Gestohlene Erinnerungen

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Kata Mojena Hernandez (Facebook)

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YOANI SÁNCHEZ | La Habana | 18. Februar 2019

Bei Razzien in den Häusern von Aktivisten, Oppositionellen und unabhängigen Journalisten kommt es immer wieder vor, dass die Staatssicherheit ausgerechnet persönliche Fotos und Videos beschlagnahmt. Sie entwenden das einzige Bild der Oma, das im Regal stand, den Schnappschuss vom Geburtstag des Enkelkinds und die Videoaufnahme der ersten Schritte, die das Baby im Wohnzimmer machte. Als hätten sie die Absicht, dass die Person durch den Verlust ihrer Erinnerungen den emotionalen Halt verlieren würde.

Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor einigen Jahren mit einer Dame in Weiß*) führte. Sie erzählte mir, dass unter den persönlichen Gegenständen, die man im März 2003 während der Polizeidurchsuchung in ihrem Haus beschlagnahmte, ihre Hochzeitsfotos waren und dass sie dieser Verlust besonders schmerzte. In jener Morgendämmerung des Schwarzen Frühlings, in der sie ihren Ehemann verhafteten, verlor sie die einzigen Bilder von diesem so besonderen Moment, in dem sie sich die Trauringe ansteckten, die Hochzeitstorte anschnitten und sich vor der Kamera küssten. Man gab ihr die Fotos nie zurück, obwohl diese nichts zu der Anklage der Staatsanwaltschaft gegen ihren Mann beitrugen, die ihn für mehr als sieben Jahre ins Gefängnis brachte.

Nun lese ich diesen Text von Kata Mojena und stelle fest, dass sich bei den Razzien in mehreren Wohnungen von Aktivisten der oppositionellen Unión Patriótica de Cuba vergangenen Montag dasselbe repressive Vorgehen wiederholt hat, sowie dieselbe absurde Beschlagnahmung privater Gegenstände und Familienerinnerungen, die keinen politischen Wert haben. Jedoch besitzen sie einen unschätzbaren Wert für den Menschen. Die Strategie bleibt gleich: der Person das wegzunehmen, was sie zu der Person macht; sie auf die Gegenwart zu reduzieren; ihr alle emotionalen Elemente zu entziehen, die sie vervollkommnen; ihr das Zeugnis dessen zu entreißen, was ihr in Form von Lebenserfahrung nicht genommen werden kann. Letztendlich bedeutet das auch von ihrer Geschichte Besitz zu ergreifen.

Zum Glück gibt es mittlerweile soziale Netzwerke, um all das unmittelbar an die Öffentlichkeit zu bringen. Man muss nicht jahrelang darauf warten, dass die Welt davon erfährt, dass die ablehnenden Reaktionen gehört werden und der Spott der Menschen diese „Diebe der Erinnerungen“ trifft, die – aufgrund von so häufigem Amtsmissbrauch in der Vergangenheit und der Gegenwart – in panische Angst vor der Zukunft geraten.

 

Kata Mojena Hernandez schreibt auf Facebook

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Übersetzung: Lena Hartwig

Anmerkung der Übersetzerin:
*) Die Damen in Weiß (Damas de Blanco) sind eine kubanische Menschenrechtsgruppe, die 2003 als Zusammenschluss von Angehörigen und Lebenspartnern regierungskritischer Journalisten, Oppositionspolitiker und Menschenrecht-Aktivisten entstand, welche im Rahmen des Schwarzen Frühlings verhaftet und verurteilt worden waren.


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