Foto: Wir werden keiner Erpressung nachgeben, weder einem Land noch einer Staatengemeinschaft, wie mächtig sie auch sei, komme, was wolle!
Keine Sorge, lieber Leser, dieser Text handelt nicht von dem, was Sie denken. Es ist kein Aufruf an die königliche Akademie der spanischen Sprache, um den Prozess zur Aufnahme von neuen Begriffen zu beschleunigen, es ist nicht einmal eine Beanstandung, um die Unübersichtlichkeit der spanischen Orthografie zu reduzieren. Nichts von alle dem. Das Gewand der Philologin habe ich vor geraumer Zeit an den Nagel gehängt und inzwischen verstehe ich mehr von Bytes als von Silben, mehr von Tweets als von Konjugationen. Ich rede eher von diesen eigenartigen sprachlichen Verdrehungen, die man in Cuba verwendet, um wirtschaftliche, politische oder soziale Phänomene zu benennen. Die „Reformen“, die wir erleben, scheinen sich eher auf dem Gebiet der Sprache und der Bedeutungslehre zu vollziehen, als in der konkreten Realität. Ich werde einige Beispiele geben … haben Sie bitte etwas Geduld.
In unserem Land ist es üblich, von „Aktualisierung des sozialistischen Modells“ zu sprechen, wenn es sich einfach nur um Maßnahmen handelt, die dem System Elemente der Marktwirtschaft hinzufügen. Es wird als „Arbeit auf eigene Rechnung“ bezeichnet, was an jedem anderen Ort der Welt als „privater Handel“ bekannt wäre. Die Arbeitslosen sind auch nicht unter dem entsprechenden Begriff erfasst, sondern laufen unter der Überschrift „einsatzbereite Arbeiter“, eine sehr abgemilderte Art um das Drama der Arbeitslosigkeit zu beschreiben. Wenn in den Krankenhäusern die Röntgen- und Ultraschallaufnahmen um ein vielfaches gekürzt werden, so man erklärt dies damit, dass es eine Möglichkeit sei, um „die klinischen Diagnosen zu potenzieren“. Was in Wahrheit so viel heißt, dass der Arzt mit seinen Augen und Händen von einem Bruch bis zur inneren Blutung alles erkennen muss.
Für den offiziellen Diskurs ist die Frustration des Volkes über die Reformen einfach nur ein Zeichen von „Unverständnis und Disziplinlosigkeit“. Wenn darüber hinaus dieser Unmut in Protesten auf der Strasse endet, dann sind die Beteiligten weder „empörte Bürger“ noch „Arbeiter, die ihre Rechte einfordern“, sondern vielmehr „Söldner“ und „Konterrevolutionäre“. Auf dieser Insel ist der Ausdruck „Das Volk“ einer von vielen Pseudonymen der Macht, somit können Sie sich die Verwirrungen vorstellen, welche dadurch häufig entstehen. Wenn zu lesen ist „durch Beschluss des souveränen Volkes“ oder „unter der Teilnahme des gesamten Volkes“ könnte man das Subjet in jedem einzelnen dieser Sätze durch „die kommunistische Partei“ ersetzen. Auch das Cholera-Virus darf nicht bei seinen 7 Buchstaben benannt werden, denn die Zeitung Granma hat schon den Satz „akute, durchfallartige Erkrankung“ geprägt. Und diese völlig verarmten Wohnviertel, die sich am Randgebiet der Stadt ausbreiten, darf man auf keinen Fall Barackensiedlung oder Elendsviertel nennen. Das sind, laut der verzerrten Bedeutungslehre, die uns umgibt, „Wohneinheiten mit wenig Annehmlichkeiten“.
Ich verstehe nichts mehr und Sie auch nicht. Eine Metasprache hat sich in unser Leben eingenistet und kein Wort ist, was es zu sein scheint. Aber aufgepasst, lieber Leser, und „machen Sie sich keine Sorgen“: das ist genau die Floskel, in der wir täglich sagen „die Situation ist besorgniserregend“.
Übersetzung: Birgit Grassnick
1984