines Rapper hat dazu geführt, dass mehrere Aktivisten in einen Hungerstreik getreten sind. Was wie ein Treffen von solidarischen Freunden begann, die die Freilassung von Denis Solís forderten, entwickelte sich zu einer Situation mit Sprengkraft.
Was macht den Hungerstreik dieser unabhängigen Oppositionellen und Künstler so einzigartig? Die Antwort auf diese Frage findet sich im Kontext und nicht in der Nahrungsverweigerung, mit diesem Vorgehen Forderungen durchzusetzen. In der neueren kubanischen Geschichte haben Bürger wiederholt den Körper eingesetzt, als ein Mittel um Klage einzureichen, weil ihnen legale demokratische Wege fehlen, auf denen sie Rechte einfordern und Ungerechtigkeiten anzeigen könnten. Der dramatischte Fall der letzten Jahre war zweifellos der von Orlando Zapata Tamayo, der im Februar 2010 starb, nachdem er 86 Tage die Nahrung verweigert hatte.
Aber eine Dekade nach seinem Tod, den man hätte vermeiden können, ist der politische und soziale Kontext ein völlig anderer. Das Land erlebt die schlimmste wirtschaftliche Krise des Jahrhunderts; die autoritäre Figur Fidel Castro ist Geschichte, und die Funktionäre, die in die höchsten Ämter aufgestiegen sind, werden von der Mehrheit der Bevölkerung als eine Bande von unnützen Opportunisten angesehen. Hinzu kommt die jüngste Öffnung der Devisen-Läden für Nahrungsmittel und Produkte zur Körperpflege, was eine Welle allgemeiner Entrüstung provozierte, weil man darin eine “ monetäre Apartheit“ sah, eine Spaltung der Gesellschaft in die mit Dollar und die ohne.
Die solidarische Geste der Aktivisten hat Bewusstsein geweckt; in den letzten Tagen gab es viele Beweise dafür, dass verschiedene Gruppierungen der Gesellschaft die Aktion unterstützen, sogar jene, die sich bis vor kurzer Zeit nicht gegen die Repression von Dissidenten stellten.
In diesem Szenario, das die Corona-Pandemie noch verschärft hat, hat sich eine Gruppe Jugendlicher entschlossen nicht mehr zu essen; sie fordern, dass die achtmonatige Gefängnisstrafe für den Rapper aufgehoben wird, weil Solís in einem Schnellverfahren wegen des vermuteten Delikts „Beleidigung eines Polizisten“ verurteilt wurde. Die solidarische Geste der Aktivisten hat Bewusstsein geweckt; in den letzten Tagen gab es viele Beweise dafür, dass verschiedene Gruppierungen der Gesellschaft die Aktion unterstützen, sogar jene, die sich bis vor kurzer Zeit nicht gegen die Repression von Dissidenten stellten.
Internationale Organisationen haben die Behörden der Insel gebeten Denis Solís freizulassen; etwa hundert Filmschaffende haben in einem offenen Brief die Streikenden von San Isidro unterstützt, und in den sozialen Netzwerken gibt es einen „Shitstorm“ mit Aufrufen, das Leben der jungen Leute mit einem Dialog zu retten, bei dem auch die Stimmen der Streikenden gehört werden sollten. Aber bis jetzt scheint der Platz der Revolution die Reputation der Streikenden vernichten zu wollen, indem man sie als „Randfiguren“ bezeichnet, oder als Kulturschaffende, „deren Werke niemand kennt“. Außerdem ist das Haus, in dem sie sich treffen, von einem Polizei-Kordon umstellt, der Freunden und Familienmitgliedern den Zugang verwehrt.
Mehrere leere Mägen und ein ramponiertes Haus im Armenviertel von Havanna stehen jetzt an vorderster Front im Kampf gegen ein verzweifeltes und gefährliches System.
Übersetzung: Dieter Schubert
Dieser Text wurde ursprünglich von der Deutschen Welle für Lateinamerika veröffentlicht.
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