In den Cyberspace abheben und entfliehen

dota2

Sie treffen sich jeden Samstagabend zu einer Party ohne Alkohol, ohne Mädchen, ohne Musik. Die ganze Nacht bis zum Morgengrauen verbringen sie über der Tastatur, starren auf den Bildschirm und haben ihre Computer zu einem Netzwerk verbunden, um zu spielen. Das ist die neuste Mode unter den kubanischen Jugendlichen einer neu entstehenden Mittelschicht, die sich selbst nicht mal als solche erkennt. Die „Pyjama-Partys“, mit Popcorn und Zelten, die mitten in einer Halle aufgeschlagen werden, haben diese Treffen ermöglicht, wo sich Technologie und Gelächter mischen, das Spielerische mit der Realitätsflucht. Die Jugendlichen selbst nennen diese technologischen Marathons „ tubear“* und viele Räumlichkeiten werden gemietet, um die Nacht zum Tag zu machen, mit der Hand auf der Maus. Unter den am meisten gefragten Spielen befinden sich die Strategiespiele und Parallelwelten, die helfen aus der nationalen Realität zu entfliehen.

Diejenigen, die keinen eigenen PC oder Laptop besitzen, um an dem Fest teilzunehmen, können sich in den Computer-Räumen einiger Schulen einfinden, wo die Lehrer an den Wochenenden – ohne Genehmigung – LAN-Partys organisieren. Starcraft, DotA, Counter Strike, Call of duty machen das Rennen unter den Vorlieben der Halbwüchsigen und parallel dazu garantiert ein Markt mit Raubkopien die neuesten Aktualisierungen und all die nötigen Ergänzungen. Folglich ist die größte Herausforderung, sich auf dem Laufenden zu halten, in einem Land, welches immer noch zu den Ländern mit den wenigsten Internetanschlüsse auf diesem Planeten gehört. Deshalb stehen auf der Wunsch- und Bestellliste für den Onkel, der auf Reisen geht, oder für den Freund, der aus dem Ausland zurück kommt, die DVDs dieser Spiele. Die digitalen An- und Verkaufsplätze – wie „Revolico“** – bieten ein großes Sortiment an, um abseits des komplizierten Alltags seinen Spaß zu haben.

Einige Gespräche auf der Straße spiegeln das Ausmaß dieser Unterhaltungform wider. „Du musst dieses Level überspringen, weil das nächste besser ist“, „Bring ihn nicht beim ersten Mal um, denn sonst kostet es dich auch deine eigene Kraft“, „Erbaue Deine Stadt in diesem Gebiet, es ist nicht so stark von Dämonen verseucht“. Unterhaltsame Spiele zum Mittelalter bis zu verwegenen, futuristischen Phantasien sind heutzutage Teil der jugendlichen Vorstellungswelt, wichtige Bestandteile in ihrem Leben. Sie haben bei ihnen den Platz eingenommen, den seinerzeit bei uns die Diskurse und Parolen innehatten. Sie applaudieren nicht, sie klicken; sie glauben nicht, sondern sie spielen. Und man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll, ob man diese Wirklichkeitsflucht als Waffe gegen den Fundamentalismus willkommen heißen soll oder ob wir uns beklagen sollen, weil diese Realitätsflucht uns der jugendlichen Aufsässigkeit beraubt, die so sehr fehlt.

Anm. d. Ü.
*Das entspricht den LAN-Partys bei uns.
**Revolico ist eine kubanische Website für Kleinanzeigen
Übersetzung: Birgit Grassnick

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