YOANI SÁNCHEZ / La Habana / 19.November 2020
In einem lässigem Tonfall und unter der Sommersonne Havannas hat die spanische Politologin Arantxa Tirado im vergangenen Jahr ein Video aufgenommen, in dem sie das Wunder der kubanischen Wirtschaft erklärte, das jedem Bürger drei Mahlzeiten am Tag erlaube und sogar eine Vesper, für nur 30 Euros im Monat. Heute ist der derselbe Markt, der ihr als Szenario für ihre Dissertation diente, praktisch leergefegt und uns fehlt die Protagonistin dieser Lobeshymne, um das andere Gesicht unserer Realität zu dokumentieren.
Die Marktstände an der Ecke der Straßen 17 und K bieten fast keine Waren mehr an. Die wenigen Produkte, die dort im vergangenen Monat sporadisch auftauchten, waren ein paar vergammelte Bananen, steinharte Orangen und Ingwerknollen. Dabei war dies einer der bestsortierten Märkte der Hauptstadt, der von Militärs und der „Jungen Arbeitsarmee“ (EJT) betrieben wurde. Die Zutaten, mit denen sich Arantxa Tirado nach eigenen Angaben versorgte, gibt es jetzt nur noch in der Erinnerung und auf den kurzen Bildszenen ihres Videos.
Als sich diese Bilder im vergangenen Januar viral in den kubanischen sozialen Netzwerken verbreiteten, lösten sie einen Sturm der Entrüstung aus. Ein Lawine von Kritik ergoss sich über die Politologin, die sich, nach nur wenigen Tagen Aufenthalt auf der Insel, für hinreichend unterrichtet hielt, über den kubanische Alltag aus wissenschaftlicher Sicht zu urteilen und die „Feinde“ des Systems über ihre Irrtümer aufzuklären. Wie viele von solchen nützlichen Dummköpfen haben wir nicht schon innerhalb und außerhalb unserer nationalen Grenzen gesehen? Warum kommen sie jetzt nicht zurück und sagen, was im Widerspruch zu ihren Argumenten steht?
Ich erinnere mich an ein paar Deutsche, die mir in der Berliner U-Bahn die enormen Vorteile des kubanischen Gesundheitssystems erklärten.
Ich versuche die Zahnschmerzen zu unterdrücken, die die miserable Füllung eines Backenzahns verursacht, durchgeführt in der Poliklinik meines Stadtviertels und erinnere mich dabei an ein paar Deutsche, die mir in der Berliner U-Bahn die enormen Vorteile des kubanischen Gesundheitssystems erklärten. Eine Zahnbehandlung erreichte ich erst nach mehreren frustrierenden Tagen, weil es in der Klinik weder Wasser noch Elektrizität gab.
Ein anderes Mal versuchte ein Kanadier mich von der Zufriedenheit der kubanischen Arbeiter zu überzeugen, weil die nie auf die Straße gingen, um für bessere Löhne und eine Erhöhung ihrer Renten zu demonstrieren. Er fügte hinzu, dass er Menschen auf der Straße sehe, die sich völlig frei bewegten und dass dies ein Beweis für die Vorteile des politischen Systems der Insel sei. Während er argumentierte, umschwirrten uns im Zentralpark von Havanna mehrere Polizisten mit unfreundlichen Gesichtern, um festzustellen, ob ich eine Staatsbürgerin wäre, der man eine Geldstrafe wegen „Belästigung eines Touristen“ auferlegen könnte.
Die Liste ist lang; auf ihr finden sich Prediger von Utopien, Baumeister von Luftschlösser und Falschmünzer unserer Realität. Sie verkünden eine Geschichte in leuchtenden Farben, um ihre Zuhörer davon zu überzeugen, dass dieses Land das Beste aller möglichen ist und dass alle Kritik an seinen Behörden nur eine niederträchtige imperialistische Lüge wäre. Dieser teils illusionistische teils kämpferische Geist veranlasste eine spanische Touristin vor einer Kamera zu sagen, ohne rot zu werden, dass sie in einem Monat und nur für Nahrungsmittel den ganzen Lohn eines kubanischen Ingenieurs ausgegeben hätte.
Und jetzt, Arantxa Tirado? Wo bist du jetzt um zu sagen, dass weder die doppelte noch die dreifache Summe reichen würde, um deine Einkauftasche zu füllen. Planst du ein weiteres Video vom Markt an der Straße 17 in Havanna? Dann kümmere dich um deinen Geldbeutel und lerne besser zu lügen.
Übersetzung: Dieter Schubert
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